Inside Kakanien I.8: A.E.I.O.U.

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Kakanien, das ist in vielem das Gegenbild zum antiken Ideal, das für uns ebenfalls nicht sehr ansprechend klingt: Kalakagathie (καλοκαγαθία). Kakanien, das ist nicht die Einheit vom Schönen und Guten, eher die Einheit von Etwas, das eigentlich nicht zusammengehört und darauf wartet auseinander zu fallen. Wie sieht es denn aus, dieses Kakanien? Es ist vor allem Fassade. Nicht, dass nichts dahinter stünde. Aber anderes als es nach außen zeigt. Es ist sich selbst seines Wesens nicht sicher und muss deshalb ganz fest daran glauben. Es glaubt an die Kulisse, Fassade und daran, dass dieser Sinn für den Hintersinn gut ist für die Welt. An seinem Wesen können andere genesen: wenn es Kakanien schafft, dann kann es jeder. Deshalb exportiert es davon auch viel. Manchmal Musik und Kunst, dann wieder Dünkel und Selbstgefälligkeit, und manchmal Große Kriege. „Die Abneigung gegen den Mitbürger war dort bis zum Gemeinschaftsgefühl gesteigert“ und „auch das Mißtrauen gegen die eigene Person und deren Schicksal [nahm] den Charakter tiefer Selbstgewißheit an. Man handelte in diesem Land – und mitunter bis zu den höchsten Graden der Leidenschaft und ihren Folgen – immer anders, als man dachte, oder dachte anders, als man handelte.“ 

Von welchem Kakanien wir reden? Von Österreich, der Alpenrepublik mit dem Flair eines Operetten-Staats. Ja, auch. Musil tut’s und sieht darin wohl nur ein Beispiel. Wir dürfen deshalb nicht nur ans heutige Österreich denken. Wir müssen an den Vielvölkerstaat denken, der die eigenwilligsten und -sinnigsten Völker unter der wackeligen einer K-und-K-Monarchie versammelte, die tatsächlich aus

  • den Königreichen Ungarn und Böhmen, Kroatien und Slawonien, Dalmatien und Galizien und Lodomerien,
  • den Erzherzogtümern Österreich unter der Enns und Österreich ob der Enns,
  • den Herzogtümern Bukowina, Kärnten, Krain, Salzburg, Ober- und Niederschlesien und Steiermark,
  • den Grafschaften Mähren, Tirol und Istrien, Görz und Gradisca und
  • den reichsunmittelbaren Gebieten Triest und Vorarlberg und Bosnien-Herzegowina

bestand. Wahrhaft multi-kulti sprach man Deutsch und Ungarisch, Tschechisch und Polnisch, Kroatisch und Serbisch, Ukrainisch/Ruthenisch und Rumänisch, Slowakisch und Slowenisch, Italienisch und Jüddisch – um nur die verbreitetsten zu nehmen. Wer würde darin ein Weltreich erkennen? Aber eine wirkliche Weltmacht war es auch nie, obwohl seine Herrscher  lange Zeit das Geschick Europas und damit der Welt maßgeblich bestimmte. Der Wahlspruch der Habsburger: A.E.I.O.U., fünf Vokale, die alles andere, die ganze Welt, konsonieren lassen und der so schwer zu fassen ist, wie das kakanische Wesen selbst. Schon im Lateinischen gibt es mehrere Fassungen: Austriae est imperare orbi universo oder auch Austria est imperatrix omnis universi was wohl irgendwie aufs Gleiche hinausläuft und für moderne Nicht-Lateiner etwas antiquiert so ausgedrückt werden kann: Alles Erdreich ist Oesterreich untertan. Lässt man die Weltmacht-Ambitionen beiseite, denen Österreich anders als Spanien, England oder Frankreich nie wirklich erlegen ist, dann lässt sich damit auch ein nicht weniger erhabener Anspruch formulieren: Austria est imperium optime unita, der dann zu der Selbstversicherung Austria erit in orbe ultima führt. Nun Österreich vielleicht schon, die K-und-K-Monarchie nicht. Keine wirkliche Weltmacht führt es die Welt doch in den ersten Weltkrieg. Kakanien war „ohne daß die Welt es schon wusste, der fortgeschrittenste Staat; es war der Staat, der sich selbst irgendwie nur noch mitmachte, man war negativ frei darin, ständig im Gefühl der unzureichenden Gründe der eigenen Existenz“

Ähnlichkeiten mit anderen, gar deutschsprachigen Staaten ist rein zufällig – ich glaube deshalb hat Musil es auch geschrieben und wird es heute so gern gelesen.[1]

[1] Eben ein Klassiker für die Schublade – wie so viele. Unsere Bildungsbürger, sorry die Bildungsschicht, sorgt sich wenig um Bildung oder gar um ihre Klassiker. Wir sind stolz auf die westliche Kultur, kennen sie aber nicht. Digital ist besser. Wir wissen von der Welt genug, wenn wir auf Spiegel-Online sind. Neusprech. Herzlich Willkommen im kakanischen NetFlixanien – für 7,99 sind Sie dabei.

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