Wir werden nicht zuhören!

Lesedauer 2 Minuten

Wie schön wäre es, wenn wir von den Alten lernen könnten. Von Platon zum Beispiel. Aber vermutlich ist das gar nicht so leicht. Und einer schiebt es auf den andern. Beurteilen Sie selbst:

Die Politeia, der oftmals als Platons Meisterwerk titulierte Dialog über die Ordnung des Gemeinwesens, beginnt mit einer dringenden Bitte: Polemarchos, der Sohn eines reichen Atheners, sieht Sokrates mit Glaukon, dem Bruder Platons, den Weg von Piraeus zurück nach Athen nehmen. Er schickt einen Sklaven, um ihn zu bitten auf Polemarchos zu warten, was sie auf Betreiben Glaukons auch tun.

„Und bald kam denn Polemarchos und Adeimantos, der Bruder des Glaukon … und einige andere auch…Polemarchos nun sagte, O, Sokrates, ihr scheint mir nach der Stadt zuzuschreiten, als wolltet ihr fortgehen. – Du vermutest nicht unrecht, sprach ich [also Sokrates]. – Siehst du nun uns wohl, sprach er, wie viele wir sind? – Wie sollte ich nicht? – Entweder nun, sprach er, überwältigt diese oder bleibt hier. – Ist denn nicht, sagte ich, noch eins übrig, wenn wir euch nämlich überzeugen, daß ihr uns lassen müsst? – Könnt ihr auch wohl, entgegnete er, überzeugen, die nicht hören? – Keineswegs, antwortete Glaukon. – So denkt nur sicher, sprach er, daß wir nicht hören werden.“ (Pol. 327c)

Natürlich ist das eine spielerische Einladung, zu bleiben. Glaukon, bei Sokrates, und Adeimantos, bei Polemarchos, sind keine verfeindete Brüder und haben es nicht auf ein Gerangel angelegt. Aber die Ironie der Bitte kann nur Gehör finden, wenn sie etwas aufgreift, das wir kennen. Eine mächtigere Mehrheit bringt eine Bitte vor – mit dem dezenten Hinweis, dass Widerstand eigentlich zwecklos ist. Auch Widerspruch, denn man wird nicht zuhören. „Das was du sagen wirst, ist verboten. Wir hören nicht hin.“ Eigentlich lassen wir Dich gar nicht zu Gehör kommen. Dein Auftritt auf der öffentlichen Bühne wird gecancelt, zu gefährlich, zu infektiös. Wie Prof. Dr. Drosten und andere polemarchische (wörtlich: kriegsführende) Helfer meinten, sei einer Infodemie nur durch Vorsorgenmaßnahmen beizukommen – die Rede war von entsprechend geänderten Algorithmen, die unliebsame Informationen nicht mehr auffindbar machen sollten. Misinformation kills and we have a duty to suppress it. Unterdrücken, nicht „widerlegen“ oder „aufklären” und für die eigene Position werben – was schon ein ungleicher Kampf der Mehrheit gegen eine Minderheit wäre – nein, der „mündige Bürger“ muss vor ich selbst geschützt werden. Und wenn der wirklich mündig ist, dann schützt er sich durchs mündige Weghören.

Sollte dann doch am Ende einiges dran gewesen sein, an dem was als Desinformation abgetan wurde, ja dann, hat man nichts davon gewusst – man hat es eben nicht zu Gehör bekommen. Also weghören: „Deswegen bitte ich Sie: Glauben Sie keinen Gerüchten, sondern nur den offiziellen Mitteilungen, die wir immer auch in viele Sprachen übersetzen lassen.“ Orwell? Nein, die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel in ihrer Fernsehansprach am 18.03.2020. Dem ist nichts hinzuzufügen.

P.S.

In Platons Politeia steht Polemarchos den argumentativen Streit nicht lange durch. Er hätte wohl auf sein Vermögen und die Mehrheit setzen und hoffen sollen, dass die Mehrheit Mehrheit bleibt.

Schreibe einen Kommentar