Politische Insolvenz – oder was man auf keinen Fall sagen darf

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Lassen Sie mich mit einer kleinen Bitte beginnen: Vergleichen Sie bitte mal diese zwei Aussagen

  • Läden. die erst mal aufhören zu produzieren, weil es eine Kaufzurückhaltung gibt, sind nicht insolvent, automatisch, aber sie hören vielleicht auf zu verkaufen.
  • Ein Laden, der aufhört zu produzieren, ist doch nicht insolvent, er verdient nur kein Geld mehr.

Richtig (a) spricht im Plural, (b) im Singular. Aber darauf soll’s jetzt mal nicht ankommen. Auch bei (b) geht es nicht um einen Laden, sondern beispielhaft um alle betroffenen. Ok, (a) versucht das Einstellen der Produktion noch mit Kaufzurückhaltung zu erklären. Die Ursache scheint (b) weniger zu interessieren; dort geht es mehr um die Wirkung: ohne Produktion, keine Einnahmen. Und (a) – oh ja, jetzt fällt’s mir auch auf – klärt uns darüber auf, dass das Einstellen der Produktion nicht „automatisch“ zur Insolvenz führt. Da sieht man’s mal, man muss schon genau lesen bzw. zuhören.

Wer das nicht tut oder kann, der sollte sich auch nicht äußern, denn sonst wird’s teuer und vor allem unangenehm. Im September 2022 fand jemand bei Twitter ein Meme, das vier Fotos vier Aussagen zuordnete. Man sieht links Kanzler Scholz, Finanzminister Lindner, Außenministerin Baerbock und Wirtschaftsminister Habeck; rechts wird ihnen dann je eine Aussage zugeordnet. Falls Sie sich das noch nicht recht vorstellen können, dann müssen Sie es leider googlen, denn … na, Sie werden gleich sehen. 

Die Aussagen, die Scholz und Lindner zugeordnet werden, sind so zugespitzt, dass sie als Satire leicht zu erkennen sind: Scholz z.B. kann sich, so wird durch behauptet, an die Unterschlagung mehrerer Millionen nicht mehr erinnern. Aber die Aussagen, die den Ministern zugeordnet werden, sind mit Anführungs- und Schlusszeichen eingerahmt und deshalb als Zitate zu verstehen. Wörtliche Zitate sind es jedoch nicht!

Nehmen wir den letzten von den Vieren – also Twitter- Meme: Robert Habeck. Er hatte bei in der ARD Sendung Maischberger am 6. September 2022, auf die Frage, ob er mit einer Insolvenzwelle rechne, so geantwortet: „Nein, das tue ich nicht. Ich kann mir vorstellen, dass bestimmte Branchen einfach erst mal aufhören zu produzieren, nicht insolvent werden […] dann werden, das sehen wir jetzt überall, dass Läden, die darauf angewiesen sind, dass die Menschen Geld ausgeben, Blumenläden, Bioläden, Bäckereien gehören dazu, dass die wirkliche Probleme haben, weil es eine Kaufzurückhaltung gibt und dann sind die nicht insolvent, automatisch, aber sie hören vielleicht auf zu verkaufen ….“[1]

Im Meme wurde ihm dagegen (b) zugeordnet: „Ein Laden, der aufhört zu produzieren, ist doch nicht insolvent, er verdient nur kein Geld mehr.“ Das geht natürlich nicht, gell! Das ist ja total sinnentstellend!

Also wurde Strafantrag gestellt, eine Hausdurchsuchung der Wohnung der alleinerziehenden Frau mit deutsch-rumänischer Staatsbürgerschaft am 19. Juni 2023 veranlasst, bei der u.a. der Laptop des Sohns beschlagnahmt wurde.

Im Durchsuchungsbeschluss heißt es: „Wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung hält die Staatsanwaltschaft ein Einschreiten von Amts für geboten.“ Wohlgemerkt dazu gehört ausdrücklich: „Soweit auf Kommunikationsverbindungsdaten zurückgegriffen wird, gilt dies auch im Bezug auf das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Beschuldigten“ – und das ist wie auch die Unverletzlichkeit der Wohnung eigentlich durchs Grundgesetz geschützt (Artikel 10 und 13). Aber nicht, wenn etwas wie dieser Meme geeignet, „das politische Wirken der Geschädigten erheblich zu erschweren“.

 

Unstrittig ist – das hätte die Frau auch nie bestritten, wenn man sie denn gefragt hätte –, dass sie auf ihrem Twitter Account @standforAssange das Meme geteilt hat. Auch die Hausdurchsuchung hat wohl nichts Gegenteiliges erbracht und so wurde eine Geldstrafe von 900 Euro ausgesprochen, die von der Frau auf Anraten ihres Anwalts, der eine kostspielige Eskalation durch die Instanzen fürchtete, akzeptiert.

Dass Honecker-Witze, an der falschen Stelle erzählt, zu schweren Nachteilen führen konnten, das wurde zurecht kritisiert. Habeck in einer „satirischen Bildmontage“ falsch zu zitieren, das ist natürlich strafbar – jedenfalls wenn der Geschädigte darauf drängt. Kanzler Scholz und Finanzminister Lindner haben darauf verzichtet. Das ist mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit wirklich zu begrüßen. Die arme Frau, die in den Regeln wissenschaftlichen Arbeitens wohl nicht geschult war, hat’s freilich nichts genutzt. Denn es gibt ja grüne Minister, die das nicht durchgehen lassen.

Für mich ist das eigentlich Skandalöse des Vorgehens, dass die Hausdurchsuchung und damit das Verfahren zur Ermittlung der Feststellung eines Straftatbestands schon die eigentliche Strafe ist und größere Wirkung erzielt als der daraufhin erfolgte Strafbefehl von 900 €. Stellen Sie sich, liebe Leser, einfach vor, Ihre Wohnung, Ihr Haus würde polizeilich durchsucht und Ihre gesamte Kommunikation und die Ihrer Familienmitglieder, die sehr private oder gar intime Dinge enthält, würde beschlagnahmt und durchsucht! Alles ohne vorherige Anhörung! Wollen Sie das haben? Und es ist ja kein Einzelfall: siehe z.B. hier. Nein, das wollen Sie nicht? dann verhalten Sie sich gefälligst still und brav. Wir leben schließlich im besten Deutschland, das es je gab – zumindest für Personen des öffentlichen Lebens.

[1] So das Transkript des Sendungsausschnitts auf YouTube, das von mir in der Rechtschreibung angepasst und mit Interpunktion ergänzt wurde: https://www.youtube.com/watch?v=Ht4bxmdbu1Y

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