The Great Reset

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Aristophanes, Uffizien

Aristophanes (450-380 v. Chr.) ist einer der alten Griechen, denen als Teil des humanistischen Erbes bleibende Bedeutung zugeschrieben wird, mit denen wir uns gleichwohl nicht ganz leicht und manchmal richtig schwertun. Aristophanes drängt sich uns nicht gerade auf – aber wie so oft, können wir gerade daraus besonders viel über uns selbst lernen.

Aristophanes schrieb Komödien, ziemlich derbe Komödien. Wie die im humanistischen Gymnasium der Kaiserzeit gelesen wurden, vermag ich mir nicht recht vorzustellen. Heute gehören sie meines Wissens nicht mehr zum Lektüreplan des altsprachlichen Unterrichts – sie würden wohl auch die besorgte Nachfrage von Elternbeiräten veranlassen.

Schwerter zu Pflugscharen oder: raus aus der Nato!

Lysistrate z.B. ist so ein Stück von ihm, das es in sich hat. Es wird heute noch gelegentlich aufgeführt, weil es auf den ersten Blick politisch korrekt ist (oder jedenfalls war): Um den in ständigen Kriegereien sich aufreibenden griechischen Städten Frieden zu bringen, verschwören sich die Frauen der verfeindeten Städte Athen und Sparta gegen ihre Männer. Sie treten in Sex-Streik und verweigern sich ihren/den Männern bis die endlich zermürbt aufgeben und um der sexuellen Befriedigung willen auch den politischen Frieden schließen. Dem Kopf dieser Frauenbewegung – oder müsste man „Kopf*“ sagen oder von der „ideellen Anführerin“ sprechen (oh, oh, oh)? – gibt Aristophanes den sprechenden Namen Lysistrate, Auflöserin des Heeres. Das war damals ganz schrecklich, dann lange Zeit pazifistisch richtungsweisend und gilt jetzt wieder als Querfront-Verschwörung.

Aristophanes jedenfalls nutzt das politische Frauen-Programm zu einem Feuerwerk von mehr oder weniger lasziv-obszönen Zotten: die „aufgestachelten“ Männer – sie tragen auf der Bühne mit umgebundenen Leder-Phalli Dauererektionen zur Schau – fließen „vor Sehnsucht“ über … während die Damen ihrerseits wegen fehlender Dienstleistungen allerhand Disziplin aufbringen müssen, eine gewisse Leere empfinden und sehnsüchtig auf männliche „Anstöße“ und inhaltliche Befruchtung warten. Sie halten sich die sichtbare Bedürftigkeit ihrer Männer durchaus zugute und glauben die ungewöhnliche Standfestigkeit einiger Geschlechtsgenossinnen schnell mit dem Mangel der ehegattlichen erklären zu können. Die männliche Phantasie des Aristophanes – oh Wokeness, wo warst Du bloß vor zweieinhalbtausend Jahren? – fließt förmlich über und zeigt die Männer zugleich als arme Hanswurste, die sich in ihre eigenen Intrigen und Machtspiele verstrickt haben.

Die friedensschaffende Frauen-Power finden wir inzwischen wohl eher gut – also natürlich entsprechend gegendert, denaturalisiert und von sexistischen Stereotypen gereinigt. Aristophanes sieht darin freilich ein Zeichen des Verfalls. Es ist eine verkehrte Welt, die er da aufführt – und wir lachen darüber, weil alles auf den Kopf gestellt wird und aberwitzige Verhältnisse eintreten. Also was wir irgendwie gut an Aristophanes finden, das galt ihm gerade als sichtbares Zeichen pervertierter Politik. Dass der Frieden, den alle wollen, nur mehr so denkbar zu sein scheint, zeigt die Selbstauslöschung des Politischen.

Great Reset

Das zeigt sich auch in einem anderen Stück, das zum Spätwerk Aristophanes’ gerechnet wird und bei den Theater-Machern weit weniger beliebt war und ist, den Ekklesiazousai, der Volksversammlung der Frauen, traditionell als Weibervolksversammlung betitelt. Wieder spielen die Frauen eine politikbestimmende Rolle und wieder geht’s mächtig zur Sache – heute würden wir wohl von „nicht jugendfrei“ sprechen. Und dennoch – oder gerade deswegen? – gibt es (mindestens) zwei Gründe die Ekklesiazousai zu lesen: einen politischen (I) und einen noch besseren, einen philosophischen (II). Beginnen wir mit dem Politischen und schließen mit Betrachtungen zur Kunstform eines Zeitgenossen von Aristophanes, nämlich Platon (427-347) ab (III), der ihn an dramatischer Kunst noch übertrifft.

I

In Athen liegt vieles im Argen, die politischen Zänkereien um Einfluss und Macht führen von einem Notstand in den nächsten. Pleonaxia (πλεονεξία), die Gier des Mehr-Haben-Wollens, bestimmt das öffentliche Leben. Sie gilt traditionell als Laster der Ungerechtigkeit und damit des Zerfalls des Politischen. Die Herren der Politik jagen immer neuen, schnell sich verbrauchenden politischen Parolen hinterher und ruinieren das Gemeinwesen.

Dagegen stehen jetzt die Frauen auf und verschwören sich gegen ihre verpeilten Männer, deren politisches Interesse sich darin erschöpft, sich die Aufwandsentschädigung nicht entgehen zu lassen, die sie für die Teilnahme an der Volksversammlung erhalten. Also nehmen sich die Rebellinnen die Kleider, Stiefel und Stöcke ihrer sowieso weitgehend lebensuntüchtigen Männer, hängen sich Bärte um und kapern die Ekklesia, die athenische Volksversammlung. Ihre Sprecherin, Praxagora,[1] schlägt dort vor, den Frauen die Herrschaft zu überantworten. Sie hatte sich dafür eine rhetorisch aufwändige Argumentation zurechtgelegt: die Frauen wären durch ihre fürsorgliche, friedliche Natur besser zur Verwaltung des Gemeinwesens geeignet und seien deshalb seit jeher bei der Haushaltsführung erfolgreich, nämlich der Oikonomia, die sich um Haus und Hof, den oikos, sorgt. Aber schließlich reicht schon der Hinweis auf das innovativ Neue des Vorschlags, um die politisch verwirrten Männer, die sich überhaupt noch eingefunden haben, vom Great Reset zu überzeugen.

Was die Frauen dann in Athen einführen ist eine „kommunistische“ Güter- und Lebensgemeinschaft: alles ist Eigentum aller. Frauen, die bisher aus der politischen Ordnung ausgeschlossen waren und deren Natur die Rechtsungleichheit zu legitimieren schien, erzwingen nun die absolute Gleichheit: künstliche, gesellschaftliche Unterschiede werden beseitigt und die natürlichen „aufgehoben“.[2] Es sind die seit jeher angeführten Vorteile des streit- und neidlosen Gemeinguts. „You’ll own nothing, and you will be happy“ – so klingt das auch heute aus den Davoser Höhen der Young Global Leader. Aristophanes lässt die neue Ordnung mit dem Vorrang der Oikonomia begründen. Es ist dann auch naheliegend, dass die ausgewiesenen Experten für Oiko-Logische die politische Herrschaft übernehmen. Den schlappen Männern wird versprochen, dass sie gut versorgt werden ohne sich um etwas kümmern zu müssen. Der Great Reset macht alles gut.

Sexuelle Befreiung

Auch der Sex, die Fortpflanzung und die Aufzucht des Nachwuchses wird vergesellschaftet. Der Einwand besorgter Männer, dass die schönen und jungen Frauen doch präferiert würden und demnach eine natürliche Konkurrenz schüfen, begegnet das neue Frauenrecht trickreich: jeder Mann dürfe eine junge Hübsche erst dann „beglücken“, wenn er vorher eine weniger Attraktive, die vielleicht auch schon in die Jahre gekommen ist, glücklich gemacht habe. Da ist Aristophanes in seinem Element. Genüsslich führt er den derb-obszöne Wettbewerb um die sexuellen Gefälligkeiten eines jungen Athleten vor. Der freilich sorgt sich, ob er nach seiner neigungslosen Pflicht auch für die vergnügliche Kür noch die nötigen Kräfte wird aufbringen können.

Die älteren „Herrschaften“ sehen andererseits die Gefahr, dass sie der Forderung nach Erfüllung der inzwischen etwas lästig gewordenen Ehepflichten nun wieder verstärkt ausgesetzt sein könnten. Praxagora z.B. ist die junge Frau eines deutlich älteren Mannes, der sich zunehmend über die Ansprüche seiner jungen Gattin beklagt und inzwischen die Wahl der jungen Schönen zu bereuen scheint, für die ihn seine Geschlechtsgenossen beneidet hatten. Auch hier könnte die sexuelle Freiheit eine Befreiung bringen: Sportschau gucken, Stammtischkegeln oder das Schrauben am Motorrad werden nicht mehr durch lästige Ansprüche gestört.

Visionäre Farce

Natürlich ist das alles eine lächerliche Farce. Dass sich die Frauen ihr Recht nehmen und die Politik maßgeblich bestimmen, das mag uns heute als eine fortschrittliche Vision des Aristophanes erscheinen. Und auch das Modell der irgendwie „kommunistischen“ Gütergemeinschaft einer „Überlebensgesellschaft“[3] mag uns heute naheliegend oder gar notwendig erscheinen. Für den erzkonservativen Aristophanes war es der Ausdruck eines Verfalls. Dass die Frauen das Politische bestimmen, beweist ihm den Niedergang des Politischen. Dass es mit dem „Staat“ nicht so weitergehen kann wie bisher, das teilt mit „seinen“ rebellischen Frauen. Das Gemeinwesen ist auf einem selbstzerstörerischen Pfad und dass dies so ist, zeigt sich eben auch und vor allem daran, dass nun das Oiko-Logische zum Gesetz wird (Oiko-Nomia), die Ökonomisierung der Politik ist ihre Abschaffung. Das ist für einen „alten Griechen“ wie Aristophanes undenkbar, eine „verkehrte Welt“. Sie ist der Auswuchs demokratischen Verfalls. Für Aristophanes zeigt das die Wahrheit der Demokratie, ihr Wesen. Demokratie ist eine Verfallsform des Politischen, die immer in der Gefahr steht, das Politische gänzlich aufzulösen. Demokratie ist in ihrem Kern „populistisch“. Sie ist z.B. breit gestreuten Medienkampagnen diverser, finanzstarker Oligarchen ausgesetzt – und damit leicht eine versteckte Oligarchie. Sie wird durch den Glamour der Herrschenden, durch Visagisten und PR-Berater, von Machtdemonstrationen und gekauften Fake News beeinflusst.

Das kontrastiert mit dem, was für die Griechen das Politische ursprünglich ausmacht. Es ist am Ideal des Ariston (ἄριστον) orientiert: Immer vorzüglich zu sein, αἰὲν ἀριστεύειν, sich durch Vorzüglichkeit auszuzeichnen, macht die Vorzüglichkeit des Guten (ἀγαθός) und seines Charakters aus (ἀρετή). Das gilt auch für die Polis. Die gute Polis ist eine Aristos-Kratie, eine Herrschaft des Vorzüglichen, nicht des Mehrheitsfähigen. Aristokratie ist nicht mit Oligarchie, der Herrschaft weniger Reicher oder der Erbschaft von Rechtstiteln gleichzusetzen. Aristokratie zeichnet sich durch gewinnende Vorzüglichkeit aus.

Das können – so die „alten Griechen“ – auch Demokraten nicht leugnen: auch sie reden von der Herrschaft des Guten, des Aristos. Allerdings gibt es, so meinen sie, einen „demokratischen“ Streit darüber, was denn das Gute und Vorzügliche sei[4] – und hier müsse eben die Mehrheit entscheiden. Das hier ein Problem liegt, zeigen schon die demokratischen Alternativen fürs politisch Vorzügliche, also die zur Wahl stehenden „Aristoi“: Trump oder Biden, Scholz oder Laschet, die selbsternannte Völkerrechtlerin oder ein Schweine haltender Kinderbuchautor? Demokratie ist die kriteriologisch umstrittene Aristokratie.

Der kleinste gemeinsame Nenner ist sicher nicht das, was man vom vorzüglichen Charakter wird sagen wollen. Das Vorzügliche ist eben nicht gemein, nicht gleich-gültig und auch nicht „klein“. Und auch der größte gemeinsame Teiler stellt nur bedingt zufrieden: manche werden hungern, weil es der Mehrheit taugt. Das ist die Herausforderung des Politischen, das Gute gegen das Gutgemeinte zu schützen – und das Vorzügliche vor der Mehrheit.

Nicht Mehrheiten machen Behauptungen wahr, sondern Tatsachen. Eine Behauptung ist nicht wahr, weil sie eine Mehrheit für wahr hält. Sie ist wahr, wenn der behauptete Sachverhalt der Fall ist. Ob die Erde sich in einer Umlaufbahn um die Sonne bewegt, ist keine Frage nach den mehrheitlich darüber geäußerten Meinungen, sondern danach, wie es sich tatsächlich verhält. Dafür gibt es „gute Gründe“, die uns auch gegen den Augenschein schließlich davon überzeugen. Wir werden gut daran tun, die Gründe derer ernst zu nehmen, die sich in einer Sache auskennen. Im „technischen“ Bereich, also z.B. beim handwerklichen Können, zeigt der Vorzug des Wissens in der Regel „von selbst“ an der Güte des Werks. Die von einem Schreinermeister geschreinerten Möbel erfüllen ersichtlich die an sie gestellten Anforderungen und die Stiefel, die von einem Meister geschustert wurden, werden sich spürbar von denen unterscheiden, die ein Anfänger zustande bringen konnte.

Natürlich gibt es gute Gründe, etwas durch die Mehrheit entscheiden zu lassen – also einen demokratischen Entscheidungsprozess einem autoritativen oder autokratischen vorzuziehen.[5] Der Hinweis auf „gute Gründe“ ist aber auch hier entscheidend.

Das ist alles „ein weites Feld“, das die politische Philosophie nun seit über zweitausend Jahren zu bestellen sucht und zur Idee des demokratischen Rechtsstaats geführt hat, der die Macht der Mehrheit durch Gewaltenteilung zu beherrschen versucht.[6] Aristophanes gibt dafür lediglich einen komödiantischen Impuls. Mit ihm zu lachen, heißt eben, sich der Gefahr einer demokratischen Verengung des Politischen gewahr zu werden – was heute besorgt unter dem Titel „Populismus“ verhandelt wird. Die grundgesetzliche Ordnung will deshalb – vor allem mit Blick auf die katastrophalen politischen Verirrungen des 20. Jahrhunderts – das Recht der Minderheit und des Einzelnen gegen die Willkür der Mehrheit schützen.

Sache der philosophischen Ethik

Was das Vorzügliche wirklich ausmacht, das ist die Frage der philosophischen Ethik. Philosophie erhebt den Anspruch, das Vorzügliche durch „gute Gründe“ auszeichnen zu können. So wie sich der vorzügliche Handwerker durch sein Werk auszeichnet, so lässt sich die Wahrheit von Aussagen und die Richtigkeit von Handlungen durch gute Gründe bestimmen. Vorzüglichkeit hat einen normativen Sinn und beschreibt, was vorzuziehen ist, nicht was vorgezogen wird. Das Vorzügliche bezeichnet nicht das, was tatsächlich (mehrheitlich) vorgezogen wird, sondern was aus guten Gründen vorgezogen werden sollte.

Dieses Wissen zeichnet die Kunst des Könners aus. Er weiß, was zu tun und was zu lassen ist. Ohne diese Kunst muss man sich aufs Ausprobieren immer neuer Beliebigkeiten verlassen. Politisch entspricht das der demokratischen Willkürlichkeit wie sie Aristophanes lächerlich macht. Es sei denn man könnte ein Wissen des politisch Vorzüglichen und eine ethische Begründung des Politischen gewinnen. Aristophanes Ekklesiazousai führen so zu Platons Politeia, die vieles von dem spiegeln, was sein Zeit- und wohl auch Gesinnungsgenosse Aristophanes komödiantisch vorlegte.

II

Nun soll es ja „die sicherste allgemeine Charakterisierung der philosophischen Tradition Europas“ sein, „daß sie aus einer Reihe von Fußnoten zu Platon besteht“.[7] Die Fußnoten haben allerdings zum Teil sehr kritische Qualität. Popper z.B. hat Platon zum „Feind der offenen Gesellschaft“ erklärt. Und da wir natürlich (fast) alle für offene Gesellschaften sind, wollen (und dürfen) wir nicht so denken wie Popper es Platon zuschreibt. Dem verführerischen „Zauber Platon“ sind dann – so Popper – weitere „falschen Propheten“ gefolgt, nämlich Hegel und Marx. Russell nennt Poppers „Angriff auf Platon“ „unorthodox, aber … gerechtfertigt“ und seine „Analyse von Hegel“ „vernichtend“. Auch Marx hätte er „mit gleichem Scharfsinn untersucht“ und zurecht „seinen Anteil an der Verantwortung für das zeitgenössische Unheil … festgestellt“. Nun gestehe ich, dass ich dem „Zauber Platons“ erlegen bin und auch die von Popper zu den „falschen Propheten“ erklärten Hegel und Marx sehr schätze. Ob die Kritik „gerechtfertigt“ ist und von einer ernstzunehmenden „Analyse von Hegel“ wirklich gesprochen werden kann, darüber kann man natürlich streiten.[8] Hegel macht es jedenfalls seinen Leser wahrlich nicht leicht, gehören seine Schriften doch wohl zu den schwierigsten der Philosophiegeschichte.

Popper hat es da bei Platon scheinbar viel einfacher. In der Politeia lässt Platon Sokrates im Gespräch mit Glaukon und Adeimantos, zwei Brüdern Platons, einen Klassen- und Kastenstaat mit totalitären Zügen entwerfen, in dem eine „Herrenklasse“ mit allen Mitteln der Indoktrination und Zensur den „idealen“ Staat ermöglichen will. Dass Platon, der dem attischen Hochadel entstammt und als erzkonservativ gelten muss, einem streng hierarchisch gegliederten Staat nicht abgeneigt gewesen sein könnte – später sprach man da gerne von Nähr-, Wehr- und Lehrstand – mag noch naheliegend scheinen und scheint ihn zu einem „Feind der offenen Gesellschaft“ zu machen.

Platon der feministische Kommunist?

Aber um die „militaristisch“ geprägte staatliche Ordnung möglich zu machen, lässt Platon von den „Modell-Staat“-Gründern noch zwei weitere schwer zu vermittelnde Voraussetzungen einführen: eine „kommunistische“ Gütergemeinschaft des Wehrstands, dem auch („gleichberechtigt“) Frauen angehören und in der nicht nur Privatbesitz aufgehoben ist, sondern auch der Familienverband zerschlagen wird. Die Sexualität ist weitgehend „vergesellschaftet“ und die Aufzucht der Kinder, die keinem bestimmten Vater zugeordnet werden, ist Sache der Gemeinschaft, die sich zu eugenischen Prinzipien bekennt. Auch hier kann man die Kritik Poppers leicht nachvollziehen – das in der Politeia entworfene Staatsmodell ist alles andere als Ausdruck einer „offenen Gesellschaft“ und mit Blick auf die Erfahrungen des 20.Jahrhunderts inakzeptabel und allenfalls noch historisch „interessant“. Soll man aber tatsächlich annehmen, die „kommunistische“ Gütergemeinschaft mit gleichberechtigten Frauen und der Zerschlagung der Familienstruktur sei tatsächlich der Vorschlag des erzkonservativen Platon? Platon lässt Sokrates gleich im ersten Satz der Politeia, seinen Bruder Glaukon als „den Sohn des Ariston“ ansprechen[9] und wiederholt das an entscheidenden Passagen der Politeia.[10] Sollen die Söhne also allen Ernstes nicht mehr über ihre Väter und Familien angesprochen und das heißt zugleich in die Pflicht genommen werden?[11]

Sokrates ist sich über die Anstößigkeit dieses Staatsentwurfs natürlich im Klaren. Die Erörterung über die Frauen- und Kindergemeinschaft ist ein Exkurs, zu dem sich Sokrates durch seine Gesprächspartner genötigt sieht. Er war bei der Einführung des Wehrstands den Details über ihre Erziehung mit dem beiläufigen Hinweis auf das Sprichwort, dass Freunden alles gemein sei, ausgewichen.[12] Nun sind die (männlichen) Gesprächspartner aber doch brennend darin interessiert, wie man sich im Modellstaat die „Gemeinschaft“ mit den Frauen vorzustellen habe.[13]

Gar viel Unglaubliches

Sokrates ziert und windet sich. Es sei „gar viel Unglaubliches“ (πολλαι ἀπιστίαι), das hier auszuführen wäre. Hier helfe auch nicht, dass die Freunde ihm Mut machen: „Denn wenn ich mir zutraute, das zu wissen, wovon ich rede, wäre mir diese Zusprache ganz willkommen. Denn unter vernünftigen und lieben Menschen auch über die wichtigsten und liebsten Dinge das Wahre, was man weiß, vorzutragen, das ist ganz sicher und ohne Gefahr; aber selbst noch ungewiß und suchend, zugleich etwas vorzutragen, wie ich es tun soll, das ist bedenklich und unsicher. Nicht etwa, daß man sich nicht lächerlich mache; denn das ist ja kindisch! Sondern daß ich nicht, die Wahrheit verfehlend, dann nicht nur selbst liege, sondern auch die Freunde mit mir herunterziehe, und das bei Dingen, wo man am wenigsten sollte fehlgetreten haben.[14] Sokrates wird dann noch mehrfach darauf hinweisen, dass „gar vieles Ungewohnte lächerlich erscheinen“ wird.[15] Und natürlich lässt Sokrates – hier ganz dem Aristophanes folgend – die aus Sicht seiner männlichen Gesprächspartner delikateste Konsequenzen der Gleichberechtigung nicht aus: „Und welches siehst du wohl als das Lächerlichste darunter an? Oder offenbar wohl die nackten Weiber, die sich auf den Übungsplätzen unter den Männern üben, und zwar nicht nur die jungen, sondern gar erst die schon älteren, wie ja auch ältere Männer in den Gymnasien, wenn sie schon runzlig sind und gar nicht mehr erfreulichen Anblicks, doch noch die Übungen lieben?[16] Das mag man sich natürlich nur schwer vorstellen.[17]

Aber damit nicht genug. Sokrates führt nun eine „Einrichtung“ (νόμος) an, „die an Unglaublichkeit bei weitem noch“ das Vorige übertrifft:[18]Daß diese Weiber alle allen diesen Männern gemein seien, keine aber irgendeinem eigentümlich beiwohne und so auch die Kinder gemein, so daß weder ein Vater sein Kind kenne, noch auch ein Kind seinen Vater.[19] Die Gleichberechtigung hat zum einen eine auffällige Schlagseite: Die Frauen sind den Männern „gemein“ (κοινός), nicht umgekehrt. Und es geht vor allem darum, dass die Väter nicht ihre Söhne und die Söhne nicht ihre Väter erkennen. Wie gesagt, das dürfte den Zeitgenossen Platons nicht für sonderlich erstrebenswert gegolten haben – und für Platon? Wollen wir wirklich glauben, dass der hochadlige Platon es für ratsam gehalten haben kann, die eigenen Nachkommen nicht mehr zu kennen? Sir Raymond Popper und ein Großteil der Tradition scheint das für wahrscheinlich zu halten. Jedenfalls müssen die Neugeborenen zu diesem Zwecke den Müttern entzogen und in eine gemeinsame „Aufzuchtstation“ gegeben werden, in der die Mütter die Babys stillen, „so jedoch, daß sie auf alle ersinnliche Weise verhüten, daß eine das Ihrige erkenne“.[20] So lässt sich auch eine eugenische Auswahl umsetzen, die kranke oder behinderte („verstümmelte“) Kinder „entfernt“ – etwas, zu dem man sich gezwungen sieht, „wenn doch, …, das Geschlecht unserer Hüter ganz rein sein soll“.[21]

Ist das alles möglich?

Verständlicher Weise versucht Sokrates auch hier auszuweichen (ἀποδιδράσκειν, nämlich zu entwischen oder zu entfliehen). Er möchte gar nicht über die Richtigkeit reden – bei ihm heißt das „Nützlichkeit“ oder Zuträglichkeit (ὠφέλιμος) – und stattdessen nur die Möglichkeit, also die Umsetzbarkeit, erörtern. Doch auch hier spielt Sokrates wieder mit seinen Gesprächspartnern, denn nachdem er sich von ihnen gezwungen sieht, beides, Richtigkeit und Umsetzbarkeit, zu besprechen, bittet er sich aus, gleich „den Faulen“ (οἱ ἀργοὶ) vorgehen zu dürfen, die sich allerlei Wünschenswertes ausdenken „ehe sie noch ausgefunden haben, auf welche Weise wohl etwas, wonach sie streben, zustande kommen soll, dies übergehend, damit sie sich nicht plagen müssen mit Überlegungen über die Möglichkeit und Unmöglichkeit, anzunehmen, das sei schon da, was sie wünschen“.[22] Wollte er also vor dem Leichteren fliehen und sich stattdessen auf das Schwierige konzentrieren, das die Faulen aufschieben? Das von den Faulen aufgeschobene Schwierige freilich erklärt er dann zum Einfachen, „wenn doch die Herrschenden diesen Namen verdienen (οἱ ἄρχοντες ἄξιοι  τούτου τοῦ ὀνόματος) und ihre Gehilfen gleichfalls, so werden ja wohl die einen so sein, das Befohlene zu tun, die anderen aber werden befehlen, so daß sie den Gesetzen teils selbst gehorchen, teils in allem, was wir ihnen selbst freigestellt haben, sie nachbilden“.[23] Das gutgeordnete Gemeinwesen braucht keinen Zwang und setzt sich von selbst durch – die Archonten befehlen, was alle sowieso eigentlich wollen. Gehorsamkeit ist hören auf die eigene Natur. Die Möglichkeit soll sich ganz einfach (?) aus der Richtigkeit der Anordnung ergeben und so „entflieht“ Sokrates tatsächlich in ein formales Argument: wenn die Anordnung richtig ist, dann ist sie auch umsetzbar – sonst wäre sie auch nicht richtig.[24]

Er wäre damit vielleicht durchgekommen, wenn seine (männlichen) Gesprächspartner nicht so großes Interesse an den Regelungen zur „Vergemeinschaftung“ der Geschlechter nehmen würden.

Nur mit allerlei Täuschung und Betrug

Im Folgenden zeigt sich dann, dass Sokrates tatsächlich gute Gründe hatte, die Anordnung des geschlechtlichen Zusammenlebens beiseite zu lassen. Hier muss nämlich vieles bedacht werden, damit das gewünschte Ziel erreicht werden kann: Die Auflösung der ehelichen Monogamie soll nämlich gleichwohl nicht bedeuten, „sich ohne Ordnung untereinander zu vereinen“ (ἀτάκτως μὲν μείγνυσθαι ἀλλήλοις)[25] – schade eigentlich, mag da der eine oder andere gedacht haben. Die staatliche Ordnung nämlich sieht vor, dass die Besten sich den Besten „zuwenden“ sollen und für ihre Vortrefflichkeit z.B. im Krieg (sexuell) belohnt und für ihre Nachlässigkeit durch „Liebesentzug“ sanktioniert werden sollen. Deshalb müssen „unsere Herrscher allerlei Täuschung und Betrug anwenden“ – natürlich „zum Nutzen der Beherrschten“: „Nach dem Eingestandenen sollte jeder Trefflichste der Trefflichen am meisten beiwohnen, die Schlechtesten aber den ebensolchen umgekehrt; und die Sprößlinge jener sollten aufgezogen werden, dieser aber nicht, wenn uns die Herde [!] recht edel bleiben soll; und dies alles muß völlig unbekannt bleiben, außer den Herrschenden selbst (πλὴν αὐτοὺς τοὺς ἄρχοντας), wenn die Gesamtheit der Hüter soweit wie möglich durch keine Zwietracht gestört werden soll.[26]

Die Herrscher, die selbst aus der Wächterklasse zur Herrschaft bestimmt werden, müssen also ihre eigenen Klassengenossen betrügen – und auch ihnen wurde – wie dem Rest des Wehrstands – die Wahrheit über die herrschende Ordnung vorenthalten bis sie selbst die Herrschaft übernahmen bzw. übernehmen mussten.

Ist das wirklich möglich? Man mag da – wie Popper – an totalitäre Staaten mit einer alles beherrschenden Indoktrination denken – und es mag dabei auch die Bereitschaft zur mutwilligen Desinformation und Lüge zu finden sein. Aber dass die Staatsgründer Lug und Trug zur systematischen Grundlage des „gerechten Staats“ erklären – das mag einen selbst mit Blick auf die Ausprägungen des Totalitarismus im 20. Jahrhundert merkwürdig erscheinen. Zumindest die maßgeblichen Köpfe der politischen Programme, sollten doch an die „Wahrheit“ ihrer politischen Programme glauben oder wollen wir annehmen, dass nationalsozialistische „Staatsgründer“ die Lüge des Herrenmenschen erfinden und der Bevölkerung und den eigenen Mitstreitern so lange erzählen bis einige von ihnen selbst die Rolle der „Führer“ übernehmen und nun selbst die Lüge als Lüge erkennen und weiter fortspinnen? Mir scheint das ziemlich ungereimt. Aber es ist die Grundlage für eine Kritik à la Popper und all derer, die aus der Politeia, das politische Programm Platons ableiten wollen.

Wer soll es richten?

Auch den Gesprächspartnern drängt sich die Frage wieder auf, ob das ausgeklügelte Modellstaat tatsächlich möglich ist. Und nun zeigt sich auch, dass aus dem wohlgeordneten, in sich schlüssigen und gutgemeinten Modell nicht auf seine Wirklichkeit geschlossen werden darf. Glaukon fordert deshalb, Sokrates solle zeigen, „daß eine solche Verfassung auch möglich sei und auf welche Weise sie möglich sei“. Und er legt den Finger an die entscheidende Stelle: „Denn daß, wenn sie erst bestände, alles vortrefflich stehen werde in dem Staate, der sie [die „wohlberatene“ Verfassung] hätte, das erkläre ich hiermit … Also, als ob ich dies alles und noch tausend anderes [ähnlich Anstößiges?; HL], daß es so sein würde, wenn eine solche Verfassung bestände, schon eingestanden hätte, mach nur darüber keine Worte weiter; sondern hiervon laß uns nun endlich versuchen uns zu überzeugen, daß sie möglich ist und wie möglich, alles andere aber gehen lassen.[27] Glaukon bringt hier wohl seinen Zweifel am Realitätsgehalt des Modells zum Ausdruck: die Ordnung, die mit engelsgleichen Akteuren im Himmel der reinen Vernunft harmonisch sich selbst trägt, lässt sich wohlmöglich auf Erden doch nicht so leicht realisieren.[28]

Eng ist die Welt, und das Gehirn ist weit.
Leicht beieinander wohnen die Gedanken,
Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen
[29]

Glaukon will nicht mehr darüber reden, ob der Modellstaat denkbar und wünschenswert ist, sondern ob und wie er Realität gewinnen könnte. Je anstößiger, unplausibler das Modell ist, also je weiter es vom common sense entfernt ist, desto schwieriger wird seine Umsetzung. Warum sollten die Bürger etwas einführen, was ihnen unsinnig erscheint – wie das zweifellos bei der von Sokrates, Glaukon und Adeimantos modellierten Güter- und Lebensgemeinschaft der Fall ist. Tatsächlich ist das alles ja auch im Modell nur mit einem rigiden Erziehungsprogramm tragfähig und im Grunde zirkulär: der eingerichtete Staat ist nur als bereits eingerichteter Staat „denkbar“. Die grob beschriebene Güter- und Lebensgemeinschaft ist essentiell für die Ausübung der Funktion, die den „Wächtern“ im Modellstaat notwendig zukommt.

Damit sieht sich Sokrates dem „größten und gefährlichsten“ Angriff ausgesetzt, weil er ihn zwingt, eine „unerhörte Überlegung“ bzw. einen „paradoxen Logos“ vorzubringen (παράδοξον λόγον λέγειν) und zu prüfen.[30] Die Frage ist so grundsätzlich, dass Sokrates sich genötigt sieht, an die leitende Ausgangsfrage zu erinnern: das Ziel sollte sein, die Gesprächspartner „wirklich davon zu überzeugen, daß es auf alle Weise besser ist, gerecht zu sein als ungerecht“.[31] Denn tatsächlich gibt es eine starke Intuition, dass der Gerechte nicht selten der Dumme ist. Gerechtigkeit, so scheint es, bezieht sich vorrangig auf die Rechte anderer, die im eigenen Tun und Lassen zu achten sind. Sie begrenzt unsere Möglichkeiten und fordert, uns gegenüber anderen zurückzunehmen. Umgekehrt fordert man von Anderen Gerechtigkeit dann, wenn die eigenen Rechte in Gefahr geraten, missachtet zu werden. Die Einhaltung gegenseitiger Verpflichtung mag insgesamt nützliche Folgen haben, dann aber liegt der Vorteil eher im Gerecht-Scheinen als im Gerecht-Sein. Es geht um nichts weniger als darum „auf welche Weise man leben soll“ (περὶ τοῦ ὅντινα τρόπον χρὴ ζῆν),[32] gerecht nämlich oder nur gerecht scheinend, aber ungerecht handelnd.

Hierfür war natürlich zu untersuchen, was denn unter Gerechtigkeit zu verstehen ist. Darauf bezieht sich Sokrates nun in seiner Antwort auf die Möglichkeit des Modellstaats: „Also zuerst, …, müssen wir uns dessen wohl erinnern, daß wir die Gerechtigkeit und die Ungerechtigkeit suchend, was sie recht sein mögen, hierher gekommen sind.[33] Nun ist zum einen vom gerechten Mann gar nicht zu fordern, dass er vollkommen gerecht sei, sondern „wir werden zufrieden sein, wenn er ihr nur so nahe wie möglich kommt und am meisten von allen an ihr Anteil hat“. Und man wird zweitens „in Absicht auf Glückseligkeit und ihr Gegenteil“ sagen können, „daß, wer ihnen am ähnlichsten ist, auch das ihnen ähnlichste Los haben werden“. Glücklicher als der Ungerechte lebt der Gerechte – wäre das zu zeigen nicht genug? „Oder willst du nicht zufrieden sein, wenn du soviel erlangst? Ich wenigstens wäre zufrieden.[34] – und auch Glaukon will sich damit zufriedengeben.

Es muss also nicht gezeigt werden, dass der Modellstaat genau so umgesetzt werden kann, wie er beschrieben wurde, sondern dass und wie ihm möglichst nahe zu kommen ist. Auch das setzt freilich voraus, dass das „Unglaubliche“ der Konstruktion glaubhaft gemacht werden kann und als Maßstab für die politische Orientierung Zustimmung findet. Das ist durch eine (!), „freilich keine kleine, auch nicht leichte, aber doch mögliche“ „Veränderung“ möglich. Aber Sokrates zögert, sie anzugeben, weil er fürchtet „mit Schmach und Gelächter ordentlich überschüttet“ zu werden (μέλλει γέλωτί καὶ ἀδοξίᾳ κατακλύσειν) und muss durch den leicht gereizten Glaukon nochmals ausdrücklich aufgefordert werden, sie endlich auszusprechen. „Wenn nicht, …, entweder die Philosophen Könige werden in den Staaten oder die jetzt so genannten Könige und Machthaber wahrhaft und gründlich philosophieren und als dieses beides zusammenfällt, politische Vermögen (δύναμίς πολιτικὴ) und die Philosophie, die vielerlei Naturen aber, die jetzt zu jedem von beiden einzeln hinzunahen, durch eine Notwendigkeit ausgeschlossen werden, eher gibt es keine Erholung von dem Übel für die Staaten, lieber Glaukon, und ich denke auch nicht für das menschliche Geschlecht, noch kann jemals zuvor diese Staatsverfassung nach Möglichkeit gedeihen und das Licht der Sonne sehen, die wir jetzt beschrieben haben.[35] Das sei aber nun „gegen aller Menschen Meinung“ (πολὺ παρὰ δόξαν). Glaukon bestätigt, dass „viele und gar nicht Schlechte (οὐ φαύλους)… aus allen Kräften gegen dich anlaufen“ werden und er in der Tat Gefahr laufe, verspottet zu werden.

Einer dieser „gar nicht Schlechten“ ist Popper, der die Vorstellung des Philosophenherrschers nicht nur als intellektuelle Allmachtsphantasie einer Guru-Kaste verspottet, sondern darin den Geist der Unfreiheit kritisiert, der die Diktatur von zur Herrschaft Ausersehener propagiert.

Die Politik der Philosophie

Wir sind jedenfalls an einem der Kernstücke von Platons Politeia und wohl auch der politischen Philosophie überhaupt. Politische Philosophie unternimmt es, die Vorzüglichkeit einer politischen Ordnung, ihre Richtigkeit, mit Gründen auszuzeichnen: die Ordnung des (politischen) Zusammenlebens darf nicht als gut und richtig gelten, weil es von alters her so ist wie es ist, eine mächtige Oligarchen-Schicht oder eine Mehrheit es so und nicht anders wollen. Nicht Macht soll über die Form der Herrschaft entscheiden, sondern Vernunft.[36] Wer das bestreitet, der bestreitet den Anspruch der Philosophie, „sich im Denken zu orientieren“ und den Anspruch der Vernunft, „praktisch“ werden zu können.[37]

Wer die Idee des Philosophenherrschers allzu wörtlich nimmt, verpasst die entscheidende Pointe. In der Neuzeit wird dem autokratischen Herrscher, wie immer er sich legitimiert (aristokratisch/oligarchisch oder republikanisch), ein System der Gewaltenteilung entgegengestellt, das die exekutive politische Macht vernünftig (!) begrenzt und das die politische Philosophie als einen Wesenszug einer vernünftigen (!) politische Ordnung ansieht. Der Aufklärer Kant, der das „freie Urteil der Vernunft“ für die politische Ordnung für unverzichtbar erachtet, distanziert sich gleichwohl von der allzu wörtlichen Interpretation der Philosophenherrschschaft: „Daß Könige philosophieren, oder Philosophen Könige würden, ist nicht zu erwarten, aber auch nicht zu wünschen; weil der Besitz der Gewalt das freie Urteil der Vernunft unvermeidlich verdirbt.[38]

Die Rede vom Philosophenkönig ist natürlich parodistisch zugespitzt, das wird durch die Form, in der sie Platon im Dialog einführen lässt, überdeutlich. Aristophanes Praxagora ist eine komödiantische Kunstfigur, Platons Philosophenherrscher eine metaphorische Fiktion, die selbst die zum Schmunzeln bringt, die sich aufrichtig um eine Orientierung im Denken bemühen. Bei der herrschenden Mehrheit verursacht sie verständnisloses Kopfschütteln, beißenden Spott und entschiedene Ablehnung solcher querdenkerischen und verschwörerischen Phantasien. Der Philosophenherrscher ist die mehr oder weniger ausdrückliche U-topie, der Gedanke eines Nicht-Orts, der dazu dient, die vorherrschenden Übel der Staaten zu erkennen und ihre „Erholung“ zu ermöglichen, dessen Unwirklichkeit aber bereits durch die Konstruktion nahegelegt wird. Der Philosophenherrscher, er oder sie (!), ist die notwendige Bedingung des Modellstaats, der durch ausdrücklichen Lug und Trug gesichert werden muss – und zwar durch die, wie wir jetzt erfahren, weisheitsliebenden Herrscher (?!) – und zugleich ihr Ergebnis, nämlich die höchste Ausprägung der rigiden, erzieherischen Indoktrination. Die wahren Philosophenherrscher sind das Resultat der Staatskonstruktion, als deren notwendige Voraussetzung sie zugleich gedacht werden müssen: sie ziehen sich – frei nach Münchhausen – am eigenen Gedanken aus dem beklagten „Übel der Staaten“.

Die Politeia liefert keine Lehre von staatlichen Organen oder Institutionen.[39] Sie vergleicht und bewertet (anders als Aristoteles) keine staatlichen Einheiten, die es gibt oder gab. Der konstruierte Modellstaat ist vor allem das Produkt des „philosophierenden“ Gesprächs der Platon-Brüder mit Sokrates. Auf der Suche nach dem, was unter Gerechtigkeit zu verstehen ist, ließ Platon sie das Kunstprodukt eines Modellstaats entwerfen, das sich nur dieser Suche nach vernünftiger Orientierung verdankt, nämlich danach wie man leben soll und was es heißt gut zu leben.[40] Gut zu leben, das bedeutet – allemal für die Griechen – in einer (politischen) Gemeinschaft zu leben, die einen konstitutiven Bestandteil des guten Lebens ausmacht. Sich als politisch-soziales Wesen ums eigene Leben zu sorgen, heißt sich darum zu sorgen, wie wir gut in Gemeinschaft mit anderen leben. Glücklich zu leben (εὐδαίμων) heißt in diesem Sinne gerecht zu leben.

Wer die Gerechtigkeit als politische Forderung von der eigenen Lebensführung trennt, der entfremdet den Menschen seiner „politischen“ Natur. Gerechtigkeit ist eine notwendige Tugend des politischen Wesens Mensch, d.h. eine notwenige Ausprägung seiner „Lebenskunst“. Das will Platon durch das Gespräch, das die Politeia ist, zeigen lassen: dass glücklich nur der genannt werden kann, der sich um Gerechtigkeit bemüht und der Ungerechte zwangsläufig a-sozial und damit unglücklich genannt werden muss.

Wie man leben und (politisch) zusammenleben will, das versteht sich nicht mehr von selbst. Etwas ist in Unordnung geraten und nun soll nach einem not-wendenden (Aus-)Weg gesucht werden. Was als vorzüglich gelten darf, ist strittig geworden – und der demokratische Entscheid der Mehrheit ist dafür per se nicht geeignet: er kann allenfalls zeigen, was eine Mehrheit für vorzüglich hält.

III

Aristophanes Kritik der politisch kulturellen Fehlentwicklungen hat ausdrücklich demokratie-kritische Züge. Er zeigt komödiantisch die Folgen eines in internen und externen Streitigkeiten zerfallenden Gemeinwesens und liefert es der Lächerlichkeit aus. Platon erhebt bei vergleichbarer Diagnose den Anspruch, sich mittels philosophischer Besinnung über das verständigen zu können, was es heißt, gut zu leben. Nicht das Ergebnis ist entscheidend, vielmehr die Besinnung selbst. Es kommt alles darauf an, sich im Gespräch darüber, wie wir leben w/sollen, in philosophischer Absicht zu verständigen. Philosophisch, das heißt in Liebe zur Weisheit. Lieben kann man nicht „theoretisch“, nur mal so. Liebe ist ein Ergriffensein durch das Gute, auf das man (wirklich) aus ist. Und das führt Platon in seinen Dialogen vor – auch in der Politeia.

Das führt uns zur Kritik Poppers zurück. Wenn es im Vergleich mit Hegel doch vergleichsweise einfach erscheint, zu wissen, was in der Politeia vorgetragen wird, so ergibt sich durch die Form, die Platon seinem Philosophieren gibt, eine andere Schwierigkeit, die meist völlig übersehen wird. Platon schreibt Dialoge und verschwindet gleichsam hinter seinen Protagonisten.[41] Meist werden Positionen, die Sokrates zum Besten gibt, Platon selbst zugeschrieben. Wollen wir aber sagen, dass sich z.B. Shakespeares politisches Programm sich im Königsmörder Macbeth offenbart – oder doch von Hamlet zum Ausdruck gebracht wird. Wird Goethes Weltanschauung vom Doktor Faust zur Sprache gebracht oder von Mephisto? Oder nicht doch von ihrem dramatischen Zusammenspiel? Zumindest käme man nicht auf die Idee, Praxagora zum Sprachrohr Aristophanes zu erklären und ihn zu verdächtigen, einem kommunistischen Feminismus das Wort zu reden.

Wer käme ernsthaft auf die Idee, im Grönemeyer Song Kinder an die Macht einen verfassungsfeindlichen Aufruf zur Anarchie zu vermuten:

Gebt den Kindern das Kommando
Sie berechnen nicht, was sie tun
Die Welt gehört in Kinderhände
Dem Trübsinn ein Ende
Wir werden in Grund und Boden gelacht
Kinder an die Macht!

Der Reiz, einmal „spaßeshalber“ Kinder an der Macht zu sehen, liegt wohl darin, manche Selbstverständlichkeiten, die wir mit dem verbinden, wie Politik zu funktionieren habe, lächelnd in Frage zu stellen. Für griechische (konservative) Männer vergleichbar produktiv ist der Phantasiestreich, den Frauen, die Macht zu geben, oder die Eigentums- und Familienstrukturen aufzubrechen. Es liegt einiges im Argen und wir müssen uns darauf besinnen, wie wir unser Leben führen wollen. Wie wir das tun können, das zeigen uns die platonischen Dialoge. Sie führen es vor. Letzte Antworten geben sie nicht – das wäre lächerlich.

Nehmen wir die Form ernst, die Platon seinen Überlegungen gibt, dann müssen wir darauf achten, welche Funktion die Äußerungen der Gesprächspartner im Ganzen des Gesprächs haben. Die anstößige Frauen- und Kindergemeinschaft ist selbst ein „Exkurs“, der sich der sensationslüsternen Neugier der Platonbrüder verdankt – für die leitende Frage nach dem Wesen der Gerechtigkeit und ihrer konstitutiven Rolle für das Glück des Gerechten hat das keinerlei Bedeutung.[42] Für die Analogie des gerechten Staats mit der Tugend des Gerechten lässt sich hier gar nichts gewinnen, weil es eben kein Analogon der geschlechtlichen Fortpflanzung, der Güter- oder Kindervergemeinschaftung in der Seele des Einzelnen gibt.

Platon schreibt Dialoge, keine Traktate. Wir müssen ihre Form ernst nehmen und in ihr die Botschaft erkennen. Philosophie ereignet sich im Gespräch oder besser in der Kunst, ein Gespräch zu führen. Platon zeigt uns, was diese Kunst ausmacht. Sie ist Liebe, also ein Ergriffensein von dem, worauf sie sie sich richtet und was sie im Hin-und-Her von Gründen vergegenwärtigt. Die platonische Philosophie kann man so wenig von der Kunst Platons trennen, wie Bachs „Aufklärung“ von seiner Musik, die „Botschaft“ Celans von Gedichten wie der Todesfuge oder Rothkos Moderne von seinen Farbdramen.

Exkurs: Von der Unvollkommenheit des philosophischen Modells

Man kann immer wieder verwundert sein, mit welcher Inbrunst sokratisches Hakenschlagen zu platonischen Dogmen erklärt werden. Ein „irres“ Beispiel, das gleichwohl viele der dialog-blinden Interpreten à la Popper todernst nehmen, ist die „Theorie“ vom Verfall des „Idealstaats“, die sich im achten Buch findet. Man sollte per se schon Verdacht schöpfen, dass Platon dem mühsam konstruierten Idealstaat einen unvermeidlichen und unwiderruflichen Verfall zuschreiben lässt. Wie könnte das Vollkommene zerfallen – es sei denn, es sei eben doch nicht vollkommen? War es nicht gedacht als das, was dem Verfall der Staaten entgegenwirken sollte? Aber auch der Modellstaat ist als Modellstaat keineswegs stabil.

Mit dem siebten Buch der Politeia scheint die Untersuchung dem Ende entgegenzugehen „Ist also nun nicht [] unsere Rede vollständig von diesem Staat und dem ihm ähnlichen und angemessenen Manne? Denn auch dieser steht nun ganz deutlich vor uns, wie wir sagen werden, dass er sein müsse. Ganz deutlich, sagte er [Glaukon]; und, was du fragst, scheint mir beendet zu sein.[43]

Der gerechte Staat ist entworfen und nun kann untersucht werden, ob damit auf die Eudaimonia des Gerechten geschlossen werden darf: das wird dann im Neunten Buch erfolgen. Doch zuvor wendet Sokrates sich noch den Verfallsformen des Politischen zu und fasst zu diesem Zweck das erreichte Ergebnis zusammen: „Wohl! Dieses also ist eingestanden, o Glaukon, daß in dem vollkommen eingerichteten Staate die Weiber gemeinsam sein müssen, gemeinsam auch die Kinder und die gesamte Erziehung, wie auch alle Geschäfte des Krieges und des Friedens; und daß Könige darin diejenigen sein müssen, die sich in der Philosophie und im Kriege als die besten [aristos] gezeigt haben.[44] Nicht von ungefähr führt Sokrates die „Weibergemeinschaft“ und die Übereignung des Nachwuchses in die gemeinsame Sorge neben der Philosophen-Herrschaft als besonders hervorstechendes Merkmal des „vollkommen eingerichteten Staats“ (τῇ μελλούσῃ ἄκρως οἰκεῖν πόλει).

Wie soll also, o Glaukon, unser Staat in Bewegung geraten und woher die Helfer und Herrscher gegeneinander oder unter sich in Streit kommen?[45] Sokrates sieht sich genötigt – wie Homer (!) – „die Musen anzurufen, uns zu sagen, wie zuerst Zwietracht sich entsponnen“.[46]Schwer zwar ist es, daß ein so eingerichteter Staat in Unruhe gerate; aber weil allem Entstandenen doch Untergang bevorsteht (!), so wird auch eine solche Einrichtung nicht die gesamte Zeit bestehen, sondern sich auflösen.“ Das alleine lässt uns schon stutzen. Aber wie Platon Sokrates diese „Auflösung“ „im Ton der Tragödie (!), spielend und scherzend wie mit Kindern, aber doch so, als sprächen sie im Ernst mit erhabenen Worten[47] den Grund des Niedergangs schildern lässt, das muss uns doch sehr zu denken geben: „Die Auflösung aber ist diese. Nicht nur den aus der Erde wachsenden Pflanzen, sondern auch den auf der Erde lebenden Tieren entsteht Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit der Seele und des Leibes, wenn Umwendungen einem jeden dem Kreisumschwung sich schließen lassen, kurzlebiges auch von kleinem Umfang, entgegengesetzten entgegengesetzte. Die nun, welche ihr zu Lehrern der Stadt erzogen habt, werden die Zeiten glücklicher Erzeugung und der Unfruchtbarkeit für euer Geschlecht, wiewohl weise, durch Berechnung mit Wahrnehmung verbunden doch nicht immer treffen, sondern diese werden an ihnen vorbeigehen, und so werden sie auch einmal Kinder zeugen, wenn sie nicht sollten.[48] Die Fortpflanzung erfolgt bei Pflanzen und Tieren nach natürlichen Zyklen. Bei den Menschen muss das freilich geregelt und „berechnet“ (λογισμῷ μετ᾽ αἰσθήσεως) werden und dabei geschehen trotz allem Wissen (καίπερ ὄντες σοφοί) Fehler.[49] Und jetzt müssen wir uns konzentrieren – und werden am Ende wohl doch verständnislos mit dem Kopf schütteln:

Es hat aber das göttlich Erzeugte [also die Fortpflanzung von Pflanzen und Tieren] einen Umlauf, welchen eine vollkommene Zahl umfasst, das menschliche aber eine Zahl, in der als der kleinsten Multiplikationen aus Quadraten und ihren Wurzeln (also Kuben) – die damit drei Dimensionen und vier Begrenzungspunkte haben und auf Grundzahlen (3, 4, 5) beruhen, die ähnlich und unähnlich machen sowie vermehren und vermindern – alles zueinander proportional und rational machen; von diesen bilden die auf die vier und die drei bezügliche Wurzel, mit der fünf multipliziert, wenn man diese Zahl dreimal mit sich selbst multipliziert hat, zwei Harmonien ([3, 4, 5]4 = 12.900.000, darstellbar als 3.6002 oder 4.800*2.700). Die eine stellt sich als das Produkt gleicher Faktoren, jeweils mit hundert multipliziert, dar (3.6002); die andere ist in einer Hinsicht gleichseitig, in anderer dagegen ungleichseitig: die eine Seite besteht aus der hundertfachen Quadratzahl der rationalen Zahl, die der Diagonale eines Quadranten mit der Seite fünf am nächsten ist, wobei jedoch jeder der rationalen Grundzahlen (49) eins, der irrationalen (50) zwei fehlen (also: ]2 *100 = 4.800); die andere Seite besteht aus einhundert Kuben der drei (100 * 33 = 2.700). Diese gesamte geometrische Zahl entscheidet hierüber, über bessere und schlechtere Zeugungen; und wenn aus Unkenntnis dieser eure Wächter den Jünglingen Bräute zugesellen zur Unzeit, so wird das Kinder geben, die weder wohlgeartet sind noch wohlbeglückt.[50]

Wollen wir das wirklich ernstnehmen? Altphilologen haben es immer und immer wieder getan – zwangsläufig. Ihre Aufgabe ist es versteckte Verweise und Parallelen zu entdecken. Und Philosophen? Sie müssen und wollten es ernst nehmen – und haben sich damit zugleich verrannt. Irgendwie erklären sich Witze selbst – sie müssen es, wenn sie noch witzig sein sollen. Witze versteht man, indem man über sie lacht. Das heißt sie ernst nehmen. Dass Glaukon am Ende der Verfallsbegründung wissend nickt und zufrieden zustimmt ist einfach nur lächerlich. Wir zuschauende, „theoretisierende“ Leser wissen nun einfach mehr. Hier stimmt etwas nicht. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, der Modellstaat nur ein Modellstaat und das Gespräch geht weiter – und endet trotz aller Verbote im Mythos.

[1] Der Name ist wieder Programm: der Austausch auf der Agora führt bei ihr zur Praxis.

[2] Ganz im hegelschen Sinne der bewahrenden Korrektur zu neuer Qualität (beseitigen, bewahren und erheben).

[3] So z.B. Ulrike Hermanns Begründung einer staatlichen Kriegswirtschaft, die uns das Überleben im Kampf gegen den Klimawandel sichert.

[4] Darin liegt bereits der Grund des Verfalls. Vorzüglich (ἄριστον) ist, was sich im Wettbewerb (ἀγών, agon) auszeichnet. Wenn aber Streit darüber entsteht, was es heißt, sich in einen Wettbewerb auszuzeichnen, gerät alles ins Rutschen. Der Wettbewerb kann unfair geführt werden oder Wettbewerber von vornherein benachteiligen. Die Spielregeln des Wettbewerbs dürfen z.B. nicht während des Wettkampfs geändert werden, um seinen Ausgang zu beeinflussen.

[5] Z.B. wenn etwas durch gute Gründe nicht als vorzüglich ausgewiesen werden kann und dennoch entschieden werden muss. Idealerweise sind es Dinge, deren Wirkung auf die Betroffenen begrenzt sind und tatsächlich ohne existentielle Auswirkungen sind so oder anders entschieden werden können.

[6] Kant hebt die republikanische Verfassung von der demokratischen ab: „Damit man die republikanische Verfassung nicht (wie gemeiniglich geschieht) mit der demokratischen verwechsele“ unterscheidet er bei der „Staatsgewalt“ die „Form der Beherrschung“ (forma imperii = Autokratie, Aristokratie oder Demokratie) von der „Form der Regierung“ (forma regimis = republikanisch oder despotisch). „Der Republikanismus ist das Staatsprinzip der Absonderung der ausführenden Gewalt (der Regierung) von der gesetzgebenden“, also die Gewaltenteilung. „Unter den drei Staatsformen ist die der Demokratie, im eigentlichen Verstande des Wortes [also z.B. der antiken Vorstellung eines Aristophanes entsprechend], notwendig [!] ein Despotismus, weil sie eine exekutive Gewalt gründet, da alle über und allenfalls auch wider Einen (der also nicht mit einstimmt), mithin alle, die doch nicht alle sind, beschließen; welches ein Widerspruch des allgemeinen Willens mit sich selbst und mit der Freiheit ist.“ (Zum Ewigen Frieden (1795), Erster Definitivartikel, Kant Werke, Darmstadt 1975, Bd. 9, S. 204ff.)

[7] So äußert sich jedenfalls Alfred North Whitehead in seinem Hauptwerk Prozess und Realität, S. 91.

[8] Poppers „Analyse von Hegel“ scheint mir freilich sehr dürftig. Von den gut 500 Seiten, die sich im zweiten Band der Feinde der offenen Gesellschaft mit dem Aufstieg und der Wirkung der „orakelnden Philosophen“ beschäftigt, nimmt die „Analyse“ Hegels nur einen kleinen Teil ein, in dem es wiederum nur zum Teil direkt um Hegel selbst geht. Popper beschreibt nämlich insbesondere die verhängnisvolle Wirkung des „essentialistischen“ Aristoteles – von dem er nun freilich zurecht sagt, dass er im Wesentlichen seinem Lehrer Platon folgt: „denn Aristoteles war trotz seiner erstaunlichen Gelehrsamkeit und seines überraschend weiten Gesichtskreises kein besonders origineller Denker. Was er dem platonischen Gedankenkreis hinzufügte, war hauptsächlich eine systematische Darstellung…“ (Bd. II, Kap. 1: Aristotelische Wurzeln des Hegelianismus, S. 5f.) Von einer „offenen“ und kenntnisreichen Analyse Hegels würde ich nicht sprechen. Hegels Texte mach es einem wahrlich nicht leicht. Sie gehören zum Anspruchsvollsten was sich bei philosophischen Werken findet. Popper ist den verschlungenen Gedankenwegen etwa der Phänomenologie des Geistes oder der Wissenschaft der Logik wohl nicht gefolgt. Er stützt sich stattdessen auf die Vorlesungen zur Philosophie der Geschichte und einer sehr selektiven Lektüre der Grundlinien der Philosophie des Rechts.

[9] Der erste Satz der Politeia (κατέβην χθὲς εἰς Πειραιᾶ μετὰ Γλαύκωνος τοῦ Ἀρίστωνος …) ist in vielem programmatisch – auch darin, dass Glaukon als Begleiter Sokrates und einer der Hauptgesprächspartner im folgenden Gespräch als Nachkomme (und Erbe?!) des Aristons, des Trefflichen, angesprochen wird.

[10] So etwa wenn Sokrates Glaukon das angestrebte Untersuchungsziel des Gesprächs als Ergebnis in den Mund legt: „Sollen wir einen Herold dingen [der bei Wettkämpfen den Sieger ausruft, HL], …, oder rufe ich selbst aus: Aristons Sohn hat den Spruch getan, der Trefflichste und Gerechteste sei auch der Glückseligste …“ – womit das, was gezeigt werden sollte, durch Glaukon zugestanden wurde. (580b-c: μισθωσώμεθα οὖν κήρυκα, ἦν δ᾽ ἐγώ, ἢ αὐτὸς ἀνείπω ὅτι ὁ Ἀρίστωνος ὑὸς τὸν ἄριστόν τε καὶ δικαιότατον εὐδαιμονέστατον).
Oder schon bei der Feststellung der gegründeten Staat: „Gegründet also, …, wäre dir nun schon, o Sohn des Ariston, die Stadt“ (427c-d: ὠικισμένη μὲν τοίνυν, …, ἤδη ἄν σοι εἴη, ὦ παῖ Ἀρίστωνος, ἡ πόλις)

[11] Aus der „aristokratische“ Herkunft leitet sich kein Anspruch auf eine herausgehobene gesellschaftliche Stellung, ab, sie gibt vielmehr die Erwartung vor, der man gerecht werden muss. Der junge Charmides, einer von Platons Onkel und damit aus bestem Haus, wird in dem nach ihm benannten Dialog an seiner Herkunft gemessen: dass er sich nach dem Urteil der Zeitgenossen durch „aristokratische“ Besonnenheit gegenüber allen anderen auszeichne, sei für ihn bei seiner Herkunft verpflichtend (δίκαιον, ὦ Χαρμίδη, διαφέρειν σε τῶν ἄλλων πᾶσιν τοῖς τοιούτοις) (157d). Das αἰὲν ἀριστεύειν, Immer vorzüglich zu sein, und sich vor allen anderen auszuzeichnen, wird dem „Aristokraten“ als verpflichtende Anforderung in die Wiege gelegt.

[12] IV 423e: „Denn wenn sie durch gute Erziehung Männer geworden sind, die das rechte Maß halten, so werden sie dies alles leicht selbst einsehen und noch vieles andere, was wir übergehen, das Heiraten und die Ehe und Kindererzeugung, daß sich dies alles nach dem Sprichwort möglichst gemeinsam unter Freunden machen muß.

[13][13][13] Auffällig, dass sich nun auch Polemarchos im Gespräch „zurückmeldet“ – er stösst Adeimantos an, doch bitte auf Sokrates einzuwirken – und auch der stillgewordene Thrasymachos meldet sich wieder kurz zu Wort und bestärkt Sokrates, die Untersuchung in diesen Fragen doch nicht beiseite zu lassen. Thrasymachos hatte sich im ersten Buch kaum zurückhalten können und warf Sokrates und Polemarchos schließlich vor, sich zu Narren zu machen (εὐηθίζομαι) und in „leeres Geschwätz“ (φλυαρία) zu ergehen. Er bot Sokrates dagegen an, ihm eine weit bessere Antwort auf die Frage nach der Gerechtigkeit geben zu können – allerdings gegen Bezahlung. Nun freilich versichert derselbe Thrasymachos, dass man ja nicht gekommen sei, um „Gold zu finden“ (χρυσοχοεῖν), sondern „um Reden zu hören“ – und natürlich vor allem solche, von denen man sich aufsehenerregendes versprechen konnte.

[14] 450d-451a: πιστεύοντος μὲν γὰρ ἐμοῦ ἐμοὶ εἰδέναι ἃ λέγω, καλῶς εἶχεν ἡ παραμυθία: ἐν γὰρ φρονίμοις τε καὶ φίλοις περὶ τῶν μεγίστων τε καὶ φίλων τἀληθῆ εἰδότα λέγειν ἀσφαλὲς καὶ θαρραλέον, ἀπιστοῦντα δὲ καὶ ζητοῦντα ἅμα τοὺς λόγους ποιεῖσθαι, ὃ δὴ ἐγὼ δρῶ, φοβερόν τε καὶ σφαλερόν, οὔ τι γέλωτα ὀφλεῖν— παιδικὸν γὰρ τοῦτό γε—ἀλλὰ μὴ σφαλεὶς τῆς ἀληθείας οὐ μόνον αὐτὸς ἀλλὰ καὶ τοὺς φίλους συνεπισπασάμενος κείσομαι περὶ ἃ ἥκιστα δεῖ σφάλλεσθαι.

[15] 452a: ἴσως δή, …, παρὰ τὸ ἔθος γελοῖα ἂν φαίνοιτο πολλὰ περὶ τὰ νῦν λεγόμενα

[16] 452a-b.

[17] Auch Glaukon witzelt (471d) über die Unterstützung, die die Frauen bei der Kriegsführung leisten: sie könnten ja nach „hinten“ gestellt werden, „um den Feinden Angst  zu machen“ –weil der Feind sie „hinten“ nicht als Frauen erkennt und der Gegner sich durch eine Übermacht getäuscht sieht oder weil sie – beim Rückzug – als Nachhut die Feinde erschrecken, bleibt der (männlichen) Phantasie überlassen.

[18] 457d: πολύ, …, τοῦτο ἐκείνου μεῖζον πρὸς ἀπιστίαν

[19] 457c-d: τὰς γυναῖκας ταύτας τῶν ἀνδρῶν τούτων πάντων πάσας εἶναι κοινάς, ἰδίᾳ δὲ μηδενὶ μηδεμίαν συνοικεῖν: καὶ τοὺς παῖδας αὖ κοινούς, καὶ μήτε γονέα ἔκγονον εἰδέναι τὸν αὑτοῦ μήτε παῖδα γονέα.

[20] 460c-d. Sokrates witzelt dabei, dass die Kinder der „Obrigkeit“ übergeben würden, die weil „Ämter ja Männern und Frauen gemeinsam“ zwar auch (!) durch Männer gestellt würde, das Stillen aber dann doch den Müttern übergeben werde.

[21] 460c.

[22] 458a.

[23] 458b-c

[24] Die Anordnung ist freilich nur richtig, wenn sie umsetzbar ist und so kommt tatsächlich doch alles darauf an, wie das Gemeinwesen geordnet sein soll. Naturwidrige Anordnungen sind unsinnig. Und so fragt sich eben, ob Gerechtigkeit etwas ist, was auf Verwirklichung rechnen darf.

[25] 458d.

[26] 459d-e: δεῖ μέν, εἶπον, ἐκ τῶν ὡμολογημένων τοὺς ἀρίστους ταῖς ἀρίσταις συγγίγνεσθαι ὡς πλειστάκις, τοὺς δὲ φαυλοτάτους ταῖς φαυλοτάταις τοὐναντίον, καὶ τῶν μὲν τὰ ἔκγονα τρέφειν, τῶν δὲ μή, εἰ μέλλει τὸ ποίμνιον ὅτι ἀκρότατον εἶναι, καὶ ταῦτα πάντα γιγνόμενα λανθάνειν πλὴν αὐτοὺς τοὺς ἄρχοντας, εἰ αὖ ἡ ἀγέλη τῶν φυλάκων ὅτι μάλιστα ἀστασίαστος ἔσται.

[27] 471c-e: τὸ ὡς δυνατὴ αὕτη ἡ πολιτεία γενέσθαι καὶ τίνα τρόπον ποτὲ δυνατή: ἐπεὶ ὅτι γε, εἰ γένοιτο, πάντ᾽ ἂν εἴη ἀγαθὰ πόλει ᾗ γένοιτο, καὶ ἃ σὺ παραλείπεις ἐγὼ λέγω, … ἀλλ᾽ ὡς ἐμοῦ ὁμολογοῦντος πάντα ταῦτα ὅτι εἴη ἂν καὶ ἄλλα γε μυρία, εἰ γένοιτο ἡ πολιτεία αὕτη, μηκέτι πλείω περὶ αὐτῆς λέγε, ἀλλὰ τοῦτο αὐτὸ ἤδη πειρώμεθα ἡμᾶς αὐτοὺς πείθειν, ὡς δυνατὸν καὶ ᾗ δυνατόν, τὰ δ᾽ ἄλλα χαίρειν ἐῶμεν.

[28] So wendet Glaukon am Ende des 9. Buches ein: „Aber, sprach ich, im Himmel ist doch vielleicht ein Muster aufgestellt für den, der sehen und nach dem, was er sieht, sich selbst einrichten will.“ (592a-b: μανθάνω, ἔφη: ἐν ᾗ νῦν διήλθομεν οἰκίζοντες πόλει λέγεις, τῇ ἐν λόγοις κειμένῃ, ἐπεὶ γῆς γε οὐδαμοῦ οἶμαι αὐτὴν εἶναι.

ἀλλ᾽, ἦν δ᾽ ἐγώ, ἐν οὐρανῷ ἴσως παράδειγμα ἀνάκειται τῷ βουλομένῳ ὁρᾶν καὶ ὁρῶντι ἑαυτὸν κατοικίζειν.)

[29] Friedrich Schiller, Wallensteins Tod, 2. Aufzug, 2. Auftritt.

[30] 472a. Sokrates hatte die Frage, „wie es möglich ist“, „daß eine solche Gemeinschaft stattfinde“, selbst ins Spiel gebracht (466d), allerdings in einer erstaunlichen Form: „So wäre es denn, …, wohl noch jenes übrig auseinanderzusetzen, ob es auch bei Menschen möglich ist, wie bei den anderen Tieren, daß eine solche Gemeinschaft stattfinde …“ Für die beschriebene Kampf- und Lebensgemeinschaft der Geschlechter findet sich bei Tieren in unterschiedlichen Formen und es soll gezeigt werden, dass die „Natur des weiblichen Geschlechts“ einer solchen Gemeinschaft keineswegs entgegensteht (οὐ παρὰ φύσιν τὴν τοῦ θήλεος πρὸς τὸ ἄρρεν, ᾗ πεφύκατον πρὸς ἀλλήλω κοινωνεῖν)

[31] 357a-b: ὡς ἀληθῶς πεῖσαι ὅτι παντὶ τρόπῳ ἄμεινόν ἐστιν δίκαιον εἶναι ἢ ἄδικον;

[32] 352d.

[33] 472b.

[34] 473b: ἢ οὐκ ἀγαπήσεις τούτων τυγχάνων; ἐγὼ μὲν γὰρ ἂν ἀγαπῴην.

[35] 473c-e: ἐὰν μή, ἦν δ᾽ ἐγώ, ἢ οἱ φιλόσοφοι βασιλεύσωσιν ἐν ταῖς πόλεσιν ἢ οἱ βασιλῆς τε νῦν λεγόμενοι καὶ δυνάσται φιλοσοφήσωσι γνησίως τε καὶ ἱκανῶς, καὶ τοῦτο εἰς ταὐτὸν συμπέσῃ, δύναμίς τε πολιτικὴ καὶ φιλοσοφία, τῶν δὲ νῦν πορευομένων χωρὶς ἐφ᾽ ἑκάτερον αἱ πολλαὶ φύσεις ἐξ ἀνάγκης ἀποκλεισθῶσιν, οὐκ ἔστι κακῶν παῦλα, ὦ φίλε Γλαύκων, ταῖς πόλεσι, δοκῶ δ᾽ οὐδὲ τῷ ἀνθρωπίνῳ γένει, οὐδὲ αὕτη ἡ πολιτεία μή ποτε πρότερον φυῇ τε εἰς τὸ δυνατὸν καὶ φῶς ἡλίου ἴδῃ, ἣν νῦν λόγῳ διεληλύθαμεν.
δύναμίς πολιτικὴ, das politische Vermögen, übersetzt Schleiermacher m.E. mit „Staatsgewalt“ missverständlich. Als δύναμίς benennt Sokrates ein paar Sätze weiter (477c) als „eine gewisse Art () des Seienden, wodurch sowohl wir vermögen, was wir vermögen, als auch jegliches andere, was etwas vermag“ und gibt dafür das Beispiel des Gehörs oder Gesichts. Also des Hören- oder Sehen-Könnens. Wer eine δύναμίς hat, der vermag etwas. Tugenden wie z.B. die Gerechtigkeit sind solche Vermögen, nämlich z.B. das Vermögen, gerecht zu urteilen und zu handeln. Die δύναμίς πολιτικὴ, das politische Vermögen, ist also das Vermögen, die politische Natur des Menschen zu realisieren.

[36] Das politische Leben wird durch die herrschende Macht bestimmt – soll sich aber an der Vernunft messen lassen.

[37] So der Titel eines berühmten Aufsatzes von Immanuel Kant, Was heißt: sich im Denken orientieren? (1786) und die Kantische Leitfrage, ob und wie reine Vernunft praktisch werden kann.

[38] Immanuel Kant, Zum Ewigen Frieden (1795/96), Zweiter Abschnitt, Zweiter Zusatz

[39] Immer dort, wo das Gespräch sich konkreten staatlichen oder gesetzlichen Ausprägungen widmen müsste, besinnt man sich auf die leitende Fragestellung zurück, die sich auf das Wesen der Gerechtigkeit und nicht auf die Ausgestaltung des politischen Lebens bezieht.

[40] Aristophanes hatte in seiner wohl bekanntesten Komödie Sokrates selbst auf die Schippe genommen: in den Wolken (Νεφέλαι) hatte er ihn dem „Wolkenkuckucksheim“ (Νεφελοκοκκυγία) zugeordnet, der wolkigen Beliebigkeit freier Schöpfungen des Geistes, die mit dem wirklichen Leben nur wenig zu tun haben.

[41] In der Politeia …

[42] Erstaunlich ist, dass die Kernstücke der Politeia Exkurse im Gespräch sind – das gilt auch für die Idee der Herrschaft der Philosophie und der daran anschließenden Bestimmung dessen, was wir unter philosophischem Wissen zu verstehen haben mit den traditionsstiftenden Gleichnissen (Sonnen-, Linien- und Höhlengleichnis), die alle Beifang des Gesprächs sind und doch entscheidend für die Bestimmung dessen, was Dialektik, die Kunst der Gesprächsführung und damit Philosophie ausmacht.

[43] 541b: οὐκοῦν ἅδην ἤδη, εἶπον ἐγώ, ἔχουσιν ἡμῖν οἱ λόγοι περί τε τῆς πόλεως ταύτης καὶ τοῦ ὁμοίου ταύτῃ ἀνδρός; δῆλος γάρ που καὶ οὗτος οἷον φήσομεν δεῖν αὐτὸν εἶναι.

δῆλος, ἔφη: καὶ ὅπερ ἐρωτᾷς, δοκεῖ μοι τέλος ἔχειν.

[44] 543a: εἶεν: ταῦτα μὲν δὴ ὡμολόγηται, Γλαύκων, τῇ μελλούσῃ ἄκρως οἰκεῖν πόλει κοινὰς μὲν γυναῖκας, κοινοὺς δὲ παῖδας εἶναι καὶ πᾶσαν παιδείαν, ὡσαύτως δὲ τὰ ἐπιτηδεύματα κοινὰ ἐν πολέμῳ τε καὶ εἰρήνῃ, βασιλέας δὲ αὐτῶν εἶναι τοὺς ἐν φιλοσοφίᾳ τε καὶ πρὸς τὸν πόλεμον γεγονότας ἀρίστους.

[45] 545d: πῶς οὖν δή, εἶπον, Γλαύκων, πόλις ἡμῖν κινηθήσεται, καὶ πῇ στασιάσουσιν οἱ ἐπίκουροι καὶ οἱ ἄρχοντες πρὸς ἀλλήλους τε καὶ πρὸς ἑαυτούς;

[46] 545d-e: ὥσπερ Ὅμηρος, εὐχώμεθα ταῖς Μούσαις εἰπεῖν ἡμῖν ὅπως δὴ πρῶτον στάσις ἔμπεσε (womit er Hom. Il. 1.6 zitiert).

[47] 545e: φῶμεν αὐτὰς τραγικῶς ὡς πρὸς παῖδας ἡμᾶς παιζούσας καὶ ἐρεσχηλούσας, ὡς δὴ σπουδῇ λεγούσας, ὑψηλολογουμένας λέγειν;

[48] 546a: λύσις δὲ ἥδε: οὐ μόνον φυτοῖς ἐγγείοις, ἀλλὰ καὶ ἐν ἐπιγείοις ζῴοις φορὰ καὶ ἀφορία ψυχῆς τε καὶ σωμάτων γίγνονται, ὅταν περιτροπαὶ ἑκάστοις κύκλων περιφορὰς συνάπτωσι, βραχυβίοις μὲν βραχυπόρους, ἐναντίοις δὲ ἐναντίας. γένους δὲ ὑμετέρου εὐγονίας τε καὶ ἀφορίας, καίπερ ὄντες σοφοί, οὓς ἡγεμόνας πόλεως ἐπαιδεύσασθε, οὐδὲν μᾶλλον λογισμῷ μετ᾽ αἰσθήσεως τεύξονται, ἀλλὰ πάρεισιν αὐτοὺς καὶ γεννήσουσι παῖδάς ποτε οὐ δέον.

[49] Neben der verständigen Berechnung (λογισμός) bedarf es eben auch der empirischen Wahrnehmung (αἴσθησις)

[50] 546b-d: ἔστι δὲ θείῳ μὲν γεννητῷ περίοδος ἣν ἀριθμὸς περιλαμβάνει τέλειος, ἀνθρωπείῳ δὲ ἐν ᾧ πρώτῳ αὐξήσεις δυνάμεναί τε καὶ δυναστευόμεναι, τρεῖς ἀποστάσεις, τέτταρας δὲ ὅρους λαβοῦσαι ὁμοιούντων τε καὶ ἀνομοιούντων καὶ αὐξόντων καὶ φθινόντων, πάντα προσήγορα καὶ ῥητὰ πρὸς ἄλληλα ἀπέφηναν: ὧν ἐπίτριτος πυθμὴν πεμπάδι συζυγεὶς δύο ἁρμονίας παρέχεται τρὶς αὐξηθείς, τὴν μὲν ἴσην ἰσάκις, ἑκατὸν τοσαυτάκις, τὴν δὲ ἰσομήκη μὲν τῇ, προμήκη δέ, ἑκατὸν μὲν ἀριθμῶν ἀπὸ διαμέτρων ῥητῶν πεμπάδος, δεομένων ἑνὸς ἑκάστων, ἀρρήτων δὲ δυοῖν, ἑκατὸν δὲ κύβων τριάδος. σύμπας δὲ οὗτος ἀριθμὸς γεωμετρικός, τοιούτου κύριος, ἀμεινόνων τε καὶ χειρόνων γενέσεων, ἃς ὅταν ἀγνοήσαντες ὑμῖν οἱ φύλακες συνοικίζωσιν νύμφας νυμφίοις παρὰ καιρόν, οὐκ εὐφυεῖς οὐδ᾽ εὐτυχεῖς παῖδες ἔσονται

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