Ovids Metamorphosen IV: Schlangen und ihre Widersacher

Lesedauer 3 Minuten

Es konnte schon so aussehen, als hättest du, Cadmus, durch deine Verbannung dein Glück gemacht. Als Schwiegereltern hattest du Mars und Venus gewonnen: hinzu kam die Nachkommenschaft von einer so edlen Gattin: so viele Töchter und Söhne und geliebte Enkel, auch diese schon erwachsen. Doch man muß immer den letzten Tag eines Menschen abwarten, und keinen darf man vor seinem Tode und dem Leichenbegängnis glücklich nennen.[1] So hatte es Ovid Cadmus nach der Gründung Thebens verheißen. Viel Unglück ist seither über ihn hereingebrochen: die Töchter Semele – im Blitz von Zeus göttlicher Liebe verglüht, Autonoe und Agaue – in den Wahnsinn getrieben und auch Ino zuletzt; die Enkel Pentheus und Actaeon von der Mutter und den Tanten bzw. den eigenen Hunden zerrissen, Learchus und Melicertes ebenfalls dem Wahnsinn der Eltern zum Opfer gefallen. Aber Cadmus wurde noch etwas anderes geweissagt, nachdem er die Drachenschlange des Waldes, die dem Mars angehörte, erschlagen hatte: „Während der Sieger den besiegten Feind in all seiner Länge betrachtete, ließ sich plötzlich eine Stimme vernehmen – man konnte nicht erkennen woher sie kam, aber sie ließ sich vernehmen –: ‚Was siehst Du, Sohn Agenors, die getötete Schlange an? Auch dich wird man als Schlange sehen.‘“ Ovid wird es uns nun zeigen.

WIR LESEN OVID
Ovid – WikiCommons

Ovids Metamorphosen sind ein lesenswerter Klassiker. Wir lesen Stück für Stück die fünfzehn Bücher in kleinen überschaubaren Abschnitten. Können wir Philosophisches zur Zeit daraus lernen? Finden Sie’s raus und lesen Sie mit! Das geschah bisher.

Harmonia wird umarmt von Cadmus

In der griechischen Mythologie entsühnt Cadmos den Tod der Ares-Schlange durch siebenjährigen Frondienst für Ares. Davon spricht Ovid nicht. Er kann sich in den Ovidschen Metamorphosen sein Unglück nicht erklären. Aber er ist ein Vertriebener, einer der aus der Heimat verstoßen wurde und das hängt ihm an. Er mag noch so erfolgreich scheinen, er ist und bleibt heimatlos. Und er flieht nun wieder den Ort, der ihm nicht zur glücklichen Heimat werden konnte: „so verläßt der Gründer seine eigene Stadt, als wäre das ihn bedrängende Verhängnis an den Ort und nicht an seine Person gebunden“. Er grübelt und ruft sich alles noch einmal ins Gedächtnis: „‚War etwa jene Schlange, die mein Speer durchbohrte, heilig, … ? Rächt die Vorsehung der Götter diese Schlange mit so unerbittlichem Zorn, so bitte ich darum, selbst zu Schlange mit langgestrecktem Bauch zu werden.‘ Sprach’s, und wie eine Schlange streckt er sich in die Länge …[2] Auch Harmonia wird in Liebe mit Cadmus fest verbunden, zu einer Schlange und mit ihm in einen Schlupfwinkel verschwinden. „Heute noch fliehen sie nicht vor Menschen, tun ihnen nichts zuleide und erinnern sich als zahme Drachen daran, was sie früher gewesen.[3]

Nichts bleibt wie es wahr. Noch die glücklichsten Städte und größten Reiche fallen entzwei. Eine Mahnung an alle Sieger, die sich über ihre Schlangenfeinde zu sehr erheben. Dürfen, sollen wir beim Gründer der Stadt vielleicht an den Gründer des „neuen Reichs“, des kaiserlichen Roms, denken, an Octavian, Kaiser Augustus, der sich an Ovid so einschneidend rächte? Auch er wird ein Schatten seiner selbst und nur noch in den Geschichten da sein, die andere, über die er zu thronen glaubte, von ihm erzählen. Das gilt selbst für die göttliche Tochter Harmonie – auch sie findet ihre bleibende Heimat nur bei den Dichtern, nicht bei den immer fallenden Kriegern.

[1] III 131ff.; cf. https://www.rhetorik-forum-nuernberg.de/das-dramatische-wesen-des-politischen/

[2] IV 571ff.

[3] IV 602f.

Schreibe einen Kommentar