Endlich ein Sommersonntagnachmittag. Sonnig und warm und nicht zu heiß. Gute Laune Klima also. Das liegt nicht nur am Wetter. Das liegt auch an den Leuten. Wir sind in der mittelfränkischen Provinz. Es wird ein Schlosskonzert gegeben. Konzert im Schlosshof – das klingt nach Klassik, nach Gitarren-, Flöten und Harfen Musik. Am Sonntag in Rügland war es Volksmusik.
Die Kapelle Bomhard spielte fränkisch auf. Die „Kapelle“, das sind drei Brüder, die hier zuhaus sind. Georg, Heiner und Johannes Bomhard kommen aus dem nahegelegenen Andorf, alle drei singen und spielen Kontrabass, Akkordeon und Gitarre.
Das alles im Rügländer Wasserschloß, einem der „wenigen Wasserschlössern in Mittelfranken“ – jedenfalls wenn man Wikipedia folgt. Tatsächlich sind es sogar zwei, nämlich das Alte Schloss, das als Nordflügel ins Neue Schloss, dem Süd- und Mittelflügel integriert wurde. Dazwischen bildet sich der Schlosshof mit Blick auf die Wasseranlage und den Park. Jung und alt wurden architektonisch und durch Musik zusammengebracht. Dafür braucht es Initiative. Es muss organisiert werden. Das macht Roger, also Rodscher, der eigentlich Claus heißt und in Rügland lebt. Er und seine Familie machen so was möglich. Die „Gäste“ werden mit Schmalz-, Leberwurst- und Veggie-Broten empfangen, mit Bier und Getränken versorgt. „Gäste“ ist nicht ganz das richtige Wort. Alles ist „privat“ organisiert und genauso läuft’s ab. Es ist ein „Fest“-Konzert derer, die unaufgeregt einfach mal so zusammenkommen. Zahlen muss niemand. Es gibt einen Korb, in den man seinen Obolus legen kann. Auch für die Musik, denn auch die ist „frei“.
Man kennt sich untereinander und auch die Musik. Schön, dass man sich hier – endlich – mal wiedersieht. Das ist die herrschende Stimmung. Und die, die man nicht kennt – so wie mich – die werden sofort „wahrgenommen“. Man versucht sie zuzuordnen: über wen sind denn die da? Ach so. „Ja, Grüß Gott. Sedz di na her.“ Niemand trägt hier Maske, niemand hat etwas zu verbergen.
Als ich mit der Kleinen in den Schloßgarten gehe, von dem aus man noch gut hört, aber nichts mehr sieht, sagt mir einer: „Geh ruhig ’nauf, ich hab die scho a paar mal g’hört, ich pass auf die Kla scho auf.“ Aber die Kleine will mit. Also rein in den Schloßhof. Ich such mir ’nen Platz mit „Übersicht“, während die Kleine direkt vor den Stufen tanzt, die für die drei Brüder die Bühne sind.
Ja, tanzen kann man auf diese Musik auch. Sie ist mal schnell und ausgelassen, a Kaerwa-Musik, die zur Bewegung reizt. Aber „Kaerwa“-Musik ist dann doch missverständlich. Sie ist eben auch melancholisch und besinnlich und jedenfalls nichts für den „Musikantenstadl“.
Dialektischer Dialekt
Es wird fränkisch musiziert und gesungen. Mit dem Dialekt ist’s eine dialektische Sache. Seinen eigenen nimmt man nicht wahr, so lang man sich im Eigenen bewegt. Man braucht die Distanz, um ihn zu hören. Schon kleine Entfernungen genügen. Der Nachbarort spricht anders und doch vertraut. Der Unterschied macht heimisch.
Besonders vertraut wirkt er dort, wo wir ihn nicht erwarten. Wenn wir dann „unsere“ Stimme, den „Sound“ unseres Alltagslebens, dort hören, wo wir es gar nicht erwarten. Im Schloss und auf der Bühne wurde „hochdeutsch“ und von oben herab gesprochen. Jetzt hört es sich so an, als wär’ das Oben unten und die von Unten könnten oben plötzlich von sich reden. Und auch wenn im Tatort gefränkelt wird, hören wir amüsiert zu. Der Dialekt verspricht unverkünstelten Ton, „authentisch“ und echt. Sprache wird zum Lebensgefühl. Dinge, die wir sonst so nie sagen würden, kommen einem dann – „sozusagen“ – vertraut und wirklich vor. Wenn es den Machern gelingt, den Dialekt als Ausdruck des wirklichen Sprechens geltend zu machen, dann fühlt sich auch die fränkische Seele ein klein wenig ernster genommen.
Das gelingt nicht immer. Das Dialekteln von Politikern und anderen Seelen(ver)käufern, wirkt manchmal hilflos und gekünstelt, manchmal anbiedernd und verschlagen. Dem Volk aufs Maul schauen, nicht um ihm eins drauf zu hauen, sondern sein Leben zum Gehör zu bringen. Der Kapelle gelingt es. Das, was sie singen ist Ausdruck des fränkischen Lebensgefühls und sei’s manchmal auch eines, das gerade dabei ist unterzugehen.
Natürlich gibt‘s bei der Kapelle auch das typisch Fränkische, wo die „Hasen Hosen un di Hosen Husen hass‘n“, es geht (z.B. in „Heimat du Rindviech“) um Bradwurschd und Lebkogn, um Kearwa und dridde Ligga. „Mittelfränkisch“ als ausdrückliche Unterscheidung, witzig und vor allem selbstironisch. Wir lassen das von der Kapelle gerne herausstellen und schmuzeln dazu.
Manche Lieder haben das Zeug, sich zu wahren Ohrwürmern zu entwickeln. Vielleicht nicht beim ersten Hören, aber doch nach und nach, „Mei Aggu“ z.B. oder das wunderbar „andächtige“ „Broudder Higg“. Und es ist ja nicht das schlechteste Zeichen guter Musik, dass sie sich erst langsam erschließt. Und damit wir die Kapelle nicht nur im Konzert genießen können, haben die Bomhards auch zwei CD produziert: Herbstgalopp (2018) und Heimat, du Rindviech (2020). Wer denkt, die Kapelle ginge nur live, der sieht sich durch die CD getäuscht. Kapelle Bomhard fränkelt auch aus der Konserve einnehmend und anheimelnd.
Am Stärksten sind sie, wo ihre Musik und ihre „dialektischen“ Texte zum Ausdruck „einer Lebensart“ verschmelzen. Die Form prägt dann doch den Inhalt und der Ton macht die Musik. Lieder wie das von der alten Anna, die nie bei ihrem Namen genannt wurde, immer „funktioniert“ hat, „a Leem lang gärberd“ und „a Leem lang gsport“, „aber heid sporn mer nimmer“, „heid mach mer uns a weng a Freid, häd i sogd“ kann man anders wohl gar nicht schreiben. In „Drundn am Booch“ wird das Fließen „des Bächlas“ zum Fluss des eigenen Lebens:
„Des Bächla is kla, ned dief und ned breid
oaber wor doa scho vur meiner Zeid,
Und wenn i mol sterb un gor nix mär bin
Härsd ders nu blädschärn, ich hob dich im Sinn
Und wenn i mol sterb un gor nix mär bin
Äs ane is gwies, dass des Bächla no fliessd“
Und vergangene fränkische Jugend kann auch von denen nachempfunden werden, die wie ich nie „drassn worn am Agger beim Äbiern glaam“
„Und an Dreeg in der Goschn,
Kolde Händ und kolde Fäis,
A gelbs Limo, Gummibärli und Schoglood.
Ja, an Dreeg in der Goschn,
Des wassi nu wäi heid,
Und aa wenns wäih dout, es wor a andre Zeit.“
Es sind wunderbar fränkische Lieder, die etwas zum Ausdruck bringen, das sich wohl ohne das Fränkische nicht sagen lässt. „Dahaam sterm die Leid“ ist eine große Liebeserklärung und zugleich ein Programm für dieses Schlosskonzert – endlich, endlich mal wieder ein Corona-Wahnsinns-freier Sommersonntagnachmittag. Die wunderbare Zeile aus „Drundn am Booch“ gilt auch hier: „hock di ne her zu mir, demer weng horchn“
„Dahaam sterm die Leid“, aber sterm wollns a am Liebsden dahaam! Und auch fürs Fränkische gilt: „wänn i doa bin, will i ford und wänn i ford bin will i wieda hoam“ („Heimat, du Rindviech“). Ja „Su is as Leem“ – in Mittelfranken und im Rest der Welt.
Apropos Corona, auch dazu kann man fränkisch was „soagn“:
„Un etza laafn’s alle rum, mit em Fedzn vor der Goaschn
Ja suvill scheene Leid hab i schoa lang nimma droaffn“.[1]
[1] Heiner Bombard ist übrigens ein PzZ Bekannter. Er hatte uns Mitte 2020 erklärt was, „systemrelevant“ ist
Un Corona is kuma…