Inside Kakanien I 59: Ein Frauenmörder denkt nach

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Was denken sich Frauenmörder? Oder besser wie denken sie, wenn sie überhaupt noch richtig denken und nicht verrückt sind? Sie sind darin selbst gequälte Kreaturen. Ihre Untaten resultieren aus dem, was in ihnen vor geht, und das ist selbst das Ergebnis einer langen meist grausamen Vorgeschichte. Musil beschreibt Merkmale eines hilflosen, gequälten Denkens eines Gewaltverbrechers, das an der Schwelle zum Wahnsinn ist, und gerade dadurch zeigt, was Denken ausmacht und was uns in den Wahnsinn treiben kann.

Denken gilt traditionell als das stille, innere „Gespräch der Seele mit sich selbst“,[1] eine Art Selbstgespräch, bei dem alles auf die Kunst zu Sprechen anzukommen scheint. Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meines Denkens. Das Denken ist in der Kunst zu reden gefangen. Der Musilsche Frauenmörder tut sich darin schwer. „Er dachte langsam, die Worte bereiteten ihm Mühe, er hatte nie genug Worte… er beneidete alle Menschen, die schon in der Jugend gelernt hatten, leicht zu sprechen; ihm klebten die Worte zu Trotz gerade in den Zeiten, wo er sie am dringlichsten brachte, wie Gummi am Gaumen fest, und es verging dann manchmal eine unermeßliche Weile, ehe er eine Silbe losriß und wieder vorwärtskam.

Und dennoch ist es in unserem Kopf nie völlig still. Selbst im Schlaf geht uns alles Mögliche durch den Kopf, noch Wirreres als im Wachzustand. Denkend wendet sich die Person von außen nach innen, vom wahrnehmbaren äußeren Geschehen auf das, was in seinem Kopf vorgeht. Auch der Musilsche Frauenmörder beachtet so „gar nicht die Stimmen und Gesichte, sondern er dachte. Er nannte das so, weil ihm dieses Wort immer Eindruck gemacht hatte. Er dachte besser als andere, denn er dachte außen und innen. Es wurde gegen seinen Willen in ihm gedacht. Er sagte, Gedanken würden ihm gemacht. Und ohne daß er seinen langsame Bedächtigkeit verlor, erregten ihn auch die geringsten Nebensachen … Sein Denken floß dann wie ein von Hunderten springender Bäche getränkter Bach durch eine fette Wiese.

Aber das innere Geschehen ist vom äußeren nicht zu trennen. Der Frauenmörder erlebt sich als Opfer. Er wurde zu dem, was er ist, durch den Kampf mit einer grausamen Wirklichkeit. Immer wollten sie etwas von ihm und immer wurde er dem nicht gerecht. Jetzt nachdem er als Schwerverbrecher auf seinen Geisteszustand untersucht werden sollte, mehr denn je. Sie wollten immer etwas erfahren und „immerzu redeten“ sie auf ihn ein. Aber das geschah ihm seit langem, dass er Stimmen hörte, die ihn von außen bestimmten: „… so hörte er Stimmen oder Musik oder ein Wehen und Summen, auch Sausen und Rasseln, Donnern, Lachen, Rufen, Sprechen und Flüstern. Das kam von überall her; es saß in den Wänden, in der Luft, in den Kleidern und in seinem Körper. Er hatte den Eindruck, daß er es im Körper mit sich trage, … Wenn er arbeitete, so sprachen die Stimmen meist in abgerissenen Worten und kurzen Sätzen auf ihn ein, sie beschimpften und kritisierten ihn, und wenn er etwas dachte, so sprachen sie es aus, ehe er selbst dazu kam, oder sagten boshaft das Gegenteil von dem, was er wollte.“ Sie hielten ihn deshalb für krank, während er sich – jedenfalls manchmal – darüber amüsierte. „Es unterhielt ihn, zu hören und zu sehen, was sie trieben; das war unvergleichlich schöner als die zähen, schweren Gedanken, die er selbst hatte; wenn sie ihn aber ärgerten, so geriet er in Zorn, das war schließlich nur natürlich.“ Er wusste, „dass man das Halluzieren nennt, und war einverstanden damit, daß er diese Eigenschaft Halluzinieren vor anderen voraus habe, die es nicht können, denn er sah auch vieles, was andere nicht sehen, …

Freilich geht uns allen alles Mögliche durch den Kopf. Es kommt uns einfach so in den Sinn. Wir sprechen mit uns, indem wir mit anderen sprechen. Wenn wir das nicht (mehr) können, werden wir verrückt – wir können nicht mehr mit ihnen sprechen, sondern werden von ihnen besprochen. Das, was sie meinen, was sie von uns wünschen oder fordern, das spielt uns zerrüttend mit. Wir können uns von ihnen (nicht mehr) „denkend“ distanzieren und das heißt eben, wir können sie (nicht mehr) für uns gelten lassen. Wir haben in dieser Begegnung nichts mehr zu sagen. Aus dem Gespräch, mit offenem Ausgang, wird Beherrschung. Wir Halluzinieren, wenn die äußere Wirklichkeit übermächtig wird und das Sprechen versagt. Wir werden zu Hörigen der Stimmen, die sich uns im Denken zu hören geben.

Die Klugköpfe“, die von dem, was in ihm vorging, keine Ahnung hatten, fragten ihn z.B. wie laut diese Stimmen seien, was natürlich Blödsinn war. Das kam ja drauf an: „manchmal [waren sie] so laut wie ein Donnerschlag, … manchmal war es das leiseste Flüstern“. Wer so wie „die Klugköpfe“ fragt, der versteht tatsächlich nichts davon, was es heißt zu denken. Die Stimmen, die wir hören, haben immer mehr oder weniger Gewicht. Wichtig ist nur, dass das Gewicht das sie haben, sich dem inneren Gesprächsgeschehen verdankt und nicht ihrer unumstößlichen Befehlsgewalt.

 

Exkurs

Zu dem Beitrag gibt es auf PzZ einen philosophischen Exkurs unter Was heißt: „ich denke“.

 

[1] So heißt es im platonischen Sophistes vom Denken (διάνοια), es sei „das innere Gespräch der Seele mit sich selbst, was ohne Stimme vor sich geht“ (ὁ μὲν ἐντὸς τῆς ψυχῆς πρὸς αὑτὴν διάλογος ἄνευ φωνῆς).

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