Peter Paul Rubens ist für viele schon eine museale Zumutung – einfach „too much“. Und dann erst der „katholische“!? Willibald Sauerländer, der 2018 verstorbene Kunsthistoriker hatte dazu ein schönes Buch geschrieben. Es schwärmt ein wenig, ordnet ein und schließt eine kunstgeschichtliche Lücke. PzZ nähert sich dem „katholischen Rubens“ philosophisch und tut dies mit Hilfe von drei Meisterwerken von Rubens. Das erste war sein Heiliger Christopherus. Nun wenden wir uns dem Heiligen Franziskus zu.
Lo Poverello und das Glück
Franziskus ist eine andere inspirierende Figur der „katholischen Reform“. Er gehört zur minoritischen Erneuerung der Kirche im 12. und 13. Jahrhundert. Aber gerade die Bettelorden sahen sich dann der protestantischen Kritik ausgesetzt und wurden bilderstürmerisch heimgesucht. Man warf ihnen – nicht ganz ohne Grund – vor, sich im Laufe der Zeit von den strengen Armutsregeln doch weit entfernt zu haben. Ihr Erfolg machte sie reich und damit wurden gerade sie zum Beispiel einer korrupten, verwahrlosten Kirche.
Die „katholische Reformation“ feiert Franziskus als so etwas wie den Inbegriff eines Heiligen – Dante spricht davon, dass „er der Welt wie eine Sonne aufging“.[1] Sein Leben in Armut (il Poverello) ist ein einziges Gotteslob und gilt als imitatio Christi. Das zeigt sich am Wunder der Stigmatisation, nämlich in den ihm in der mystischen Begegnung mit Christus verliehenen Kreuzwunden. Die Stigmata sind Zeichen der conformatio, „wunderbares Zeugnis seiner Assimilation an den gekreuzigten Christus“.[2] Der seraphische Franziskus (Seraphicus) ist imago Christi und als solches ein ehrfürchtig zu verehrendes Vorbild. Und dieses imago muss gezeigt, es muss von Rubens sichtbar gemacht werden, wie z.B. in seiner Darstellung der Stigmatisation des Heiligen Franziskus, das er für den Altar der Kölner Kapuzinerkirche gefertigt hat und nun im Wallraf-Richartz-Museum in Köln zu sehen ist.
Wieder dürfen wir nicht einfach unterstellen, dass der heutige, sich aufgeklärt wähnende Betrachter das Wunder der Stigmatisation für glaubwürdig erachtet. Seine Darstellung wird er deshalb wiederum nur religionsgeschichtlich interessant finden. Willibald Sauerländer ist wohl zuzustimmen, wenn er sagt, dass uns „die gegenreformatorische Franziskus-Verehrung […] fremd geworden“ ist.[3]
Franziskus ist allerdings auch heute noch eine gerne genutzte und nun auch papsttaugliche Referenz. Vertretern eines ökologischen Wirtschaftens gilt er als Vorläufer einer ganzheitlichen Ausrichtung, als ein früher Mitstreiter für die Bewahrung natürlicher Lebensräume und einer tier- und umweltethischen Prägung des (politischen) Zusammenlebens. Das Franziskanische Armutsideal wird ihnen zum sorgsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen und einem modern verstandenen Ideal der Askese als Konsumverzicht. Die „Franz-Begeisterung unserer Tage“, Willibald Sauerländer nennt sie „sentimental“, richtet sich auf andere Motive als die wundersame Stigmatisation. Sie verweist auf den Sonnengesang und sieht in Franziskus den Tierflüsterer, der mit den Vögeln als zu seinen Brüdern spricht. Man spricht dann meist von Bewahrung der Schöpfung ohne wirklich an eine (göttliche) Schöpfung zu glauben.
Wieder stellt sich die Frage, ob dem „katholischen Rubens“ auch für den etwas abzugewinnen ist, der vorderhand nicht an die Stigmatisation glaubt. Wieder müssen wir auf das gucken, was uns gezeigt wird und nicht zuletzt auch auf das, was uns nicht oder ganz anders gezeigt wird als wir es erwarten. Die visio mystica ist vor allem eine Vision, eine geistige Schau. Dem um seinen Glauben ringenden Gläubigen wird nicht etwas „Neues“ offenbart, vielmehr ergreift ihn das „Alte“ im Glauben gegebene auf alles bestimmende Weise. Sein „Denken“, sein „geistiges Dasein“, verschmilzt mit der Offenbarung in einer unio mystica. Es ist ein ekstatisches Ergriffensein, das das „Denken“ der Person nicht mehr von der Offenbarung trennt und die Person ganz bei dem sein lässt, vorauf es sich ausrichtet, eben außer sich. In vielen Darstellungen nimmt das die Form einer orgastischen Verzückung an – so etwa in der berühmten Skulptur zur Ekstase der Heiligen Theresa von Avila von Bernini. Auf PzZ kann man dazu einiges nachlesen (z.B. zur Verkündigung des Erzengels an Maria, zur Mystischen Erfahrung im allgemeinen und zur Visio mystica der Malerei im besonderen).
Die Erfahrung, die Franziskus macht – oder jedenfalls die, die Rubens uns zeigt –, ist freilich keine nur „geistige“. Es ist ein leibliches Geschehen, „eine sinnlich-leibliche Begegnung“, die leiblich sichtbar wird und bezeugt werden kann. Wir können Theresas Verzückung sehen, aber nicht, was sie gesehen hat – war es vielleicht doch das, was viele jedenfalls als Vorlage unterstellen, na sie wissen schon… oder gar ein epileptischer Anfall, ein überdrehter Aussetzer? Franziskus hat einen Zeugen, seinen Mitbruder Leo, der sich vor dem, was er sieht, schützen muss, um nicht geblendet zu werden. Er wird förmlich niedergeworfen. Er spielt für das Geschehen eine wesentliche Rolle. Er ist die „Brücke“ zum (gläubigen) Betrachter, gleichsam der Stellvertreter des Betrachters im Bild. Er bezeugt als Betrachter das Geschehen. So war und so ist das mit diesem Franziskus.
Die mystische Erfahrung des Franziskus ist keine Offenbarung, die seinen Glauben ergreift und verbindlich ausrichtet. Sie ist eine Erfahrung, die er mit seinem Glauben oder vielmehr mit seinem Leben macht. Wir müssen unser Leben im Wissen darum führen, dass es misslingen kann. Vieles geht im Leben schief und die Umstände können für eine „gutes“ Leben mehr oder weniger günstig sein. Aber letztlich kommt es vor allem auf unsere Lebensführung an, darauf wir mit „Glücksmomenten“ und Schicksalsschlägen umgehen. Wir wollen das Beste, ohne doch wirklich sicher sein zu können, was das ist. Was uns jetzt gut und richtig erscheint, das mag sich bald als schwerer Fehler herausstellen. Franziskus ist – wie wir alle (!) – mit dem Christopherus verwandt: wir müssen mit ihm aufs Gelingen dessen hoffen, was uns innerlich bewegt und ausrichtet. Wir müssen unser Leben im Vorgriff darauf führen, dass es sich zu einem gelingenden Ganzen fügt. Und weil niemand sich so gut kennt, wie er sich zu kennen meint, und „Selbsterkenntnis“ nur möglich ist, wenn man sich aus der Perspektive der Anderen betrachtet und beurteilt, sind wir auf das (wohlwollende) Urteil der Anderen angewiesen. Hartmut Rosa würde davon sprechen, dass wir Resonanz brauchen und erst dadurch die Stimmigkeit unseres Lebens erfahren.[4] Der Gläubige gibt sich in die Hand Gottes: „Das bin ich, das war mein Leben – und ob es gut geführt wurde, das muss sich zeigen.“
Rubens zeigt uns Franziskus keineswegs selbstsicher. Er kann sich als (fehlbarer) Mensch der Richtigkeit seines Weges nicht gewiss sein. Er übergibt sich und sein Leben der Beurteilung. Das ist mein Leben. So steht’s um mich. Das Wunder der Stigmatisation ist seine rechtfertigende Anerkennung. Gleich der Narben, die das Leben hinterlässt, bekunden die Kreuzwunden, die Nachfolge Christi. Es ist die von ihm fast ungläubig aufgenommene Bestätigung seiner Conformatio. Das Wunder bestätigt seine imitatio und macht ihn zum Vor-Bild, wahrhaftig zum imago Christi für die Gläubigen. Das ist die Botschaft an die Gläubigen, die wir nicht mehr sind.
Für uns Modernen bleibt die Einsicht, dass wir unser Leben mit Blick auf unsicheres Gelingen zu führen haben. Auch wir sind vom Leben gezeichnet. Vieles hätte anders laufen können. Wir hätten uns anders entscheiden können, haben Möglichkeiten liegen lassen und sind Risiken eingegangen. Das macht unser Leben aus, so und nicht anders steht es um uns. Das ist das Wesen des menschlichen Daseins.
Die mystische Erfahrung der Stigmatisation ist eine, die Franziskus mit seinem Leben macht. Er wird angenommen und ausgezeichnet. Es ist die liebevolle Würdigung seines Daseins. Franziskus ist dabei weit weniger entrückt als wir das aus anderen Darstellungen mystischer Erfahrungen kennen. Er ist nicht verzückt, sondern zeigt sich vom „Zuspruch“ eher überrascht. „Die übernatürliche Seite der Vision“ tritt, wie Willibald Sauerländer sagt, gegenüber der „sinnlich-leiblichen Begegnung“ zurück und statt „himmlischer Ferne“ ereignet sich alles „unmittelbar vor dessen [Franziskus] Angesicht“. Nicht nur ihm ist die Auszeichnung zugedacht. Wir sehen ihn, er wird uns (von Rubens) gezeigt. Der Zuspruch gilt nicht zuletzt dem Zeugen, der dem Geschehen beiwohnt und es bezeugt. Zeugen sind wir als Betrachter von Rubens Bild freilich alle. Und es geht uns wie seinem Mitbruder Leo, es erschüttert uns und wir versuchen uns vor dieser Wahrheit zu schützen.
Sein Leben unter eine Maxime zu stellen (z.B. die der Nachfolge Christi) ist das eine, ihr gerecht zu werden, das andere. Was sich zunächst leicht schultern lässt, wird dann im Lauf der reißenden Zeit und auf steinigem Grund eine herausfordernde Last, der wir uns nicht entziehen können und die uns keine letzte Sicherheit gewährt. Wir vermögen nicht mehr recht an die Stigmatisation zu glauben. Unser Leben steht dennoch unter dem Erfolgsdruck des Gelingens oder Scheiterns.
10 Jahre nach dem Kölner Bild entsteht ein weiteres zur Stigmatisation des Heiligen Franziskus für die Franziskaner in Gent. Willibald Sauerländer glaubt, dass es für den modernen Betrachter zugänglicher ist, weil es „gemütvoller“ und weniger seraphisch („bengalisch“) ist. Tatsächlich stellt der Franziskus, den Rubens für die Genter Franziskaner malt, den Vorbehalt des eigenen Scheiterns noch stärker heraus: Franziskus blickt in Richtung Betrachter. Ihm scheint seine Auszeichnung selbst ein unbegreifliches Wunder zu sein: „Ich habe getan, was ich konnte“, scheint er zu sagen, „und dabei nicht immer getan, was ich wollte. Und nun hat sich mein Streben ohne mein Zutun erfüllt.“ Das Bild ist weniger programmatisch und lässt vieles offen. Es verpflichtet den Betrachter nicht auf den franziskanischen Weg. Franziskus trägt kein Siegeszeichen, das uns auf seinen Weg verpflichten möchte. Es ist ein überaus bescheidener, demütiger Franziskus ohne jeden Stolz auf das eigene franziskanische Programm. Jeder muss seinen Weg finden und gehen. Es scheint fast als wollte Rubens die Franziskaner ermahnen: Franziskaner zu sein versichert Euch nicht des Heils. Euer Weg ist so besonders wie der jedes anderen. Und wer glaubt, das Glück durch (strenge) Regeln und letzte Wahrheiten sichern zu können, der setzt es selbstgefällig aufs Spiel. Das Leben lässt sich nicht systematisieren und seine Entscheidungen können durch kein Regelwerk, kein Programm einer Lebensart, ersetzt werden.
Fortsetzung folgt …
Wir schauen auf eine Lichtgestalt, die Geister austreibt und vielen nicht zuletzt deshalb reichlich dunkel und unheimlich vorkommt, nämlich auf Rubens Teufelsaustreibung des Heiligen Ignatius von Loyola.