Rich Men North of Richmond

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Viele hören im Moment einen Song, der aus dem Nichts kam. Er ist ein Statement. Auch ich gehe mit, werde ergriffen, stimme zu. Darf ich das? Mir wird gesagt, der Song sei rechts, right-wing und verbreite eine völlig absurde Verschwörungstheorie, QAnon nämlich. Könnte ich jetzt sagen, „mir doch egal“? Ich wäre dann wohl verdächtig, sehr verdächtig und jedenfalls nicht mehr Antifa-konform. Also kann ich das wohl nicht tun – oder jedenfalls nicht öffentlich. Vieles kann man eben wie Lotta aus der Krachmacherstraße nur „im Geheimen“ machen – und dann darüber schreiben.

 

Die Rede ist von Oliver Anthonys Song Rich Men North of Richmond, den er in der zweiten Augustwoche zunächst auf YouTube und dann auch auf Spotify veröffentlicht hat. Mit Rich Men North of Richmond hat Oliver Anthony offenbar einen Nerv getroffen, denn in nur wenigen Tagen brach der bis dahin völlig unbekannte Songwriter alle Rekorde. Er hatte seine Songs selbst mit dem Smartphone aufgenommen und einfach mal „hochgeladen“. Und plötzlich wird sein YouTube-Video millionenfach geklickt und er springt auf die Nummer 1 der US Billboardcharts. 

Dabei ist Rich Men North of Richmond kein schmissiger, eingängiger Country Ohrwurm, der dafür gemacht ist, in den Trucks und Provinz-Diners, bei Barbecue Festivals, Rodeos und Viehmärkten gespielt zu werden. Rich Men North of Richmond ist ein Protestsong. Er klagt an: „It’s a damn shame what the world’s gotten to“ … Aber viele singen ihn mit, nicht wenige mit feuchten Augen und entschiedener Geste. Wer diesen Song hört, der kann sich der Klage schlecht entziehen. North of Richmond liegt Washington DC und dessen Rich men sind das Establishment. Es sind diejenigen, die sich als (woke) Elite verstehen, aber von Verschwörung sprechen, wenn man sie so nennt. „Lord knows they all just wanna have total control / Wanna know what you think, wanna know what you do.“ Sie haben es auf Kontrolle abgesehen und auf das Geld derer, die sie zwar verachten, denen sie aber ihren Reichtum und ihre Stellung verdanken. So sehen es jedenfalls diejenigen, die sich von denen da droben North of Richmond betrogen und verachtet sehen. Denn anders als das Establishment glaubt, wissen die Ignorierten durchaus um ihre Lage. Sie spüren es jeden Tag. „And they don’t think you know, but I know that you do / ‚Cause your dollar ain’t shit and it’s taxed to no end / ‚Cause of rich men north of Richmond“. Das zeigt nicht zuletzt die große Zustimmung, die der Song findet.

Trumpers

Oliver Anthony hält den elitären „rich men north of Richmond“ die eigene Erfahrung als ehemaliger Fabrikarbeiter entgegen „I’ve been sellin‘ my soul, workin‘ all day / Overtime hours for bullshit pay“. Die zwei Zeilen bilden die Klammer, die den Song zusammenhält. Oliver Anthony wiederholt sie am Ende des Songs mit einer kleinen, fokussierenden Pause nochmal eindringlich. Es ist die Erfahrung all derer, die vormals mehrheitlich demokratisch gewählt haben, gewerkschaftlich organisiert waren und sich als das Kraftzentrum der amerikanischen Nation sahen. Es sind diejenigen, die mit ihrer Arbeit das Ganze am Laufen halten – als Trucker und Farmer, als Ausfahrer und Zusteller, an der Supermarktkasse und beim Regalauffüllen, auf der Baustelle und am Fließband, als Reinigungskräfte und in der Pflege… Sie sind längst aus dem amerikanischen Traum gerissen und viele haben sich von den Demokraten ab- und Trump zugewandt.

Michael Sandel, alles andere ein republikanischer Right-Wing Think-Tank-Professor, hat 2020 in The Tyranny of Merit: What’s Become of the Common Good überzeugend gezeigt, wie es zum Sieg Trumps kommen konnte: frei nach Friedrich Engels wurde die Lage der arbeitenden Klasse in den USA völlig ignoriert und eine Tyrannei aufgebaut, die von Leistung spricht, aber Millionen von wirklichen Leistungsträgern verachtet und an den Rand drängt. Als „Leistung“, die sich lohnt, gilt nur das, was diejenigen, die sich als Führungsschicht verstehen, selbst grade tun: meist bullshit jobs als flunkies, box tickers oder taskmasters à la David Graeber.1

Die Verachteten geben die Verachtung zurück: „It’s a damn shame what the world’s gotten to / For people like me and people like you / Wish I could just wake up and it not be true / But it is, oh, it is“. Die allgegenwärtigen Stars and Stripes beanspruchen, dass dieses Land, von dem sie sich enteignet fühlen, eigentlich ihnen gehört. „Livin‘ in the new world / With an old soul“ bringt die tiefgreifende Entfremdung, die „Unheimlichkeit“ der eigenen Existenz, gut auf den Punkt. Die Flagge will nicht mehr und nicht weniger sagen als „Das ist unser Land und nicht eures“, und „Wir sind das Volk“. Das ist im polit-kulturellen Zirkus nur erlaubt, wenn es sich gegen andere richtet, die bösen Tyrannen in Russland und im Iran, in China und Nord Korea z.B.. Wer im „eigenen“ Land und ohne PoC zu sein „Wir sind das Volk“ ruft, in dem per verfassungsrechtlicher Definition doch alle Gewalt sowieso vom Volk ausgeht, gilt als als rechtsextrem, antidemokratisch und als rassistischer Kämpfer für White-Supremacy.

„People like me… “

Darf ich mit solchen Leuten solche Lieder singen? Sind das „people like me“ und ich einer von Ihnen? Wohl kaum. Ihre Erfahrung ist nicht meine. Kennen Sie das? Sich Einfühlen kann leicht zum verächtliches Gleichmachen führen: Dein qualvolles Leben ist mein frustriertes Dasein, Deine Folter wie mein Unwohlsein. Das nennt man wohl nicht ganz zu Unrecht deplatzierte, unerwünschte und unangebrachte, kulturelle Aneignung. Gehört der Blues, der aber eigentlich „schwarz“ ist und von Rassismus und dem Erbe von Sklaverei singt, nun plötzlich wirklich den Wirtschaftswunder-Kids der Sechziger, weil sie sich darin zu erkennen glauben? Wir – oder jedenfalls ich – waren bei diesem seltsamen Mann völlig aus dem Häuschen, der im Woodstock-Kino-Film in einem orangenen Thawb (oder Dischdascha?) auf der Bühne erschien und seine Gitarre mit „Freedom, Freedom“ malträtierte. Wir fühlten uns voll verstanden. Erkannte er sich auch in unserer Zustimmung? Seine Verzweiflung war unser pubertärer Protest. Durften wir sein „sometimes … i feel … like a motherless child“ – wie ich es tat – auch von uns sagen? Ich muss wohl einräumen, dass meine „feelings“ – weiß und wohlstandsbehütet und in der gymnasialen Quarta schon zur Uni unterwegs – etwas andere waren als die des „schwarzen“ Richie Havens?

Mir geht es mit Oliver Anthonys tollem, unter die Haut gehenden Song Rich Men North of Richmond vermutlich so, wie den inzwischen Pure Vernunft lehrenden Tocotronic2 damals mit ihrer Team Dresch Platte. Sie waren begeistert, wussten aber, dass sie dabei waren, sich etwas anzueignen, das gar nicht für sie bestimmt war: „Diese Harmonie, diese wunderbaren Lieder / Ich fand mich sofort in diesen Liedern wieder / Und ich weiß sie singen nicht für mich / Und ich weiß doch trotzdem glaube ich / Dass ich sie verstehen kann / Obwohl ich bin ein Mann / Und trotzdem finde ich sie super“. Kann ich als philosophierender Schreiberling, eigenheimbesitzender „Querdenker“ und bibliophiler Liebhaber antiker und mittelalterlicher Texte Oliver Anthony überhaupt folgen? Worüber Oliver Anthony singt, das kenne ich nicht mal aus Büchern, meinem hauptsächlichem Realitätszugang … Ich bin hier auf mehr oder weniger verlässliche Online-Journale angewiesen. Wovon er singt, das ist ja nicht meine Welt. „I’ve been sellin‘ my soul, workin‘ all day / Overtime hours for bullshit pay“. Okay, Überstunden kannte ich auch – wir Außertariflichen sprachen freilich nur von unserer „Zielerreichungsverantwortung“. Aber das „selling my soul“ und die Bullshit-Bezahlung, von der er singt, ist doch etwas anderes als mein Hadern mit einem Graeberschen Bullshit-Job. Er singt von denen, die deklassiert sind oder sich jedenfalls so sehen. Dabei geht es nicht nur um Armut. Es geht um fehlende Anerkennung, Verachtung und Demütigung. Wer für seine Arbeit Hungerlöhne bekommt, der sieht sich verachtet. Wer auf Mindestlöhne hoffen muss, von denen er sich und seine Familie kaum durchbringen kann, der fühlt sich gedemütigt. Wer nach dreißig Jahren Arbeit auf staatliche Sozialhilfe angewiesen ist, die er sich per Antragskniefall verdienen muss, der erlebt sich als Bittsteller, der auf staatliche Almosen hoffen muss. Wer das alles nicht glauben kann, weil es doch gar nicht wahr sein darf, der hofft, er „could just wake up and it not be true / But it is, oh, it is“.

Jimmy Dore findet die richtigen Worte

Jimmy Dore

Die Linke müsste sich darin finden und tut es vereinzelt auch. Der Song bringe den „Klassenkampf zum Ausdruck“ heißt es gelegentlich. Aber was als „linke Arbeiterhymne“ daherkomme, greife „konservative und erzreaktionäre Narrative“ (Deutschlandfunk) auf. Er bekomme „Zuspruch von Ultrarechten“ (SZ), sei eine „Hymne für die Republikaner“, die „den Trumpisten perfekt in ihre Weltsicht passt“ (FR). Oliver Anthony sei „der Donald Trump der Musik“. Dass die von Oliver Anthony zum Ausdruck gebrachte Erfahrungen, den Rechten in die Hände spielen, entlarvt freilich die linksliberale Wokeness. Dass, wie der Guardian schreibt, „the right wing loves it“ spricht dann eher gegen die Linke, wenn sie das nicht hören will, wenn sie von dem „damn shame what the world gotten to“ nichts wahrhaben will und sich stattdessen oberlehrerhaft mit kulturellen „Richter“-Skalen der Wokeness beschäftigt.

Aber der woke Main Stream hat natürlich seinen Aufhänger. Der Zuspruch, der von rechts kommt, ist das eine, das genüsslich ausgebreitet wird: das hat die woken Schreiberlinge von TAZ, FR und SZ freilich bei der Kriegsbegeisterung im Ukraine-Krieg nicht gestört – die ehemaligen Kriegsdienstverweigerer lassen es sich inzwischen ungerührt unter den Fittichen erzkonservativer Hawks gut gehen und hofieren die Rüstungsindustrie. Was grade noch Mafia war, ist jetzt organisierte Nächstenliebe.

Neben der Kontaktschuld der Zustimmung gibt es da aber noch diese Zeile über die kleinen Fetten, denen ihre Sucht nach süßem Junk Food nicht aus Steuern bezahlt werden sollte.3 Jimmy Dore ist sicherlich recht zu geben: „that’s not the problem with America, so that is a dumb lyric“: „they ’re not the one“, beschwört Jimmy Dore, that keeping you from a decent wage … those people are not your oppressors“. Das ist wohl wahr.

Ich gestehe, dass ich die Zeile „and the obese milkin’ welfare“ dennoch für ziemlich gelungen halte, und metaphorisch wird wahr, was wortwörtlich komisch klingt. Motorhauben sind bekanntlich weder gehäkelt noch aus dünnem gerafften Stoff und auch tragen auch keine Stickereien. Wir wissen aber, was darunter zu verstehen ist, oder? Jimmy Dore hat recht und dennoch ist die Zeile gut. Aber erlaubt „the one line“, die sich unsere medialen Erzieher herausgreifen, um den Song als „right wing“ abzutun: Achtung, wir warnen vor Nebenwirkungen und Ansteckungsgefahren. Nun ja, es ist nicht nur die eine Zeile, es gibt da auch noch diese Anspielung, die – da sind sich alle „Erwachten“ einig – voll QAnon ist: „ I wish politicians would look out for miners /And not just minors on an island somewhere.“ Ach das ist QAnon? Und deshalb dürfen wir uns das nicht wünschen? Weil es nämlich Delegimitierung wäre – jedenfalls wenn’s von der falschen Seite kommt und sich gegen das Establishment richtet. Natürlich gibt es Päderastenringe – nicht nur in Belgien und Portugal, vermutlich auch in den U.S.A. Epstein und Weinstein – die gehören den Woken. Sich Politiker zu wünschen, die damit nichts am Hut haben, ist das wirklich ein Grund der Empörung. Politiker, die sich statt Minderjährigen (minors) zuzuwenden, sich um die „workers“ kümmern (miners), das gilt jetzt als rechtsradikal und huldigt einer Verschwörungstheorie?!

Jimmy Dore sieht darin ein typisches Spaltungsmotiv wie es auch bei der „antiwar movement“ (CODEPINK) zu sehen war. Die Bewegung wird uneins, „because they disagreed with some of the speakers on their LGBTQ“. „You come together under one idea. That one idea is workers uniting and that means trumpers included.“ Eine kleine Gruppe Evangelikaler organisierte z.B. den gewerkschaftlichen Aufstand gegen Amazon, darunter auch „right wing trumpers“. Mit Ihnen gegen Amazon vorzugehen, heißt nicht, mit ihnen eine evangelikale Messe zu feiern. „Oppose the establishment under economic issues that’s the only thing that matters. But they want to make it about everything else and that’s how you split workers organizations, that’s how you break Union organizing you get people to divide over cultural issues like trans issues LGTBQ issues oder environmental … Workers need to unite around economic issues, it’s class, it’s not about cultural issues, because they use those cultural issues to divide us and you’re an idiot if you let that happen.

Das wird immer wieder vorgebracht, wenn man gegen etwas auftritt, was den Herrschenden und ihren Meinungsmachern nicht gefällt – frei nach dem Marxschen Diktum, dass die herrschende Meinung die Meinung der Herrschen ist. Verbrechen werden ignoriert, weil sie auch wahlweise von Evangelikalen und Trumpers oder von Islamisten und Rotgardisten angeprangert werden. Man sollte das Leben seines Kindes nicht von jemanden retten lassen, der durch sein T-Shirt Kritik gegen die israelische Palestinenser-Politik ausdrückt. Das Grundgesetz gegen Grundrechtsverletzungen zu verteidigen, wird dann als Delegitimierung der demokratische Grundordnung gebrandmarkt, weil das zugleich bedeutet, sich dem Main-Stream Genicke zu verweigern. Muss man vegan sein und E-Autos mit LGBQT-Regenbogen Aufkleber fahren, um auf der Südtribüne bei St. Pauli Einlass zu finden. Merkwürdiger Weise darf man gegen die russische Invasion der Ukraine sein, ohne zu gendern oder zu wissen, was eine feministische Außenpolitik heißen könnte. Sich auf etwas zu fokussieren macht den Erfolg einer Bewegung aus. So sagt Jimmy Dore richtig, „the way you organize is: you meet people where they are. You’re against war, i’m against war, let’s meet there and now maybe by our interactions i can influence your opinion on LGBTQ or anything else but right now we’re meeting you where you are: you’re against war, i’m agaist war, you’re against the Jeff Bezos and the establishment, we’re with you that’s how you meet people: you’re against the war that’s all i need to know we’re with you. That’s how you organize on single issues because if you start to bring other issues into it that’s how you divide organizations and that’s what the CIA, the FBI and the establishment does.

Und wenn gar nichts mehr hilft, muss eine schlimme Verschwörungstheorie her: „anybody who sticks up for workers has got to be some kind of conspiracy right wing nod if you stand up and tell the truth about the establishment and you push back against their economic war on workers you were just called a white right wing… that’s all they have left now is the establishment media which is owned by a handful of billionaires wants us to hate each other and every story they report they do it like this“.

Der Vorwurf der Verschwörungstheorie ist so ziemlich das Blödste, was man vorbringen kann. Aber was wollen wir erwarten? Wir müssen uns darauf nicht einlassen. Bleiben wir bei dem „damn shame what the world gotten to“.

Wir Bürgersöhne

Oliver Anthony singt von und für Leute, zu denen ich (noch?) nicht gehöre. Deren Erfahrung ich aber ernst zu nehmen versuche und deren Lage, das „damn shame what the world gotten to“, eine grundlegende Veränderung nahelegt. Friedrich Engels, der Unternehmersohn aus Barmen, widmete sich der Lage arbeitenden Klasse in England und schrieb ein richtungsweises Werk der Sozial- und Kulturgeschichte. Karl Marx, ein Bürgersohn, reformulierte den „kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist5 und entwickelte deshalb eine in vielem noch immer unübertroffene Kritik der Verhältnisse, die es es „umzuwerfen“ gilt. Er blieb dabei zeitlebens und noch als er in bitterster Armut lebte, an den bürgerlichen Lebensformen orientiert, in denen er aufgewachsen ist und die ihn geprägt haben. Er teilte nicht das Leben eines Manchester-Arbeiters, der wiederum seine Liebe für Shakespeare und Homer wohl nicht geteilt haben wird und ihre Lektüre nicht gerade als besonders erstrebenswert erachtet hätte.

Und doch gibt es die Brücke des gemeinsamen Kampfes, die die Welt tatsächlich verändert hat. „Was hat solche, die es sozusagen nicht nötig hatten, zur roten Fahne geführt?“ fragt Ernst Bloch in Prinzip Hoffnung. „Vielleicht das Gemüt, das, indem es vorhanden ist, sich vor dem Elend so vieler zusammenkrampft. Vielleicht das Gewissen, das wegen dieses Elends in einigen stillen Angehörigen der herrschenden Klasse schlägt, während die tätigen Teilhaber des Geschäfts sich den Profit ganz ungestört schmecken lassen.6 Er nennt es dann „die sich tätig begreifenden Menschlichkeit7. Ernst Bloch meint, es sei ein Zeichen der Hoffnung, dass Bürgersöhne zur roten Fahne eilen. Ich bin da nicht mehr so sicher. Die „Bürgersöhne“ haben die soziale Frage inzwischen so verzerrt, dass „cultural issues“ den Vorrang bekommen und die Arbeit derer, die den Reichtum weniger ermöglichen, verachtet wird. Dennoch sing ich bei Oliver Anthony mit, und finde „mich sofort in diesen Liedern wieder / Und ich weiß [er] sing[t] nicht für mich / Und ich weiß doch trotzdem glaube ich / Dass ich sie verstehen kann / Obwohl ich bin [kein Arbeits-] Mann / Und trotzdem finde ich sie super.“

 

Epilog

Rich Men North of RichmondLord knows they all just wanna have total control / Wanna know what you think, wanna know what you do“. Wir wissen das alle seit Snoden. Ja, das konnte nicht geleugnet werden. Das wird einfach nur vergessen. Das würde irgendwie stören. Aber dagegen haben wir ja jetzt unsere Cookie-Warnung. Da können wir uns wieder hinlegen, uns durch TAZ bis FAZ einschläfern lassen und hoffentlich gegendert träumen. Ich glaube, die NSA und GCHQ haben ihre Überwachung jetzt auch eingestellt und kümmern sich vornehmlich um nachhaltige, klima-neutrale, regenbogen gegenderte Aufklärung von gefährlichen Verschwörungstheorien – sie arbeiten gewissermaßen als Teil der „Letzten Generation“ an der guten Sache. Und niemand stört sich mehr dran. 

 

 

1David Graeber, Bullshit Jobs, A Theory, 2018.

2Pure Vernunft darf niemals siegen hat sich bei ihnen dank der Jahrhundert Pandemie zu Pure Vernunft muss diesmal siegen „aufgeklärt“ – so unterstützen sie Pfizer bei Ihrem Milliardendeal, um die Menschheit zu retten, aus „purer“ Solidarität und der Hoffnung auf baldigen Wiederauftritt. Danke Tocotronic! Wie habt ihr mal gesungen: „Ich mach meinen Frieden mit Euch, Hallo Vollidiot … Hallo Arschloch“. Ich nicht. Ich bin da seither weniger tocotronisch. Tocotronic „du hast, mein Leben zerstört …“

3Well, God, if you’re 5-foot-3 and you’re 300 pounds / Taxes ought not to pay for your bags of fudge rounds

5MEW 1, S. 385.

6E. Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Bd. 2, Kap. 55, Gesamtausgabe Bd. 5, 1959, S. 1604.

7a.a.O., S. 1606.