Peter Paul Rubens ist für viele schon eine museale Zumutung – einfach „too much“. Und dann erst der „katholische“!? Willibald Sauerländer, der 2018 verstorbene Kunsthistoriker hatte dazu ein schönes Buch geschrieben. Es schwärmt ein wenig, ordnet ein und schließt eine kunstgeschichtliche Lücke. PzZ nähert sich dem „katholischen Rubens“ philosophisch und tut dies mit Hilfe von drei Meisterwerken von Rubens. Das erste war sein Heiliger Christopherus, dann haben wir uns dem Heiligen Franziskus zugewandt. Nun geht es abschließend um eine durchaus umstrittene Lichtgestalt.
Eine Lichtgestalt stimmt ein
Das dritte Beispiel richtet sich auf Ignatius von Loyola. Der von ihm gegründete Jesuitenorden ist auf Engste mit der gegenreformatorischen Rekatholisierung verknüpft. Er lebte von 1491 bis 1556 und wurde bereits 1622 heiliggesprochen. Ihm ist auch ein Altarbild gewidmet, das Rubens für die Antwerpener Societas Jesu gemalt hat und das nun im Kunsthistorischen Museum Wien hängt. Es trägt den Titel Teufelsaustreibung des Heiligen Ignatius von Loyola. Wenn die Gegenreformation zum Exorzismus aufruft und dann noch der Jesuitenorden, der sich an militärischem Drill ein Beispiel nimmt, dann schwant einem Schlimmes. Exorzismus, Teufelsaustreibung, erinnert an die finstersten Verfehlungen der Kirche. Wenn etwas für moderne Geister unzugänglich und abstoßend ist, dann die Exorzismen, die unterstellen, dass Menschen vom Teufel und allerlei Dämonen besetzt sind, die ihnen ausgetrieben werden müssen. Er scheint einer animistischen Welt anzugehören, in der um die Seelen der Menschen ein Streit von „Geistern“ herrscht, böse Dämonen gegen hilfreiche Engel.
Wir können dem nur noch allegorischen Sinn geben. So versteht die katholische Kirche z.B. auch die Taufe als eine „einfache Form“ von Exorzismus. Im Katechismus der Katholischen Kirche heißt es allgemein: „Wenn die Kirche öffentlich und autoritativ im Namen Jesu Christi darum betet, daß eine Person oder ein Gegenstand vor der Macht des bösen Feindes beschützt und seiner Herrschaft entrissen wird, spricht man von einem Exorzismus.“ Nun kommt alles darauf an, wer oder was als „böser Feind“ gelten darf und wen man von „ihm“ besessen glaubt. Deshalb sei, so der Kathechismus der Katholischen Kirche, kluges Vorgehen gefordert. Der Katechismus der Katholischen Kirche stellt nun, durchaus in kritischer Abgrenzung eines verwirrten Teufelsglaubens, klar, dass Krankheiten, „vor allem auch psychischer Art“ „etwas ganz anderes“ sind und der „ärztlichen Heilkunde“ zuzurechnen sind.[1]
Ich glaube, wir brauchen uns bei der Bewertung des Exorzismus nicht lange aufzuhalten. Er gilt heute als sehr sehr merkwürdig. Ein Kunstwerk, das ihn feiert, ist dem modernen Sinn mehr als suspekt. Ein gegenreformatorisches Bild zu seiner Rechtfertigung fällt einfach aus der Zeit.
Allerdings ist die Rede von Dämonen metaphorisch durchaus gebräuchlich. Glücklich nennen wir traditionell denjenigen, dessen Leben durch einen guten Geist bestimmt ist. Ein gelungenes Leben, eudaimonia (εὐδαιμονία), ist eines, das von so einem guten Geist (eu-daimon) geleitet oder in diesem Geist geführt wird. Unglücklich ist dagegen der, der von allen guten Geistern verlassen ist. Traditionell wurden Affekte, die das Leben und Handeln von Personen bestimmen, personifiziert. Sie ergreifen einen wie eine fremde Macht. Wenn eine Versammlung (plötzlich) Streitlust ergreift und sich eine unerbittliche und rücksichtslose Aggressivität kundtut, dann heißt es z.B. bei Homer, dass Eris, die Göttin des Streits, über sie gekommen ist.[2]
Dass wir etwas „metaphorisch“ nennen, macht es nicht falsch. Im Gegenteil: „wahre“ Rede, nämlich solche, die etwas zeigt, das uns bisher verschlossen blieb, ist metaphorisch, sie „überträgt“ etwas, spricht etwas als etwas anderes an, d.h. sie bringt uns etwas nahe, das uns „fern“ und unzugänglich war. Sie schafft Einsicht, macht etwas klar und stellt es in einen erschließenden Sinnzusammenhang.
Wir wissen aus eigenem Erleben, dass Neid und Missgunst, Misstrauen und Angst unser Zusammenleben bestimmen kann und eine zerstörerische Wirkung haben, die sich über unser Tun und Lassen legt. Ein gemeinsames Vorhaben wird durch wohlwollendes Vertrauen, Frohsinn und Lebensfreude gestärkt. Angst und Misstrauen erschweren das Gelingen und geben ihm ein schweres Erbe. Wir sprechen heute von Depression, in die jemand fallen kann und die ihm eine gelingende Lebensführung unmöglich macht. Gespräche werden durch die Stimmung geprägt, die sich unter den Teilnehmern ausbreitet. Nicht selten wird es nicht durch das, was gesagt wird, bestimmt, sondern durch das Wie, die Form, in der sich die Teilnehmer aufeinander beziehen. Die Kunst ein Gespräch zu führen, zeigt sich dann darin, die Beteiligten aus ihrer ängstlichen Reserve in eine wohlwollende Offenheit zu bringen.
Wir erleben die Welt gestimmt. Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen. Die „Gegenstände“ sind gleich und haben doch völlig andere Bedeutung. Wer die Welt verändern und sie zu einer besseren machen will, der muss sie stimmig machen zu dem, was uns im Wesentlichen ausmacht, wonach wir bedürftig streben. Und er muss sich selbst stimmig zu dem verhalten, was er zu erreichen strebt. Gelingendes Leben ist ein Leben, das im Vollzug gelingt, nicht durch das Erreichen eines Ziels. Die gute Welt ist eine harmonisch gestimmte, in der spürbar ein „guter Geist“ wirkt.
Die christliche Botschaft versteht sich als Frohbotschaft. Sie verheißt eschatologisch Erlösung und Heil. Und diese Verheißung befreit den Gläubigen und macht ihn froh und zuversichtlich. Wahrer Glauben, d.h. einer der das Leben bestimmt, zeigt sich in der Lebensart des Gläubigen. Er hat froh gestimmte Gelassenheit. Er wird zu einem beglückt Liebenden und frohgemut Hoffenden.
Rubens zeigt uns Ignatius von Loyola wie er in und durch die Messe die befreiende Frohbotschaft vermittelt. Die linke Hand noch auf dem Altar abgestützt geht von ihm ein Strahlen aus, das den Raum erfüllt und in dem sich alles „lichtet“. Das geistige Geschehen ist zugleich ein sinnliches. Die „bösen“ Geister, die die Gemeinde ergriffen hatten und sie zu vernichten drohten, fliehen entsetzt. Es ist die Apologie der jesuitischen Mission der Rekatholisierung. Aber das Kunstwerk kann als Apologie nur Verwendung finden, weil es etwas ins Bild bringt, das uns ergreift und das wir als „wahr“ erkennen: etwas kann uns in eine befreiende Stimmung versetzen. Nicht selten sind es Menschen, die etwas ausstrahlen und die dazu bewegen, die Stimmigkeit des eigenen Lebens besser zu erreichen. Rubens zeigt uns so einen, der unsere Gesinnung ändert, einen Geisteswandel auslöst und uns eines anderen Geistes werden lässt. Ob die „Frohbotschaft“ des Christentums das vermag und wie froh sie ist und die Gläubigen macht, muss wieder dahingestellt bleiben. Das „Katholische“ ist heute nicht die erste Wahl, wenn man die Stimmigkeit eines gelingenden Lebens sucht. Aber die Kunst von Rubens lässt uns die Welt in einem strahlenden Licht sehen, zeigt sie uns schön und macht sie damit „wahr-scheinlich“.
Epilog: Aggiornamento als Approfondimento
Willibald Sauerländer ist Recht zu geben: Das Katholische ist uns reichlich fremd geworden. Wir können und dürfen nicht einfach voraussetzen, dass es die Kunst des „katholischen Rubens“ tragen kann. Aus der Kirche entfernt und ins Museum verbannt, verliert die Kunst den gestimmten Raum, in dem sie wirkt und an dessen Stimmung sie selbst mitwirkt. Dem modernen Betrachter werden die religiösen Wunder zum Märchen, „das Altarbild zum Farbenspiel der Kunst“.[3] Aber das, was das „Farbenspiel der Kunst“ zeigt, setzt das „Katholische“ nicht voraus, sondern ins Bild und bringt es (allenfalls) sichtbar zur Wirkung. Unser Leben kann von Christopherus oder Franziskus nur bestimmt werden, weil sie unserem Dasein Ausdruck verleihen. Wir müssen nicht „wegen“ Christopherus oder Franziskus unser Leben selbstbestimmt führen, sondern weil wir es selbstbestimmt führen müssen ohne doch selbständig, autark (αὐτάρκης) und uns selbstgenügend zu sein, können sie zu uns sprechen. Weil unsere Lebensführung die Hoffnung aufs Gelingen braucht, erkennen wir uns in ihnen wieder – auch wenn wir nicht katholisch oder konfessionell gebunden sind.
Wir müssen also nur hingucken und brauchen keine Dogmatik. Wenn wir aber sehen, was der katholische Glauben bezeugt und die katholische Dogmatik zu formulieren versucht, dann mag dies ein Anstoß sein, sich dem Katholischen zu öffnen. Aber das ist ein anderes Thema und muss hier dahingestellt bleiben. Glauben wird jedenfalls nicht durch Dogmen gestiftet. Allenfalls durch eine Kunst wie die des „katholischen Rubens“. Seine Kunst ist das Wunder, das uns zu denken gibt.
[1] KKK 1673.
[2] Ilias IV 440ff.:„… die rastlos lechzende Eris …, die erst klein von Gestalt einherschleicht; aber in kurzem trägt sie hoch an den Himmel ihr Haupt, und geht auf der Erde. Diese nun streuete Zank zu gemeinsamem Weh in die Mitte, wandelnd von Schar zu Schar, das Geseufz’ der Männer vermehrend.“
[3] S. 276.