Der Weg, so sagt man, sei manchmal das Ziel. Wer lebte schon, um an sein Ende zu kommen? Der Weg braucht freilich ein Ziel.
Das Ziel der Philosophie ist die „Weisheit“. Die Weisheit ist freilich ein eigentümlicher Gegenstand, nämlich einer, den es es nicht gibt, wenn er nicht „geliebt“ wird. Man kann Weisheit nur in der Liebe zu ihr „haben“. Weisheit ist nichts, zu dem man sich „beamen“ kann. Sie begegnet nur auf einer Pilgerreise.
Das ist eine der bleibenden Einsichten des deutschen Idealismus, Hölderlins und Hegels, und vor allem seiner Phänomenologie.
Weisheit ist etwas, das sich im eigenen Leben zeigt und auftut. Sie braucht Zeit und Auseinandersetzung. Sie will „denkerisch“ gewonnen werden. Sie zeigt sich auf langen Wegen des Nachdenkens, des Gesprächs, des Hin- und Her der vielfältigen An- und Absichten des Lebens. Weisheit ist reflexiv und entspringt der Besinnung.
Sie ist praktisch. Nicht als müsste sich praktisch erproben, was theoretisch gewonnen wurde. Sie ist Vollzug. Sie gleicht darin allem Lebendigen. Es pulsiert und lebt im Zusammenwirken der Organe, die ohne dieses Zusammenwirken tot auseinanderfallen. Weisheit ist nur insofern sie lebt und stoffwechselt, das Außen nach innen holt und das Innen gegen das Außen bewahrt, das es durchs eigene Wirken allererst schafft. Kein „Außen“ ohne Leben. Und was sollte ein totes „Innen“ sein? Weisheit ist kein Gegen-Stand, sie ist Er-innern und Ent-Fernen des Geliebten im eigenen Leben.
Die Liebe zur Weisheit ist nur im Lieben. Aber sie geht über sich hinaus. Philosophieren ist anders als Spazierengehen und Musizieren nichts „Selbstgefälliges“, nämlich etwas, das sich im Vollzug erschöpft. Wie alle Liebe ist sie mehr als Selbstliebe. Sie richtet sich auf das Geliebte aus. Sie will sich vom Geliebten bestimmen lassen. Philosophie ist Selbstbestimmung und -gewinnung. Es geht um etwas, das nur im Vollzug zu erlangen ist und sich auf etwas richtet, das über den Vollzug hinausreicht. Γνῶθι σεαυτόν, erkenne, was du bist, und also: gehe zu Dir über Dich hinaus.