Der katholische Rubens

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Der katholische Rubens“, das ist der Titel eines schönen und anregenden Buchs von Willibald Sauerländer. Für viele mag das wie eine Warnung klingen und dazu führen, Rubens lieber aus dem Weg zu gehen oder ihm doch mit der gebotenen kritischen Distanz zu begegnen, um einer Kontaktschuld zu entgehen.

Das Unzugängliche einer katholischen Kunst

Ja, Peter Paul Rubens war katholisch und zwar ausdrücklich. Das konnte man eigentlich erst sein als mit der Reformation eine Konkurrenz zur alten, ganzheitlichen (καθολικός) Kirche erwuchs: in ihren unterschiedlichen Gestalten (Luther, Calvin, Zwingli) beanspruchten die Reformierten das Evangelische für sich und hoben es gegen die in der römisch-katholischen Kirche tradierten Form ab. Katholisch zu sein, das heißt seither eben kein Protestant zu sein und schließt eine Parteinahme im Streit der Konfessionen um die wahre Religion ein (de vera religione). Zu Rubens Lebenszeit (1577-1640) wurde dieser Streit nicht selten kriegerisch ausgetragen. Rubens ist von den gewaltsamen Religionsunruhen seit seiner Geburt betroffen: Das „katholische“ Antwerpen war 1556 protestantisch geworden. Seine Eltern sahen sich 1568 gezwungen, ins Exil nach Köln zu gehen. Dort allerdings begann der Vater eine Affäre mit der zweiten Frau Wilhelm von Oraniens und wurde deshalb 1571 verhaftet und eingekerkert. Die Haft wurde schließlich nach zwei Jahren in einen Hausarrest in Siegen umgewandelt, wo Peter Paul Rubens dann 1577 das Licht der Welt erblickte. Ab 1578 durfte die Familie wieder nach Köln umsiedeln und dort verbrachte Peter Paul sein erstes Lebensjahrzehnt. Nach dem Tod des Vaters zog die Familie 1587 wieder nach Antwerpen, das 1585 von den Spaniern in einem grausam geführten Krieg zurückerobert wurde und nun wieder „katholisch“ war.

Katholisch zu sein, das hieß im Antwerpen des späten 16. Jahrhunderts, kein Reformierter zu sein. Der „katholische“ Rubens ist ein gegenreformatorischer. Die Gegenreformation versteht sich als eine „katholische Reformation“. Sie will die durch die Reformation aufgedeckten Missstände angehen und die eigene „katholische“ Position gegenüber der protestantischen Reformation schärfen. Hatte Luther der Kirche seine drei Sola-Formeln entgegengestellt – sola scriptura, sola fide, sola gratia – geht es der katholischen Gegenreformation um

  • das rechte Verständnis der Rolle der Kirche und der Sakramente, insbesondere dem Sakrament der Eucharistie,
  • die Hervorhebung der besonderen heilsgeschichtlichen Rolle der Gottesmutter Maria und ihrer Verehrung und
  • die richtige Einordung der Verehrung der Heiligen.

Mit den Dekreten des Tridentinums, des Konzil von Trient (1545-1563), hat die „katholische Reform“ ihre richtungsweisende, kirchlich-theologisch verbindliche Formulierung erhalten, die sich, wie sich zeigen wird, auch im Schaffen des „katholischen Rubens“ spiegelt. Der „katholische Rubens“ ist also Teil der „katholischen Reformation“, der abgrenzenden Erneuerung des „wahren Glaubens“, der sich jetzt distinguierend „katholisch“ nennt.[1]

Was sollte uns am „katholischen Rubens“ heute (noch) interessieren? Willibald Sauerländer jedenfalls ist weder katholisch noch ein Verfechter der „katholischen Reformation“. Er betritt, wie er selbst sagt, „als Abkömmling einer Familie von reformierten Lehrern und Küstern, welcher alles Katholische verdächtig war und die sich schon in der Generation meiner Eltern ins Agnostische gewendet hatte, fremden Boden“. Willibald Sauerländer nennt sich etwas selbstgefällig einen „aufgeklärten Agnostiker“. Das Interesse am Katholischen der Kunst Rubens hat dann vor allem ideologiekritische Züge. Es dürfte eher eine Warnung sein, den „katholischen Rubens“ nicht unkritisch gut zu heißen und sich von seiner Kunst nicht verführen zu lassen. Willibald Sauerländer kritisiert deshalb eine Rubens-Rezeption, die das Sakrale von Rubens Altar und Heiligenbilder einfach ignoriert und ihn leichtfertig zum Künstler des farbenprächtigen Ausdrucks „barocker Leidenschaften“ macht. Das sei „gedankenarm“ um nicht zu sagen „hohl“. Die Kunstgeschichte sieht in Rubens allenfalls den Meister der Verschmelzung seiner christlich geprägten Gegenwart mit dem Erbe der heidnischen Antike. Der „katholische Rubens“ wird gegenüber dem mythologischen Rubens ignoriert: Rubens gilt als „der größte Darsteller der antiken Mythologie“, als „Homer der Malerei“ oder treffender formuliert als der „malende Ovid“.[2]

Das kritisiert Willibald Sauerländer als ein Versäumnis der Rubensforschung. Allerdings räumt er ein, dass er „nicht zum engeren Kreis der Rubens-Kenner“ gehört. Seine kunstgeschichtlichen Arbeiten waren bis zu seinem „katholischen Rubens“ allesamt anderen Sujets gewidmet. Vor allem seine Arbeiten zur Gotik, ihren Kathedralen und Skulpturen sind einschlägig. Er ist also nicht gerade prädestiniert, „ein Buch über die Heiligen der römischen Kirche auf den Altarblättern von Peter Paul Rubens zu schreiben“.

Es ist gerade der Abstand, der den modernen, „aufgeklärten“ Betrachter vom „katholischen Rubens“ trennt, den es zu verstehen gilt und der die „Wahrnehmung“ des „katholischen Rubens“ für unser Selbstverständnis bedeutsam macht. Auch hier gilt: Im Anderen erkennen wir uns selbst. Die Kunst des „katholischen Rubens“ gehört „einer Ordnung der irdischen und überirdischen Dinge an, die uns tief fremd, ja an einzelnen Stellen ausgesprochen antipathetisch geworden ist„.[3] Willibald Sauerländer spricht von einer „Fremdheit, um nicht zu sagen Anstößigkeit des katholischen Rubens für die aufgeklärte Nachwelt“ (WS 275)

Kindermord als Fest ?!

Der Bethlehemitische Kindermord von Peter Paul Rubens in der
Alten Pinakothek München

Ein schlagendes Beispiel für das anachronistisch Unbegreifliche der Kunst des „katholischen Rubens“ ist sein „Bethlehemitischer Kindermord“.[4] Er wird von Rubens in seinem ganzen Schrecken vorgeführt. Der Betrachter ist mitten im Geschehen, das um ihn herum tobt. Er wird von einem Grauen ergriffen, dem er sich nicht entziehen kann. Aber die Botschaft ist eine völlig andere als die meisten anderen Darstellungen wie z.B. der von Brueghel, denen es genau um dieses Grauen geht. Rubens Inszenierung hat nichts Politisches. Sie ist auch kein Ausdruck eines naturalistischen Fatalismus. Es hilft hier tatsächlich sich zu fragen, für wen und mit welchem Motiv das Bild gemalt oder gar in Auftrag gegeben wurde. Der „Bethlehemitische Kindermord“ ist kein Altarbild und lässt sich als solches schwerlich denken. Wofür sollte es dann geschaffen sein? Brueghel verband damit eine politische Botschaft und es war Teil des Widerstands gegen das spanische Unrechtsregime. Das gilt für die Darstellung des „katholischen Rubens“ nicht. Seine Wiedergabe ist ausgerichtet am Fest der Unschuldigen Kinder, das die katholische Kirche am 28. Dezember feiert. Das Fest ist nicht ein Gedenktag an ein grauenvolles Geschehen, an das man in der Erinnerung wachhalten will, um es niemals wieder geschehen zu lassen. Es ist ein Fest (!), in dem das Martyrium der Unschuldigen Kinder gefeiert (!) wird. Denn tatsächlich gelten die ermordeten Kinder als Märtyrer und das Martyrium als eine Form, „für die Wahrheit Zeugnis“ abzulegen. Der Kindermord ist demnach ein Zeugnis der Wahrheit?!

Nach katholischer Lehre kann das Martyrium durch „Tat und freiem Willen“ (opere ac voluntate) erfolgen oder nur durch das Geschehen selbst bestimmt sein (solo opere), ohne dass es in einer freien Willensentscheidung des Märtyrers gründet. In beiden Fällen geschieht, was geschieht „pro Christo“. Das unterscheidet den gemeinen Mord vom Martyrium. Es ist Teil eines Heilsgeschehen. Im „Bethlehemitischen Kindermord“ des „katholischen Rubens“ schweben denn auch Engel mit Siegeskränzen heran und streuen Blumen, Rosen und Lilien, über das grausame Geschehen. Das Abschlachten der Kinder ist Teil eines Heilsgeschehens.

Für die moderne Wahrnehmung ist das nur schwer nachvollziehbar. Noch widersinniger will uns scheinen, dass sich das Motiv wohl „gelegentlich“, „vor allem in Italien“, in „Findelhäusern, die unter dem Patrozinium der Santi Innocenti, der Unschuldigen Kinder, standen“ fand. Auch in „von der Kirche unterhaltenen Findel- und Waisenhäuser“ in „den reichen flandrischen Städten, etwa in Gent“ war es anzutreffen. Wir stehen hier tatsächlich staunend vor einem Abgrund. Keine noch so „gelehrte ikonographische Abhandlung, keine noch so geschliffene Kompositionsanalyse vermag den kognitiven und ethischen Abgrund zu überbrücken, der uns von diesem Bild [dem Bethlehemitischen Kindermord] trennt“. Und damit vom „katholischen Rubens“! Undenkbar, dass auf Picassos Guernica Engel Blüten auf die zerfetzten Leiber regnen lassen. Wir leben in einer anderen Welt als der katholischen des „katholischen Rubens“.

Es gilt zunächst den Abgrund allererst wahrzunehmen und keine vorschnelle Verkünstelung vorzunehmen. Relativ früh nämlich wurden die Rubensschen Bilder von den Altären und aus den Kirchen genommen und als „Trophäen der Kunst“ in die Museen gesperrt. Rubens Altarbilder aber sind sakrale Bilder und gehören nicht ins Museum, sie verlieren dort „ihre missionarische“ Wirkung, der sie sich verpflichtet wissen. Sie werden zu bloßer Kunst und verlieren damit gerade ihre Kraft: sie sind wie Sätze, die aus dem Zusammenhang gerissen, keinen rechten Sinn mehr ergeben. Sie sind für eine (bloß) kunstsinnige Nachwelt, die die Werke nurmehr als historische Artefakte im Hinblick auf formale Gestaltungsprinzipien betrachtet, nicht mehr (unmittelbar) verstehbar. Daraus ergibt sich, so Willibald Sauerländer, „die Pflicht des Kunsthistorikers, die materiellen und mentalen Bedingungen zu erkunden und zu rekonstruieren, unter denen die Kunstwerke der Vergangenheit entstanden sind.“ Willibald Sauerländer versucht deshalb Rubens historisch zu erschließen. Und Rubens Kunst ist vor allem Auftragskunst. Sie zu verstehen bedeutet (auch) zu verstehen, was die Auftraggeber sich vom Kunstwerk erwarteten. Wir hören deshalb bei Willibald Sauerländer viel von Auftraggebern und über ihre Motive für die Motive, die die Altarbilder haben sollten. Die Aufträge sind im Wesentlichen gegenreformatorisch motiviert. Oftmals waren es Restitutionen von Werken, die durch den protestantischen Bildersturm zerstört wurden, und nun „katholisch reformiert“ meist pointierter und programmatisch zugespitzt neu geschaffen werden sollten. Willibald Sauerländers genauer Quellenanalyse verdanken wir es, die Geschichte zu den abgebildeten Geschichten besser und nicht selten überhaupt zu verstehen. Willibald Sauerländer kann tatsächlich zeigen, wie genau Rubens meist den Quellen gefolgt ist, die ihm als Vorlage dienten.

Aber mit der Rekonstruktion der „materiellen und mentalen Bedingungen […] unter denen die Kunstwerke [des katholischen Rubens] entstanden“ sind, wird man den Kunstwerken nicht wirklich gerecht. Das sieht auch Willibald Sauerländer so. Er freilich glaubt, dass es bei den in ihnen gegebenen „Schilderungen von Wundern und Martyrien nicht um Wahrhaftigkeit im modernen, vernünftigen [!] Sinn“ geht. Das soll heißen, dass das, was heute „vernünftig“ zugänglich ist, mit diesen Bildern nichts zu tun hat.

Dem widerspreche ich und werde an drei Beispielen versuchen, ihnen einen „vernünftigen“, philosophischen Sinn zu geben, wo der „moderne“, „aufgeklärte“ Kunsthistoriker nur noch eine inzwischen unzugängliche Weltanschauung konstatiert. Ich stimme Willibald Sauerländer darin zu, dass es diesen Abgrund gibt. Aber er ist zu überbrücken, indem wir die Dinge selbst, in den Blick nehmen, die Rubens ins Bild setzt. Hier ist die historische Rekonstruktion hilfreich und oftmals unerlässlich. Von dort aus muss aber der Sache selbst gedacht werden, die im Kunstwerk anschaulich gemacht wird. Für katholisch gesinnte Geister mag dies für die Wahrheit des Katholischen sprechen. Das will ich mal dahingestellt sein lassen und mich „nur“ auf die Wahrnehmung der Kunst und ihrer Werke konzentrieren. 

Fortsetzung folgt …

Das will ich in drei Schritten angehen und dabei jeweils ein Meisterwerk von Rubens erläutern. Wie immer geht es um Vergegenwärtigung (aggiornamento) und damit um ein besseres Verständnis des Kunstwerks und von uns selbst (approfondimento). Im ersten Schritt geht’s um Rubens bekannte Darstellung des Heiligen Christopherus, die er für den Altar in der Kathedrale Unsere Liebe Frau in Antwerpen geschaffen hat. 

[1] Ich übergehe hier das Schisma der christlichen Kirche in eine west- und oströmische. Es hat für die „Erfindung“ des Katholischen, nämlich die Verständigung darüber, was das Besondere des katholischen Glaubens ausmacht, nicht die gleiche Bedeutung.

[2] S. 278.

[3] S. 274.

[4] Das Werk ist ein Spätwerk, nämlich um 1638 herum entstanden und hängt nun in der Alten Pinakothek in München.