„Alles begann mit einer Lüge…“ – Teil II

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Die dumm dreiste Brutkastenlüge,[1] Massenvernichtungswaffen im Irak, die es niemals gab und das Konzentrationslager im Fußballstadion, das völlig leer war… das waren alles kriegstreibende Lügen. Die Liste könnten wir noch beliebig verlängern: Vietnam und Afghanistan, Libyen und Kuba, Panama und Chile … und natürlich der Zweite Weltkrieg: „Seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen“.

Diese Lügen würden verpuffen, wenn sie nicht durch willige Helfer verbreitet würden, die sich Journalisten nennen und für Presse, Funk & Fernsehen arbeiten. Wenn wir der Zeitung glauben, dass es gestern einen schweren Unfall beim Nürnberger Plärrer mit acht Verletzten gab, der Club wieder mal verloren hat und es beim Kaufmarkt das Waschpulver im Sonderangebot gibt, warum sollten wir ihnen dann beim französischen Fliegerangriff auf Nürnberg nicht glauben. Genau das meldete nämlich die Münchner Neueste Nachrichten, der Vorgänger der Süddeutschen am 3. August 1914:

Als die Leser der Münchner Neuesten Nachrichten am 3. August 1914 die Zeitung zur Hand zur Hand nehmen, erfahren sie Ungeheuerliches. „Feindliche Flieger im Lande“, meldet das Morgenblatt. In Franken seien am Vortag auf die Bahnstrecken Nürnberg – Kissingen sowie Nürnberg – Ansbach Flieger aufgetaucht, die Bomben warfen. ‚Irgendwelcher Schaden‘ sei nicht angerichtet worden, berichtet die königlich bayerische Eisenbahndirektion.

Das war zwar frei erfunden und einige Dinge, über die berichtet wurden, waren schlicht unmöglich. Es wäre – so die Süddeutsche hundert Jahre später – „leicht als Ente zu enttarnen gewesen“. Aber… was ficht das den Haltungsjournalismus an, der von sich weiß, dass er das Gute will und das Böse bekämpfen muss.

Die Mär über die französischen Flieger über Franken sollte sich in Berlin mächtig auswirken.“ Dass unabhängig von dem, was Frankreich tun würde, der Krieg bereits vorbereitet war, davon steht – wie die Süddeutsche selbst schreibt – „nichts in den Münchner Neuesten Nachrichten. Dafür druckt die Zeitung allerlei mehr oder minder feierliche Aufrufe ab.“ 

Die Stimmung in München sei „ernst und würdig“:

Der Ton der Zeitung ist wie in den Vortagen patriotisch. Die Leitartikel ähneln streckenweise Propaganda. Man fordert die Leser auf, ‚furchtlos, ruhig und fest‘ zu bleiben, denn dann ‚werden wir siegen!‘“ 

Ja, so war das damals. Das kann man sich heute kaum mehr vorstellen.

Und dann wird da 1914 auf der Titelseite noch ein Kriegsaufruf von Ludwig Thoma, dem beliebten Heimatschriftstellers gedruckt: „Er scheint genauso wie viele seine Zeitgenossen regelrecht besoffen von der Kriegsgeilheit zu sein, das bayerische Original preist den preußischen Kaiser. Schwülstig dichtet Thoma: ‚Auf zu den Waffen – auf‘ und ‚Komm, was es sei‘.

Das würde wohl heute „whatever it takes“ heißen und es nie niemals auf die Titelseite der Süddeutschen schaffen. Und dass es „keine roten Linien mehr geben“ dürfe, wie jetzt der sozialdemokratische Kanzler verkündet, dürfte bei der Süddeutschen vermutlich heute nicht unwidersprochen bleiben. Aber gut, ich les’ sie nicht mehr und deshalb weiß ich das nicht so genau…

Wenn die Süddeutsche freilich die verbreiteten Fehlinformationen der Vorgängerin als „Märchen“ oder „Mär“ bezeichnet, dann klingt das gleich anders als wenn man von offiziellen Lügen spräche, die ihre Vorgängerin ohne jede journalistische Sorgfalt verbreiteten. Aber das mag nur eine persönliche Empfindlichkeit meinerseits spiegeln, weil ich Märchen eigentlich ganz gut finde, Lügen aber nicht gutheißen will. Obwohl, wenn sie der guten Sache dienen, dann, ja dann sind sie vielleicht journalistische Pflicht?

 

Die Süddeutsche klärt (hundert Jahre später) über eigene Vergangenheit auf:

Gut, dass das alles vergangen ist und lange hinter uns liegt. Beim Kalten- und beim Vietnam-Krieg, beim Krieg gegen den Terrorismus und die Achse des Bösen hatte man das kurzzeitig vergessen. Und heute, heute ist man geläutert. Heute wird auf wissenschaftlicher Basis die Regierungswahrheit propagiert. Gut, dass es solchen Journalismus gibt, der aus der eigenen Geschichte lernt und endlich Haltung zeigt. Denn traditionell waren die herrschenden Medien immer die Medien der Herrschenden. Dass das heute anders ist, verdanken wir der gütigen und selbstlosen Unterstützung von Politik und Hochfinanz, ohne die es die Qualitätsmedien so nicht mehr gäbe. Bayern München finanziert sich ja nicht über die Zuschauer im Stadion und die Süddeutsche nicht durch seine Abonnenten. 

[1] Die kuwaitische Krankenschwester, die die Tötung von Säuglingen durch irakische Soldaten „bezeugte“, erwies sich – nach dem Krieg (!) – als Tochter des kuwaitischen Botschafters in den USA, die niemals in einem Krankenhaus gearbeitet hatte. Die Lüge hatte für 12 Mio. US-Dollar eine PR-Agentur designed, die heute noch viel viel Geld verdient, mit den hunderttausenden Toten natürlich so wenig zu tun hat wie die Leitmedien, die die Sensation selbstredend gleich verbreiteten. Hätte man sich bei den Qualitätsmedien gefragt, ob es überhaupt so viele Brutkästen in einem kuwaitischen Krankenhaus hätte geben können, dann… aber Faktenchecker hat’s ja damals noch nicht gegeben. Der Journalismus war der Lüge hilflos ausgeliefert und die Story schon irgendwie gut. Die PR-Agentur, die damals die Lüge konzipiert und in Umlauf gebracht hat, die empfängt uns heute übrigens auf ihrer Internetseite vielversprechend: COVID-19: Sharing Communications Insights. Da sollten die süddeutschen, west-, mittel- und norddeutschen Qualitätsmedien mal nach neuen Stories gucken!

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