Herbeigeschrieben

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Stephan Ruß-Mohl

Ich kannte ihn vorher nicht. Aber er scheint eine renommierte Stimme in der Medienwissenschaft. Lange Jahre Professor für Publizistik an der Freien Universität Berlin, danach Professor für Kommunikationswissenschaft war Stephan Russ-Mohl auch Leiter des Journalismus-Observatoriums, das länderübergreifend die Qualität des Journalismus beobachtet. Stephan Russ-Mohl hat ein Hand- und Lehrbuch des Journalismus geschrieben (2003) und passend zu Michael Esfelds „neuen Feinden der offenen Gesellschaft“ hat  2017 ein Buch zu Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde veröffentlicht. Man ahnt wohin dabei seine Überlegungen zielen, wenn man auf die Titel der vorausgehenden Veröffentlichung sieht: Kreative Zerstörung. Niedergang und Neuerfindung des Zeitungsjournalismus in den USA (2009) heißt eine und Der Journalist als „Homo oeconomicus“ (2005 zusammen mit Susanne Fengler) die andere. 

Wahrgenommen habe ich Stephan Ruß-Mohl durch ein Interview in WELT-Talks. Dort äußert er sich skeptisch über den Zustand des Journalismus und der Medienwelt. Insbesondere die Printmedien sind in den letzten Jahrzehnten durch nachlassendes Publikumsinteresse (z.B. dramatischer Rückgang der Abonnements) in einen Verteidigungswettkampf geraten, der zu einer „selektiven Information“ führt. Nicht erst mit Blick auf die Corona-Pandemie zeigt sich für Stephan Ruß-Mohl eine Verengung der Informationsbreite. Insbesondere fällt auf, dass vom Mainstream abweichende Positionen aggressiv diffamiert oder gar verleumdet werden. Informationen, die die herrschende (!) Meinung ergänzen oder relativieren, werden vorsichtig gesagt an den Rand ge(d)rückt. Schweden ist z.B. nicht untergegangen und zeigt seit Juni 2020 sogar einen besseren Pandemie-Verlauf; der medial schwer unter Beschuss geratene Freedom Day in UK hat alle Expertenvoraussagen Lügen gestraft und findet in der Berichterstattung nicht statt. Stattdessen wurde „der Lockdown herbeigeschrieben“. Hier steht vor allem das Öffentlich-Rechtliche in der Kritik, die in ihrem zwangsfinanzierten Auftrag gerade die Verpflichtung zur Abbildung der Vielfalt der Positionen haben. 

Natürlich gibt es hier keine Verschwörung zur Desinformation. Die Redaktionen entscheiden weitgehend selbständig, was sie wie bringen. Und dennoch ist eine Tendenz zum bestätigenden Gleichklang zu erkennen. Ruß-Mohl empfiehlt einen Blick in die Verhaltensforschung und dort auf den conformation bias. Auch hier blinzelt uns Karl Popper wieder zu. Wir neigen dazu, unsere Meinungen bestätigen zu lassen statt sie einer Falsifikation auszusetzen. Das betrifft sowohl die Mainstream Medien wie auch die sogenannten Alternativen. Auch im Lager der Kritiker zeigt sich die Tendenz der Selbstverstärkung der eigenen Positionen und einer Ausblendung abweichender Meinungen. Bei den alternativen Medien ist das freilich weniger bedenklich – sie haben weniger Reichweite und Dominanz und sie bewegen sich in einer „Umwelt“, die von den Mainstream-Medien bestimmt wird. 

 

Das Interview mit Stephan Ruß-Mohl als Podcast bei WELT-Talks. Der Interviewer hakt nach und bringt auch die andere Sicht mit ein. Das ordnet die Position von Stephan Ruß-Mohl ein und stärkt sie damit sogar: das Problem liegt im System, das gut gemeint ist und doch nicht wie gewünscht funktioniert. Eine überzeugende Lösung gibt’s allerdings nicht. Aber hören Sie selbst:

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