Kleine Unterschiede sind zwar klein, manchmal aber doch bedeutsam. Wir haben gelernt, dass jedenfalls ein kleiner Unterschied rechtlich und gesellschaftlich keine oder doch keine „große Folgen“ haben darf. Privat natürlich schon. Es gibt ja unterschiedliche Neigungen und Befindlichkeiten. Was klein ist, das liegt eben im Auge des Betrachters oder der Betroffenen. Was sich für den einen völlig gleich anfühlt, das macht für den anderen gleichwohl einen erheblichen Unterschied. Bei Heavy Metal z.B. hört sich für viele alles ziemlich gleich an. Nur der „Liebhaber“ vermag zwischen Speed Metal und Death Metal, Thrash Metal und Pagan Metal zu unterscheiden – er würde da auch nicht von kleinen, feinen Unterschieden sprechen. Und so mögen auch die „Liebhaber“ von Gartenzwergen oder Alufelgen – von anderen Fetischen gar nicht zu sprechen – vieles bedeutsam empfinden, was ich mit fehlender Sensibilität und Achtsamkeit als „kleinen Unterschied“ beschreiben würde.
Gleiches gilt natürlich für meine Vorlieben – kulturelle, geschmackliche und … andere … Sie wissen schon, was ich meine. Ob für mich, in meiner Wahrnehmung, ein oder der „kleine Unterschied“ aus irgendwelchen traditionalistischen Verstrickungen bedeutsam ist, muss dahingestellt bleiben. Es steht mir, glaube ich, frei, mich an unterschiedlichen Unterschieden zu ergötzen – „im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung, versteht sich!“. Ich muss ja nicht sein wie alle und es gibt auch keine Verpflichtung zum Außergewöhnlichen.
Aber manchmal ist ein oder der kleine Unterschied manchem oder mancher oder sagen wir besser einer Person so entscheidend, dass er, der Unterschied, von ihr, der Person, ent-schieden oder besser transferiert, transformiert oder transzendiert werden soll. Auch das steht solchen Personen, glaub’ ich, frei.
Im philosophischen Elfenbeinturm ergeben sich daraus freilich merkwürdige Verwirrungen. Wir lassen natürlich alle „naturrechtlichen“ Bedenken mal dahingestellt und widmen uns nur der Kleinkunst, nämlich der Kunst oder Logik des (kleinen) Unterschieds. Der Bewohner des Elfenbeinturms – eine etwas aus der Mode gekommene Lebensform – meint nämlich, dass wer einen Unterschied macht, ihn nicht zugleich aufheben kann. Wer z.B. an der Geschlechterdifferenz festhalten möchte und sein eigenes Lebensgefühl damit verknüpft, richtig zugeordnet zu werden, der darf sie nicht zugleich auflösen. Wer sich also als Frau fühlt und sein Frau-Sein verständlicherweise als unhintergehbare Bedingung seines Glücks betrachtet, der kann den Unterschied zwischen dem, was es heißt Frau oder Mann oder irgendetwas anderes zu sein, nicht zugleich und in derselben Hinsicht ignorieren wollen.
Nun kann der Unterschied der Geschlechter ja unterschiedlich begründet sein. Wie gesagt, wir lassen mal die „realistischen“ und nicht selten allzu „naturalistischen“ Begründungen außen vor. Simone de Beauvoir hatte demgegenüber ins Feld geführt, dass wir nicht als Männer oder Frauen geboren werden, sondern es durch Erziehung und vor allem die Lebensbedingungen, die wir vorfinden, allererst werden. Ein Unterschied, wie klein, „realistisch“ und bedeutsam er auch immer sein mag, wird zu dem, was wir als die soziale Geschlechterdifferenz, ihrer diskriminierenden, nicht selten gewaltsame Ungleichbehandlung kennen und wogegen die Frauenbewegung seit rund 200 Jahren kämpft. Also etwas verkürzt: das Geschlecht ist keine biologische Tatsache, sondern vielmehr ein soziales Konstrukt. Biologische „Frauen“, die es eigentlich gar nicht gibt und die lediglich Personen mit bestimmten „biologischen“ Eigenschaften sind, nämlich z.B. der Gebärfähigkeit, können echte Männer, und „biologische“ Männer zu Frauen werden, denen (bis auf weiteres) allein die Gebärfähigkeit abgeht. Das ist wahrlich ein „weites Feld“, das mit einer Reihe von anthropologischen, kultursoziologischen und gesellschaftstheoretischen Fallstricken durchzogen ist. Welcher Weg hier der richtige ist, mag dahingestellt bleiben, soll und kann nicht im Elfenbeinturm nicht entschieden werden. Wer aber das Geschlecht zur sozialen Konstruktion erklärt und es deshalb dem freien Handel(n) zugänglich machen kann, der distanziert sich zugleich vom gesellschaftskritischen Impact der Geschlechtertheorie à la Beauvoir. Ein „biologischer“ Mann, der sich als Frau empfindet, der folgt damit einem Rollenmodell, das er zugleich als „bloßes“ soziales Konstrukt eines deuxième sexe erkennt und das er als solches – den Sonderfall des devoten Masochismus mal ausgeklammert – aufgelöst sehen müsste. Andernfalls sähe er darin lediglich die ungehinderte Übernahme von Rollenmustern wie dem Tragen von Kleidern und „sexy“ Unterwäsche, Auftragen von Rouge und Lippenstift, sich die Tür aufhalten oder in den Mantel helfen lassen und welch inzwischen meist abgegriffenen Geschlechterstereotypen man sich sonst denken mag. Was bliebe sonst – bei der Gleichgültigkeit biologischer Unterschiede – an Unterschieden übrig, die man(n)/frau sich zu transformieren genötigt sehen, weil sie eben zum anderen Geschlecht gehören.[1]
Es kommt meines Erachtens nicht von ungefähr, dass Feminist*innen, die sich in der Tradition der klassischen Frauenbewegung sehen, hier kritischen Einspruch erheben. Ihnen ging es um die Durchsetzung der Gleichberechtigung und der Aufhebung von sexuell ausgeprägter Gewalt. Dagegen steht nun das Ziel der Frauenbewegung zur Disposition. Frauenbewegung ist entweder die Bewegung zur Abschaffung des deuxième sexe – einem Konstrukt, das als das „Andere Geschlecht“ von Männern, respektive einer patriarchalen Gesellschaft, eingeführt wurde – oder die Durchsetzung der Gleichberechtigung der Frauen, die es nach Befreiung von gesellschaftlicher Unterdrückung und männlicher Gewalt immer noch gibt, nur eben jetzt „befreit“ ihr Leben so führen zu können, wie sie es als Frauen wollen.
Die Geschlechterdifferenz aufheben zu wollen, um sie zu behalten und sich ihr frei und ungezwungen zu unterwerfen, ist dem Elfenbeinturmbewohner nicht sofort einsichtig. Einer Geschlechterdifferenz zu folgen, die keine mehr ist, auch nicht. Wie immer man sie in der Sache begründet, das kann der Elfenbeinturmbewohner nur andächtig zur Kenntnis nehmen – bei der Logik ihrer Begründung, da könnte er vielleicht doch helfen. Und ganz nebenbei: niemand ist im Transzendieren so geübt wie wir!
[1] Besonders anstößig scheint unter diesem Verständnis die Form der Trans-Genderisierung, die als Trans-Mann beschrieben wird: eine „biologische“ Frau, die sich als Mann und das heißt ja in der Theorie der Geschlechterkonstruktion und unter Absehung „natürlicher“ Unterschiede der Rolle des patriarchalen Beherrschers und Gleichberechtigungsverweigerers verstanden wissen will.