Inside Kakanien I.14: Jugendfreunde

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Michel de Montaigne (1533-1592), dieser Apologet der Freundschaft, unterscheidet zwischen „Herzens-“ und „Familienfreundschaft“. Die eine gründet in freier Zuwendung, die Freunde werden Freunde weil sie es wollen; sie knüpfen durch ihr gegenseitiges Wohlwollen ein herzliches Band. Zu „Familienfreundschaften“ hingegen verbinden „uns die Gesetze und Pflichten“. Wir sind Brüder und deshalb freundschaftlich verbunden. Nur Brüder im Geiste machen sich zu Brüdern ohne es zu sein.

Das Ideal der „Herzensfreundschaft“ hat die ethischen Überlegungen zur Tugend der Freundschaft seit der Renaissance leider weitgehend beherrscht. Unser Leben ist freilich von einem Reichtum von Freundschaften geprägt, der sich solcher Verengung entzieht. Die Idealisierung der Freundschaft hat sie vergeistigt und aus dem wirklichen Leben verbannt. Die romantische Herzensfreundschaft „schöner Seelen“ mag es geben – es gibt aber auch die Geschäfts- und Sportfreunde, die Schul- und Altstadtfreunde und all die Freunde, die sich darin wertschätzen, etwas als wertvoll erkanntes gemeinsam wertzuschätzen.[1]

Und dann gibt es noch die Jugendfreunde. Jugendfreundschaften sperren sich gegen die Montaignesche Einordnung in Freundschaften des Herzens oder der Familie. Sie ergeben sich einfach. Man findet irgendwie zusammen, startet gemeinsam ins Leben und teilt grundlegende, nicht selten schmerzliche Erfahrungen des Erwachsenwerdens. Man sieht sich ähnlichen Erwartungen ausgesetzt, denen man mal gerecht werden und ein andermal sich ihnen entziehen will. Alles steht auf Anfang. Jugendfreunde teilen eine „Feuersbrunst des Glaubens an die Zukunft“. Das Lebensgefühl der Jugend ist die Hoffnung, dass schnell alles ganz anders wird. Aber Jugendfreunde müssen nicht die selben Hoffnungen hegen. Der eine möchte Fußballprofi, der andere Popstar werden. Aber sie müssen und wollen sich aus den Fängen von Familie und Schule befreien, sich der Bevormundung entziehen und ein eigenes Leben führen. Der erste Kuss, der erste Sex, das erste Geld und die vielen Dummheiten, die man bereut. Das prägt und schweißt zusammen. Aber auch die unglückliche Liebe, der man eine Zeit nachhing, und die eher unrühmlichen Sachen, die sich so ereignet haben, spielen ihre Rolle.

Man hat sich das nicht ausgesucht. Jugendfreundschaften sind eher Schicksalsgemeinschaften, in denen wir uns bewegen. Natürlich kann man sich aus den Augen verlieren und zerstreiten. Aber läuft man sich immer mal wieder über den Weg, weil man im selbst Städtchen wohnt oder gemeinsame Bekannte hat, die wie man selbst Geburtstage, Hochzeiten, Taufen haben, dann bleibt man einfach so aneinanderhängen. Jugendfreunde sind einfach da, wie die Narbe, die man sich bei der Sturzfahrt im Radrennen zugezogen hat, weil man draufgängerisch glänzen wollte und sich mehr zutraute als man konnte.

Jugendfreundschaften haben etwas Melancholisches. Jugendfreunde lassen uns wehmütig auf etwas zurückblicken, das uns zu dem gemacht hat, was wir sind. Nicht wie auf eine glückliche Kindheit. Sondern mit dem Wissen, dass man viele Dinge lassen musste, damit man wurde, was man ist. Jugendfreunde wissen das. Sie kennen uns „ungeschminkt“. Der Jugendfreund weiß um die enttäuschten Hoffnungen des „Du-wolltest-doch-immer“. Schwermütig blicken wir mit ihm zurück. Es hätte auch ganz etwas anderes aus uns werden können, aber der Weg zurück ist auf immer verschlossen. „Es gibt kein zweites solches Beispiel der Unentrinnbarkeit wie das, das ein begabter junger Mensch bietet, wenn er sich zu einem gewöhnlichen alten Menschen einengt; ohne Schlag des Schicksals, nur durch die Einschrumpfung, die ihm vorher bestimmt war!

 

[1] Dem Geschäftsfreund muss ich nicht herzlich verbunden sein. Zwischen Alban und Andrea Berg ist vielerlei möglich, was die Geschäftsfreundschaft nicht tangiert. Geld kann die Freundschaft verderben, aber es geht den Geschäftsfreunden nicht vor allem um Geld. Sie teilen ein gemeinsames Verständnis von dem, wie sie ihre Geschäfte führen. Ihr Verhältnis ist durch Fairness und Rücksicht, Verlässlichkeit und gegenseitige Unterstützung bestimmt. Wir müssen dazu nicht ein Herz und eine Seele sein. Geschäftsfreunde können Sportfreunde nicht ersetzen, und beide sind nicht unbedingt Freunde fürs Leben.

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