Inside Kakanien I 45: Das Lebensprinzip

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Und schon wieder einmal müssen wir von der Seele reden, ein Wort von dem Musil sagt, dass es „schon des öfteren, aber nicht gerade in den klarsten Beziehungen aufgetreten ist“. Da muss man ihm wohl recht geben. Es gehört nach Aristoteles „jedenfalls zum Schwierigsten eine feste Überzeugung über sie zu gewinnen“.[1] Das hat sich bis heute nicht geändert.

Das Wort Seele hat tatsächlich eine wechselvolle Geschichte. In den griechischen Anfängen bezeichnet Seele, psyche (ψυχή), das, was das Lebendige von leblosem Material unterscheidet. Lebendiges ist beseelt. „Die Seele ist gleichsam Ursprung [oder Prinzip] der Lebewesen[2] als „dasjenige aufgrund dessen wir leben“.[3] Leben ernährt sich und pflanzt sich fort. Es ist strebend auf etwas aus. Und weil es auf etwas aus ist, kann es ihm gut oder schlecht gehen, kann es gedeihen oder verkümmern. Lebewesen leben mehr oder weniger gut und es geht ihnen in ihrem Leben um ihr Leben. Dieses „Selbstverhältnis“ alles Lebendigen, sich von anderem, ihrer Umwelt abzugrenzen und zu erhalten, wird freilich nur von beseelten Wesen verstanden, die Sprache oder – um noch einen dunkleren Ausdruck zu verwenden – Geist haben, Wesen also, die sich und andere als lebendig erkennen, nämlich als „natürliche Körper“, die beseelt sind oder eine Seele haben.

Das Leben (ζωή) zeigt sich in verschiedenen Lebensformen (βίοι). Neben Pflanzen und Tieren gibt es diese Lebewesen, homo sapiens genannt, die neben den vegetativen Funktionen, der Wahrnehmung und der Fähigkeit zur gezielten räumlichen Bewegung, Vernunft und Sprache haben (ζῷον λόγον ἔχον, animal rationale) und sich als Personen aufeinander beziehen und miteinander leben (ζῷον πολιτικόν, animal sociale oder homo politicus). Dabei sind zwei Dinge bedeutsam: zum einen zeigt die Seele sich dem Verstehen zunächst dann, wenn wir sie vermissen: der tote Körper verweist auf das Leben, das er einst hatte und das ihm nun mangelt. Die Seele wird „sichtbar“, wenn sie fehlt, und ist in ihrem „Weg-Sein“ präsent. Die Seele hat den Leib verlassen und bleibt leblos zurück. Aber alles Verstehen des Lebendigen setzt die Selbsterfahrung des Lebendigen voraus. Wir verstehen das Leben, weil wir uns selbst als lebendige Wesen erfahren, denen es in ihrem Sein um ihr Wohlsein geht.

Die Metaphorik der Seele, die dem Körper eingehaucht wird und schließlich wieder aus dem Körper „ausfährt“, hat zu manchen philosophischen Verwicklungen geführt. Insbesondere die geistige Seele, also die des Lebewesens homo sapiens, das Sprache hat und sich über sich und seine Welt, die es mit anderen teilt, zu verstehen vermag, wurde verdinglicht und insbesondere in der Neuzeit zum denkenden „Ding“, zur res cogitans. Descartes unterscheidet sie von der res extensa, dem körperlichen, ausgedehnten Ding, zu der er die Lebewesen und auch den eigenen Leib rechnet. Der Leib wird mechanisiert. Das Lebendige wird zur seelenlosen Maschine, deren Mechanik eine entleibte Geistseele entgegensteht und von ihr allenfalls analysiert bzw. konstruiert werden kann. Die Seele findet sich im eigenen Leben nicht wieder.

Seele wird nun für das gebraucht, „was der heutigen Zeit verlorengegangen ist oder sich nicht mit der Zivilisation vereinen lässt“. Es gehört – wie Musil sagt – zu den „Eigentümlichkeiten dieses Wortes“, „daß junge Menschen es nicht aussprechen können, ohne zu lachen“. Man scheut sich, „es ohne Verbindung zu gebrauchen: denn eine große, edle, feige, kühne, niedrige Seele zu haben, das läßt sich noch behaupten“ – jedenfalls scheint das zur Zeit des alten Kakaniens noch möglich gewesen zu sein. Heute sprechen wir statt von der Seele lieber von der Psyche. Das Beseelte wurde zum Gegenstand der Biologie und das Seelische zum Psychischen, das nicht selten mit Problemen, Störungen oder gar Erkrankungen verbunden ist, die man körperlich nicht eingrenzen kann.

Das Leben, dem es um sein Leben geht, findet sich in ihm nicht wieder. Es verlangt nach der ihr eigenen Lebensform. Wie wir im toten Körper die Seele suchen, deren „Weggang“ wir beklagen, wollen wir mit allerlei Parallelaktionen uns in unserem Leben wieder finden, scheuen uns dabei freilich von Seele zu sprechen. „Im Laufe der Zeit“ freilich, in der wir versuchen, in unserer Welt heimisch zu werden, wird „irgendetwas immer fühlbarer…, für das man dringend einen Namen braucht, ohne ihn zu finden, bis man schließlich den ursprünglich verschmähten dafür widerstrebend in Gebrauch nimmt“. Der wiedergefundene Name versichert nicht, seinen Gegenstand im eigenen Leben zu finden. Vor allem werden wir sie nicht in Parallelaktionen finden. Die Seele von Parallelaktionen ist seelenlos.

 

[1] De anima I, 1, 402a10: πάντῃ δὲ πάντως ἐστὶ τῶν χαλεπωτάτων λαβεῖν τινα πίστιν περὶ αὐτῆς.

[2] De anima I, 1, 402a: ἔστι γὰρ οἷον ἀρχὴ τῶν ζῴων

[3] De anima II, 2, 414a: ἡ ψυχὴ δὲ τοῦτο ᾧ ζῶμεν

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