Nicht gut, aber gut genug?!
Demokratien seien natürlich nicht vollkommen, so ist gelegentlich zu hören, aber Demokratie sei gleichwohl die beste unter den unvollkommenen Staatsformen. Dafür werden selten Gründe gegeben. Dass sie nicht das Beste sei, scheint auszureichen, um sie (hinreichend) gut und jedenfalls „vorzüglich“ zu finden.
Nicht immer wurde das gesehen und es waren nicht die Schlechtesten, die es anders sahen. Lange Zeit galt die Demokratie als eine Verfallsform des Politischen. Jedenfalls scheinen auch Demokraten gelegentlich Zweifel zu kommen. Demokratie darf – so wird dann vorgebracht – nicht populistisch und die Mehrheit nicht tyrannisch werden.
Und doch soll gelten: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ So heißt es in Artikel 20 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, dem nach der Bestimmung der Grundrechte (Artitkel 1-19) ersten Artikel der die staatliche Ordnung (Bund und Länder, Artikel 20-37) beschreibt. Die Ausübung der Macht erfolgt allerdings (nur) „in Wahlen und Abstimmungen [!] und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung“[1]. Die Organe agieren dann immer – per Deklaration – „im Namen des Volkes“, was nicht immer dem „Willen“ des Volkes entsprechen muss.
Bertolt Brecht hatte das mit Blick auf die Weimarer Republik so formuliert:[2]
Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.
– Aber wo geht sie hin?
Ja, wo geht sie wohl hin!
Irgendwo geht sie doch hin!
Bei Brecht endet der „Ausgang“ der Macht nicht gut.
Da liegt etwas, das ist mausetot.
Aber das ist ja das Volk!
Ist das denn wirklich das Volk?
Ja, das ist wirklich das Volk.
Jede Delegation ermöglicht den Missbrauch. Und so ist nicht nur der Schutz von Minderheiten oder der Rechte des Einzelnen durch eine entsprechende Rechtsordnung, Gewaltenteilung und „demokratische“ Kontrolle geboten. Grundsätzlich gilt: Das Volk muss vor der „Staatsmacht“ geschützt werden, die es den Staatsorgangen auf Zeit und unter strikter Gewaltenteilung zugeteilt hat. Verfassungsschutz ist vor allem die Sorge, dass alle „Staatsgewalt“ nicht nur vom Volk ausgeht, sondern tatsächlich in seinem Dienst steht und zu ihm zurückkehrt.
Für die staatsrechtliche, grundgesetzliche Sicherung der Volkssouveränität war in vielem insbesondere die Erfahrung des „Untergangs“ der Weimarer Republik richtungsweisend.[3] Allerdings zeigen sich da merkwürdige Verzerrungen. Die Weimarer Republik ist nicht am (aufsässigen) Volk gescheitert, sondern am Verrat ihrer (Volks-)Vertreter:[4] 1933 haben bekanntlich außer SPD und KPD alle „bürgerlichen“ Parteien dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt. Vorher waren mit der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat die Grundrechte außer Kraft gesetzt und der Weg in die Diktatur gebahnt worden. Staatsorgane putschten gegen das Volk und seine Entscheidungen. Der Reichspräsident und die Reichsregierung, der staatliche Apparat aus Verwaltung und Rechtswesen, Polizei und Militär, aber auch institutionalisierte (Hochschul-) Wissenschaft und öffentliche Medien entmachteten das Volk. Wenn wir daraus etwas lernen wollen, dann dies, dass die Verfassung nicht gegen das Volk und auch nicht gegen seine mehr oder weniger legitimierten Vertreter geschützt werden muss. Die Verfassung muss zum Wohle des Volks gegen die „Staatsgewalt“ geschützt werden.[5]
Und da gibt es da noch die Parteien. Im recht prominenten Artikel 21 des Grundgesetzes wird den Parteien eine besondere Rolle bei der Ausübung der Volkssouveränität zugedacht. Es heißt dort im Abschnitt 1: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Inzwischen ist aus der Mitwirkung der Parteien eine Parteiendemokratie geworden. Das wird in Teilen durchaus beklagt, aber zugleich als besser als „nichts“ verteidigt. Der Status quo ist nicht schön, scheint vielen aber alternativlos, vor allem denen, die im Parteiensystem fest verwurzelt sind und nicht selten aus Schule und Studium direkt in den Parteiapparat wechseln und ihre Karriere komplett der Partei verdanken.
Die Bürger misstrauen zwar laut Umfragen den Parteipolitikern,[6] können aber praktisch nur aus ihren Reihen diejenigen wählen, an die sie die Macht abtreten müssen.[7] Es ist so als müssten sich überzeugte Atheisten alle paar Jahre entscheiden, die Katholische Messe oder den evangelischen Gottesdienst zu besuchen. Einige Extravagante wählen dann – nicht selten um die Großen zu ärgern – sektiererische Freikirchen, vor denen die Kirchen natürlich mit Sektenschutzbeauftragten warnen.
Auf der Suche nach dem Wesen des Politischen
Für Hannah Arendt (1906-1975), eine der großen, einflussreichen Gestalten der politischen Philosophie des 20. Jahrhunderts, ist es deshalb schon in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts fraglos, „dass die Parteien mit ihrem Monopol der Nominierung derer, die überhaupt zur Wahl gestellt werden, nicht mehr als Organe der Volksmacht anzusehen sind, sondern vielmehr als die sehr wirksamen Hilfsmittel, durch welche eben diese Macht des Volkes eingeschränkt und kontrolliert wir. Daß sich das Repräsentativsystem in Wahrheit in eine Art Oligarchie verwandelt hat, …“[8] Demokratisch sind diese „Regierungsformen in der Tat“, aber die Besorgung der öffentlichen Angelegenheiten „liegt in den Händen einer oligarchisch konstituierten und von den Parteien selektierten Gruppe“. Die Eliten der Parteien sind, so demokratisch sie auftreten, überzeugt, „daß kein Volk je fähig gewesen sei, sich selbst zu regieren, ‚dass der Volkswille von Hause aus anarchisch ist‘“ und „jeder Regierung im Grunde ‚feindlich‘ gesinnt sei“.[9] Niemand habe „je daran gezweifelt, dass in diesem Verhältnis von Volk und Parlament die Rolle des Volkes in der Unterstützung des Parlaments besteht und das eigentliche Handeln ein Privileg der Regierung bleibt“.[10] Für die Volksvertreter spielt sich ihr „politisches Leben“ im Parlament, also „unter ihresgleichen“, ab. Sie müssen nur von Zeit zu Zeit versuchen, die Wähler bei der Stange zu halten. In diesen Wahlkampagnen zeigt sich dann die „auf der Hand liegende Unehrlichkeit nahezu aller Dialoge zwischen Wähler und Abgeordneten“.[11]
Das ist nicht gerade ein Plädoyer für die Form der parlamentarischen Demokratie wie sie in den meisten westlichen Ländern vorherrscht. Sie ist nicht nur nicht die beste der unvollkommenen Staatsformen, in ihr droht sich das spezifisch Politische aufzulösen.
Hannah Arendt unterscheidet in ihrem philosophischen Hauptwerk Vita Activa oder Vom tätigen Leben (1960) das Handeln von Arbeiten und Herstellen und weist dem Handeln das Feld der Politik zu: Handeln ist wesentlich politisches Handeln, nämlich die Gestaltung des eigenen Lebens im politischen Raum, den wir mit anderen teilen. Wir sind politische Wesen (ζῷον πολιτικόν, zoon politikon).[12] Politisches Handeln lässt sich anders als die Vertretung von wirtschaftlichen Interessen nicht delegieren. Es ist selbst Teil der menschlichen Lebensführung und das eigene Leben kann nicht durch andere lassen.
Wie die eigene Lebensführung so kann auch politisches Handeln, nämlich die Gestaltung des sozialen Gemeinwesens, in dem wir leben, mehr oder weniger gut gelingen. In The Origins of Totalitarism von 1951 hatte Hannah Arendt die Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft[13] untersucht. Es sind Verfallserscheinungen des Politischen, denen wir im politischen Handeln vorbeugen müssen. Auch die parlamentarische, repräsentative Demokratie „repräsentiert“ eine gefährliche Beschneidung des Politischen, die in neue Formen des Totalitären münden. z.B. einer (sozial-)technologische Expertokratie des Great Reset.[14] Hannah Arendt spricht vom „Grundübel“, politisches Handeln „in administrative Aufgaben auf[zu]lösen, die am besten von Experten behandelt und entschieden werden“:[15] Follow the Science! ist kein politisches Handeln.
Von Verfallserscheinungen kann aber nur mit Blick auf einen Ideal- oder Normalzustand gesprochen werden. Vom guten, gesunden Sehen her versteht man das Erblinden. Fürs politische Handeln stellt sich also die Frage nach einer staatsrechtlichen Form des Politischen, die seinem Wesen gerecht wird.
1963 unternimmt Hannah Arendt den Versuch, das Wesen des Politischen und die ihm angemessene staatsrechtliche Form genauer zu bestimmen. Sie tut das unter dem Titel On Revolution (dt. Über Revolution, 1965). In dem, was eine Revolution wesentlich ausmacht, erkennt sie das Wesen politischer Freiheit. Revolution und politisches Handeln sind bei Hannah Arendt aufs engste verbunden.
Wenn wir von Revolutionen sprechen, dann denken wir meist sofort an die Französische von 1789 und die ihr vorausgehende Amerikanische Revolution von 1771. Auch Hannah Arendt nimmt ihren Ausgangspunkt an diesen richtungsweisenden Revolutionen des späten 18. Jahrhundert. Sie untersucht die Gemeinsamkeiten und Unterschiede – immer in der Absicht, das Wesen des Politischen freizulegen. Die Französische Revolution gibt in vielem das Muster für die revolutionären Bewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts, z.B. der Russischen Oktoberrevolution von 1917.
Aber sie unterscheidet sich von der Amerikanischen durch eine völlig andere Ausgangslage. In Frankreich herrscht unter dem Volk fürchterliche Not und bittere Armut. In Frankreich war, so Hannah Arendt, das Volk „von Hunger getrieben“. „Le peuple ist das Schlüsselwort zu jedem Verständnis der Französischen Revolution…“[16] und das Volk das waren die „Unglücklichen“, die vom Elend geplagten. Es ist die „soziale Frage“, die das Geschehen bestimmt. Der Sturz des Regimes und die Übernahme der Herrschaft durchs Volk sollte die „Befreiung des Volks von Armut und Not“ erreichen. Welche Form die Volksherrschaft annehmen sollte, darüber gab es keine klaren Vorstellungen. Vor allem gab es keine praktischen Erfahrungen, an die man hätte anknüpfen können.
In Amerika war die Ausgangslage dagegen völlig anders. Von bitterer Armut breiter Bevölkerungsteilen kann, so Hannah Arendt, in den britischen Kolonien nicht gesprochen werden.[17] Es ging nicht um Befreiung aus Armut und Not, sondern um politische Freiheit und Selbstbestimmung, von der man bereits eine klare Vorstellung hatte und die im Kleinen bereits gelebt wurde.
Für die dreizehn britischen Kolonien, die sich von der britischen Krone lossagten, ging es vor allem um ein gemeinsames Auftreten nach draußen und gegen das „Mutterland“. Ihre weitgehende Selbständigkeit sollte dabei gewahrt bleiben. Sie hatten sich auch unter der Krone weitgehend selbstverwaltet. Der konservative Edmund Burke (1729-1797) sprach von einer „weisen und heilsamen Vernachlässigung“ (a wise and salutary neglect) durch die Briten, die es den Kolonien im Westen erlaubte, „ihren eigenen Weg zu dem für sie Besten zu gehen“ (to take her own way to perfection).[18] In den Konföderationsartikeln von 1777/1781 (Articles of Confederation and Perpetual Union) erklärten sich die dreizehn Kolonien zu einem Staatenbund souveräner Staaten. Bei der späteren Ausgestaltung der Verfassung durch die Philadelphia Convention, die die dreizehn Republiken zu einer Einheit mit eigenen Staatsorganen machen sollte, blieb es das Ziel der Verfassungsväter, die weitgehende Souveränität der Bundesstaaten zu sichern. Man sprach von Gewaltenteilung und dem Gleichgewicht der Kräfte (Checks and Balances), um die neu konstituierten Organe nicht übermächtig werden zu lassen.[19] Der Vorteil einer gemeinsamen „Außenpolitik“ durfte die Souveränität des politischen Handelns im Innern nicht gefährden. So war es ausdrücklich Thomas Jeffersons (1743-1826) Plan, „uns zu einer Nation in allen auswärtigen Belangen zu machen und uns in Fragen der Innenpolitik in unseren Unterschieden zu erhalten“.[20] Es ging dabei aber vor allem um die Bewahrung und Festigung der politischen Freiheit.
Die Räterepublik wird erfunden
Sie fand ihren Ausdruck im politischen Leben der Gemeinden, in denen die Bürger in Townhall-Meetings sich selbst verwalteten. Die Selbstverwaltung der townships ist die Grundlage der Neuordnung nach der Unabhängigkeitserklärung der dreizehn Kolonien. Hannah Arendt zitiert Alexander von Tocqueville (1805-1859), dass die „die Amerikanische Revolution mit ihrer Lehre von der Volkssouveränität in den townships aus[brach] und von dorther den Staat in Besitz“ genommen hat.[21] Die townships waren die Elementarrepubliken, auf deren Grundlage die Verfassung der Vereinigten Staaten geschaffen wurde. In ihnen, so Jefferson, konnte „jeder Mann im Staat“ ein „aktives Glied der gemeinschaftlichen Regierung werden und persönlich eine große Anzahl von Rechten und Pflichten ausüben“. Aus diesen „kleinen Republiken sollte die große ihre hauptsächlichste Kraft schöpfen“.[22] Jeffersons Lösung war das „ward-system“ („divide the counties into wards“),[24] in Arendts Übersetzung ein „Bezirkssystem“ „elementarer Republiken“, die ca. 100 Bürger umfassen und souverän ihre politischen Entscheidungen treffen und umsetzen. Jefferson benutzt auch den Begriff „councils“[25] – Räte – und skizziert, wie diese councils in den amerikanischen Staatsapparat integriert werden können: „Die Elementarrepubliken der Räte, die Kreisrepubliken, die Länderrepubliken und die Republik der Union sollten sich in einer Stufenfolge von Machtbefugnissen gliedern, deren jede, im Gesetz verankert, die ihr zufallenden Vollmachten besitzt und die alle zusammen in ein System von wirklich ausgewogenen Hemmungen und Kontrollen für die Regierung integriert sind.“[23]
Wie entscheidend die gelebte Volkssouveränität der wards oder counsils für die Verfassung der Vereinigten Staaten ist; zeigt eine beschwörende Bemerkung Jeffersons: „Wie Cato jede Rede mit den Worten endete, Carthago delenda est [Karthago muss zerstört werden], so ende ich alle meine Reden mit der Warnung divide the counties into wards“,[26] also in „elementare Republiken“. Hannah Arendt erkennt darin das, was später Räterepublik genannt werden wird: „Jeffersons Plan […] antizipierte[] mit einer geradezu unheimlich anmutenden Genauigkeit jene Räte und Sowjets, die von nun an in jeder Revolution des neuzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts auftauchen sollten.“[27]
In den councils, also den Räten, wird Volkssouveränität verwirklicht, nicht delegiert! Sie nimmt nicht die Form einer repräsentativen Demokratie an und darf sie bei Strafe ihrer Selbstaufhebung nicht annehmen. So prophezeit Jefferson: „Wenn das Volk je aufhören sollte, sich um öffentliche Angelegenheiten zu kümmern, werden wir alle, Ihr und ich, und der Kongreß und die Parlamentsversammlungen, die Richter und die Statthalter, wie wir da gehen und stehen, zu reißenden Wölfen werden.“[28]
Das wäre eine Regierungsform, in der das politische Handeln auf Wahl und Delegation verkürzt wird. Ein Volk, das seine Souveränität delegiert und sein politisches Leben nicht aktiv gestaltet, wird politisch entmachtet. Es ist ein „Mißverständnis die Begriffe, Republik und Demokratie gleichzusetzen“. Die Gründerväter der Amerikanischen Verfassung von 1787 gehen von „the imprudence of democracy“ aus. [29]
The imprudence of (representative) democracy
Darin stehen sie in einer langen Tradition, die Demokratie als Verfallsform des Politischen betrachtete. Diese Kritik findet sich nicht nur bei engstirnigen Eliten, die die Macht nicht den wankelmütigen „Vielen“ überlassen wollten und sie lieber in den Händen einiger weniger Oligarchen lassen wollten, die das politische Geschehen eh durch Einfluss und Reichtum dominieren. Gerade Republikaner waren (und sind) nicht selten keine Anhänger der Herrschaft des Demos, der oft durch Armut und Elend gezeichneten „Massen“. Die Herrschaft eines weitgehend „unpolitischen“ Volks endet leicht in Tyrannei – der Mehrheit über die Minderheit oder in der Wahl eines Tyrannen.[30] Für die griechische Antike, der wir die demokratische Idee ja verdanken, galt nicht die Herrschaft (κρατία, kratia bzw. κρατεῖν, kratein) des Demos als die vorzügliche Form des Politischen – das konnte allenfalls, per definitionem, die Herrschaft der Besten sein, der Aristokratie. Das Ideal der politischen Ordnung war vielmehr die Isonomie (ἰσονομία, isonomie), eine politischen Ordnung, in der die Bürger gesetzlich gleichgestellt sind und sich in und durch die politische Ordnung als Gestalter der Polis begreifen. Hier ist nicht von kratein (κρατεῖν, herrschen) – wie in Demo-kratie oder Aristo-kratie, oder archein (ἄρχειν, führen, beherrschen), wie bei Olig-archie oder Mon-archie, die Rede. Es gilt vielmehr die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz. Die entscheidende Pointe dabei ist, dass das Gesetz die Gleichheit nicht voraussetzt, sondern erst „herstellt“ oder schafft. Gleichberechtigung gründet nicht in der Gleichheit der Individuen, sie ist vielmehr Gleichheit der Ungleichen vor dem Gesetz. Die Menschen sind von Natur (φύσει, phusei) nicht gleich, sie unterscheiden sich in vielerlei Hinsichten, die auf ihr Miteinander-Sein entscheidenden Einfluss hat: sie sind Männer oder Frauen, Erwachsene, Kinder oder Alte, athletische Kräftige oder asthenische Flinke, unterscheiden sich nach Herkunft und in ihren Talenten und Temperamenten. [31] Sie sehen von ihren natürlichen, im Sinne von „vorpolitischen“ Ungleichheiten ab und machen sich gleich im Hinblick auf eine „übernatürliche“ Ordnung, das Gesetz (νόμος, nomos), das sie sich geben (oder anerkennen).[32]
Menschen werden durch rechtliche Anerkennung zu Bürgern und schaffen so den politischen Raum, der ihnen zugleich ihre Ungleichheit sichert und Pluralität ermöglicht. Politisches Handeln ist Teil ihrer bürgerlichen Existenz. Volkssouveränität hat nicht die Form einer parlamentarischen Demokratie, die politisches Handeln auf Wahlen verkürzt. In ihr kommt es zu der, aus antiker Sicht „perversen“ Situation, in der „zwar alle Macht vom Volke stammt, das Volk aber diese Macht nur am Wahltag besitzt, wonach sie Eigentum der Regierenden wird“.[33] Die Wähler kommen dort nur zusammen, um sich ihrer Macht zu entledigen.[34]
Jefferson und die anderen Gründungsväter setzen dagegen auf eine direkte Beteiligung der Bürger. Politisches Handeln ist Zeichen der „bürgerlichen“ Freiheit und ein konstitutiver Teil einer gelingenden Lebensführung, so „daß keiner ‚glücklich‘ genannt werden kann, der nicht an öffentlichen Angelegenheiten teilnimmt, daß niemand frei ist, der nicht aus Erfahrung weiß, was öffentliche Freiheit ist, und daß niemand frei oder glücklich ist, der keine Macht hat, nämlich keinen Anteil an öffentlicher Macht.“[35] Der Bürger bleibt der politische Handelnde auch dort, wo sich die kleinen „communities“, wards, councils oder Räte zu größeren Einheiten zusammenfinden. Die politische Ordnung muss dabei wirksam von unten nach oben ausgerichtet sein.
Jean-Jacques Rousseau formuliert das in Der Gesellschaftsvertrag von 1762 so: „Die Abgeordneten des Volkes sind also nicht seine Vertreter und können es gar nicht sein; sie sind nur seine Beauftragten…“[36] Der repräsentative Parlamentarismus ist eine Verfallsform des Politischen, in dem der vermeintliche Souverän seiner Rechte verlustig geht. „Das englische Volk“, so Rousseau, „meint frei zu sein; es täuscht sich außerordentlich; nur während der Wahlen der Parlamentsmitglieder ist es frei; haben sie stattgefunden, dann lebt es wieder in Knechtschaft, ist es nichts. Der Gebrauch, den es in den kurzen Augenblicken seiner Freiheit von ihr macht, verdient auch wahrlich, dass es sie wieder verliert.“ [37]
Dass die Befürchtungen der Kritiker einer repräsentativen Demokratie nicht ganz unbegründet waren und sind, zeigt sich nicht zuletzt am Verfall der Glaubwürdigkeit, die den Parlamenten, Parteien und den Politikern entgegengebracht werden. Alexis de Tocqueville macht darauf bereits in Über die Demokratie in Amerika von 1835 aufmerksam:
„Beim Herannahmen der Wahlen denkt der Inhaber der Vollzugsgewalt nur noch an den bevorstehenden Kampf; er hat keine Zukunft mehr; er kann nichts unternehmen […]
Immer muss man die Zeit, die der Wahl unmittelbar vorangeht […] als eine Zeit der nationalen Krise betrachten […] vor dem festgesetzten Zeitpunkt wird die Wahl zur größten, sozusagen zur einzigen Angelegenheit, welche die Gemüter beschäftigt. Die Parteien verdoppeln nun ihren Eifer; sämtliche Parteileidenschaften […] befinden sich von diesem Augenblick an in offener Erregung. Der Präsident seinerseits ist durch die Sorge um seine Behauptung voll beansprucht. Er regiert nicht mehr zum Wohl des Staates, sondern zum Vorteil seiner Wiederwahl; er neigt sich vor der Mehrheit und […] kommt ihren Launen entgegen.
Je näher die Wahl heranrückt, desto lebhafter wird das Ränkespiel, die Unruhe wächst und breitet sich aus. Die Bürger scheiden sich in mehrere Lager, deren jedes den Namen seines Anwärters übernimmt. Das ganze Volk wird von einem fieberhaften Zustand erfasst, die Wahl wird der tägliche Stoff der Presse, der Gegenstand der privaten Gespräche, das Ziel allen Tuns, der Inhalt aller Gedanken, das einzige Interesse der Gegenwart.
Sobald jedoch das Schicksal entschieden hat, verflüchtigt sich diese Aufregung, alles beruhigt sich, und der Strom, der für einen Augenblick über die Ufer trat, kehrt friedlich in sein Bett zurück.“[38]
Inzwischen kann man mit Colin Crouch (*1944) von einer „Postdemokratie“ sprechen:
„Der Begriff bezeichnet ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden, Wahlen, die sogar dazu führen, dass Regierungen ihren Abschied nehmen müssen, in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, dass sie zu einem reinen Spektakel verkommt […] Die Mehrheit der Bürger spielt dabei eine passive, schweigende, ja sogar apathische Rolle… Im Schatten dieser politischen Inszenierung wird die reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht: von gewählten Regierungen und Eliten, die vor allem die Interessen der Wirtschaft vertreten.“[39]
Der Politikbetrieb gleicht einer großen Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Politiker brauchen Massenmedien als „Fabrikanten“ der öffentlichen Stimmung, die sie in Amt und Würden bringt, und die Medien brauchen Stoff aus dem Politiktheater, den sie für die Produktion von Aufmerksamkeit nutzen können. Die Massenmedien sind vor allem eins: Unternehmen. Unternehmen sind keine Wohlfahrtsinstitute, sie haben Gewinninteressen. Und sie können in der Regel nur Gewinn machen, wenn sie den Bedürfnissen ihrer Kunden mehr oder weniger gerecht werden. Aber wer sind inzwischen ihre „Kunden“? Bundesligavereine spielen nicht mehr für ihre Fans und auch nicht für die zahlenden Zuschauer; sie spielen für die Sponsoren und für die Verbesserung der Aufmerksamkeitsreichweite, die weitere Sponsoren anziehen. Zeitungen und Zeitschriften durchlaufen einen ähnlichen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“:[40] ursprünglich im Dienst des Lesers, die „öffentliche Meinung“ zu spiegeln und ihr als Teil der bürgerlichen Emanzipation Gehör zu verschaffen, sind sie inzwischen im Überlebenskampf und deshalb vor allem am Verkauf ihrer Werbeflächen interessiert. Sie konkurrieren darum, die rentabelsten Werbeflächen für industrielle Großkunden und Milliardär-Influenzer bereitzustellen.
Die politische Klasse speist sich zu einem Großteil aus Leuten, die in ihrem beruflichen Leben meist nichts anderes gemacht haben als eben Politik. Zur Absicherung ihrer „Weiterbeschäftigung“ beschäftigen sie ein Heer von Beratern aus Unternehmensberatungen, Think-Tanks und Forschungsinstituten, die den Massenmedien passenden Stoff für rentable Berichterstattung liefern.
Revolution oder: Zurück zum Politischen
Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Ansätzen, die diesen postdemokratischen Missständen etwas entgegensetzen: Konzepte einer „partizipativen“ oder „deliberativen“ Demokratie, die sich z.B. auch auf Losverfahren zurückbesinnen, die sich seit der Antike als demokratische (!) Verfahren für die befristete Besetzung von politischen Ämtern bewährt haben.[41] Dazu gehört eben auch die Rückbesinnung auf das Konzept der Räterepublik.
Roland Rottenfußer z.B. sieht in seinem Beitrag Selbstbestimmung statt Stimmabgabe das Rätesystem als Alternative zu unserer repräsentativen Demokratie, die uns nur das Recht gibt „wählen zu dürfen, wer uns künftig tyrannisiert“.[42] Anders als „moderne Demokraturen“, die nach dem Motto „Ich nehme deine Stimme und mache dann damit, was ich will“ funktionieren, setzt das „Rätesystem“ auf Selbstbestimmung der Bürger, die nicht delegiert werden kann und das politische Geschehen von unten gestaltet. Rottenfußer gibt dabei auch ein paar Hinweise „wie ein Rätesystem wirklich funktioniert“ – nämlich eines, das tatsächlich „im ursprünglichen Sinn“ von unten kommt und nicht wie die sogenannten „Bürgerräte“ von oben eingesetzt werden, um „Legitimationsprobleme“ des späten Spätkapitalismus und seiner Regierungen zu beheben. Auch bei Marx, dem man, was die Form des politischen Handelns betrifft, zurecht eine theoretische Lücke nachsagt, findet sich eine klare Positionierung. In seiner Analyse der Pariser Aufstände von 1871 bewertet er die sich selbständig organisierenden Kommunalverwaltungen als „die endlich entdeckte politische Form, unter der die ökonomische Befreiung der Arbeit sich vollziehen“ könne.[43]
Das Scheitern der Räterepubliken
Aber das „Rätesystem“ sieht sich auch schwerwiegenden Bedenken ausgesetzt. Es wird mit politischen Versuchen kommunistischer Prägung verbunden, die allesamt meist äußerst blutig gescheitert sind. Hannah Arendt spricht von der „seltsame[n] und traurige[n] Geschichte des Rätesystems“, obwohl es – so Hannah Arendt – die „einzige Staatsform“ ist, „die unmittelbar aus dem Geist der Revolution entstanden ist“ [44] und dem „Wesen des Politischen“ am besten zu entsprechen scheint. In Europa entwickelten sich in fast allen Revolutionen spontan Rätesysteme. Allerdings hatten die Räteverfassungen nur eine kurze Lebenszeit. Keine konnte sich dauerhaft etablieren und viele endeten kaum das sie richtig begonnen hatten. Auch Roland Rottenfußer schildert das blutige Ende einiger namhafter Versuche Räte zum Zentrum der politischen Ordnung zu machen: das Niederschlagen der Pariser Kommune von 1871 und die Auflösung der Münchner Räterepublik von 1919 durch Freikorps. Sie sind nicht an ihren eigenen An- oder Widersprüchen zugrunde gegangen, sondern sind von „außen“ zerschlagen worden.
Von Hannah Arendt, die eher für links-liberale und keineswegs „revolutionäre“ Positionen steht, war die Forderung „Alle Macht den Sowjets“ nicht grade zu erwarten. Anders als Rottenfußer sieht sie auch die Gefahr der inneren Zersetzung der Räte. So warnt sie mit Blick auf die Entwicklungen der Französischen Revolution nach 1789 und denen im Russland nach 1917/18 von der Korrumpierung der Räte durch gutmeinende Revolutionäre. „Die Verwandlung der Menschenrechte in die Rechte der Sansculotten ist der Wendepunkt der Französischen und aller ihr folgenden Revolutionen“, die dann zu Gewaltexzessen führt:[45] : „Ich weiß wohl“, lässt Georg Büchner seinen Danton sagen, „die Revolution ist wie Saturn, sie frißt ihre eigenen Kinder“.[46] Und so wird auch das „eigentliche Merkmal der Sowjets“, nämlich „die Spontaneität ihrer Entstehung aus einem elementaren revolutionären Bedürfnis der Massen“, von wohlmeinenden „Berufsrevolutionären“ nur so lange gefeiert wie dort die „richtigen“ Weltanschauungen zum Tragen kommen. Was, wenn die Räte „konterrevolutionäre“ Entscheidungen treffen? Nehmen wir etwas vereinfachend einmal an, die Sowjets/Räte möchten nicht gendern oder den Verbrenner nicht verbieten? Sie möchten die Zuwanderung begrenzen und nur politisch Verfolgten Asyl zu gewähren? Hannah Arendt zitiert deshalb zustimmend Eugen Leviné, selbst Kommunist und einflussreicher Akteur der Münchener Räterepublik von 1919: „Die Kommunisten treten nur für eine Räterepublik ein, in der die Räte eine kommunistische Mehrheit haben“. [47] Schnell suchen die „Erweckten“ nach Kontrarevolutionären und Heuchlern, Volksverführern und Verschwörungstheoretikern. Die Messlatte ist dann das woke Bewusstsein der Berufsrevolutionäre, der Besser-Meinenden und „Aufgeklärten“. Was das „Volk“ will, ist wenn es den Aufgeklärten nicht mundet eben Populismus. Die Volkssouveränität muss dem woken Zeitgeist entsprechen, sonst ist es eben keine und wird „gecancelt“.
Man mag die Parole „Wir sind das Volk!“ mit Blick auf die institutionalisierten Regeln des demokratischen Rechtsstaats relativieren, belächeln, misstrauisch beargwöhnen oder als anmaßende Selbstermächtigung kritisieren. Im demonstrativen „Wir sind das Volk!“ bringen versammelte Bürger aber nicht nur ihre Kritik an der aus ihrer Sicht falschen Politik zum Ausdruck. Sie berufen sich auf die versichernde Botschaft demokratisch verfasster Gemeinwesen, dass alle Macht vom Volke ausgeht und sich nicht gegen es richten dürfe. Das durfte in Ost-Berlin, darf aber im gesamtdeutschen Berlin nicht mehr gerufen werden. Das Volk darf nicht falsch wählen, sonst ist es kein Volk mehr, sondern nur noch ein Haufen Verführter.
Raum für politisches Handeln
Die Schwächen der repräsentativen Demokratie und des „Partei(en)staats“ sind offensichtlich. Von deren Repräsentanten und Verteidigern werden sie als populistische Auswüchse abgetan. Die aus ihrer Sicht einzige Form von Demokratie soll unter dem Titel „wehrhafte Demokratie“ durch staatliche Kontrolle gesichert werden. Wehrhaft können Demokratien gegen äußere Bedrohungen sein, nicht jedoch gegen das „eigene“ Volk – die Formulierung zeigt schon die Entfremdung, die der Repräsentation eigen ist. Wie sollte der Souverän gegen sich selbst vorgehen? Ingeborg Maus (*1937), eine Politikwissenschaftlerin aus Frankfurt und dem Umfeld von Jürgen Habermas (*1929) zuzurechnen, hat das als „Exorzismus der Volkssouveränität“ bezeichnet: regierungsamtlich bestellte Heiler sollen dem Volk böse Geister austreiben, von denen sich die Staatsorgane delegitimiert sehen.
Wer die Gefahr des Populismus heraufbeschwört, stellt die repräsentative Demokratie selbst in Frage. Der Populismus zeigt ja vor allem, dass die Volksvertretung durch die politische Elite nicht mehr glaubwürdig scheint und ist selbst das Ergebnis einer fragwürdig gewordenen Repräsentation, die den Bürger nicht zum politischen Akteur macht: „Behandelt man den mündigen Bürger wie Stimmvieh, so wird er sich wie Stimmvieh verhalten“.[48] Mahatma Gandhi (1869-1948) wird das Sprichwort zugeschrieben „Was du für mich tust, aber ohne mich, das tust du gegen mich.“[49] Das scheint die repräsentative Demokratie ganz grundsätzlich in Frage zu stellen und andere Formen politischer Ordnung nahezulegen.
Um der politischen Entfremdung der Bürger zu entkommen, hat Roland Rottenfußer jetzt empfohlen auf die Erfahrungen von Rätesystemen zurückzugreifen: „Wer eine Reform des häufig vereinfachend als „unsere Demokratie“ bezeichneten Gebildes wünscht, sollte sich ernsthaft mit den aus der Geschichte bekannten Rätesystemen beschäftigen.“[50] Das ist wohl auch die Empfehlung, die Hannah Arendt bereits in den sechziger Jahren gibt. Die Empfehlung geht auch an mich, denn ich gestehe, dass ich nicht wirklich weiß, was genau das Rätesystem und seine Ausrichtung „von unten nach oben“ ausmacht und wie sie umzusetzen ist. Neben der geschichtlichen Erfahrung von Räterepubliken werden heute auch andere Formen von partizipativer und deliberativer Demokratie diskutiert und erprobt. Dabei geht es darum, den Bürger selbst als politisch Handelnden zur Geltung zu bringen und zu stärken. Von Hannah Arendt können wir lernen, was politisches Handeln ausmacht und warum es, recht verstanden, unverzichtbarer und nicht delegierbarer Teil des gelingenden Lebens ist.
[1] Artikel 20: „(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. (3) Die Gesetzgebung ist and ie verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“
[2] Bertolt Brecht, Paragraph 1 der Weimarer Reichsverfassung, in: Bertolt Brecht, Gesammelte Werke, Bd. …
[3] Die Nationalsozialisten haben die Weimarer Verfassung formell nie aufgehoben; sie war faktisch außer Kraft gesetzt – sie galt de jure ohne dass sie für irgendetwas Geltung hatte oder zur Geltung gebracht wurde. Die Würde des Menschen bleibt von vielem unangetastet, wenn man sie so versteht, dass sie dem Schutz des Volks und seiner Gesundheit unterstellt werden muss. Eigennutz darf nie vor Gemeinwohl stehen. Solidarität ist deshalb die Grenze der Würde, die deshalb unangetastet bleibt, wenn sie sich solidarisch zeigt.
[4] In der Reichstagswahl vom November 1933, die dann zur Kanzlerschaft Hitlers geführt hat, hatte die NSDAP „nur“ 33,1 % der abgegebenen Stimmen erhalten, Die SPD kam auf 20,4 %, die KPD auf 16,9 % und das Zentrum auf 11,9 % der Stimmen. Die Linke aus SPD und KPD kamen auf deutlich mehr Stimmen als die NSDAP. „Das“ Volk war also keineswegs faschistisch gesinnt, wohl aber war der Staatsapparat willig.
[5] Nachweislich agieren Legislative und Exekutive immer wieder verfassungswidrig
[6] Laut dem Global Corruption Barometer der Transparency International werden „politische Parteien als die korruptesten Institutionen auf Erden betrachtet“ (David Van Reybrouck, Gegen Wahlen, Warum Abstimmen nicht demokratisch ist,2016).
[7] Einzelkandidaturen sind zwar möglich, aber im Grunde wirkungslos. Die Zusammensetzung des Parlaments bestimmt die Zweitstimme und damit die Parteien.
[8] Hannah Arendt, a.a.O., S. 347.
[9] Hannah Arendt, a.a.O., S. 347. Hannah Arendt bezieht sich hier auf Marice Duverger, Les Partis Politique (1952), den sie auch zitiert.
[10] Hannah Arendt, a.a.O., S. 349.
[11] Hannah Arendt, a.a.O., S. 356.
[12] Vita Activa war 1958 zuerst in Englisch unter dem Titel The Human Condition.
[13] So der Titel des 1955 in deutsch erschienen und von ihr selbst übersetzten Buchs: H. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 1955
[14] Cf. The Great Reset Programm des World Economic Forum mit ihren 8 Predictions for the World in 2030, also in knapp sechs Jahren:
You’ll own nothing. And you’ll be happy.
…
You won’t die waiting for an organ donor.
You’ll eat muss less meat.
…
Western values will have been tested to the breaking point.
[15] Hannah Arendt, a.a.O., S. 350.
[16] Hannah Arendt, a.a.O., S. 94.
[17] Natürlich gab es Arme, aber die Lebensbedingungen der breiten Mehrheit der Bevölkerung waren wesentlich besser. Und es gab vor allem „das furchtbare erniedrigende Elend der schwarzen Sklaven“ (a.a.O. S. 85), die allerdings politisch „unsichtbar“ blieben.
[18] „When I contemplate these things; when I know that the Colonies in general owe little or nothing to any care of ours, and that they are not squeezed into this happy form by the constraints of watchful and suspicious government, but that, through a wise and salutary neglect, a generous nature has been suffered to take her own way to perfection; when I reflect upon these effects, when I see how profitable they have been to us, I feel all the pride of power sink, and all presumption in the wisdom of human contrivances melt and die away within me. My rigor relents. I pardon something to the spirit of liberty.“ (Edmund Burke, On Moving His Resolutions for Conciliation with the Colonies, House of Commons, 22. März 1775)
[19] Cf. James Madisons Federalist_Artikel 51: „Ambition must be made to counteract ambition.“
[20] Zit. n. Hannah Arendt, a.a.O., S. 119.
[21] Hannah Arendt, a.a.O., S. 215.
[22] Zit. n. Hannah Arend, a.a.O., S. 324.
[23] Zit. n. Hannah Arend, a.a.O., S. 325.
[24] Zit. n. Hannah Arend, a.a.O., S. 319.
[25] Z.B. in seinem Brief vom 2. Februar 1816 an Cabel, cf. Hannah Arendt, a.a.O., S. 325.
[26] Zit. n. Hannah Arendt, a.a.O., S. 319.
[27] Hannah Arendt, a.a.O., S. 319.
[28] Zit. n. Hannah Arendt, a.a.O., S. 306. Ganz in diesem Sinne heißt es bei Jean-Jacques Rousseau, a.a.O., III 15, S. 121: „Sobald die öffentliche Betätigung im Dienste des Staates aufhört, die Hauptangelegenheit der Staatsbürger zu sein, und sie ihm lieber mit ihrem Geld als mit ihrer Person dienen, ist der Staat schon seinem Untergang nahe.“
[29] Hannah Arendt, a.a.O., S. 289.
[30] So auch die Verfallsgeschichte, die Platon im achten Buch der Politeia vorführen lässt.
[31] Unveräußerliche Rechte, die dem Menschen als Menschen zukommen, sind allen früheren Jahrhunderten fremd. Das verdankt sich schon dem „bemerkenswerten Tatbestand“, „daß das lateinische Wort für ‚Mensch‘, homo, ursprünglich jemandem galt, der ‚nur ein Mensch‘ war und kein Bürger, daß als ‚Menschen‘ im wesentlichen die Sklaven bezeichnet wurden.“ Wer „nichts war als ein Mensch, war […] rechtlos.“ (Hannah Arendt, a.a.O., S. 55f.)
[32] Hannah Arendt, a.a.O., S. 36.
[33] Hannah Arendt, a.a.O., S. 303. Das ist etwas überspitzt: geht in den Besitz der Regierenden über wäre wohl treffender
[34] Hannah Arendt, a.a.O., S. 304.
[35] Hannah Arendt, a.a.O., S. 326f.
[36] Jean-Jacques Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag, 1978, III 15, S. 122, Hervorhebung von HL.
[37] Jean-Jacques Rousseau, a.a.O, III 15, S. 122.
[38] Alexis de Toqueville, Über die Demokratie in Amerika, 1976, Erster Teil, I 8, S. 145ff.
[39] Colin Crouch, Postdemokratie, 2008, S. 10.
[40] So der Titel von Jürgen Habermas Habilitationsschrift von 1961: Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit, Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, 1962.
[41] David Van Reybrouck, Gegen Wahlen, Warum Abstimmen nicht demokratisch ist, 2016.
[42] Roland Rottenfußer, Selbstbestimmung statt Stimmabgabe, im Online Magazin Manova: https://www.manova.news/artikel/selbstbestimmung-statt-stimmabgabe.
[43] Karl Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich (1871), MEW 17, S. 342.
[44] Hannah Arendt, a.a.O., S. 327.
[45] Hannah Arendt, a.a.O., S. 75.
[46] Büchner, Dantons Tod, I 158f., Sämtliche Werke und Schriften, Historisch-kritische Ausgabe, hrsg. v. Burghard Dedner u.Thomas Michael Mayer, Bd. 3.2, 2000, S. 22
[47] Hannah Arendt, a.a.O., S. 331. Ähnlich Rosa Luxemburg zum Niedergang der Sowjets im Laufe von 1918: „Mit dem Erdrücken des politischen Lebens im ganzen Lande muß auch das Leben in den Sowjets immer mehr erlahmen. Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse- und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution, wird das Scheinleben in der Bürokratie allein das tätige Element. Das öffentliche Leben schläft allmählich ein, einige Dutzend Parteiführer von unerschöpflicher Energie und grenzenlosem Idealismus dirigieren und regieren, unter ihnen leitet in Wirklichkeit ein Dutzend hervorragender Köpfe, und eine Elite der Arbeiterschaft wird von Zeit zu Zeit aufgeboten, um den Reden der Führer Beifall zu klatschen, vorgelegten Resolutionen einstimmig zuzustimmen, im Grunde also Cliquenwirtschaft – nicht Diktatur des Proletariats, sondern die Diktatur einer Handvoll Politiker.“ (Rosa Luxemburg, Zur Russischen Revolution (1918), zit. nach Hannah Arendt, a.a.O., S. 319)
[48] David Van Reybrouck, a.a.O., S. 156.
[49] David Van Reybrouck, a.a.O., S. 112.
[50] Roland Rottenfußer, a.a.O.