Ovids Metamorphosen IX: Der traurige Held und falsche Augustus

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Alle Lust will Ewigkeit – / – will tiefe, tiefe Ewigkeit“!? Vielleicht. Auch hier sind Zweifel angebracht – aber das würde jetzt zu weit führen. Zweifellos scheint dagegen: „Weh spricht: Vergeh!“ Ewiges Leben ist kein summum bonum. Es kommt auch hier auf die Umstände an. Wer möchte unendlich gefoltert werden?! Das sadistische Optimum endloser Höllenqualen mahnt die Christen zur Gottesfürchtigkeit. Auch die Griechen und Römer wussten sich dazu einiges zu erzählen. Z.B. von den sprichwörtlichen Tantalos-Qualen: Tantalos wurde für seine gotteslästerliche Hybris damit bestraft, im Schlamm eines Sees festzustecken und unter brennendem Durst und beißenden Hunger zu leiden. Immer, wenn er zu trinken versuchte, wich das Wasser, das ihm bis zum Kinn reichte, zurück; und griff er nach Früchten, die ihm von Bäumen entgegenwuchsen, verhinderten Böen, dass er sie fassen konnte.[1] Weil den Sterblichen mit dem Tod auch ein Ende der Qualen gesetzt ist, sind Tantalos ewige Qualen nur im Schattenreich des Hades zuzuteilen. Nur dort konnte er beständig Hunger und Durst leiden, ohne zu verhungern oder auszutrocknen.

WIR LESEN OVID
Ovid – WikiCommons

Ovids Metamorphosen sind ein lesenswerter Klassiker. Wir lesen Stück für Stück die fünfzehn Bücher in kleinen überschaubaren Abschnitten. Können wir Philosophisches zur Zeit daraus lernen? Finden Sie’s raus und lesen Sie mit! Das geschah bisher.

Prometheus an den Kaukasus gekettet

Prometheus dagegen, der unsterbliche Titan, hätte für alle Ewigkeit am Gebirge des Kaukasus festgeschmiedet bleiben können. Dem Adler, der ihm die Leber herausriss, die dann wieder nachwuchs, wäre er für immer eine leichte Beute gewesen, hätte ihn Herakles von dort nicht befreit. Die griechischen Götter sind zwar unsterblich, aber anders als der eine, christliche Gott nicht allmächtig. Sie sind auf ewig, was sie sind, sind diese bestimmten, die sich von anderen unterscheiden. Ihr Wesen ist wie das aller Wesen bestimmt und ihr Wirken, das ihr Wesen ausmacht, begrenzt (determinatio est negatio) – sie „wesen“ in bestimmter Art und Weise, so und nicht anders, und wirken auf- und miteinander.[2] Hier ist nicht alles eins, gilt nicht „Alles durch Einen“. Vielmehr ist alles ein „Zusammenspiel“ von vielem. Sie sind aufeinander verwiesen. Die Götter wirken und erleiden. In ihrem Wirken „erfahren“ sie zugleich ihre Begrenzung und das Wirken der anderen göttlichen Kräfte. Der Gott der erhellenden Weissagung (Apollon) wird liebestoll,[3] die Göttinnen der häuslichen Ordnung (Hera), der Liebe (Aphrodite) und der Klugheit (Athene) geraten in die Fänge der Eris, der Göttin des Streits.

Ein trauriger Gott, der seine Wunden leckt

Ovid hatte bereits in der vorausgehenden Geschichte hintersinnig auf die Begrenzung der Macht angespielt, denen auch die Götter unterliegen – während die schöpferische Kraft der Dichtung keine Grenzen kennt. Der Flussgott Achelous kann mächtig anschwellen und (fast)[4] alles, was ihm nahe und in die Quere kommt, mit sich fortreißen. Aber er kann fremde Bergdörfer nicht verheeren _ bergauf zu fließen ist nicht seine „Art“; er kann auch die Landschaften nicht fruchtbar machen, durch die er sich schlängelt – dazu braucht er die Mithilfe von Demeter/Ceres. Und es bedarf anderer Künste, um seine Kräfte zu nutzen, um z.B. auf ihm Güter zu transportieren (die Schiffsbaukunst) oder mit seinem energischen Vorwärtsdrängen in Mühlen Getreide zu mahlen. Zwar kann er sich verwandeln und andere Gestalten annehmen, aber die Möglichkeit ist „durch die Zahl begrenzt“. Er kann so, so lässt ihn Ovid prahlen, „wie ich jetzt hier bin“ erscheinen, aber er vermag sich auch als Schlange zu winden oder gleich einem starken Stier, der „alle Kraft in den Hörnern“ konzentriert, alles, was ihm entgegentritt, vor sich her zu treiben: Mal schlängelt sich der Fluss fast lautlos durchs Tal, mal scharrt er anschwellend mit den Hufen und droht alles aus dem Weg zu stoßen. Aber auch hier zeigen sich Grenzen. Nicht alles fügt sich dem Schnauben des Flussgotts: und manche Begegnung hinterlässt Spuren, die erst das wahre Wesen der in Streit geratenen bekunden. Achelous hat in der Gestalt des trotzigen Stiers nur noch ein Horn. Das andere musste er im Kampf lassen, bei dem er sich einer anderen Gewalt fügen musste.

Ovid lässt Achelous seufzend darüber berichten, wie sich das zugetragen hat und leitet damit zu seiner eigenwilligen Herakleïs/Herkuleïs über, dem Zyklus von Geschichten, die dem alles überragenden Helden der Antike, Herakles/Hercules gelten. Im Kampf mit ihm nämlich hat Achelous eine Niederlage erlitten, die ihm und uns seine Stellung in der Welt zeigt und im Verlust eines seiner Hörner seinen Ausdruck findet.

Traurig (triste)“ berichtet er seinen Gästen, wie sich das zugetragen hat. „Denn wer wollte als Besiegter die eigenen Kämpfe in Erinnerung rufen? Trotzdem will ich alles der Reihe nach berichten. Auch war der Schimpf der Niederlage nicht so groß wie die Ehre, diesen Kampf aufgenommen zu haben.[5] Sich zu messen, heißt seine Grenzen zu erfahren, heißt sich selbst zu erkennen.

Achelous warb einst wie viele andere, darunter auch Hercules, um die schöne Deianira, Tochter des Königs von Calydon Oeneus. Die anderen Freier gaben schnell klein bei, als sie sahen, welche Konkurrenz sie hatten. Es musste sich zwischen Achelous und Hercules entscheiden. Hercules warb für sich mit dem Hinweis, dass „er ihr [Deianira] Juppiter als Schwiegervater schenke“ und „führte seine ruhmreichen Arbeiten an“. Dem Sterblichen stand freilich ein Gott entgegen: „‚Schimpflich ist es für einen Gott‘“, so meint Achelous gegenüber Oeneus, „‚einem Sterblichen zu weichen‘ (turpe deum mortali cedere) – noch war Hercules kein Gott [kommentiert Achelous selbst] –; ‚erkenne in mir den König der Wasser, die in seitwärts gerichtetem Lauf mitten durch dein Reich fließen… ‘“ Dagegen sei die Herkunft des Mitbewerbers doch recht fraglich: „‚Denn jener Juppiter, von dem abzustammen du, Sohn der [sterblichen] Alkmene, dich rühmst, ist entweder nicht dein wirklicher Vater, oder er ist es durch ein Vergehen. Begehrst du ihn zum Vater, so machst du deine Mutter zur Ehebrecherin. Wähle, was dir lieber ist: Entweder ist dein Juppiter ein Märchen, oder du bist in Schande erzeugt.‘[6] Hercules selbst kann sich seiner Herkunft tatsächlich nicht sicher sein.[7] Er muss sich beweisen.

Herakles im Kampf mit dem Flussgott Achelous

Hercules gerät über seine herablassende Verunglimpfung durch den Flussgott in „glühenden Zorn“, den er – wie Achelous ironisch kommentiert – „keineswegs heldenhaft meistert (assencae non fortiter imperat irae)“ und damit weitere Zweifel an seiner Herkunft sät. Hercules kann und will die Brautwerbung nicht durch Rede und Gegenrede gewinnen. „‚Mehr taugt meine Rechte als meine Zunge. Behalte ich nur im Kampf die Oberhand, so siege du immerhin im Reden.‘“ Und schon stürzt Hercules auf Achelous zu. Achelous kann den Angriffen des Hercules nicht standhalten. Weder die Verwandlung zur Schlange, die sich dem Zugriff entwinden will, noch die in einen gewaltigen Stier kann seine Niederlage abwenden. Am Ende muss er mit einem abgerissenen Horn kleinbeigeben. Den kundigen Leser verwundert das nicht groß, hatte Hercules doch im Rahmen seiner „12 Arbeiten“ nicht nur den Augias-Stall gereinigt, indem er den Lauf zweier Flüsse änderte und durch die Ställe leitete; er bezwang auch ein neuköpfiges Schlangenwesen, nämlich die Lernaische Hydra,[8] und fing den Kretischen Stier ein und bändigte ihn.

Ein Sohn Gottes, der selbst ein Gott sein möchte

Achelous Geschichte zeigt (wieder einmal), dass auch Götter eine traurige Figur abgeben können. Sie dient Ovid aber vor allem als Überleitung zu der Figur, auf die er in seiner Weltgeschichte der Verwandlungen kaum verzichten kann: Herakles/Hercules. Er ist der Held der griechisch-römischen Antike. Helden werden Helden durch ihre Heldentaten und das sind bei Herakles/Hercules vor allem seine berühmten 12 „Arbeiten“ (erga, ἔργα oder ponoi, πόνοι) aus, die er zu erledigen hatte. Sie wurden im Lauf der Jahrhunderte durch zahlreiche „Nebenarbeiten“ (parerga, πάρεργα) ergänzt. Seine Heldentaten führen schließlich zu seiner Vergöttlichung.

Herakles

Der siegreiche Held hat aber auch eine dunkle Seite. Seine Herkunft vom mächtigsten der Götter bestimmt sein Schicksal. Musste Zeus/Juppiter Menschengestalt annehmen, um sein Begehren befriedigen zu können, so sah sich Hercules gezwungen, seine übermenschlichen Fähigkeiten immer aufs Neue beweisen und den Groll der rachsüchtigen Hera ertragen zu müssen.

Seine Großtaten haben nicht selten den Charakter willkürlich konstruierter Mutproben. Dem Löwenmonster, das er gerade niederringen konnte, folgen andere Monster, gegen die er anzutreten hat: eine neunköpfige Hydra, ein gewaltiger Hund und ein nicht weniger monströser Keiler, gewaltige Raubvögel usw. usf.. Auch den Höllenhund Kerberos muss er kurz entführen, um ihn dann, nach bestandener Feuerprobe, wieder zurückzubringen. Er ist wie der ein Held einer Science-Fiction-Serie beim Durchstreifen fremder Galaxien in jeder Folge auf neue, überaus bedrohliche Außerirdische stößt und sich gegen deren meist überlegene (technische) Fähigkeiten zur Wehr setzen muss. Wir, die wir das Serienspektakel verfolgen, wissen zwar wie’s ausgeht, gruseln uns aber gerne bei der Vorstellung, sich solcher Ungeheuer erwehren zu müssen.

Hercules umgibt dabei eine melancholische Aura. Er weiß, dass auch das nächste bestandene Abenteuer ihm keine Erlösung bringt. So ergreifen ihn – unter Mitwirkung der wütenden Hera – Phasen des Wahnsinns. Er tötet seine Kinder, die er zwar liebt, die ihm aber plötzlich als Feinde erscheinen. Und er lässt sich immer wieder zu gnadenlos brutalem, ja bestialischem Handeln hinreißen: so schneidet er Unterhändlern aus dem feindlichen Lager, denen traditionell mit Respekt begegnet und freies Geleit gewährt wird, Nasen, Ohren und Hände ab und schickt sie zurück, um dem Feind zu bekunden, was er von Verhandlungen hält und was er von ihm erwarten darf.

Das alles bietet für Dichter reichlich Stoff und allemal für ovidische Verwandlungen: manche der Hercules Geschichten verlangen förmlich danach, von Ovid erzählt zu werden. Thespios z.B. bot ihm seine 50 Töchter als Bettgenossinnen an, wenn er sein Reich von dem Unwesen des Löwen von Kithairion befreie. In der Überlieferung gibt es dazu zwei Versionen. Die eine lässt Hercules fünfzig Tage in Thespiai bleiben. Jede Nacht wohnte ihm eine andere der Töchter bei. Wie man sich das wohl vorzustellen hat? Eine andere Erzählung spricht davon, dass er in einer Nacht mit allen 50 geschlafen habe – eine wahre Hercules-Aufgabe. Das schreit förmlich nach einer anschaulichen Aufklärung durch Ovid. Ovid hätte uns vermutlich auch die Umstände von Zeugung und Geburt des Helden so nahegebracht, das wir dem mit staunender Aufmerksamkeit gefolgt wären ein wenig schmunzelnd, ein wenig kopfschüttend und ein wenig verwirrt darüber, selbst von dem Geschehen ergriffen zu sein.

Des Helden Schicksal

Aber all diesen Stoff lässt Ovid ungenutzt liegen. Ovid war wohl – so scheint es – kein großer Verehrer des ruhmsüchtigen Hau-drauf-Helden, der weder ein großer Geist war noch einen feinsinnigen besaß. Ovids Sympathien dürften eher dem Flussgott gegolten haben, der betrübt von seiner „verwandelnden“ Selbsterfahrung erzählt, als dem um sich schlagenden Hercules, dem schöne Reden nichts gelten und der sich durch rohe Gewalt auszeichnen will. Dem unterlegenen Gott gebührt zumindest die Ehre (decorum est), den Kampf aufgenommen und gegen den rücksichtslosen Willen zur Macht aufbegehrt zu haben.

Ovid interessiert sich nicht für die Heldentaten des Hercules. Er wendet sich dem Schicksal des Helden zu, seiner großen „Verwandlung“ und das heißt seinem Tod. Auf den Tod des Hercules ist die Erzählung Ovids von Anfang ausgerichtet. Er erzählt davon in drei aufeinander abgestimmten Geschichten: Der Kampf mit Achelous lässt Hercules zum Gatten Deianiras werden (1).

Kentaur Nessus entführt Deianira

Sie fortführend trifft er am Ufer eines reißenden Flusses den Kentauren Nessus, der ihm anbietet, die frischvermählte Deianira über den Fluss zu tragen. Doch Hercules, der den Fluss gewohnt wagemutig aus eigener Kraft durchquert, muss, auf der anderen Seite angelangt, feststellen, dass der Kentaur zurückblieb und dabei ist, Deianira zu entführen. Natürlich kann der Kentaur Hercules nicht entkommen. Als begnadeter Bogenschütze schickt Hercules dem mit Deianira fliehenden Kentaur einen Pfeil hinterher, dessen Spitze durch das Blut der lernaeischen Schlange vergiftet ist und Nessus tödlich den Rücken durchbohrt: „Aus der Brust ragte die hakige Eisenspitze hervor. Als diese herausgezogen war, spritzte aus beiden Öffnungen Blut, vermischt mit dem Gift der lernaeischen Schlange.[9] Der sterbende Nessus fängt es auf „und durchtränkt ein Gewand mit dem warmen Blut“. Er gibt es Deianira „als angeblichen Liebeszauber“: der Träger dieses Hemds werde ihr auf immer treu sein, so verspricht er (2). Wir ahnen, dass dies Blutgeschenk nichts Gutes verheißt. Deianira hat bald Grund (3), an der Treue ihres Gatten zu zweifeln. Sie erinnert sich an das Nessus-Geschenk und lässt es Hercules überbringen. Der zieht es nichts ahnend über. Es bringt nicht die Treue, es bringt entsetzliches Leid: es entzündet sich, frisst sich brennend – gleich Napalm – in die Haut und verursacht unvorstellbare Qualen: „Sofort versucht er, das todbringende Kleid zu zerreißen; wo es gezogen wird, zieht es die Haut mit ab, und – man schaudert, es auszusprechen – entweder bleibt es an den Gliedern haften – vergeblich ist der Versuch, es hinwegzuzerren! – oder es deckt die zerfleischten Gelenke und die gewaltigen Knochen auf. […] Gierig zehren die Flammen an seiner Brust, dunkel strömt vom ganzen Körper der Schweiß, versengt knistern die Sehnen. So läßt das schleichende Gift sein Mark hinschwinden.[10] Hier ist Ovid in seinem Element und nun endlich finden auch die Heldentaten Erwähnung. Hercules wendet sich unter dieser qualvoll hinziehenden Marter an die grimmige Hera und schreit ihr den Ruhm seiner 12 erledigten Arbeiten entgegen. Erst jetzt, am qualvollen Ende, bringt Ovid sie fast beiläufig ins Spiel und lässt sie von Hercules selbstmitleidig aufsagen. So sehr er sich mühte, davon bleibt nichts.

Hercules kann nur noch der Tod retten. Er weiß sich keinen anderen Rat, als einen Scheiterhaufen aufzurichten und sich darauf endgültig verbrennen zu lassen. Doch jemand muss ihm helfen, das Holz zu entzünden. Nur Philoctet ist dazu bereit. Auf dem brennenden Scheiterhaufen liegend, kann ihn keine Heldentat mehr retten; er hofft nur noch auf einen schnellen Tod.

Da kommt Hilfe von oben. Zeus überzeugt seine Götterkollegen, dass nur der sterbliche mütterliche Teil des Hercules in den Flammen umkommen soll. „Ewig ist, was er von mir erhalten hat, frei vom Tode, diesem nicht verfallen und durch keine Flamme zu bezwingen. Dieses will ich, nachdem er sein Erdendasein vollendet hat, an den Gestaden des Himmels empfangen, und ich glaube fest, daß meine Tat allen Göttern eine Freude sein wird.[11] Er wird zum Gott erhoben: „Kaum hat er die sterblichen Glieder abgestreift, erstarkt der bessere Teil seines Wesens. Größer begann er zu erscheinen und in erhabener Würde heilige Scheu zu erwecken (augusta fieri gravitate verendus).[12] Erst die Verwandlung, die er anderen verdankt, erhöht ihn.

Augustus – der Erhöhte

Hercules kämpft wie Dionysos, um die Anerkennung seiner göttlichen Herkunft. Aber Dionysos, Sohn der sterblichen Semele, ist – wie sein Name sagt – ein doppelt Geborener. Er wurde von Zeus aus dem Leib der Semele gerettet als diese ihren göttlichen Liebhaber in seiner vollen Pracht (und Potenz) beiwohnen wollte und daran verbrannte. Eingenäht in den Schenkel des Zeus, wird er von Zeus selbst ausgetragen. Dionysos ist ein mächtiger Gott, der um seine Anerkennung bei den Menschen ringt. Er ist der Gott des Rausches, der ekstatischen Verwandlung, der die Menschen fortreißt und in einen anderen, verzückten Zustand versetzt. Hercules dagegen ist ein Sterblicher, der allen seine göttliche Herkunft beweisen muss, ohne doch ein Gott zu sein.

Der Dichter ist wohl eher ein Seelenverwandter des Dionysos. Dagegen hat er wenig mit denen gemein, die wie Hercules ihre Durchsetzungskraft in nicht endenden Machtspielchen beweisen müssen. Und muss der Dichter doch einmal den Kampf aufnehmen, dann bleibt noch seine zwangsläufige Niederlage gegen die Übermacht der rohen Gewalt ehrenvoll. Im Exil, in das Ovid von Augustus geschickt wird, wird er das Werk schreiben, das ihm „Ruhm durch alle Jahrhunderte“ sichern wird. Der bessere Teil von Hercules kann, so Ovid, erst zur Geltung kommen, nachdem er seine sterblichen Glieder abgestreift hat. Mit denen gehen alle seine Untaten, sein klägliches Bestreben um Anerkennung und Ruhm unter. Erst dann wird er wirklich augustus!

[1] In der schönen Neuübersetzung der Homerschen Odyssee von Kurt Steinmann liest sich der Bericht des Odysseus aus der Unterwelt so: „Auch den Tantalos sah ich, wie er unter heftigen Qualen / in einem See stand, wo Wasser ihm hinauf bis zum Kinn schlug. / Sichtlich verging er vor Durst und konnte es doch nicht erreichen; / denn sooft er sich bückte, der Alte, begierig zu trinken, schwand es, zurückgeschlürft, und es wurde um seine Füße / sichtbar die schwarze Erde, ein Daimon legte sie trocken. / Hochbelaubte Bäume gossen ihm Frucht übers Haupt hin: / Birnen, Granaten und glanzvoll leuchtende, fruchtige Äpfel, / süße Feigen auch und saftige, frische Oliven. / Doch sooft er sich reckte, der Greis, sie mit Händen zu fassen, / schnellte sie stets ein Windstoß empor zu den schattigen Wolken.“ (XI 582ff.)

[2] Auch sie – das werden wir bald von Ovid gesagt bekommen – unterliegen dem Schicksal: Vos etiam, quoque hoc animo meliore feratis,/ me quoque fata regunt (IX, 433f.).

[3] Cf. I 452ff.: Apollons unglückliche Liebe

[4] Wir werden gleich sehen, dass sich nicht alles und vor allem nicht jeder von ihm mitreißen lässt.

[5] IX 4ff.: Quis enim sua proelia victus / commemorare velit? Referam tamen ordine. Nec tam / turpe fuit vinci, quam contendisse decorum est

[6] IX 16ff.

[7] Das galt ja bis zur Entwicklung der DNA-Vergleichsanalyse generell und nicht zuletzt für die Vaterschaft: pater semper incertus est. Bei Hercules sind die Dinge freilich noch verworrener: Seine Mutter Alceme (mater semper certus est) war die frisch vermählte Ehefrau des Amphitryon. Zeus/Juppiter hatte – während Amphitryon abwesend war – die Gestalt des Amphitryons angenommen und Alceme beigewohnt. Herakles/Hercules war also das Resultat eines Betrugs, der seither die Gemüter beschäftigt. Aber es wird noch verworrener. Alcmene kommt nämlich mit Zwillingen nieder, Herakles/Hercules und Iphikles, aber nur Herakles/Hercules wird dem Juppiter zugeschrieben, während Iphikles von Amphitryon gezeugt worden sein soll. Man kann also durchaus verstehen, dass die Herkunft von Herakles/Hercules berechtigte Fragen hervorruft.

[8] Schlangen konnten Hercules nicht schrecken. Schon der wenige Monate alte Herakles/Hercules erwürgte zwei riesige Schlangen, die die gekränkte Hera ihm in die Wiege schickte.

[9] IX 128f.

[10]

[11] IX 252ff.: aeternum est a me quod traxit et expers / atque inmune necis nullaque domabile flamma

[12] IX 269f.: parte sui meliore viget maiorque videri / coepit et augusta fieri gravitate verendus.

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