Manchmal muss man die Sachen dramatisch vereinfachen – schon weil man sich nicht richtig auskennt. Vor sechzig Jahren, also 1962, ging es um die Stationierung von (sowjetischen) Mittelstreckenraketen auf Kuba. Also ein Jahr nach der durch die U.S.A. organisierten Invasion in der Schweinbucht, die den Umsturz in Kuba herbeiführen sollte, aber gescheitert ist. Die Stationierung von Waffen, die, wenn ich recht weiß, jeden Ort der U.S.A. hätten erreichen können, war aus Sicht der U.S.A. nicht akzeptabel. Ob das Kuba selbstbestimmt wollte oder nicht, war dabei nicht entscheidend. Also drohte die U.S.A. mit einem atomaren Erstschlag. Nach gefährlichem Hin-und-Her gaben die Sowjets nach und sahen von einer Stationierung ab. War das gut? Wir gehen mal davon aus.
Jetzt springen wir 60 Jahre weiter. Die Ukraine möchte – wie vorher, nämlich 2004, schon die baltischen Staaten (Estland, Lettland und Litauen) neben Bulgarien, Rumänien, Slowakei und Slowenien, und davor, nämlich 1999, schon Polen, Tschechien und Ungarn – in die NATO. Wir dürfen unterstellen, dass das Russland nicht gefällt. Haben wir dafür Verständnis – wie 1962 für die U.S.A.? Nö, nicht wirklich. Es geht von uns Guten ja keine Gefahr aus. Also? Riskieren wir den Krieg oder geben wir nach? Na sagen wir mal so, wir sind nicht verhandlungsbereit. Entsprechende Bedingungen der Russen lehnen wir jedenfalls ab. Die Ukraine ist ein freies Land, das in eigener Selbstbestimmung wählen kann, zu welchem Militärbündnis es gehören möchte. Ein Vergleich mit Kuba, das sich mehrfach gegen einen U.S. gesteuerten Umsturz zu wehren hatte, ist natürlich nicht gestattet: Kuba ist nicht selbstbestimmt und gehört nicht zu den Guten.
Und überhaupt: Wenn Russland damit durchkäme, dann würde es auch die Zugeständnisse, die es 1999 und 2004 gemacht hat, wieder zurücknehmen und am Ende auch Deutschland und Europa überfallen. Putin ist wie Hitler, nur atomar. Gut, dass hätte Chruschtschow natürlich auch so sehen müssen und hätte sich nie darauf einlassen dürfen, sich zurückzuziehen. Denn damit lädt er die U.S.A. geradezu ein, das auch für andere Länder zu wiederholen. Aber die U.S.A. macht das ja nicht – denn die sind ja die Guten und wir natürlich auch. Kennedy ein atomare AH, also bitte, lächerlich.
Die U.S.A. betreibt zur Befreiung der Welt über 850 Militärbasen außerhalb ihres Territoriums, die Russen meines Wissen 11. Da sieht man’s doch: während die einen die Freiheit überall schützen, konzentrieren die anderen sich auf perfide Angriffe. Zum Glück ist der Militärhaushalt der U.S.A. (gut 800 Mrd. Dollar) knapp 12 mal so hoch wie der von Russland (knapp 66 Mrd. Dollar) – das ist ja nur zur Abwehr und für die gute Sache und bedroht niemanden. Das können nur Querdenker denken.
Das Ganze ist ziemlich verrückt. Was 1962 gut und richtig, ist 2022 total falsch. Und das Verrückte ist, dass die Verrücktheit niemand sehen will. Und dafür braucht’s gar nicht sooo viel Philosophisches zur Zeit.