Die menschliche Hybris kennt keine Grenzen. War der Versuch kläglich gescheitert, die Musen gewaltsam zu überwältigen und unter politische Herrschaft zu zwingen, so sehen wir sie jetzt zu einem frechen Wettkampf herausgefordert. Neun Schwestern, Sterbliche wie ihr Vater Pierus, der König von Makedonien, fordern die Musen beleidigend heraus: „Hört auf, das ungebildete Volk durch eitlen Wohlklang zu täuschen. Sing mit uns um die Wette, wenn ihr einen Funken Selbstvertrauen habt, ihr Göttinnen von Thespiae! Wir werden euch weder stimmlich noch künstlerisch unterlegen sein, und sind ebenso viele wie ihr.“[1] Als Richterinnen werden Nymphen auserkoren.
Natürlich wissen wir, wie der Kampf ausgehen wird. Ovid verbindet die beiden Geschichten unter Vorwegnahme des Ausgangs. Er lässt das Gespräch zwischen Minerva und den Musenschwestern durch lautes Geschrei von geschwätzigen Elstern stören und Athene (und wir) erfahren, dass das die verwandelten Königstöchter sind, die „nach ihrer Niederlage im Wettkampf die Schar der Vögel vermehrt haben“. Nicht dass die Musen siegen, sondern wie sie es tun, ist für die Ovidsche Geschichte entscheidend.
WIR LESEN OVID
Ovids Metamorphosen sind ein lesenswerter Klassiker. Wir lesen Stück für Stück die fünfzehn Bücher in kleinen überschaubaren Abschnitten. Können wir Philosophisches zur Zeit daraus lernen? Finden Sie’s raus und lesen Sie mit! Das geschah bisher.
Der Musendichter Ovid
Und im Wie liegt der große Reiz und die große Herausforderung für Ovid. Ovid nämlich muss jetzt für die Musen singen. Ovid tritt selbst an die Stelle der Musen. Es ist eine klassische Stilfigur, dass der Dichter den Beistand der Musen erfleht. Das können die Musen natürlich nicht, ihr Gesang beruft sich „nur“ auf ihr Dasein. Und hier, bei Ovid, sprechen sie so wie Ovid es ihnen eingibt. Ovid folgt nicht flehentlich ihnen, vielmehr sprechen sie mit seiner Kunst. Er findet für sie das gewinnende Wort und setzt den musischen Standard.
Ungleicher Kampf
Der Bericht vom Wettkampf steht dabei unter einer klugen Ovidschen Regie: Da die sterblichen Schwestern die göttlichen Musen herausfordern, steht zu erwarten, dass sich auch in ihrer Wettkampfdichtung eine Kampfansage findet. Die Himmlischen sind nicht unbesiegbar oder über alles erhaben – wie es die musische Dichtung dem „ungebildeten Volk“ einreden will: „Sie [die vorlauteste Königstochter][2] singt vom Krieg der Himmlischen, rühmt zu Unrecht die Giganten, schmälert die Taten der Götter.“[3] Da Ovid den Wettkampf von der Muse schildern lässt, gibt der Berichts das Gesagte indirekt und kommentierend wieder: Ovid lässt die Muse über die Sterblichen reden, sie selbst aber nicht zu Wort kommen. Es geht hier mehr um die Sache als um die dichterische Form. „Sie erzählt wie Typhoeus der Erdentiefe entstieg und den Himmelsbewohnern Angst einjagte, so daß sich alle zur Flucht wandten…“ Verängstigt durch „das größte Ungeheuer, das je das Licht der Welt erblickte“[4] flohen die olympischen Götter nach Ägypten und nahmen Tiergestalt an, um von Typhoeus nicht erkannt zu werden: Juppiter wurde ein Widder, Apollon ein Rabe, Juno eine Kuh …
Die Götter machen in dieser Geschichte nicht die beste Figur und sind nicht gerade souverän. Und natürlich ist das der Grund, wieso die aufbegehrenden Menschentöchter diese Variante des Mythos für den Musen-Contest wählen. Sie verstehen sich als Aufklärerinnen, die mit sensationellen Enthüllungen provozieren und Stimmung machen wollen. Die Götter mal so richtig vorzuführen, das könnte bei einem menschlichen Publikum vielleicht gut ankommen, ist bei Nymphen als Juroren aber vielleicht nicht ganz so klug.[5] Aber die selbstsichere Hybris besiegt jede Rücksicht auf Klugheitserwägungen.
Bei Hesiod, der in der Theogonie das Ungeheuerliche des Typhoeus ausführlich beschreibt,[6] nimmt der Kampf jedenfalls einen anderen Verlauf und bestätigt Zeus als übermächtigen Göttervater: Zeus tritt dem Ungeheuer entschlossen gegenüber, „vom Olympos stürmend, schlug [er] zu und versengte / alle göttlichen Häupter zugleich des entsetzlichen Untiers. / Dann von Zeus mit Hieben bezwungen, brach es zusammen.“ [7] Wohl mit Blick darauf, sieht die Muse die Giganten zu Unrecht gerühmt.[8]
Die Gigantomachie und allemal die Schilderung des Kampfes gegen das ungeheuerlichste aller Ungeheuer eignen sich natürlich durchaus für einen dichterischen Wettstreit. Ovid hat mit Cadmos Kampf gegen das Schlangenungeheuer zu Beginn des dritten Buches selbst vorgeführt, wie ein solcher Kampf auf Leben und Tod mit einem scheinbar überlegenen Gegner packend dargestellt werden kann und die ganze Kunst des Dichters zu zeigen vermag.
Doch das kommt in der Form in der Ovid den Wettkampf berichten lässt gar nicht zum Tragen. Die Muse berichtet nur vom unschönen Gegenstand, den die Gegnerin besingt, aber nichts von ihrer dichterischen Finesse, die dabei gezeigt wurde. Der Bericht nimmt ganze 14 Zeilen ein, während Ovid den Gesang der Kalliope, die für die Musen zum Wettkampf antritt, in 300 Zeilen wiedergibt.
Prima Ceres
Athene wird ausdrücklich gefragt, ob sie dem Gesang ihr Ohr leihen will. Natürlich will sie das und Kalliope, die Schönstimmige, die Muse der Dichtung, beginnt gleich mit einem wahren Schmuckstück, einem stilistisch wunderbar formulierten Exordium, das uns auf Ceres/Demeter als Gegenstand ihres Gesangs einstimmt:
„Ceres war’s, die zuerst mit gekrümmten Pfluge die Scholle
Teilte, zuerst die Früchte der Erde, die mildere Nahrung,
Schenkte, Gesetze bestimmte: von ihr stammt jegliche Gabe (Cereris sunt omnia munus)
Ceres, sie muss ich besingen (illa canenda mihi est). Oh, möchte es würdig der Göttin
Klingen, mein Lied (utinam modo dicere possim carmina digna dea)! Denn wahrlich, die Göttin ist würdig des Liedes (certe dea carmine digna est)“ [9]
Sie erinnern sich an die Bedeutung der Anfänge? Mit dem programmatischen In nova fert animus mutatas dicere formas / corpora ließ Ovid seine Metamorphosen beginnen. Kalliope beginnt mit Prima Ceres … sie ist die bereitwillig Gebende, von der „jegliche Gabe stammt“. Das Lied, das als Musen-Gabe ihr gewidmet werden soll, steht unter dem hohen Anspruch, der großen Gaben-Spenderin gerecht zu werden, vor allem weil gilt, dass sie des Liedes unbedingt würdig ist. Ceres vor allem (prima) gebührt der Gesang, wie grundsätzlich das Himmlische den Gesang fordert und in ihm da ist. Was wüssten wir von den Göttern, wenn uns nicht von ihnen gesungen würde?! Die Musen sind göttlich, weil sie das Göttliche zeigen.
Doch aus welcher Perspektive wird hier gesungen? Ceres wird als die Frucht und Nahrung Gebende, als Spenderin der Lebensmittel, der Mittel des Lebens, vorgestellt. Und mit der Gabe des Ackerbestellens, der Pflege der natürlichen Umwelt und der Ernte von Früchten, gibt sie zugleich erste Gesetze der Erhaltung des Lebens in seiner natürlichen „Fruchtfolge“. Wem? Zweifellos dem Menschen. Was könnten die Musen-Göttinnen mit dem gekrümmten Pflug anfangen, dem Anbau von Getreide und seiner Ernte? Es ist die Perspektive des Menschen, der der Gesang für Ceres/Demeter entspringt. Ovid hat sie für die Musen übernommen. Ceres so zu zeigen wie sie ist, heißt dankbar sein. Wir verdanken es den Musen, dass das gelingt – und natürlich Ovid, der ihnen die richtige Sprache dafür verleiht.
Der Streit der Kräfte
Aber wir werden sehen, auch Ceres/Demeter lebt nicht in ihrer eigenen Welt. Sie hat sich zwar aus der Gigantomachie herausgehalten und gilt als sanftmütig und friedfertig. Aber es gibt Götter und Gewalten neben ihr mit denen sie leben muss. Und diese göttlichen Kräfte ringen miteinander, begrenzen sich gegenseitig in ihrer Wirkung und schaffen so das, was ist. Der Streit ihrer Kräfte gestaltet die Welt und macht ihre Ordnung aus. Es wird gestorben und geliebt in dieser Welt, geschaffen und vernichtet. Weisheit und sinnliche Lust z.B. oder kriegerischer Kampf und politische Strategie sind in beständigem Ringen.
Der Gigantomachie folgt der Angriff des Typhoeus, der im wahrsten Sinne des Wortes das Weltgebäude erschütterte. Es zeigen sich Risse, die bis in den Tartaros, dem untersten Teil der Unterwelt, reichen. Wie einst Zeus nach dem von Phaeton ausgelösten Weltenbrand die Welt durchstreifte, um zu sehen, ob die Weltordnung noch Bestand hat, kommt nun der König der Unterwelt, Pluto/Hades, herauf, weil er fürchtet, dass die bebende Erde „aufspringe, daß ein breiter Riß die Tiefe enthülle und eindringendes Tageslicht die aufgeregten Schatten erschrecke“.[10] Er kann sich durch seine Auffahrt in die ihm fremde Welt zwar überzeugen, „dass keine Stelle wankt“, wird hier aber von einer anderen Kraft erfasst, der er sich nicht entziehen kann. Wenn Zeus durch die Welt streift, dann wissen wir was passiert, er trifft auf verführerische Schönheiten, die ihn in den Bann ziehen. Beim Herrn der Unterwelt muss da nachgeholfen werden. Venus sieht Hades und wird sofort tätig: sie ruft Cupido/Eros, um Hades von einem seiner Liebespfeile treffen zu lassen. „Du überwältigst die Himmlischen, sogar Iuppiter, du besiegst … sogar den Beherrscher der Meergottheiten [Neptun/Poseidon]. Warum fehlt immer noch die Unterwelt? Warum erweiterst Du nicht das Reich deiner Mutter, dein Reich? Es geht um ein Drittel der Welt!“ Und sie sieht eine gute Gelegenheit damit zugleich der Unsitte mancher Jungfrauen entgegenzutreten, sich ihrer Herrschaft entziehen zu wollen. Mit Proserpina/Persephone, der Tochter von Ceres, z.B. droht eine weitere Göttin dem Vorbild von Minerva/Athene und der Diana/Artemis folgen und Jungfrau bleiben zu wollen.
Raub einer Göttin
Kaum ist Hades vom erotischen Pfeil getroffen, geht alles ganz schnell: „gleichzeitig gleichsam sah, begehrte und raubte er sie“ (paene simul visa est dilectaque raptaque Diti). Ein Gott entführt eine Göttin, reißt sie gewaltsam mit sich. Sie ruft „erschrocken und mit trauriger Stimme“ die Mutter und die Gespielinnen, mit denen sie gerade noch verspielt und „mit mädchenhaften Eifer“ Blumen pflückte. Ovid betont die „Einfalt ihres kindlichen Gemüts“ (simplicitas puerilibus annis): die Göttin ist noch nicht das, was sie ausmacht, was ihr Wesen bestimmt. Sie ist noch nicht bestimmt durch die anderen Kräfte, die mit ihr ringen, sie begrenzen und sie damit zugleich auf ihre ganz eigene Kraft konzentrieren. Sie lebt – noch – in einem „ewigen Frühling“ (perpetuum ver), noch ganz geschützt im mütterlichen Kosmos.
Schon bald wird sie durch die Mutter vermisst. Sie sucht sie wie eine Göttin das tut: auf der ganzen Welt. Und Ovid kann hier wieder zeigen, was eine göttliche Suche heißt: „Es würde zu weit führen, zu berichten, welche Länder und welche Meere die Göttin durchirrt hat.“ Aber: „Weder die Morgenröte, die mit feuchtem Haar aus der Tiefe emporstieg, noch der Abendstern sah sie ruhen. Lichtspendende Fackeln aus Fichtenholz entzündete sie mit beiden Händen am Ätna und trug sie rastlos durch den nächtlichen Rauhreif. Hatte dann wieder das liebe Tageslicht die Sterne erbleichen lassen (rursus ubi alma dies hebetarat sidera), suchte sie ihre Tochter vom Land der sinkenden Sonne bis zum Ort ihres Aufstiegs.“ Da hat sich die „Muse“ Ovid schon was einfallen lassen. Aber Ovid legt noch einen dieser Sätze nach, schon um derentwegen man die Metamorphosen lesen muss: „Für ihre [die göttliche] Suche war die Welt zu klein (quaerenti defuit orbis).“ Welch ein Satz, der sich wieder kaum angemessen übersetzen lässt.[11]
Ihr ahnt Schlimmes. Was aber kann einer Göttin Schlimmes geschehen? Sie kann ihr Wesen nicht verlieren, sondern nur gewinnen. Ceres findet den Gürtel der Tochter. „Kaum hatte Ceres ihn erkannt, zerzauste sich die Göttin das ungeordnete Haar, als hätte sie jetzt erst erfahren, daß ihr die Tochter geraubt worden war …“[12] Die Tochter wird ihr „geraubt“, d.h. aus dem Verschmolzensein mit der mütterlichen Bestimmung genommen. Sie „verliert“ sie aus ihrer Vormundschaft, indem sie als sie selbst wirksam wird – ohne doch ihre Herkunft zu verlieren. Für Ceres ist – wie es später heißt – die Tochter zu finden, sie zu verlieren; sie weiß dann, dass sie ihren bleibenden Aufenthalt nicht bei der Mutter hat.[13]
Ihren Verlust will sie entsprechend strafen. Das Verlustig-Gehen Proserpinas/Persephones, ihres ewigen Frühlings, hat für die lebendige Welt schlimme Konsequenzen, sie verliert das Wiederaufblühen der Pflanzen, das Austreiben der neuen Früchte, das immer und immer wieder geschieht. „Noch weiß sie nicht, wo ihr Kind ist, doch macht sie allen Ländern Vorwürfe, nennt sie undankbar und nicht wert ihrer Gabe …“[14] Die Länder leiden unter dem Entzug des „ewigen Frühlings“, nichts gedeiht mehr – der Zustand der Göttin ist Strafe für die Länder. Die Schuld der Länder ist freilich „nur“, den Raub nicht zu beklagen – und das ändert die „Strafe“, nämlich der Entzug der Gaben.
Ausgleich der Kräfte
Geraubt wurde sie von Pluto/Hades wie Ceres nun von der Nymphe Arethusa erfährt, die Proserpina in der Unterwelt als deren neue Königin, „die Mächtigste im Reich der Finsternis, die gewaltige Gemahlin des Königs der Unterwelt“ gesehen hat. Nun weiß sie, dass dagegen nur mit Hilfe von Juppiter anzukommen ist. Sie sucht ihn auf dem Olymp auf und bittet ihn die gemeinsame Tochter zu retten: „Ich bin zu dir gekommen, Iuppiter, als Bittflehende für mein und dein Fleisch und Blut. Findet die Mutter keine Gnade, so mag die Tochter den Vater rühren.“[15] Sie spekuliert auf die eigentümliche Nähe, die Väter zu ihren Töchtern aufbauen. Juppiter bekennt sich zur Tochter, die wie wohl jedes Kind „eine Lust und eine Last“ für die Eltern ausmachen.[16] Doch Juppiter relativiert: „Aber will man die Dinge beim rechten Namen nennen, ist diese Tat [der Raub durch Pluto/Hades] kein Unrecht, sondern Liebe (non hoc iniuria factum, verum amor est).“ Die Tat ist Resultat des erotischen Pfeils, dessen Verwundung bei Hades schwärt … einem Wirken von Kräften, denen sich niemand zu entziehen vermag. Freilich, wenn sich Proserpina/Persephone tatsächlich der neuen Heimat verweigert, dann werde Zeus ihre Freigabe erwirken. Nach dem Schicksalsgesetz der Parzen, dem sich niemand entziehen kann, darf sie dort nichts zu sich genommen haben. Sie hat freilich einen „purpurnen Granatapfel gepflückt und aus der bleichen Schale sieben Kerne genommen und zerkaut“. Damit bleibt sie an Hades gebunden. Juppiter freilich bringt die an Proserpina/Persephone zerrenden Kräfte zum Ausgleich, er „teilt das rollende Jahr gleichmäßig auf; jetzt ist die Göttin als ein Wesen, das beiden Reichen gemeinsam angehört, ebenso viele Monate mit ihrer Mutter zusammen wie mit ihrem Gemahl. Unversehens wandelt sich ihre Stimmung und ihr Aussehen; ist doch die Stirn, die eben noch selbst dem Pluto traurig erscheinen konnte, jetzt heiter, wie die Sonne, die zuvor wasserreiche Wolken verdeckten, aus den besiegten Wolken hervortritt.“[17] Die Gabe der Fruchtbarkeit wird über die Tochter zu einem Wechsel von Wachsen, Ernten und Absterben – wie das Wachstum Wärmendes Licht und kühlendes Wasser braucht. Die Wolken ziehen vorbei, spenden Wasser und geben die Sonne wieder frei. Dem Frühling und Sommer folgen Herbst und Winter.
Ceres, „die Göttin der Fruchtbarkeit“ (dea fertilis), wird so „durch die Luft getragen, die zwischen Himmel und Erde ist“ (medium caeli terraque per aera vecta est) und lässt dem Land wieder fruchtbaren Samen bringen. Die Gabe der „jegliche Gabe spendenden“ Göttin (Cereris sunt omnia munus) nimmt neue Form an. Sie versöhnt sich mit den anderen wirkenden Kräften in neuer Gestalt.
Verwandlungsreicher Gesang
Der Musengesang über die gebende Göttin trägt im Wettstreit den Sieg davon und führt zur Verwandlung der sterblichen Schwestern in geschwätzige Elstern. Ganz nebenbei ereignen sich andere Metamorphosen, die im Ovidischen Musengesang geschildert werden – solche die als Strafe für eine vergleichbare Hybris gelten dürfen und solche, die der Verzweiflung geschuldet sind. Ein Junge, der sich über Ceres lustig macht, die durstig geworden begierig trinkt, wird in einen Steinsalamander, Ascalaphus, der Proserpina unterwürfig bei Hades denunziert, wird in einen Uhu und Lyneus, der sich selbst für die neue Fruchtbarkeit des Landes rühmen lassen will, wird in einen Luchs verwandelt. Aus gottesfürchtiger Verzweiflung dagegen geschieht die Verwandlung der Nymphe Cyanes und der Mädchen, die Zeugen von Proserpinas Entführung wurden: der Körper der einen, Cyanes, löst sich in Wasser auf, und die Mädchen grämen sich so, dass sie auf ihren Wunsch hin zu Flügelwesen verwandelt werden, die als Sirenen das Schicksal besingen. Gegen diesen Reigen von Metamorphosen und der Erneuerung wirkt die Verwandlung, die die Herausforderinnen liefern ärmlich: die Sterblichen können nur Pseudo-Verwandlungen bieten, bei denen die Götter zeitweilig die Gestalt von Tieren annehmen und damit eher einen Camouflage-Trick darstellen.
Und fast schon beiläufig erzählt uns Ovid vom Schicksal der Arethusa, die Ceres über Proserpinas Aufenthalt im Hades erzählte. Sie konnte sie dort sehen, weil es ihr eigenes Schicksal erlaubt, an der Unterwelt vorbei zu fließen. Sie wird vom begehrlichen Flussgott Alpheus verfolgt, fleht Diana/Artemis um Hilfe an, aber schließlich vereinigt sich Alpheus doch mit ihr. Aus Zorn darüber schlägt Diana/Artemis einen Spalt, der es Arethusa erlaubt ihre neue Welt mit ihrer Herkunft zu verbinden und am Hades vorbeiläuft. Ihr Schicksal gleicht der Proserpinas und Ovid gefällt sich darin, die Flucht und ihr schließliches Scheitern den Musen schildern zu lassen.
Und Ovid?
Apropos: geht Ovid aus all dem straffrei hervor? Gleicht er nicht den sterblichen Schwestern, die die Musen herausfordern? Er glaubt zumindest für und als sie sprechen zu können. Die Hybris der sterblichen Schwestern ist der Dichtung durchaus eigen. Nur in der Dichtung zeigen sich die Götter. Man muss es eben nur richtig machen. Ovid nimmt sich das Recht. Wollen wir das als Raub verstehen, nicht der Persephone sondern der Musen?! Frei nach Hölderlin: was bleibet stiften die Dichter – das gilt selbst für Götter.
Demnächst
Im sechsten Buch geht’s gleich mit einer neuen Herausforderin weiter. Athene, die mag das gar nicht, wenn man an ihr zweifelt, wird durch Arachne herausgefordert. Was soll uns das nun wieder Neues sagen?
[1] V 308-311: “Desinite indoctum vana dulcedine vulgus / fallere: nobiscum, siqua est fiducia vobis, / Thespiades certate deae. Nec voce nec arte / vincemur, totidemque sumus.
[2] Ovid hebt hervor, dass sie gar nicht an sich halten kann und einfach – ohne sich mit den Schwestern zu besprechen – loslegt.
[3] V 319f. bella canit superum falsoque in honore Gigantas / ponit et extenuat magnorum facta deorum
[4] So Robert von Ranke-Graves, Griechische Mythologie, 1992, S. 118.
[5] Tatsächlich nimmt die Geschichte in einer Variante des Mythos einen vollends demütigenden Verlauf: Die Sichel, mit der Zeus seinen Vater Kronos entmannt hatte und mit der er auch gegen das hundertarmige Ungeheuer kämpfen wollte, wird ihm von Typhoeus entrissen und gegen ihn selbst gewendet: Typhoeus durchtrennt ihm alle Sehnen und sodass Zeus bewegungsunfähig wie ein Sack in sich zusammenfällt. Erst der schlaue Hermes kann ihn wieder zusammenflicken und so den Weg zum schlussendlichen Sieg bahnen. Warum ihm nicht das gleiche Schicksal ereilt wie Kronos und Uranos und er sein vielgenutztes „bestes Stück“ behalten darf? Nun ja, das wäre dann doch zu unplausibel gewesen.
[6] „Aber als Zeus das Geschlecht der Titanen vom Himmel vertrieben, / damals gebar die riesige Gaia Typhoeus als Jüngsten; / denn mit Tartaros hatte den Bund Aphrodite gestiftet. / Ungeheuer kräftige Arme sind ihm gegeben, / unermüdlich auch sind die Füße des Starken; den Schultern / wie von Schlangen entwachsen hundert gräßliche Häupter, / züngelnd mit schwärzlichen Zungen, ihm glomm aus zahllosen Augen / seiner göttlichen Häupter hervor unter Brauen ein Feuer.“
[7] Hesiod, Theogonie 820ff.
[8] Hier ist nicht ganz klar, ob die Muse des Ovid den Typhoeus anders als die Tradition zu den Giganten rechnet. Typhoeus entspringt ja der Verbindung von Gaia und Tartaros, die Gaia aus Groll, den sie wegen der Niederlage „ihrer“ Giganten hegte, einging. Die Giganten waren Riesen, die Gaia dort hervorbrachte, wo bei der Entmannung Uranos Blutstropfen auf die Erde fielen. Oder Typhoeus sollte nur als Höhepunkt und Abschluss der Gigantomachie die Verletzlichkeit der olympischen Götter bezeugen.
[9] V 341ff. in der Übertragung von Hermann Breitenbach – Prima Ceres unco glaebam dimovit aratro, / prima dedit fruges alimentaque mitia terris, / prima dedit leges: Cereris sunt omnia munus. / Illa canenda mihi est. Utinam modo dicere possem / carmina digna dea: certe dea carmine digna est.
[10] V 356ff.: Inde tremit tellus, et rex pavet ipse silentum, / ne pateat latoque solum retegatur hiatu / inmissusque dies trepidantes terreat umbras.
[11] Ich neige zu: die Welt wurde der Suche nicht gerecht (Die begrenzte Welt entspricht der Grenzenlosigkeit/Unbedingtheit der Suche nicht). Ein treuer Leser schlägt „Nicht Raum genug bot die Welt ihr zur Suche“ oder „Zu eng ist der Erdkreis für ihr Suchen“ vor.
[12] V 471f.: quam simul agnovit, tamquam tunc denique raptam / scisset
[13] Ovid lässt der Mutter, die die Tochter wieder gefunden hat, sagen, dass „finden wohl treffender verlieren“ heißen müsse (si reperire vocas amittere certius).
[14] V 474f.: nexit adhuc, ubi sit; terras tamen indrepat omnes / ingratasque vocat nec frugum munere dignas.
[15] V 514ff.: “pro” que “meo veni supplex tibi, Iuppiter” inquit, / “sanguine proque tuo. Si nulla est gratia matris, / nata patrem moveat
[16] Wieder einer dieser Sätze, die wie kleine Denkmäler aus dem Text herausstehen: commune est pignus onusque / nata mihi tecum.
[17] V 565ff.: Iuppiter ex aequo volventem dividit annum. / Nunc dea, regnorum numen commune duorum, / cum matre est totidem, totidem cum coniuge menses./ Vertitur extemplo facies et mentis et oris: / nam modo quae poterat Diti quoque maesta videri, / laeta deae frons est, ut sol, qui tectus aquosis / nubibus ante fuit, victis e nubibus exit.