Bethlehem liegt … auch in den Niederlanden

Lesedauer 5 Minuten

Es sind eisige Zeiten. Man tötet Kinder. Keines darf entkommen. Es geht ums Ganze. Das sagt uns die Macht fast immer. Sie fürchtet sich – wie fast immer, aber sie findet – wie meist – Helfershelfer. Pieter Brueghel d. Ältere (ca. 1525-1569) malt 1565 Der Bethlehemitische Kindermord.

Der Bethlehemitische Kindermord, Pie
ter Brueghel d. J., , 1567/67

Wollen wir das überhaupt sehen: die flehenden, verzweifelten Mütter, die aufgespießten, erschlagenen und zerhackten Kinderkörper. Alles, weil die Wissenschaft, sie hießen damals noch die Weisen, etwas errechnet hatten. Follow the Science – auch wenn es etwas weh tut. Wer hängt sich ein solches Schreckensbild ins eigene Haus? So recht wollen wir das nicht sehen und auch nicht unbedingt zeigen. Staatliche Schandtaten sollen nicht allzu viel Aufmerksamkeit bekommen, vor allem wenn man sie nicht dem Gegner zuschreiben kann. Hitler ja, Putin und den roten Khmer. Es sind ja immer die Anderen, die auf Kinderjagd gehen.

Pie
ter Brueghel d. Ä., , ca. 1566 zur Entstehung des Bethlehemitischen Kindermords

Brueghel lässt den Bethlehemitischen Kindermord nicht im fernen Israel spielen. Es ist eine niederländische Winterlandschaft. Es kann überall geschehen. „Bethlehemitisch“, das ist Hier und jetzt – immer sind unsere Kinder in Gefahr, wenn sich Macht und Wissenschaft gegen sie verschwören, weil von ihnen eine Gefahr fürs Gemeinwohl und die eigene vulnerable Zukunft ausgeht.

Pie
ter Brueghel d. J., , nach van Dyck

Vielleicht auch deshalb wurde das Bild bald übermalt. Aber Pieter Brueghel d. Jüngere (ca. 1564-1638), der Sohn, wollte es dennoch gezeigt wissen und fertigte eine Kopie an, die das Geschehen zum Zeitgeschehen macht. Eine besondere Geschichte, die sich vor 2.000 Jahren zugetragen hat?! Das wäre noch erträglich. Es gab ja viele Schändlichkeiten in der Geschichte der Menschheit – was hat das mit unseren modernen Zeiten zu tun. Mit der woken Prenzlauer Berg Solidarität oder den aufgeklärten Niederlanden? Brueghel zeigt uns eine kalte, winterlich-eisige Landschaft. Wir sind in den Niederlanden und sehen einheimische, flämische Fußsoldaten als Schlächter, wallonische Söldner, die die „Maßnahmen“ lenken und koordinieren. Es sind Killer – im Dienste des Staates. Glauben sie wie so viele an die gute Sache? Und da sind da noch die spanische Reiter, in dunkelem Harnisch, die die Durchführung überwachen und absichern. Die Reiter versammeln sich um eine schwarze Gestalt, die das Geschehen zu bestimmen scheint. Sie sind das dunkle, böse Zentrum des Geschehens, von dem alles ausgeht. Es ist die dunkle Seite der Macht und die Macht hat immer eine dunkle Seite mit dunklen Gestalten. Es ist eben wichtig, dass der Bethlehemitische Kindermord in den Niederlanden stattfindet – dieses Bethlehem ist überall und kann zu jeder Zeit erfolgen, wenn die Macht es verlangt.

Die Kopie des Sohns ist nun im Kunsthistorischen Museum zu sehen ist. Das Museum ist voll. Es regnet draußen. Da zieht es die Touristen ins Trockene. Darunter auch viele Familien. Kinder werden von ihren Eltern an den Ausstellungsstücken vorbeigezogen. Ein bisschen museale Bildung kann ja nicht schaden. Die meisten ahnen gar nicht, was sie da vorfinden und wofür sie bei fehlender eigener Begeisterung zumindest ihre Kindern vertraut machen wollen. Kunst gehört irgendwie dazu – auch wenn sie, was die bildungsfürsorglichen Eltern meist nicht vermuten, den woken Konventionen nicht unbedingt entspricht. Nicht nur auf allerlei Kreuzigungen fällt dann der Blick – nur gut, dass man nicht mehr so genau weiß, was das bedeutet.

St. Sebastian (ca 1457) von Andrea Mantegna (1431-1506)
Judith mit dem Haupt des Holofernes (um 1530) von Lucas von Cranach

Man sieht mit Pfeilen durchbohrte Körper (z.B. den heiligen Sebastian), abgeschnittene Köpfe à la IS (z.B. Judith und Holofernes oder David und Goliath), rächende oder sagen wir strafende Engel und die Höllenqualen der beim Jüngsten Gericht verstoßenen. Und dann so was.

Vermutlich können sich die meisten nicht mehr an Herodes erinnern, von dem sie vielleicht im Religionsunterricht gehört haben. Bei Matthäus 2 wird die Geschichte von den Weisen berichtet, die Herodes und ganz Jerusalem in helle Aufregung versetzen. Die fremden Weisen fühlen sich aber Herodes doch weniger verpflichtet als dem wundersamen Kind, zu dem sie die Sterne nach ihrer Deutung führten. Hier hilft die staatlich geförderte Wissenschaft der Hohenpriester und Schriftgelehrten weiter, die sich wie üblich der Macht gefällig zu zeigen bestrebt sind. Sie geben ihre Einschätzung, von wo die Gefahr ausgeht und bereiten so den Weg für die Maßnahmen, die jetzt für nötig erachtet werden. Natürlich ist alles völlig unsinnig und kann niemals gelingen. Kann man alle erwischen – Zero und sicher? Wohl kaum. Man hofft vermutlich, dass das Ziel durch die Machtdemonstration selbst erreicht wird. Zu zeigen, wozu man bereit ist, entschlossen und ohne rote Linien, verspricht den eigentlichen Erfolg.

Was machen wir also mit Brueghels Gemälde? Erkennen wir unsere Kinder darin? Oder gar uns? Brueghel wollte uns wohl mahnen – es kann immer wieder geschehen. Wollt’ ihr das wieder zulassen oder gar mittun? Aber um sich diese Frage zu stellen, muss man wohl hingucken. Man muss innehalten und sich darauf besinnen, dass Herodes, seine Hohenpriester und Schriftgelehrten, seine geharnischten Reiter und die dunkle Seite wieder und wieder Macht über uns ergreifen können. Vor allem weil sie in ganz anderer Landschaft, anderen Uniformen und Masken und mit anderen Botschaften auftreten können.

Schreibe einen Kommentar