Inside Kakanien I 39: Eigenschaften ohne Mann

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Ein Mann ohne Eigenschaften besteht aus Eigenschaften ohne Mann.“ Musil glänzt immer wieder durch herrliche Formulierungen. Zweifellos. Er ringt um sie und versucht in ihnen immer etwas Doppeltes, Gegenstrebiges zu erzielen. Das, was hier und jetzt gilt, soll sich zugleich über die gegenwärtigen Zustände erheben. Das Besondere soll zum Allgemeinen und das Allgemeine auf besondere Weise gegenwärtig werden. Das gelingt Musil nicht immer gleich – wie sollte es auch. Bei den Eigenschaften des Mannes ohne Eigenschaften tut er sich schwer – ich meine ihn ringen zu sehen, etwas Bedeutsames zu sagen, das er dem Leben der Gegenwart entnehmen kann und über sie hinausweist. Hier und Heute ist alles anders, es herrschen andere Zustände, die seine Helden erleben. „Man ist früher mit besserem Gewissen Person gewesen als heute. Die Menschen glichen den Halmen im Getreide; sie wurden von Gott, Hagel, Feuersbrunst, Pestilenz und Krieg wahrscheinlich heftiger hin und her bewegt als jetzt, aber im ganzen stadtweise, landstrichweise, als Feld, und was für den einzelnen Halm außerdem noch an persönlicher Bewegung übrig blieb, das ließ sich verantworten und war eine klar abgegrenzte Sache.“ Nun, so legt Musil nahe, ist alles Theater, Ausdruck eines allgemeinen Ausdrucks, der sich nicht mehr mit der individuellen Existenz verbindet. Die Eigenschaften wurden körperlos. „Wer kann heute noch sagen, daß sein Zorn wirklich sein Zorn sei, wo ihm so viele Leute dreinreden und es besser verstehen als er?! Es ist eine Welt von Eigenschaften ohne Mann entstand, von Erlebnissen ohne den, der sie erlebt…“ Das schwebt etwas in der Luft, entspringt eher einem Gefühl als einem Phänomen, das sich einem aufdrängt. Musil sucht so sehr nach dem richtigen Wort, das er das Bedeutsame, das er sagen will, in der Suche nach ihm verliert. Ein bisschen wie sein Held. Vielleicht ist das, was er die „Eigenschaften ohne Mann“ nennt „einfach“ das, was wir als die Differenz von Fremd- und Selbstwahrnehmung kennen. Ist das etwas Modernes, das ein neues Wort sucht? Vielleicht. Aber man muss, lieber Herr Musil, auch nicht immer alles ganz toll sagen. Und mit einemmal mußte sich auch Ulrich [der Musilsche Held] angesichts dieser Bedenken lächelnd eingestehen, daß er mit alledem ja doch ein Charakter sei, auch ohne einen zu haben. 

 

 

P.S.

Ich will mal zur Provokation und in der Absicht etwas lernen zu können, die Musil-Liebhaber herausfordern und sagen: Kapitel 39 = Streichmasse?  Na ja, sagen wir mal so: Musil hätte das auch anders schreiben können. Oder hab’ ich was übersehen und falsch verstanden? 

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