Nazis? Ja, schlimm. Bei uns – in der Ukraine gibt es sie praktisch nicht.

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Wir sind alarmiert. Nazis! Überall Nazis! Wir müssen die Demokratie verteidigen. Die breite „Mitte der Gesellschaft“ wehrt sich gegen Rechts. Eine gute Mehrheit also gegen eine böse Minderheit. Die Regierung gegen schlimme Umtriebe im Volk. Aber gegen Auswüchse dabei schützt schließlich das Grundgesetz, zu dem sich ja doch alle bekennen, oder? Denn das gewährt Abwehrrechte gegen den Staat und die Mehrheit, die vor allem dann wichtig sind, wenn man etwas vertritt, was der verlautbarten Mehrheit widerspricht.  

Jetzt geht’s also um die Demokratie? Gut so. Nicht um Inflation, wirtschaftliche Depression und Insolvenzen, nicht darum, dass die Reichen immer reicher und immer mehr immer ärmer werden. Es geht nicht darum, warum unsere Schulen immer miserabler und das Gesundheitssystem immer teurer, aber seine Leistungen immer schlechter werden. Es geht nicht um die Landwirte, die auf die Straße gehen, nicht um die Züge, die nicht mehr pünktlich fahren, nicht die Übersterblichkeit, die im Lande herrscht, und auch nicht um die vielen deutsche Firmen, die das Land verlassen, so viele wie niemals zuvor. Das müsste alles von der Regierung verantwortet werden. Und die ruft nun zu Demonstrationen auf. Ist das nicht toll. Da gehen wir hin, da sind wir dabei. Vielleicht gibt’s da auch Kamellen und Freibier oder wie dereinst eine Bratwurst für die Braven. 

Vieles hängt ja auch mit dem Krieg zusammen. Der Putin ist schuld, dass wir die Nato achtmal nach Osten erweitert und die Ukraine zur stärksten Land-Armee Europas aufgerüstet haben, Nato-Übungen in der Ukraine stattfinden ließen, im Dezember 2021, Januar 2022 Verhandlungen ausgeschlagen und die Friedensverhandlungen von März/April 2022 torpediert haben. Dass wir jetzt von ihm kein Gas und kein Öl mehr wollen, ist eine Folge der russischen Erpressung. Deshalb schreien diejenigen jetzt nach Aufrüstung und Kriegsbefähigung, die selbst den Wehrdienst verweigert haben. Wie wär’s denn mit einem Bataillon aus Töchtern und Söhnen derer, die auf die Schnelle Leopard, F-16 und Taurus-Raketen Lieferung liefern und jetzt den Krieg nach Russland tragen wollen? Die „Verweildauer“ von neuen Soldaten* ist an der ukrainisch-russischen Front zwischen fünf bis zehn Tagen. Das wär’ also eh ein kurzer Einsatz für Freiheit und Demokratie. Aber auch darüber, was uns und der Ukraine der unsinnige Krieg kostet und warum Friedensverhandlungen nicht in Frage kommen, reden wir lieber nicht. Egal. Wir müssen erstmal gegen Rechts marschieren. Und der Anschlag auf Nord Stream 2 ist auch nicht so wichtig, denn das waren ja keine Rechten, oder? 

Apropos Ukraine! Gibt’s da auch nicht Rechte, Neo-Nazis, Antisemiten? Ach was! Bestimmt nicht. Das, was da mal war, vielleicht mal war (!), das ist längst „integriert“. Wer Zeit und Ausdauer hat, der sehe sich die faschistischen „Spurenelemente“ in der Ukraine mal an. Also das ist quasi nichts gegen die AfD und die Querdenker-Schwurbler?!? Und vor allem, die bekennen sich dazu, während man unsere Nazis ja erst davon überzeugen muss, dass sie welche sind. Die sind so blöd, die wissen nicht mal das. 

Also gerne mal reinschauen. Den Deutschen wird da jedenfalls viel Sympathie entgegengebracht: 

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: anders als manche Anti-Fa-Aktivisten bin ich nicht der Meinung, dass man ein Land gewaltsam entnazifizieren sollte und sich daraus das Recht einer Invasion ableiten ließe. Und: der Umstand, dass ein Land einflussreiche faschistische, nationalistische oder fremdenfeindliche Bewegungen hat, verbietet keineswegs die Unterstützung, die es z.B. bei einer Umweltkatastrophe oder eben einem feindlichen Übergriff verdient. 

Mir geht es weniger um die Ukraine, die ist, wie sie ist. Mir geht es um den selektiven, um nicht zu sagen verlogenen Umgang mit dem, was man als rechtsextreme Gefahr im eigenen Land beschwört. Stellt man einen Vergleich, der Verbreitung und gesellschaftlicher Wirksamkeit von neofaschistischen, „rechtsextremistischen“ (was immer das sein soll?), nationalistischen und rassistischen Vorstellungen zwischen der Ukraine und der Bundesrepublik Deutschland an, dann muss einem schwindlig werden, mit wem sich der Westen da kritiklos solidarisiert und vor allem aber, was hier mit besonderer Aufmerksamkeit und mit zum Teil fragwürdigen Methoden entlarvt wird, während es dort tatsächlich verharmlost oder „pragmatisch“ übersehen wird. 

„Rückführungsoffensiven“ sind OK, Überlegungen zur Remigration aber nicht? Ich halte beides für Firlefanz. Unsere wirklichen Probleme liegen nicht beim Asylrecht und auch nicht bei der mehr oder weniger gesetzlich geregelten Migration. Schon eher wie darüber medial berichtet wird. Z.B. wird eine private Pipifax-Veranstaltung von „Rechten“ zur Staatsaffäre aufgeblasen. Dabei werden aberwitzige Verzerrungen ins Spiel gebracht – Wannseekonferenz 2.0 –  und niemand stört sich daran. Der „korrektive“ Investigativjournalismus verteidigt sich schließlich gegen den Nachweis von groben Falschdarstellungen damit, es habe sich um eine bloße „Meinungsäußerung“ gehandelt und sei von den Main-Stream-Kollegen einfach nur falsch verstanden worden. 

Natürlich kann man gegen Rechts auf die Straße gehen. Vor allem aber sollte man gegen eine falsche Politik auf die Straße gehen, die vielen den Weg nach rechts so naheliegend erscheinen lässt. Die Rechten werden unsere Probleme nicht lösen, ganz bestimmt nicht. Unsere Probleme aber wurden nicht von denen gemacht gegen die jetzt demonstriert wird. Gegen Nazis zu sein, versteht sich von selbst, aber offenbar nicht, wer als solcher zu gelten hat. Und wenn die Nazi-Keule nun geschwungen wird wie vormals andere „saubere“ Abgrenzungen, dann wird mir in der Tat angst und bange. Und das gilt sogar fürs Schwingen der Nazi-Keule gegen „Nazis“ in der Ukraine. Auch Punks trugen Hakenkreuze auf ihren Lederjacken. Das hatte alles „No Future“. 

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