Philoktet – das tragische Ende des Tragischen und der Beginn der Ethik

Lesedauer 21 Minuten

Es ist eine dieser Geschichten, die unsere Kultur bestimmen. Genauer, das was wir Ethik nennen. Es ist die Frage, wie wir unser Leben führen wollen oder die nach dem guten Leben.1

Sophokles, Uffizien

Es ist die Geschichte um Philoktet, einem König aus Thessalien, der mit sieben Schiffen am Trojanischen Krieg teilgenommen hat. In der Ilias, einem der Gründungsdokumente der abendländischen Kultur, spielt sie bezeichnender Weise nur eine kleine Nebenrolle. Warum dem so ist wird uns noch beschäftigen. Die späteren Dramatiker jedenfalls haben sie dann aufgegriffen. Aischylos, Sophokles und Euripides haben ihm Dramen gewidmet. Allerdings ist nur das von Sophokles erhalten geblieben.

Auch Philoktet sieht sich verpflichtet

Philoktet auf Lemnos, Neue Pnakothek

Auch Philoktet hatte um Helena geworben. Wie alle Bewerber hatte auch er sich verpflichtet, dem siegreichen Bewerber beizustehen, falls einer sich gegen ihn erheben sollte. Nach dem Raub der Helena durch Paris war er deshalb gezwungen, am Krieg gegen Troja teilzunehmen. Auf dem Weg der griechischen Flotte nach Troja wollte oder sollte Philoktet für die Griechen im Apollo-Tempel auf der Insel Chryse ein Opfer bringen. Dabei betrat er (versehentlich oder in selbstbewusster Rücksichtslosigkeit) das Heiligtum der gleichnamigen Nymphe und wurde von einer Schlange gebissen, die das Heiligtum schützen sollte. Der Biss schuf eine furchtbar schmerzhafte Wunde, die immer wieder aufriss und deren Eiter furchtbar stank. Die Griechen sahen sich durch seine Schmerzensschreie und durch den grauenvollen Gestank „genötigt“, Philoktet auf einer einsamen Insel, dem nahegelegenem Lemnos, auszusetzen und beauftragten mit der Durchführung den „listenreichen“ Odysseus.

Der Zurückgelassene wird gebraucht

Philoktet auf Lemnos, Vasenmalerei ca. 420 v. Chr.

Philoktet, der nur mit seinem Bogen auf der Insel zurückgelassen wurde, war bald vergessen. Erst als im zehnten Jahr der Krieg immer noch kein Ende nehmen wollte, wurde den Griechen geweissagt, dass sie die Trojaner nur mit Hilfe Philoktets und dessen Bogen niederringen könnten. Denn der Bogen war der des Herakles, den dieser ihm vor seinem Tod vermachte und der die magische Kraft besaß, dass kein Pfeil, der mit ihm geschossen wurde, sein Ziel verfehlte.

So wurde wiederum Odysseus damit beauftragt nach Lemnos zurückzufahren, um Philoktet und seinen Bogen aus der jahrelangen „Quarantäne“ zu holen. Denn man musste listig vorgehen. Es war zu erwarten, dass Philoktet auf die Griechen nicht sonderlich gut zu sprechen sein würde. Tatsächlich hasst Philoktet den Odysseus, der ihn auf Lemnos ausgesetzt hatte. Er sinnt auf Rache und hat eine Waffe, der Odysseus zum Opfer fallen müsste, wenn Philoktet ihn erstmal erkannt haben würde.

Nur mit List

Neoptolemos der Schlächter: Neopto.emos mit Priamos Sohn

Sophokles stellt Odysseus den jungen Neoptolemos zur Seite, mit Hilfe dessen Odysseus glaubt, Philoktet überlisten zu können. Neoptolemos ist der Sohn des inzwischen vor Troja gefallenen Achills. Er eifert dem Ruhm des Vaters nach und will dessen Mission fortsetzen und erfüllen, nämlich Troja niederringen. Um die Griechen stand es lange Zeit schlecht und das Blatt wendete sich erst, als Achill sich endlich entschloss, wieder auf Seite der Griechen zu kämpfen, um seinen geliebten Freund Patroklos zu rächen. Nach dem Tod des Achill – er wurde vom trojanischen Prinzen Paris durch einen Pfeilschuss in seine verletzliche Stelle, die Achilles-Sehne, getötet – gerieten die Griechen wieder ins Stocken. Die Hoffnung liegt nun auf seinem Sohn Neoptolemos. Dieser will es seinem Vater gleich machen. Und tatsächlich wird er sich später als „der grausamste unter den Siegern… genannt der Schlächter von Troja2 zeigen. Aber bis dahin muss noch einiges geschehen, nämlich eine ethische Charakterklärung, die uns Sophokles vorführt. Neoptolemos will kämpfen und siegen, versteht aber noch nicht das ethische Dilemma, das es dabei zu aufzulösen gilt.

Philoktet muss überlistet werden, wenn der Bogen gewonnen werden und Troja fallen soll. Dafür eignet sich Neoptolemos besonders gut, so die Überlegung des gerissenen Odysseus, weil er für die Täuschung bestens vorbereitet ist. Er teilt mit Philoktet die Abneigung gegenüber Odysseus. Der nämlich hatte nach dem Tod des Achill dessen Waffen als Ehrenzeichen zugesprochen bekommen. Neoptolemos fühlt sich wie Philoktet von Odysseus betrogen, weil er als Sohn die Waffen Achills reklamiert. Aber er muss sich erst durch die Tat als „wahrer“ Erbe Achills erweisen und das heißt, Troja zu Fall bringen. Deshalb ist er in den Augen des listigen Odysseus genau der Richtige für die Täuschung des Philoktet.

Er darf und soll sogar gegen Odysseus richtig vom Leder ziehen, denn damit kann er das Zutrauen Philoktets gewinnen. Odysseus gibt ihm freie Hand von ihm zu „sagen, soviel du willst: / Das Äußerste des Äußersten an Schlimmen. / Mit nichts von alledem tust du mir weh!“ Im Gegenteil: „Doch tust du dieses nicht, so wirst du / Über die Griechen alle Kummer bringen. / Denn fällt sein Bogen nicht in unsere Hand, / Nie wirst du dann der Troerland zerstören.3

Neoptolemos Ruhm ist – so versichert ihm Odysseus – von der erfolgreichen Täuschung abhängig: „Ich sag, mit List mußt du den Philoktetes fangen.4. Doch damit will Neoptolemos sich nicht so recht anfreunden. Er will sich als Held zeigen, der sich durch vorzügliches Handeln auszeichnet. Neoptolemos folgt ganz selbstverständlich der Maxime des aien aristeuein (αἰὲν ἀριστεύειν) wie sie z.B. in der Ilias formuliert wird: „Immer der beste zu sein (αἰὲν ἀριστεύειν, aien aristeuein) und ausgezeichnet vor andern, / Daß ich der Väter Geschlecht nicht schändete, welches die besten / Helden … zeugt’“5. Auf das „Immer-der-Beste-“ und „Immer-vorzüglich-Sein“, wird in gleicher Formulierung auch Achill von seinem Vater Peleus verpflichtet „Peleus, der Greis, ermahnte den Sohn und riet dem Achilleus, / Immer der beste zu sein und sich auszuzeichnen vor allen.“6

Tüchtigkeit

Die Vorzüglichkeit des Handelns verdankt sich der Tugend, einer durch Übung und Gewöhnung erworbenen Tüchtigkeit, das gut und vorzüglich tun zu können, was man zu tun beabsichtigt bzw. was einem zu tun aufgegeben wird. Tugend verheißt Erfolg. Man kann etwas und vermag, das was man will oder zu tun hat, auch gegen Widerstände zu erreichen.7 Die Vorzüglichkeit zeigt sich vor allem im Wettbewerb (ἀγών, agon). Der Beste zu sein, heißt, sich im Wettkampf hervorzutun und zu gewinnen. Dem fühlt sich – wie alle jungen Griechen der homerischen Zeit – auch Neoptolemos verpflichtet.

Gewinnen kann man freilich auch durch Zufall, also durch einen Umstand, der nicht reproduziert und dem Handelnden nicht zugeschrieben werden kann. Die Dinge können auch für den Besten dumm laufen. Oder der Gewinn ist eben kein Gewinn, sondern ein Betrug. Spiele kann man nur spielen, wenn man ihren Regeln folgt. Und Wettkämpfe lassen sich nur unter Wahrung der Bedingungen gewinnen, die den Wettkampf beschreiben. Einem gedopten Wettkämpfer wird der Sieg nicht zuerkannt. Freilich ist nicht per se klar, wann wir von Doping oder von guter Wettkampfvorbereitung sprechen wollen.

Wer sich auszeichnen will, der übernimmt Güte-Kriterien, die etwas bzw. eine Handlung als gut qualifizieren. Diese Standards lassen sich aber durch Regeln nicht hinreichend beschreiben. Nicht ihren Buchstaben, sondern dem Geist der Regeln, der sich in ihnen ausdrückt, gilt es zu folgen. Regeln müssen richtig angewandt werden und für die richtige Anwendung kann man sich – bei Strafe eines regressus ad infinitum – nicht wiederum auf Regeln berufen.

Die Tüchtigkeit wird von den Tüchtigen beurteilt, deren Vorbild man bei ihrem Erwerb folgt. „So macht man das“ ist der Lehrmeister der Tugend. Und Auszeichnen kann man sich nur, wenn man sich mit den Besten misst. Ein Meister misst sich am Meister, nicht am dilettierenden Laien.

Tugend verheißt Erfolg

Für Neoptolemos scheint sich das alles von selbst zu verstehen. Er glaubt zu wissen, worin die Vorzüglichkeit des Handelns besteht und wie der ehrenvolle Erfolg zu erringen ist. Ehrenvolles Kräftemessen schließt Lug und Trug aus: „Reden, die mir bereits mit anzuhören / Weh tun, Sohn des Laertes, gar ins Werk zu setzen, / Ist mir verhaßt. Ich bin nicht so geschaffen, / Irgend etwas mit übler List zu tun …“Aber ist listiges Vorgehen wirklich zu tadeln und nicht vielmehr eine hilfreiche Kunst? Wer seinem Gegner ein Bauernopfer anbietet, um sich einen Stellungsvorteil zu verschaffen, der wird wohl eher als guter Schachspieler denn als Betrüger gelten. Der wahre Held ist nicht der kopflose Draufgänger. Tapferkeit ist das richtige Maß des Umgangs mit Furcht und Zorn. Der Tapfere ist dem Feigen und Mutlosen genauso überlegen wie der Waghalsigkeit des unbesonnenen Heißsporns. Tollkühnheit ist nicht mit Tapferkeit zu verwechseln. Sie ist „verrückte“, „tolle“ und also verwirrte Kühnheit, eine Neigung zu unbesonnenem Verhalten, das den meisterlichen Erfolg nicht herbeizuführen vermag.

Was Odysseus List, das erscheint Neoptolemos „schändliches Lügen“.8 Wo aber ist die Grenze zwischen Lüge und List? Und wem gegenüber ist man zur Wahrheit verpflichtet?

Der Wettkampf richtet sich an gemeinsam geteilten Standards aus. Das Ringen ums vorzügliche Handeln (αἰὲν ἀριστεύειν) gründet in einer politischen Lebensgemeinschaft. Das Handeln entwächst einem Ethos (ἦθος),9 aus dem sich die um das Ideal des Immer-Vorzüglich-Seins (αἰὲν ἀριστεύειν) Ringenden verstehen und dem sie sich verbunden fühlen. Ethik beschreibt die innere Ordnung einer Polis (πόλις), eines politischen Gemeinwesens. Was nach innen gilt und die Mitglieder des Gemeinwesens verpflichtet, das gilt nicht nach außen. Die Auseinandersetzung mit anderen Gemeinwesen folgen anderen „Regeln“ – sie ist im Wesentlichen nicht ethisch, durch eine politische Ordnung (νόμος), sondern durch Natur (φύσις) bestimmt. Hier herrscht die Gewalt der Kräfte: der Stärkere setzt sich durch oder die entgegengesetzten Interessen werden interessengeleitet zum Ausgleich gebracht. Nicht was ethisch richtig ist leitet die Handlung, sondern was für die Polis am meisten Vorteil bringt.

Diodotus „unethische“ Milde

Thukydides

Ein locus classicus für diese Maxime findet sich in der Geschichte des Peloponnesischen Kriegs von Thukydides (460 – 400), dem jüngeren Zeitgenossen von Sophokles. Mytilene war vom Attischen Seebund abgefallen. Nach seiner Unterwerfung wollte Kleon eine harte Bestrafung: zur Abschreckung vor weiteren Aufständen plädierte er dafür, alle Männer Mytilenes zu töten und Frauen und Kinder zu versklaven. Sein Gegenspieler Diodotus dagegen vertrat eine Politik der Milde: nur die verantwortlichen Rädelsführer des Aufstands sollten bestraft, alle anderen aber verschont werden. „Für uns geht es nämlich nicht darum, wenn wir es richtig bedenken, ob jene unrecht gehandelt haben, sondern wie wir am besten für unseren Vorteil sorgen. Denn wenn ich auch bewiese, wie sehr sie sich an uns vergangen hätten, so würde ich deshalb doch nicht ihren Tod beantragen, außer er nützte uns; und verdienten sie auch Gnade, so würde ich mich nicht dafür einsetzen, wenn es für die Stadt nachteilig wäre.Mytilene ist gar nicht unter ethischen, sondern unter machtstrategischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Entscheidend ist, was in Zukunft den größeren Nutzen zu bringen verspricht. Deshalb darf Athen, meint Diodotos, „nicht als Richter über Vergehen buchstabengetreu entscheiden“, das würde Athen zu „eigenen Schaden“ gereichen.10 Weder Kleon noch Diodotus bewerten die strittige Sache ethisch. Es geht beiden um den kriegerischen oder machtpolitischen Nutzen für Athen: ist die Abschreckung durch eine rücksichtslose Gewaltdemonstration oder eine begrenzte „Spezialoperation“ vorzuziehen, die mit dem Angebot auf gedeihliche Kooperation verbunden wird.

Es gilt zwischen einer Innen- und einer Außen-Perspektive, einer politisch-ethischen (πόλις) und einer natürlichen (φύσις), zu unterscheiden. Die traditionelle Vorstellung von Gerechtigkeit spiegelt das wieder: gerecht ist demzufolge den Freunden zu nutzen und den Feinden zu schaden.11 Gegenüber denen, die nicht zur Polis gehören, gibt es keine Rechtsverpflichtung. Was fürs hellenische Mytilene, einem ehemaligen Verbündeten, gilt, das gilt in noch stärkerem Maße für die Barbaren. Ethik und Recht gründet in einer politischen Lebensform (πόλις), deren Wertüberzeugungen (ἦθος) man teilt und als selbstverständliche Grundlage des eigenen Handelns begreift.

Krieg und Frieden

Mit Troja sind die Griechen im Krieg. Verpflichtungen im Kampf gegen diesen Gegner gibt es nur nach innen. Gerechtigkeit schuldet man den Freunden, nicht den Feinden. Das eigene Handeln ist (ethisch) nur denen gegenüber zu rechtfertigen, mit denen man den Ethos (ἦθος) teilt, die Sinnesart, die eine Lebens- und Handlungsgemeinschaft bestimmt. Nur wer nach innen gerecht ist, kann nach außen siegen.

Wie steht es freilich mit Philoktet? Ist die Eroberung des Bogens als „Wettkampf“ oder als Teil eines Krieges zu verstehen? Philoktet steht an der Grenze von Innen und Außen. Er ist einer, der aus der Gemeinschaft verbannt wurde und nun – für den Kampf gegen Troja – zurückgeholt werden soll. „Irgend etwas mit übler List zu tun“, gilt Neoptolemos als unehrenhaft. „Doch bin ich willens“, so bekräftigt er, „mit Gewalt den Mann / Hinwegzuführen, und nicht mit Betrug.12 Es geht Neoptolemos nicht um eine „faire“ Chance für Philoktet. Philoktet steht als ein Schwerverletzter alleine gegen eine Übermacht von griechischen Angreifern. Das ist für Neoptolemos durchaus in Ordnung.

Er folgt damit nicht zuletzt dem Vorbild des Odysseus. Homer schildert ohne jeden kritischen Unteron wie Odysseus auf seiner Heimfahrt von Troja bereit ist, wahllos Städte zu plündern, die gerade auf dem Weg liegen. Er brüstet sich damit übrigens ausgerechnet gegenüber seinen aufopferungsvollen Gastgebern, den Phaiaken, denen er von seiner Fahrt und seinen „Leiden in Fülle“ erzählt: „Auch meine leidvolle Heimfahrt will ich dir denn berichten, / die über mich Zeus verhängte, seit ich vom Troerland fortging. / Weg von Ilion trug mich der Wind ins Land der Kikonen, / Ismaros zu; ich zerstörte die Stadt, machte nieder die Männer. / Als aus der Stadt wir die Frauen und viele Güter genommen, teilten wir sie uns zu gleichen Teilen, dass keiner zu kurz kam.13 (IX 37ff.) Aber die Gefährten konnten mit den neuen Reichtümern nicht umgehen, sie betranken sich, überfraßen sich und … na sie wissen schon … konnten auch von anderen Dingen nicht lassen. Das war der Fehler, nicht der Überfall und das Beutemachen selbst. Die Überfallenen müssen sich schützen. Können sie es nicht, dann sind sie eben Opfer.

Neoptolemos möchte sich dem Auftrag also nicht (aus ethischen Bedenken) entziehen und er ist bereit, vieles dafür zu tun, „doch lieber will ich, Herr, recht handeln und / Mein Ziel verfehlen, statt auf schlimme Art zu siegen.14

Gewalt ist auch keine Lösung

Mit Gewalt aber – so steht zu befürchten – wird die Mission scheitern. Vor allem wenn nicht nur der Bogen, sondern auch Philoktet für den Kampf gegen Troja gewonnen werden muss, dann führt gewaltsame Nötigung alleine nicht zum Ziel. Eine „innere“ Aussöhnung scheint (nach göttlichem Ratschluss) die Bedingung für den Sieg. Man mag vielleicht den Bogen erbeuten – schwer genug –, aber man kann Philoktet nicht zwingen, mit denen gegen Troja zu kämpfen, die ihn als Aussätzigen hilflos auf der einsamen Insel zurückließen. Odysseus glaubt wohl, durch listige Täuschung die Bedingung zu schaffen, die Philoktet schließlich für den Kampf gegen Troja gewinnen. Wenn er erst seiner Waffen entledigt ins Lager der Griechen gebracht sein werde, werde er sich schon besinnen.15 Und so schärft er Neoptolemos ein: „Es muß sein, daß du / Die Seele dir des Philoktet mit Worten / Erstiehlst.16

„Schändlich“ gilt Odysseus das Lügen nicht, „wenn die Lüge wohl die Rettung bringt“ und „da, wo dein Tun Gewinn verspricht, darfst du nicht zögern“.17 Das missfällt Neoptolemos – und wir folgen ihm darin wohl. Neoptolemos wird durch die Vorstellungen eines „fairen“ oder sagen wir besser ehrenwerten und „standesgemäßen“ Wettkampfs geleitet. Er möchte sich (ethisch) auszeichnen.18

Die Vorzüglichkeit im Ganzen

Das ist freilich schwieriger als Neoptolemos glaubt: Tugenden gibt es im Plural, es gibt ihrer viele. „So macht man das“, anderes aber anders. Eine Tugend ertüchtigt uns für ein Handlungsfeld, eine andere für ein anderes. Der vorzügliche Sprinter ist für gewöhnlich kein herausragender Marathonläufer. Ein Schmied wird andere Fertigkeiten brauchen, wenn er mit Eisen und Stahl oder mit Gold und Perlen arbeitet. Wer mit Kanonen auf Spatzen schießt, erweist sich weder als tüchtiger Jäger noch als geübter Artillerist. Sie haben sich vertan und etwas, das sie zu beherrschen glauben auf etwas angewandt, das dem völlig fremd ist. Nicht alles ist ein Nagel, nur weil man einen Hammer schwingt.

Es gilt sich nicht hier und dort, sondern im Ganzen auszuzeichnen. Um sein Leben gut und glücklich zu führen, muss man vieles können und das, was man kann, muss sich zu einem glücklichen Ganzen fügen. Zu wissen, dass man hier so und dort anders handeln muss, das macht die Kunst des Lebens aus und zeichnet den Handelnden als einen Guten (ἀγαθός), einen Aristos (ἄριστος) aus.

Hier und jetzt muss, so Odysseus, anders gehandelt werden als es Neoptolemos Vorstellung des Vorzüglich-Handeln entspricht. Sich auszuzeichnen heißt hier „klug“ und „mit List“ vorzugehen: „Nein! Eben dies muß klug ersonnen werden, / Wie du zum Dieb [!] der unbesiegten Waffen wirst. – / Ich weiß mein Sohn, du bist von Wesensart / Nicht so beschaffen, solche argen Dinge / zu reden und mit List ins Werk zu setzen. / Und doch – ein süßes Ding ist der Besitz / des Siegs –: gewinn es über dich! Ein andermal / Erzeigen wir uns wieder als Gerechte. / Jetzt nur für eines Tages kurze Spanne der / Bedenkenlosigkeit ergib dich mir! / Später magst du dann für die künftige Zeit / Der rechtschaffenste aller Menschen heißen!19

Im Kampf gegen Troja gilt es sich auszuzeichnen. Neoptolemos freilich sieht hier für sich keine rechte Chance, sich im Kampf hervorzutun. Wenn der Sieg nur durch Philoktet errungen werden kann, worin liegt dann der Gewinn, der Neoptolemos die Auszeichnung sichert: „Welch ein Gewinn für mich, dass er nach Troja kommt?20 Wenn Troja durch die Hilfe Philoktets zu Fall kommt, „so wäre der Eroberer von Troja“, wendet Neoptelemos ein, er und „nicht ich“! Aber Odysseus weiß es Neoptolemos schmackhaft zu machen: „Du nicht ohne den Bogen, noch er ohne dich.“ Die Formulierung ist „listenreich“: während Philoktet zum Sieg „nur“ den Bogen beisteuert, wird Neoptolemos der Sieg zugerechnet. Das überzeugt Neoptolemos: „Dann müßte man ihn [den Bogen] wohl erbeuten, wenn es so steht.“ Und wieso sollte das „Erbeuten“ im Krieg nicht ehrenwert sein? Odysseus verspricht ihm zwei „Gaben“, die er durch die Beute erlangt:

„Neoptolemos: ‚Welche? Wenn ich es weiß, so mag es sein, / Ich weigre mich nicht länger es zu tun.‘
Odysseus: Klug wirst du und zugleich auch tapfer heißen.‘
Neoptolemos: ‚So gehe es denn hin! – / Ich tue es und setze alle Scheu beiseite.‘“ 21

Sich dem Schicksal fügen

Neoptolemos fügt sich widerwillig ins strategisch-taktische Spiel des Odysseus. Er redet sich die Sache schön. Die Verwundung Philoktets und seine Aussetzung auf der Insel folgt danach einem göttlichen Plan, den Philoktet als sein Schicksal annehmen muss: „Nichts ist mir daran verwunderlich. / Denn von Göttern her – / Wenn ich denn einige Einsicht hab’ – / Ist über ihn auch jenes Leid / Gekommen: von Chryse, der Nymphe her, / Der wildgesonnenen, die ihn geliebt, / Von ihm verschmäht, ihn verfluchte. / Auch was jetzt er leidet, von Pflegern fern, / Gewiß, es lag einem der Götter daran, / Daß er nicht früher auf Troja, der Mann, / die unbezwinglichen Pfeile / Der Götter spanne, ehe die Zeit / Heraufkaum, in der, wie man sagt, der Stadt / Durch diese zu fallen bestimmt sei.22

Philoktets Leiden entspringen wie die Not der Griechen, in dem sich hinziehenden Krieg gegen Troja, dem Willen der Götter. Sie müssen sich gleichermaßen in ihr Schicksal fügen.

Und so folgt auch Neoptolemos schließlich dem Plan des „listigen Odysseus“. Und wie von Odysseus vorausgesagt gelingt es ihm damit das Vertrauen des Philoktets und schließlich den Bogen zu gewinnen.23

Ethische Aporie

Ein neuerlicher schwerer Anfall Philoktets lässt Neoptolemos allerdings erneut zweifeln. Es scheint ihm nun wieder unehrenhaft, den schwer Leidenden zu betrügen. Er sieht sich in einer Aporie, einer ausweglosen, tragischen Lage, die zugleich eine Entscheidung verlangt.

Neoptolemos: „Oh weh! / Was soll ich tun? Wie soll das weitergehen?… / Ich weiß nicht, wie die ausweglose Sache wenden!
Philoktet: Ausweglos du? Sag’ das nicht, Kind!
Neoptolemos: Doch gerade jetzt bin ich in auswegloser Lage!“

Neoptolemos befürchtet – ganz gleich wie er sich entscheidet – „schlimm dazustehn“: Philoktet nicht mit dem Bogen nach Troja zu bringen wird ihm als Verrat angerechnet werden; und – vor allem – er kann sich so nicht als derjenige auszeichnen, der die Trojaner niedergerungen hat. Philoktet nach Troja zu verschleppen wiederum verstößt gegen den Ehrenkodex, dem er glaubt folgen zu müssen. Die Tat, die ihm abgenötigt wird, ist ihm widerwärtig: „alles ist widerwärtig, wenn die eigene Art / Einer verläßt und Dinge tut, die ihm nicht anstehn!24

Philoktet muss überzeugt werden und dazu muss er eine eigene Entscheidung treffen. Odysseus und Neoptolemos sind sich uneins, wie Philoktet gewonnen werden kann oder gewonnen werden muss: Odysseus ist sich sicher, dass Philoktet sich durch gutes Zureden nicht überzeugen lässt. Philoktet ist verbittert und kann über das ihm zugefügte Unrecht nicht hinwegsehen. Er traut den Griechen und vor allem Odysseus nicht mehr. Dass er und sein Bogen im Kampf gegen Troja kriegsentscheidend sein könnten, wie ihm das Neoptolemos (und Odysseus) versichern, kommt ihm zwar durchaus plausibel vor. Es kann ihn aber nicht veranlassen, mit nach Troja zu ziehen. Sein durchaus verständlicher Gram über das erlittene Unrecht macht ihn unversöhnlich. Sein Stolz erlaubt es ihm nicht, gemeinsame Sache mit denen zu machen, die ihn ausgesetzt und aus der politisch-ethischen Lebensgemeinschaft ausgeschlossen haben.25 Philoktet sieht sich ein weiteres Mal betrogen und weigert sich unter Beschimpfungen mit den Griechen nach Troja zu fahren. Er bleibt lieber – ohne Bogen noch hilfloser – auf Lemnos zurück als mit dem verhassten Odysseus in den Kampf zu ziehen. Er scheut auch den Tod nicht, der ihn jedenfalls von den Qualen erlösen würde.

Neoptolemos glaubt ihn nur durch „ethisches“ Verhalten gewinnen zu dürfen (und zu können). Er will den Fehler gutmachen, den er darin sieht, „mit schandbaren Betrügereien und Listen“ Philoktet den Bogen entwendet zu haben: „Unehrenhaft und nicht zu Recht erhielt ich ihn!“ Und so will Neoptolemos Philoktet durch demonstratives Entgegenkommen überzeugen, indem er ihm den „unehrenhaft“ erlangten Bogen zurückgibt. Die Griechen vor Troja zum Sieg zu führen muss für Philoktet – wie für Neoptolemos selbst – ein starkes Handlungsmotiv sein. Auch Philoktet selbst kommt aus bestem Haus, Auch er wird von dem Prinzip des Immer-vorzüglich-sein-Wollens geleitet und sieht sich zum Helden bestimmt, der sich im Kampf beweisen will. Der Biss durch die Schlange ist ein schicksalshafter Umstand, der den Tüchtigen zum Opfer macht, das die Griechen dann – einem Plan der Götter folgend – rücksichtslos aussetzen. Nun sind die Griechen – wieder durch göttlichen Ratschluß – gezwungen, ihn zurückzugewinnen. Philoktet müsse sich – so Neoptolemos – dem Willen der Götter fügen und werde dafür mit reichlich ehrenvollem Gewinn belohnt: „Die Schicksale, die von den Göttern sind gegeben, / Die müssen Menschen notgedrungen tragen. / Doch wer da pocht auf seine selbstgewählten Leiden / Wie du, mit dem wird man nicht Nachsicht haben / Gerechterweise, noch ihm Mitleid schenken. / Du bist verhärtet, duldest keinen Ratgeber, / Und spricht dir jemand zu und meint es gut, / Verabscheust du ihn, siehst in ihm den ärgsten Feind. / … / Du krankst an diesem Leiden durch göttliche Schickung,… / Und Ruhe, wisse, wirst du von dem schweren Leiden / Erlangen nie, … / Bevor du nicht aus freien Stücken selbst / In das Gebiet von Troja kommst und dort / Bei uns, den Söhnen des Asklepios begegnend, / Geheilt wirst von der Krankheit und sodann / Als der Mann dastehst, der die Burg von Troja / Mit diesen Pfeilen und mit mir zerstörte.26

Aber Philoktet gibt sich wie Odysseus vorausgesagt unzugänglich. Er bleibt bei seiner Entscheidung: er will lieber sterben als mit den Griechen gegen Troja kämpfen. Die ausweglose Lage kann nur durch göttlichen Eingriff gelöst werden. So erscheint schließlich der nach vielen Mühen und Prüfungen vergöttlichte Herakles. Er verheißt Philoktet den befreienden Erfolg: „Daß dir aus diesen deinen Leiden / Ein Leben voll des höchsten Ruhms erwächst.“ Er soll mit Neoptolemos nach Troja ziehen, werde dort von seiner Krankheit befreit und „wirst Troja nehmen und die Siegesbeute – / Das Beste dir auswählen vor dem Heer – / in deine Häuser deinem Vater Poias schicken / Zu eures heimatlichen Öta Flur.“ Herakles überzeugt Philoktet mit den Argumenten, auf die Philoktet – von Neoptolemos vorgebracht – zunächst nicht hören wollte. Er macht ihn durch göttlichen Zuspruch glaubhaft, dass das aien aristeuein, die Maxime des Immer-vorzüglich-Handelns und der Beste zu sein, auch hier gilt und von ihm verlangt, die Situation neu zu verstehen.

Die ethisch aristokratische Handlungsmaxime des aien aristeuein, des Immer-vorzüglich-Handelns und sich als der Beste erweisen, kann den Konflikt nicht lösen, hat ihn vielmehr erst hervorgebracht. Sie ist nicht mehr selbstverständlich handlungsleitend. Es gibt verschiedene Vorstellungen von dem was aristokratisches Handeln ausmacht. Für Neoptolemos heißt das aien aristeuein, sich an die ihm im Ethos vermittelten Regeln des Wettkampfs zu halten. Er will lieber sein „Ziel verfehlen, statt auf schlimme Art siegen“. Philoktet hingegen glaubt seine aristokratische Haltung nur durch kompromisslose Unbeugsamkeit beweisen zu können. Beide ziehen den „ehrenwerten“ Untergang dem Sieg vor, der in ihren Augen mit einer Selbstverleugnung verbunden wäre.

Die praktische Vernunft der Ethik

Sophokles zeigt, dass der Ehrenkodex des aien aristeuein nicht mehr selbstverständlich das Handeln anzuleiten vermag. Der Ethos ist selbst fraglich geworden. Odysseus verkörpert auch hier die Zukunft, nämlich den Zwang sich situativ zu besinnen und die handlungsleitenden Maximen abzugleichen. Auch Odysseus ist selbstverständlich der aristokratischen Maxime des Vorzüglich-Handelns des aien aristeuein verpflichtet. Der „listenreiche“ Odysseus verkörpert die kluge Abwägung der praktischen Vernunft (φρόνησῐς, phronesis), der es um die situativ richtige Wahl der Mittel geht. Odysseus geht es um den Erfolg. Tugenden sind Tüchtigkeiten, die das Leben „erfolgreich“ und gelingend führen lassen. Eine Ethik, die das Leben scheitern lässt, gibt es nicht. „Viel könnte ich zu dessen Worten sagen, / Hätt’ ich die Muße“ antwortet Odysseus auf die ihm entgegengehaltenen Ideale. „Jetzt das Eine nur: / Da, wo es Männer braucht von solcher Art, / Bin ich ein solcher. – Aber wo es um gerechte / Und rechtschaffene Männer geht, da wird / Man finden keinen Frömmeren als mich. / Nun bin ich freilich von Natur darauf erpicht, / Zu siegen überall …

Tugenden treten im Plural auf und beziehen sind auf spezifische Handlungsfelder. Die Ethik erstrebt ihr harmonisches, „glückliches“ Zusammenwirken.27 Das aristokratische Ideal, das Homer noch als selbstverständlich handlungsleitend voraussetzen durfte, muss nun neu ausgestaltet werden. Homer, für den der ethische Widerstreit der aus dem aristokratischen Ideal entwächst, nicht bestand, hatte vermutlich deshalb auch die Geschichte Philoktets keine „tragische“ Bedeutung und spielt deshalb nur eine kleine Nebenrolle im Kampf der Griechen gegen Troja.

Ethik statt Tragik

Während die (klassische) Tragödie die Wirklichkeit als einen unaufhebbaren Streit von Kräften sichtbar macht, der das Dasein des Menschen bestimmt, greift Sophokles hier zu einer theatralischen Technik, die die Lösung des Konflikts durch göttlichen Eingriff herbeiführt: er lässt den vergöttlichten Herakles erscheinen. Es das dramatische Manöver eines Deus ex machina (ἀπὸ μηχανῆς Θεός, apò mēchanḗs theós), nämlich das plötzliche und unerwartete Auftauchen einer Gottheit, das sich aus dem Handlungsverlauf eigentlich nicht erklärt und eine von außen bewirkte Auflösung einer tragischen Situation oder eines Konflikts ermöglicht. Die klassische Tragödie zeigt den Menschen, sein Ethos, in in einem unaufhebbaren Widerstreit verwickelt – er hat als Sterblicher sein Leben im unaufhebbaren Streit von Kräften zu leben, die er handelnd zu erleiden hat. Nun wird der Streit selbst ethisch gelöst. Ein Gott zeigt, dass dem Menschen die Ethik die Konflikte seines Daseins zu lösen aufgibt. Er kann sich auch auf das verstehen, was ihm als Unabwendbares begegnet. Vernunft wird praktisch und leitet das Leben so an, dass es gelingend geführt werden kann.

In Neoptolemos Bereitschaft lieber ehrenvoll zu scheitern wie in Philoktets Entschiedenheit, mit den Griechen keine gemeinsame Sache zu machen und auch den Tod in Kauf zu nehmen, spiegelt sich die Bereitschaft des aristokratischen Helden, sich im Erleiden des tragische Dasein auszuzeichnen. Dem tragischen Erleiden wird nun die praktische Vernunft beigestellt. Der Ethos des geteilten Leben wird weiterhin durch das aristokratische Ideal des Immer-vorzüglich-Handelns bestimmt. Das ist das Erbe aller Ethik. Und dieses Erbe ist „aristokratisch“. Aber es muss neu und situativ richtig verstanden werden. Man muss richtig verstehen, was die Vorzüglichkeit des Handelns ausmacht. Die Tragik des Daseins wurde mit Sophokles Philoktet zum ethischen Ringen um die gelingende Lebensführung und die Gestaltung von Ethos und Polis.

Epilog: Wertkollision und tragisches Dasein

Immanuel Kant

Knapp zweitausend Jahre später wird der Aufklärer Kant behaupten, dass praktische Vernunft keine unlösbaren Wertkonflikte kennt. Es gibt keine tragische Ethik und immer eine vernünftige Entscheidung. Allerdings sieht sich Kant gezwungen,Vernunft und Glückseligkeit, Tugend und gelingende Lebensführung zu unterscheiden. Die noumenale Welt des Vernunfgesetzes, das keinen unauflösbaren Widerstreit im gesetzlosen Zustand kennt, kann dem Menschen freilich kein glückliches Dasein versichern – in dieser Welt nicht, aber auch nicht im Jenseits. Der „reinen“ Vernunft wird ein Ideal der vollkommenen Glückseligkeit beigesellt, die die Unerfülltheit des Glückseligkeitsstrebens zumindest in dieser Welt nahelegt und auf die gerechte Zuteilung der paradiesisch gefärbten Glückseligkeit im Jenseits hoffen muss. Das wiederum ist das Erbe der christlichen, insbesondere augustinischen Tradition. Zwei Welten stehen sich gegenüber, die nur im Willen Gottes verbunden sind. Das menschliche Wohnen in einer politischen Lebensgemeinschaft (ἦθος) ist eines durch Erbsünde und damit dem Verstoß aus der paradiesischen Glücksgemeinschaft verbunden. Erst die katholisch-scholastische Naturrechtslehre hatte mit Rückgriff auf Aristoteles und damit auf die griechische Ethik, die in einer politischen Lebens- und Wertegemeinschaft gründet, das Verhältnis von Gott und der Welt wieder der praktischen Vernunft übereignet: „Wie im Himmel so auf Erden“. Der menschliche Ethos spiegelt selbst das göttliche Recht, für das kein unversöhnlichen Widerstreit angenommen werden darf.

1Bedingungen für Ethik – das Ethos, der geteilte Lebensraum, das gemeinsame Wohnen in einer Welt, die sich durch geteilte Werte bestimmt

2 A.a.O., S. 133.

3 54.

4 56.

5 Ilias VI 208ff.: αἰὲν ἀριστεύειν καὶ ὑπείροχον ἔμμεναι ἄλλων, μηδὲ γένος πατέρων αἰσχυνέμεν, οἳ μέγ‘ ἄριστοι ἔν τ‘ Ἐφύρῃ ἐγένοντο καὶ ἐν Λυκίῃ εὐρείῃ („Immer der beste zu sein (αἰὲν ἀριστεύειν, aien aristeuein) und ausgezeichnet vor andern, / Daß ich der Väter Geschlecht nicht schändete, welches die besten / Helden in Ephyre zeugt’ und im weiten Lykeierlande.“)

6 Ilias XI 784f.: Πηλεὺς μὲν ᾧ παιδὶ γέρων ἐπέτελλ᾽ Ἀχιλῆϊ / Αἰὲν ἀριστεύειν καὶ ὑπείροχον ἔμμεναι ἄλλων

7 Ein Schuster ist ein guter, tüchtiger Schuster, wenn er gute Schuhe herzustellen vermag. Ein guter Kämpfer ist einer, der einen Kampf erfolgreich bestreiten kann.

8 56.

9 Ethos (ἦθος) bezeichnet den vertrauten Ort des Wohnens, des heimatlichen Daseins, das durch Sitten und Ge-wohnheiten bestimmt ist.

10 Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, III 44-48.

11 Dieses traditionelle Verständnis von Gerechtigkeit ist z.B. bei Platon der Ausgangspunkt einer philosophischen Aufklärung dessen, was unter „gerecht“ zu verstehen ist: cf. z.B. im ersten Buch der Politeia.

12 55.

13Odyssee IX 37ff.

14 55.

15 Im Übrigen glaubt er wohl mehr an die Macht des Bogen als an die Unerlässlichkeit des Philoktet. Mit dem Bogen werde – so Odysseus – auch er als tüchtiger Schütze, das Kriegsglück schon herbeiführen können.

16 53.

17 56.

18 Was es heißt, sich ethisch auszuzeichnen, darum geht es bei Sophokles.

19 54f.

20 56

21 57.

22 60; V 191ff.

23 Neoptolemos gibt vor ihm zu helfen und ihn in sein Heimatland zurückzubringen. Philoktet glaubt in ihm einen Freund gewonnen zu haben und händigt ihm den Bogen aus.

24 895ff.: Νεοπτόλεμος: παπαῖ: τί δῆτ᾽ ἂν δρῷμ᾽ ἐγὼ τοὐνθένδε γε;

Φιλοκτήτης: τί δ᾽ ἔστιν, ὦ παῖ; ποῖ ποτ᾽ ἐξέβης λόγῳ;
Νεοπτόλεμος: οὐκ οἶδ᾽ ὅποι χρὴ τἄπορον τρέπειν ἔπος.
Φιλοκτήτης: ἀπορεῖς δὲ τοῦ σύ; μὴ λέγ᾽, ὦ τέκνον, τάδε.
Νεοπτόλεμος: ἀλλ᾽ ἐνθάδ᾽ ἤδη τοῦδε τοῦ πάθους κυρῶ.
Φιλοκτήτης: οὐ δή σε δυσχέρεια τοῦ νοσήματος / ἔπεισεν ὥστε μή μ᾽ ἄγειν ναύτην ἔτι;
Νεοπτόλεμος: ἅπαντα δυσχέρεια, τὴν αὑτοῦ φύσιν / ὅταν λιπών τις δρᾷ τὰ μὴ προσεικότα.

25 Die Aussetzung Philoktets ist eine Ungerechtigkeit, die den Griechen zum Schaden gereicht. Dass sie ohne Philoktet nicht zum Sieg gegen Troja kommen, erinnert sie an ihre Gerechtigkeitspflichten, gegen die sie schmählich verstießen.



26 1316ff.

27 Das wird z.B. bei Platon im Protagoras unter Frage verhandelt, ob wer eine Tugend „wirklich“ hat auch alle anderen haben muss. Sind die unterschiedlichen Tugenden Gerechtigkeit, Besonnenheit, Frömmigkeit nur Aspekte einer Tugend des „Gutseins“ oder eigenständige und unabhängige Tüchtigkeiten?

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