Inside Kakanien I 28: Wie sind Sie nur auf diese Idee gekommen?

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Wie geht das eigentlich: Denken? Kann man jemanden beim Denken zuschauen? Ein Akrobat übt unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Sie soll nicht sehen, wie mühsam es für ihn ist, seine Kunststücke einzuüben. Er entzieht sich unseren Blicken, weil wir seine erstaunliche Kunst als Ergebnis eines langen Scheiterns erkennen würden. Der Zauberer braucht viel Geduld und Disziplin und der neugierige Entzauberer, der ihm auf den Grund kommen will, auch.

Können wir auch den großen Denkern beim Denken zusehen und drauf kommen, wie sie auf ihre Gedanken kommen? „Es ist leider in der schönen Literatur nichts so schwer wiederzugeben wie ein denkender Mensch. Ein großer Entdecker hat, als man ihn einmal befragte, wie er es anstelle, daß ihm soviel Neues eingefallen sei, darauf geantwortet: indem ich unablässig daran dachte. Und in der Tat, man darf wohl sagen, daß sich die unerwarteten Einfälle durch nichts anderes einstellen, als daß man sie erwartet.“ Man muss den Einfällen das Einfallstor öffnen, damit, wenn sie auf einen runterfallen, nicht an den Mauern unserer bisherigen Denkgebilde aufschlagen und zerbersten. Gedanken kommen über einen, wenn man sie beständig hervor- und anzulocken versucht. „Sie sind zu einem nicht kleinen Teil ein Erfolg des Charakters, beständiger Neigungen, ausdauernden Ehrgeizes und unablässiger Beschäftigung. Wie langweilig muß solche Beständigkeit sein!“ Auch der Schriftsteller dürfte sich darin wieder erkennen. Musil schrieb und strich, unternahm neue Anläufe, korrigierte erneut und verwarf so lange, bis ihm ein Satz endlich passend schien. Das Werden großer Kunst ist also ziemlich langweilig?! Großer Stil kommt auch von großem Starrsinn, so lange zu schreiben bis sich ein großer Satz einstellt. „Wie ist Ihnen das nur eingefallen?“ – „Ich hab 10.000 mal drum gebettelt.“

Musil vergleicht das mit einem „Hund, der einen Stock im Maul trägt, durch eine schmale Tür will; er dreht dann den Kopf solange links und rechts, bis der Stock hindurchrutscht… Und wenn ein kluger Kopf natürlich auch weit mehr Geschick und Erfahrung in den Drehungen hat als ein dummer, so kommt das Durchrutschen doch auch für ihn überraschend, es ist mit einemmal da, und man kann ganz deutlich ein leicht verdutztes Gefühl darüber in sich wahrnehmen, daß sich die Gedanken selbst gemacht haben, statt auf ihren Urheber zu warten.[1]

[1] Malcolm Gladwell nennt das The 10.000-Hour Rule (Outliers, The Story of Success, 2008, Chapter 2): an Bill Gates und den Beatles versucht er zu zeigen, dass ihr Erfolg wohl nicht zuletzt mit der Ausdauer zu tun hat, die sie für „ihr Ding“ aufbrachten. Gates hatte die für damalige Bedingungen ungewöhnliche Möglichkeit, Zugang zu Großrechnern zu haben, auf denen er immer und immer wieder alles Mögliche programmierte. Die Beatles wiederum waren in ihrer Hamburger Zeit gezwungen, sechs Tage die Woche je acht Stunden im Star Club zu spielen. Nun ja, wer sechs Tage die Woche acht Stunden leere Blätter bekritzelt, wird dadurch nicht zu einem Musil – was man an den Schreiberlingen unserer (Qualitäts-)Journale und Nachrichtenmagazine sehen kann. Sie kommen mit ihrem Prügel einfach nicht durch die Tür.

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