Inside Kakanien I 51: Abenteuerliche Parallelaktionen

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Kinder treffen ihre eigene Wahl. Zunächst – so scheint es – gegen das, was ihre Eltern vorgeben. Aber dann, mit der Zeit und mit unheimlichen Kräften, gleichen sie sich an – vermutlich waren sie nie weit weg.

Eine Tochter des beamtlichen „Hochadels“ z.B., genauer des Präsidenten des Obersten Rechnungshof, mit einem Großvater als Kameralrat, was immer das ist, ist auf der bürgerlichen Sproßenleiter des gesellschaftlichen Ansehens ziemlich weit oben. Die drei Brüder folgen Vater und Großvater und nehmen „hohe Stellungen in verschiedenen Ministerien ein“. Die Tochter dagegen sinnt auf Abenteuer. Und abenteuerlich ist es Inside Kakanien schon, mit Leuten zu verkehren, die nicht katholisch sind. Und so fand sie, es sei „etwas besonders Gebildetes […], sich über das naive antisemitische Vorurteil hinwegzusetzen“ und einen Juden zu heiraten, der mit Geld- und nicht mit Verwaltungsgeschäften zu tun hatte. Mit ihm schien die Welt zumindest im Sinne des Weltfinanzmarkts in ihr Leben einzutreten. Aber das anfängliche Abenteuer nutzt sich in so vielen Ehen ab. Auch die besten gehen schief, wenn die Eheleute nicht auf das achten, was jenseits des Abenteuers zu leisten ist. Man hatte sich zu viel (vom Andern) versprochen. Man konnte selbst nicht geben, was man andererseits zu bekommen erwartete. Hatte man sich anfangs „mit dem ganzen Ingrimm eines ‚groß denkenden Herzens‘“ gegen die Kleingeistigkeit des Nationalismus gewehrt, mit dem „auch eine Welle der Judenangriffe hochstieg“, so zermürbte die Untauglichkeit den eigenen Alltag zu meistern auch die weltbürgerliche Attitüde. Die zerstörerische Wirkung des Antisemitismus – Anfeindung, Ausgrenzung und Karriereblockaden – werden zu charakterlichen Schwächen des Opfers. Die in Ghettos Abgeschobenen zeigen sich dann eben als Schmuddelkinder, die nicht es nicht verstehen, elegant zu leben.

In solchen Ehen – vielleicht nicht nur in solchen, sondern in allen schlecht geführten – werden die Kinder zum Austragsort ehelicher Konflikte. Die Tochter, der Sohn, soll einmal nicht so erfolglos sein wie der Vater, meint die Mutter, während der Vater den Nachwuchs gegen fremde Erwartungshaltungen immunisieren und zu einer selbstbewussten Unabhängigkeit führen will. Schließlich glaubt die Tochter sich wie einst schon die Mutter frei und unabhängig von elterlichen Fesseln, um sich gerade wieder in sie zu verheddern: Waren einst Juden „abenteuerlich“ so sind es jetzt Antisemiten, denen man sich freilich nur „symbolisch“ zuwendet – gleichsam als Parallelaktion der modernen Zeit. Eine Parallelaktion fordert die nächste, einer Generation folgt die nächste, wenn es nicht gelingt, (wieder) Substanz rein zu bringen ins eigene Leben.

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