Man muss auch übertreiben können. Die Überzeichnung ist das Wesen der Karikatur, die das Wesen des Wesens zeigt, das man ohne Übertreibung nicht zu sehen bekäme. Die Verzerrung rückt die Sache ins richtige Bild. Solcher Art Überzeichnung findet sich bei Musil gar nicht so selten. Es ist ein Kunstgriff, der natürlich immer in der Gefahr steht, sich ins Klischee abzunutzen.
Die Musilsche Person des deutschen Alleskönner Paul Arnheim, Verzeihung: Dr. Paul Arnheim, zeigt solche Züge. Er ist parkettgängig und zwar auf allen Bühnen der Welt: „Daß er mit Großindustriellen über die Industrie und mit Bankleuten über die Wirtschaft zu sprechen vermochte, war verständlich; aber er war imstande, ebenso unumschränkt über Molekularphysik, Mystik oder Taubenschießen zu plaudern… Seine Belesenheit und sein Gedächtnis hatten wirklich einen ungewöhnlichen Umfang; er vermochte Kennern die feinsten Stichworte ihres Wissensgebiets zu bringen, kannte aber ebensogut jede wichtige Person aus dem englischen, dem französischen oder japanischen Adel und wußte auf Renn- und Golfplätzen nicht nur in Europa, sondern auch in Australien und Amerika Bescheid.“
Das klingt ein wenig überzogen. Und doch ist es ein Ideal, das hochgehalten wird und an das wir glauben wollen, wie an die im Groschenroman beschworenen Liebe zwischen dem gutaussehenden, melancholisch-kunstliebenden Grafen und der bildschönen Volksschullehrerin, die er beim Besuch der Armenschule seiner Grafschaft kennenlernt und schließlich gegen den Widerstand seiner Familie heiratet. Es lässt etwas möglich erscheinen, was natürlich nicht sonderlich realistisch ist.
Bei Musil wird freilich einmal um die Ecke gedacht. Das „achtungsvolle Kopfschütteln“, das die Begegnung mit dem „deutschen Nabob“ hervorruft, entlarvt zugleich das Ideal: „Er spricht von Liebe und Wirtschaft, von Chemie und Kajakfahrten, er ist ein Gelehrter, ein Gutsbesitzer und ein Börsenmann; mit einem Wort, war wir alle getrennt sind, das ist er in einer Person, und da staunen wir eben.“ Wer alles ist, der ist freilich nichts wirklich. Ein Gelehrter mag (zufällig) auch ein Gut besitzen – aber als Gelehrter ist er doch kein Gutsbesitzer und schon gar kein „Börsenmann“. Wer beides zugleich sein will, der gibt in Wahrheit beides auf. Er möchte über das enge, staubige Gelehrtendasein hinausgehen in die bunte Welt der Pferderennplätze und Modeschauen, der Filmfestspiele und der Pressbälle und macht alles gleichgültig. Das Leben wird zur Parallelaktion. Die Homerschen Epen sind aber keine Comics und die platonischen Dialoge keine Lebensratgeber. Die Musilsche Überzeichnung Arnheims zeigt, dass das vermeintlich Ideal schon hinter sich gelassen hat, was es vorzuführen sucht. „Das ist übrigens schon kein Geist mehr“, kommentiert der Musilsche Held und Gegenspieler Arnheims. Das macht ihn gleichwohl zu einer „interessanten Persönlichkeit“.