Religiöse Erfahrungen gründen, so die Religionssoziologie, in symbolischen Repräsentationen, insbesondere „enaktive Repräsentationen“, nämlich solche die es im und nur im Vollzug gibt. Musik spielt dabei eine bedeutsame Rolle. Sie wird von den Hörern im rhythmischen Nachvollzug erlebt, z.B. im (enaktiven) Tanz oder von den Spielern beim Musizieren hervorgebracht. Der Musiker erlebt insbesondere im virtuosen Spiel ein Erfasstwerden durch den melodischen Rhythmus: er kann virtuose nur spielen, wenn er das eigene Spiel frei lässt und keiner bewussten Kontrolle mehr unterstellt. Der nächste Ton hat sich bereits in die Hand gelegt bevor er hat darüber nachdenken können, was nun wie zu spielen ist. Gekonntes Spiel ist das Spiel sich selbst spielt. Die Übung die den Meister macht, gibt dem Spiel seinen scheinbaren Automatismus. Wir können ein Stück, wenn es sich wie von selbst spielt. Im Einüben nehmen wir die Widerstände weg, die in uns verhindern, dass uns die Musik ergreift. Die Hände werden gleichsam durch die Musik bewegt, sie werden zum Instrument des musikalischen Geistes. Um zur Perfektion zu kommen muss die Autonomie des „Ich spiele“ der Heteronomie des Mit-sich-Spielen-lassens weichen.
Das Erleben dieses „besonderen Zustands“ des Einswerden mit der Musik wird im gemeinsamen Musizieren mit anderen noch gesteigert. Aus vielen (Instrumenten-) Stimmen wird ein harmonischer Klang und die Spieler zu einem Instrument. Besonders intensiv zu erleben ist das beim vierhändigen Spiel am Klavier: zwei Spieler werden an einem Instrument zu und in einem Klang vereint. Nur wenige können das so treffend beschreiben wie Musil: So beschreibt er den „Augenblick, wo die Spieler“, eine Frau (Clarisse) und ein Mann (Walter), „ihr Blut anhalten, um es in gleichem Rhythmus loslassen zu können“: sie steigern sich im virtuosen Spiel und „während dieser rasenden Fahrt wurde das Gefühl dieser beiden Menschen zu einem einzigen zusammengepreßt; Gehör, Blut, Muskeln wurden willenlos von dem gleichen Erlebnis hingerissen; schimmernde, sich neigende, sich biegende Tonwände zwangen ihre Körper in das gleiche Geleis, bogen sie gemeinsam, weiteten und verengten die Brust im gleichen Atemzug. Auf den Bruchteil einer Sekunde genau, flogen Heiterkeit, Trauer, Zorn und Angst, Lieben und Hassen, Begehren und Überdruß durch Walter und Clarisse hindurch. Es war ein Einswerden,… der Befehl der Musik vereinigte sie in höchster Leidenschaft und ließ ihnen zugleich etwas Abwesendes wie im Zwangsschlaf der Hypnose.“ Es ist diese Wach-Hypnose, die das Leben und die Welt, in der es sich abspielt, in einen „anderen Zustand“ bringen, eine mystische Verwandlung der Realität. Und die Spieler sagen. „Man dürfte nie zu spielen aufhören“…