Wir kennen vermutlich alle den Witz über den Autofahrer, der über Verkehrsfunk vor einem Geisterfahrer gewarnt wird und sich nun wundert, dass es doch offenbar ganz viele sind, die auf der falschen Spur unterwegs sind. Wir wollen mal gar nicht die Relativität aller Bewegung bemühen. Kompliziert wird die Sache schon, wenn die Geisterfahrer sich auf geänderte Verkehrsregeln berufen: waren grade noch Grundrechte heilig, werden sie kurzzeitig ausgesetzt: Achtung, Achtung, wir bewegen uns jetzt in die falsche Richtung – aus Solidarität. „Glauben Sie keinen Gerüchten, sondern nur den offiziellen Mitteilungen, die wir immer auch in viele Sprachen übersetzen lassen.“[1] Sollten Sie es nicht glauben, dann … ja, dann werden Sie schon sehen.
Hier das sehens- und hörenswerte Gespräch zum Buch, ein Gespräch zwischen zwei deutschen Professoren, die sich um die Lage im Land sorgen. Aber Vorsicht! Kontaktschuldgefahr. Verwischen Sie Ihre Spuren, wenn Sie es wagen sollten, dem zu folgen: sie landen auf … ich wage es gar nicht zu sagen …
„Ich galt mal als links …“
Verstört hat auch Ulrike Guerot, die Bonner Politikwissenschaftlerin, hinter ihrem Lebenssteuer gesessen und sich gewundert, was um sie herum passiert und wer ihr nun alles in rasender Fahrt entgegenkommt. Ab Mitte 2020 hat sie deshalb auch öffentlich nachgefragt, ob es wirklich sinnvoll sei, die demokratisch-rechtsstaatlichen Verkehrsregeln so grundsätzlich zu ändern, wollte den zweifelhaften Nutzen der Fahrverbote und die Kosten der Beschränkungen und Gängelungen ausgewiesen bekommen.
Grundrechtseinschränkungen sind (wenn überhaupt?!) nur möglich, wenn ihre Verhältnismäßigkeit im Einzelnen nachgewiesen und begründet werden. Welche Grundrechte eingeschränkt wurden, wurde tatsächlich in den Verordnungen und Gesetzen ausdrücklich angeführt. Sie sind unstrittig. Es waren zum Teil 12 der 18 Grundrechtsartikel betroffen! Dabei wurde immer darauf hingewiesen, dass die Beschränkung bzw. Aussetzung einiger, eigentlich der meisten (!) Grundrechte nur kurzzeitig erfolgt (und erfolgen darf). Kurzzeitig? Na ja, wir konnten uns schon daran gewöhnen, denn es dauert jetzt ja schon zwei Jahre. Und wenn man unseren Menschenrechtsexperten von der Virologie und Big Pharma glauben darf, dann wird das zur neuen Normalität. Man sollte jetzt also wirklich keinen Verkehrsfunk mehr brauchen, um die solidarische Fahrt auf der Gegenspur wahrzunehmen, gleichsam „reaktionär“. „In keinem Fall“, so Art 19, Abs. 2 des GG, „darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden“. Wer eine neue Normalität jenseits der grundgesetzlichen Grundrechte ausruft, der tastet die Grundrechte und damit die damit umschriebene Würde des Menschen an.
Falsche Richtung
Dass wir in die falsche Richtung unterwegs sind, das wird mehr und mehr deutlich. Was mir seit April/Mai 2020 ziemlich verrückt vorkommt, das erweist sich nun zunehmend als weitgehend haltlos: Die Pandemie zeigte sich als wesentlich (!) weniger gefährlich als von vielen immer noch behauptet. Es gab keine – oder um es sehr vorsichtig zu formulieren: keine signifikante – Übersterblichkeit. Die Maßnahmen waren völlig überzogen, in der Pandemiebekämpfung weitgehend wirkungslos, allerdings mit fürchterlichen Kollateralschäden: Lockdowns haben nur geschadet, der Mund-Nasen- Schutz war und ist weitgehend wirkungslos und die Impfung – auch das vorsichtig zurückhaltend formuliert – hat nicht das gehalten, was man sich davon versprochen hat (dass sie möglicherweise erhebliche Nebenfolgen zeitigt scheint sich immer deutlicher abzuzeichnen). Wir haben uns und unsere Kinder gequält, haben uns sinnlosen, absurden Maßnahmen unterworfen, haben wirtschaftliche Existenzen vernichtet und Schuldenberge in bisher nicht gekanntem Maße aufgetürmt. Alles um nun festzustellen, dass alles weitgehend nutz- und sinnlos war.
Ulrike Guerot hat das rückblickend in ihrem gerade erschienenen Buch gut lesbar und einnehmend beschrieben: Wer schweigt, stimmt zu. Über den Zustand unserer Zeit und darüber, wie wir leben wollen (2022). Sie beschreibt ihre eigene anfängliche Irritation in 2020 und ihren Versuch, die politischen Maßnahmen zu verstehen und mit den Daten abzugleichen. Schon früh schlägt ihr dabei Ausgrenzung und Diffamierung entgegen: Wer nachfragt, gefährdet die öffentliche Sicherheit, untergräbt die Solidarität, folgt Verschwörungsideologien und macht sich gemein mit Rechtsradikalen und Antisemiten.
Der Lockdown der „Wissenschaft“
Ein Beispiel sind die Lockdowns: unsinnig und schädlich. Und alles andere als wissenschaftlich. In keinem Lehrbuch vor 2020 finden sie sich als Mittel der Pandemiebekämpfung. Tatsächlich wurden sie kopflos von den Chinesen übernommen und dann von Experten legitimiert – ohne den geringsten wissenschaftlichen, empirisch gestützten Nachweis ihrer Wirksamkeit.
Das und noch viel mehr kann man nachlesen in dem Buch des namhaften britischen Epidemiologen („Scotland’s leading epidemiologist“), Prof. Dr. Mark Woolhouse, der auch zum Expertenrat der schottischen Regierung gehörte und nun kritisch auf die eigene Arbeit zurückblickt:
Sie spricht von einem „Versagen von drei der wichtigsten Teil- bzw. Subsystemen: die Gerichtsbarkeit, die Medien und die Universitäten. Alle drei sind systemrelevant für eine Demokratie.“[2] Die sich jetzt abzeichnenden Fehlentwicklungen, weltweit sprechen immer mehr namhafte Wissenschaftler z.B. von einem „monumental mistake on a global scale“, sind insbesondere auf das schuldhafte Versagen der sogenannten Qualitätsmedien zurückzuführen. Die Medien trieben – mit Unterstützung Aufmerksamkeit heischender Labor-Spezialisten, die in einer Mischung aus persönlicher Profilierungseifer, opportunistischer Jagd nach staatlicher (Be-)Förderung und Konkurrenzkampf um Drittmittel – eindimensionalen Sensationsjournalismus. Sie lieferten unhinterfragt und oft wissentlich grob falsche, weil nicht eingeordnete Zahlen und Daten mit einer Wirkung: der allgemeinen Panikmache, die das eigene Geschäft bedeutsam machen und im Geschäft halten sollte. Und die Experten? Wollen wir uns die Mitglieder:innen der diversen Kommissionen angucken, wollen wir fragen, woher ihr Aufstieg und ihre Expertise rührt? Fragen wir also Pfizer nach der Qualität ihrer Produkte und den Hütchen-Spieler nach den Gewinnquoten? Noch nie hatten wissenschaftliche Laboranten so viel Aufmerksamkeit, noch nie rochen die Talkshows und Anhörungen so sehr nach Einmal-Handschuhen und Nährhefen, nach Ethanol und Ammoniak. Noch nie wurden Experten so offensichtlich instrumentalisiert und noch nie ließen sie es so gerne mit sich machen. Insbesondere das schuldhafte Versagen von sogenannten Qualitätsmedien und der Instrumentalisierung „der“ Wissenschaft zeichnet Guerot mit wesentlichen Schlaglichtern nach. Sie hat alles Wichtige engagiert zusammengetragen und kommentiert. Aber ändert das was?
Durch Leiden lernen?
Die Kritiker der Maßnahmen hofften auf Aufklärung, sie hofften (aus ihrer Sicht), dass die Vernunft mit der Zeit Einzug halten und die Tatsachen dem Spuk ein Ende machen könnten. Man vertraute gleichsam auf eine alte griechische Weisheit: παθήματα μαθήματα, durch Leiden lernen, also auf den Weg, durch leidvolle Erfahrung zur Einsicht zu kommen. Auch im Mainstream war davon gelegentlich zu hören, mit umgekehrter Stoßrichtung. So wurde gerne über verzweifelte Impfgegner und vermeintlich verblendete „Corona-Leugner“ berichtet, die nach erfolgter Infektion nun allen die Impfung nahebringen wollten. Durch Dramatisierung der Lage, die durch die Daten zu keinen Zeitpunkt gerechtfertigt war – wurde Angst und Panik geschürt, die auch die letzten Kritiker von der Alternativlosigkeit der Politik überzeugen sollte. Zu erfahren, dass andere Länder es anders – und mit besserem Erfolg – angegangen sind, hätte da nur gestört. Dass die Horrorszenarien nie und nirgendwo eingetreten sind – auch dort, wo (in anderen Ländern) völlig anders mit der Viruserkrankung umgegangen wurde, hätte die Konzentration auf die für gut befundenden Maßnahmen erschwert. Wer das, was als gut und richtig verstanden wird, kritisiert, ist ruchlos und böse. Mit ihm soll und darf nicht diskutiert werden. Andere Argumente kann es nicht geben. Wer sie vorbringt, vertritt die teuflische Sache.
Wer also glaubt, die Sache noch mit Argumenten, methodisch mit Studien und Empirie, lösen oder zumindest diskutierbar machen zu können, der hat vermutlich ein zu einfaches Bild von der Verfahrenheit der Lage. Tatsächlich wird auf Daten nicht (mehr) geachtet. Sie werden ins Feld geführt, wenn sie die herrschende Politik bestärken und unterstützen. Alles, was das stören könnte, wird diffamiert und ignoriert. Auch die Hoffnung, die Erfahrung in anderen Ländern möge helfen, führt vermutlich nicht wirklich weiter. Dort versteht man die Deutschen eh nicht mehr. Die Deutschen diskutieren allen Ernstes eine Impfpflicht für eine Impfungen, die nicht hielt und hält, was sie verspricht: dabei wurden die Versprechen laufend angepasst. Inzwischen soll sie die schweren Krankheitsverläufe verhindern. Das ist – wie Hendrick Streeck zurecht sagt – „haarsträubend“. Schwere Krankheitsverläufe waren immer mit besonderen Patientengruppen verknüpft. Immer noch sterben vor allem alte Patienten, die einschlägige Vorerkrankungen haben. Die Rate der Belegung von doppelt und dreifach Geimpften und Ungeimpften ist „annähernd“ gleich – sie schwankt etwas je nach Woche und Land. Was man schon lange in England sehen konnte (weil die Datenerhebung besser ist), kann nun auch an den RKI-Zahlen nachgelesen werden. Geimpft oder ungeimpft, freundlich gesagt: völlig egal – die Zahlen zeigen sogar in umgekehrte Richtung!
Misserfolg ist nicht akzeptabel
Dass alles umsonst war, das hört man nicht gerne. Vor allem diejenigen nicht, die zu immer schärferen Maßnahmen angestachelt und profitabel Angst geschürt haben. Dürfen wir wirklich von denen, die zu immer härteren Lockdowns geraten haben, erwarten, dass sie nun angesichts der einströmenden Daten, die verheerenden Wirkungen ihrer Taten reumütig einsehen? Ich fürchte nicht. Unter den Geimpften gibt es nicht wenige, die sich nicht aus Überzeugung, sondern auf Grund des sozialen Drucks impfen ließen. Sie wollten nicht ausgegrenzt werden und die Zugangssperren umgehen. Gerade bei jungen Leuten, die definitiv nicht zur Risikogruppe gehören, ist das häufig der Fall. Sie müssen nun feststellen, dass sich der solidarische Fremdschutz als hinfällig erweist und sie genauso häufig und genauso intensiv erkranken als hätten sie sich nicht impfen lassen. Sie haben sich zu einem unnötigen Risiko verleiten lassen. Gerade sie sind es nun, die die inzwischen völlig unbegründbare Impfpflicht mit völlig unhaltbaren Unterstellungen vertreten, um auch diejenigen, die sich bisher entzogen haben, in die gleiche Lage zu bringen, in die sie sich haben bringen lassen. Ist dem noch mit Daten beizukommen. Wann würden sie den von ihren Forderungen ablassen? Was müsste denn nachgewiesen werden?
Mit diesem (sozial-)„psychologischen“, kommunikativen Dilemma ringt auch Ulrike Guerot. Dass sich alles verhängnisvoll verrannt haben könnte, das befürchtet auch Ulrike Guerot. Die Diskussion müsste geöffnet werden, damit ein „Faktencheck“ und die offene politische Auseinandersetzung über die Bewertung der „Fakten“ überhaupt möglich ist. Sie bleibt aber geschlossen, weil die Öffnung als (moralisch) falsch betrachtet wird: keine Bühne für Leute, die als rechtsradikale, antisemitische Verschwörungstheoretiker … bla, bla, bla … gelten. Sie liest sich manchmal genauso skeptisch wie ich es bin. Aber sie will die Hoffnung nicht aufgeben, dass sich diese Gesellschaft besinnen kann. Der Titel ihres „Essays“ weist programmatisch die Richtung. Ulrike Guerot begreift sich als einen der wenigen „Brückenköpfe“, die es zwischen den beiden Lagern der Verfechter der Maßnahmen und ihren Kritikern noch gibt. Sie hat Kontakte ins „Milieu“ der Mainstreammedien, in denen sie sich jahrelang gekonnt bewegte, der universitären Wissenschaft und zur Politik. Sie hofft so, den einen oder anderen – pardon – zum Rechts-ran-fahren und zur Kontrolle der Fahrtrichtung bewegen zu können. (Vielleicht hilft’s, dass es aus der Gegenrichtung ein „Links-ran-fahren“ ist?)
„Die“ Wissenschaft hilft gern und warnt
Ein Beispiel: Christian Drosten, Verzeihung, Prof. Dr. Drosten natürlich, also „die“ Wissenschaft, wird für die Tagesschau interviewt. Er erzählt – wohlwissentlich (?) oder tatsächlich aus Mangel an Kenntnis (?) – offensichtliche Unwahrheiten: Dänemark und England hätte die Maßnahmen gelockert und sähen sich nun angesichts höherer Hospitalisierungen und COVID-Todeszahlen gezwungen, erneut über die Verschärfung nachzudenken.
Nichts davon stimmt. Weder denken sie darüber nach, noch haben sich die Anzahl der Hospitalisierungen und Todesfälle erhöht. Die dänischen Virologen sahen sich deshalb auch zur Korrektur der Drostenschen Äußerungen genötigt: sie wüssten nicht, woher der deutsche Kollege seine Zahlen hätte. Kümmert das jemanden? Nein. Drosten, also Prof. Dr. Drosten, kann behaupten, dass die Impfquote in Großbritannien höher sei als in Deutschland und sie deshalb auf die gefährliche Idee verfallen seien, einen Freedom Day auszurufen, den sie nun bereuen müssten? Die Impfquote in GB liegt mit 73,5 (vollständig geimpft) und 57,7% (geboostert) knapp unter der Deutschlands (75,9% und 58,6%)[3] und niemand außer Big Pharma und der Antifa denkt in England gerade über eine Rücknahme der Rücknahmen nach. Die Faktenchecker bei Tagesschau und Correctiv hätten ihre wahre Freude mit der Wissenschaft á la Drosten, Brinkmann und Priesemann – das aber wäre ja gar nicht finanzierbar.
Wer schweigt … wird mitschuldig
Nun macht Ulrike Guerot – wieder durch eigene Erfahrung im privaten und beruflichen Umfeld bestärkt – geltend, dass es eine Gruppe von Leuten gibt, die durchaus einer Diskussion zugänglich wären und selbst sogar „skeptische“ Haltungen einnehmen, sich aber über den Diffamierungs- und Ausgrenzungsdruck genötigt sehen, sich ruhig zu verhalten. Dem kann ich aus eigener Erfahrung durchaus zustimmen. Während die hundertprozentigen oft schlecht (und recht) über den Mainstream informiert und auf den Mainstream eingeschworen sind, zeigt die kritischere, aber schweigende Gruppe eine größere Informationsvielfalt und eine fundamentale Skepsis über die Richtigkeit der politischen Maßnahmen. Bei ihnen kommt es weniger darauf an, sie mit immer besseren Argumenten davon zu überzeugen, dass sich hier etwas zu Unrecht auf der Gegenspur bewegt. Sie müssen dazu motiviert werden, jede und jeder an seinem Platz, das Schweigen zu beenden und die eigenen Bedenken furchtlos zu äußern. Gerade diese Gruppe bestätigt im übrigen – wenn es sie denn gibt (!?) -, dass diese Gesellschaft auf einem slippery slope ist, einem gefährlich rutschigen Weg in eine andere Republik, in der Zensur wieder gebilligt und gefördert wird und inquisitorische Urteile über die Rechtmäßigkeit von Haltungen und Meinungen, Sprachstile und Moden das gesellschaftliche Leben bestimmen.
[1] Fernsehansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel am 18.03.2020.
[2] Ulrike Guerot, Wer schweigt, stimmt zu. Über den Zustand unserer Zeit und darüber, wie wir leben wollen, 2022, S. 25.
[3] Stand 30.03.2022