Spieglein, Spieglein an der Wand

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Der Spiegel, also das „Nachrichtenmagazin“, ist nicht die Informationsquelle meiner Wahl. Ich hatte ihn jahrelang abonniert, in den 70iger und 80iger, jetzt bin ich angewidert von der rücksichtslosen Beliebigkeit und dem sensationslüsternen Prangertum. Wie sagte Wolf Biermann, die BILD am Montag. 

2010 ziehen sie „die Lehren aus der Schweingrippen-Hysterie„. Aus der Hysterie, die sie selbst mit erzeugt haben. Wie dieses Mal auch. Aber gucken wir mal auf ihre „Lehren“!?

1. Was machen wir, wenn wir von einer Pandemie reden, bei der die Mehrheit gar nicht erkrankt? Dann ist unser Verständnis von Pandemie falsch. Sagt Der Spiegel und hat recht:

Die Frage ist: Was macht die WHO, wenn sich demnächst eine neues Schnupfenvirus über den Erdball verbreitet? Wird dann auch die Pandemie ausgerufen? Der Katastrophen-Automatismus muss unterbrochen werden.

Damit das nicht geschieht, haben „wir“ die Bundesnotbremse eingeführt. 

2. Die Politik, meint Der Spiegel (!), muss sich trauen, auf die Bremse zu treten und das heißt jetzt – im Rückblick (!) – sich gegen die Katastrophenwarnung zu stellen. Alles hätte sich aufs Impfen konzentriert, das freilich nichts genützt hat. Doch: der Pharmaindustrie. Achtung, Achtung, das ist jetzt ein Zitat aus Der Spiegel – bitte die Augen reiben und nachlesen: 

Die Impfstoffe waren gekauft und sollten jetzt gespritzt werden. Ulla Schmidt oder PEI-Chef Löwer hätten damals der Bevölkerung sagen können: „Bleibt ruhig. Wenn ihr wollt, lasst euch impfen. Wenn nicht, ist es auch nicht schlimm. Selbst wenn ihr euch infiziert, wird die Krankheit nach allem, was wir wissen, mild verlaufen.“ Schmidt und Löwer aber haben eine Gelegenheit verpasst, zu einem vernünftigen Umgang mit der Schweinegrippe zu kommen.

Sie sind fassungslos? Warum? Damals war ja alles ganz, ganz anders. Gut, Drosten hat auch damals schon … Prof. Dr. Drosten natürlich … aber lassen wir das. 

3. Ach ja, jetzt fragt Der Spiegel auch noch das Naheliegende und wirklich verschwörungstheoretisch Verdächtige: Qui bono?

Zu den Profiteuren der Schweinegrippe gehören die Pharmakonzerne Roche und GlaxoSmithKline. Sie haben mit Tamiflu und Relenza sogenannte antivirale Medikamente im Angebot, die nach derzeitigem Wissensstand kaum einen Nutzen haben. Bei Tamiflu ist nicht belegt, dass es schwere Komplikationen oder Todesfälle verhindert, allenfalls klingen die Krankheitssymptome einen Tag früher ab.

Ach so, das konnte man damals natürlich nicht wissen. Die Versprechungen der Pharmaindustrie sind heute natürlich ganz anders zu bewerten. Es sind ja völlig neu entwickelte Impfstoffe und die Pharmaindustrie ist ja heute auch viel grüner. Heute wirkt das Zeug. Heute hat man das ganz anders untersucht, viel gründlicher. Und die Politiker? Die würden das nie mehr so machen wie damals – laut Der Spiegel

Spricht man mit verantwortlichen Politikern, geben sie zwar zu, dass das Zeug nicht allzu viel hilft – aber irgendwas müssten sie der Bevölkerung ja geben. Es sind Beruhigungspillen im Wortsinn. Es ist zwar schön für den Schweizer Pharmamulti Roche, dass der Gewinn im Jahr der Schweinegrippe auf mehr als zehn Milliarden Euro gestiegen ist. Doch Steuermittel könnte man im Gesundheitswesen auch effizienter einsetzen.

4. Oh, Gott, gibt es jetzt noch eine vierte Lehre? Wirklich? Muss das wirklich sein? Doch, doch, sagt Der Spiegel von 2010 (!) – Achtung, festhalten!:

Die Medien hatten schon dadurch ihren Anteil an der Alarmstimmung, dass über die Schweinegrippe fast täglich und fast immer prominent berichtet wurde – auch im SPIEGEL und auf SPIEGEL ONLINE. So wurde bei vielen Lesern der Eindruck einer Gefahr erweckt.
In giftigem Gelb warnte im Oktober eine Schlagzeile der „Bild“-Zeitung dann sogar: „Schweinegrippe-Professor befürchtet in Deutschland 35.000 Tote!“ Der Professor heißt Adolf Windorfer, und auf Nachfrage gibt er zu, unter anderem von GSK und Novartis Geld zu erhalten. Neben der „Bild“-Schlagzeile prangte eine Anzeige des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller.

Ehrlich? Man hat wirklich „lieber eine Extremmeinung“ zitiert „als abwägende Fachleute, die schon damals ganz andere Zahlen nannten“? Das kann doch gar nicht sein. Heute ist das anders. Heute hat man’s ja mit Rechtsextremisten und Corona-Leugnern zu tun! Der „Fall“ damals war „ein Beispiel für die Vielstimmigkeit des Expertenchors“ und machte „auf ein grundsätzliches Problem aufmerksam: Wie gehen wir mit Unwissen um?“ Heute wissen wir wie das geht: wir nennen es einfach „alternativlos“, Drosten eben – oh, sorry, Prof. Dr. Drosten natürlich. Damals war das dann so: Es galt „selbst für so seriöse Einrichtungen wie das Berliner Robert-Koch-Institut (RKI) der Bundesregierung. In seiner Einschätzung der Lage am 19. Juni 2009 hat das RKI prognostiziert, dass in Deutschland mit 8000 bis 70.000 Toten zu rechnen sei. Dabei wurden einfach die ersten verfügbaren Zahlen aus den USA auf die Bundesrepublik übertragen. Das Problem solcher Warnungen: Man wird ihnen künftig nicht mehr recht glauben, wenn die vorherigen zuvor vor allem aus heißer Luft bestanden haben.“

Also bitte, das ist heute wirklich anders. Spieglein, Spieglein an der Wand, wir haben Euch erkannt.

 

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