Inside Kakanien I 54: Das unglückliche Bestreben, etwas Ganzes zu sein

Lesedauer 2 Minuten

Zwei Freunde, die sich einst blind verstanden, ringen nun mit sich und ihrem Leben. Die Welt ist in Unordnung und ihr Leben irgendwie auch. Es sind komplizierte Zeiten. „Du brauchst bloß in eine Zeitung hineinzusehen. Sie ist von einer unermeßlichen Undurchsichtigkeit erfüllt. Da ist die Rede von so viel Dingen, daß es das Denkvermögen eines Leibniz überschritte.“ Der Versuch, alles mit einem Geistesblitz zu einem Ganzen zusammenzubringen, muss scheitern. Das Ganze „gibt es nicht mehr“. „Es steht nicht mehr ein ganzer Mensch einer ganzen Welt gegenüber, sondern ein menschliches Etwas bewegt sich in einer allgemeinen Nährflüssigkeit.“ Und so zerfällt auch die Einheit, die die Freunde einst hatten. „Es kann nicht so weitergehn“, meint der eine: „Man muss sich zurückziehen.“ „Wir leben in einer Durchgangszeit“, die lange dauern und die nicht durch einen geistigen Zaubertrick verwandelt werden kann, meint der andere: man müsse der kakanischen „Staatsphilosophie des Fortwurstelns“ folgen.

Es gibt „zu jedem Gedanken einen Gegengedanken und zu jeder Neigung gleich die entgegengesetzte“ und das prägt nun auch den Austausch der Freunde. Selbst der Streit beider ist beliebig. Man könne „ebensogut übereinstimmen […] wie sich streiten“. Und doch sehnen sich beide danach, wieder „mit einem Menschen zu sprechen, mit dem [man] ganz übereinstimmen könnte. Solche Gespräche hatte es zwischen [ihnen] gegeben. Da werden die Worte von einer geheimen Kraft aus der Brust geholt, und keines verfehlt sein Ziel. Wenn man dagegen mit Abneigung spricht, steigen sie wie Nebel von einer Eisfläche auf.“ Es sind solche Sätze, die die Lektüre Musils zu einer unerschöpflichen Quelle wundervoller Einsichten macht. Der einen folgt umgehend die nächste: „In der Höflichkeit [liegt gelegentlich] die Verachtung so klar wie ein Leckerbissen in Aspik.

Schreibe einen Kommentar