Schmale Debattenkultur

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Wir hatten in Deutschland immer schon eine schmale Debattenkultur.“ Damit beginnt Krone-Schmalz ihren Vortrag zu Russland und die Ukraine. Das stammt Klaus von Dohnanyi, der davon überzeugt ist, dass der Einmarsch der Russen in die Ukraine von Stunden vorher hätte verhindert werden können, wenn man es denn gewollt hätte.

Natürlich geht es Gabriele Krone-Schmalz in ihrem Vortrag wieder darum, „Russland zu verstehen“ und wir können von ihr auch eine ganze Menge über die Hintergründe des Kriegs in der Ukraine lernen. „Russland zu verstehen“ gilt aber inzwischen beinahe als Verbrechen. Wer Putin und „sein“ Russland nicht dämonisiert, der macht sich zum Mitschuldigen, wird aus Amt und Würden verdrängt und zumindest an den Pranger gestellt.[1] Gabriele Krone-Schmalz, die den Krieg für einen schweren Fehler Russlands hält und ihn natürlich weder gutheißt noch verteidigt, ordnet ihn aber ein und sucht ihn und die Gründe, die zu ihm geführt haben, zu verstehen. Eine auffällige Unplausibilität im Main-Stream-Narrativ ist der Zeitpunkt des Angriffs: hätte Putin-Russland wie behauptet „immer schon“ die Annexion der Ukraine im Sinne gehabt, dann hätte es früher, viel früher zuschlagen müssen. Das verarmte und völlig am Boden liegende Land wurde – das ist unstrittig – in den letzten Jahren massiv aufgerüstet. Es verfügte dann eine bis an die Zähne bewaffnete Armee von knapp 400.000 „Mann“. Spätestens seit 2018/9 – nämlich nach dem offensichtlichen Scheitern von Minsk II – wäre ein Angriff naheliegend und für die Russen deutlich vorteilhafter gewesen. Man muss also nicht nur verstehen, warum der Angriff im Februar 2022, sondern warum er nicht viel früher stattfindet – wiederum ohne den Angriff überhaupt zu verteidigen. Also: Warum jetzt?!

Kurzum: man lernt eine ganz Menge aus diesem Vortrag, der den historischen Hintergrund beschreibt und die Gründe beider Seiten, sachlich und ohne Emphase, wiedergibt und damit den Konflikt verstehbar macht. Insbesondere über die Ost-Erweiterung und die Rolle der baltischen Staaten und Polen habe ich einiges lernen können. „Die Nato-Ost-Erweiterung war einer der größten Fehler nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.“ Gabriele Krone-Schmalz zitiert hier George F. Kennan, nämlich den Architekten der Containment-Strategie, also dem Versuch, den russischen Einfluss einzudämmen und abzuschwächen. George F. Kennan steht also wohl nicht im Ruf ein Putin-Freund zu sein. Selbst als Diplomat in den baltischen Ländern aktiv, kommt er zu folgender Einschätzung: „Ich denke das [die Osterweiterung] ist ein tragischer Fehler. Es gab überhaupt keinen Grund dafür. Niemand bedrohte irgendjemanden. … Natürlich wird es darauf zukünftig eine böse Reaktion durch Russland geben. Und dann werden sie [die Nato-Erweiterer] sagen: so sind die Russen, das haben wir euch immer gesagt. Aber das ist komplett falsch.

Hier die Aufzeichnung des besonnenen und kenntnisreichen Vortrag von Garbriele Krone-Schmalz, den sie am 14.10. an der Volkshochschule Reutlingen gehalten hat. 

Die Gefahren einer schmalen Debattenkultur

Der Ukraine-Krieg und der mediale Umgang mit ihm zeigt aber vor allem die Gefahren einer „schmalen Debattenkultur“, in der „man Gefahr läuft unter die Räder“ des Mainstreams zu kommen, wenn man andere Meinungen äußert und dafür andere Argumente bringt. Andere Sichtweisen werden kriminalisiert. Und die Verengung führt zu Fehlentscheidungen, mit gigantischen Folgen.

Man muss die Argumente der anderen ja nicht teilen. Aber sie nicht zuzulassen oder sie von vornherein als Propaganda oder ähnliches zu diskreditieren, das schadet der Demokratie… Eine Demokratie muss es aushalten, dass gestritten wird …

Wer sich moralisch auf der richtigen Seite wähnt, der nimmt für sich in Anspruch, seinen Standpunkt buchstäblich mit allen Mitteln durchzusetzen, denn das tut er ja für die gute Sache. Wer das nicht einsieht, steht automatisch im Abseits.

Anders Denkende sind kein selbstverständlicher Bestandteil unserer grundsätzlich lebendigen offenen Gesellschaft mehr, sondern Störfaktoren, die man besser gar nicht erst zu Wort kommen lässt oder sogar Feinde, die es mit aller Konsequenz auszugrenzen gilt.

Akteure auf der guten Seite müssen sich auch gar keine Mühe geben, ihr Verhalten zu erklären oder gar zu rechtfertigen. Denn Böses muss bekämpft werden, was gibt’s denn da zu diskutieren.“  

Das mag manche Leser auch an anderes als den Ukraine-Krieg denken lassen. Man könnte hier auf die Fuck-den-Checker zurückkommen und all diejenigen, die von vornherein wussten, dass sie richtig liegen und sich deshalb um Argumente nicht zu scheren brauchten. Jetzt wo sich so einiges anders zeigt und sich die Argumente derer, die ehrabschneidend verunglimpft und moralisch als Verschwörungstheoretiker, Nazis oder Aluhut-Schwurbbler verurteilt wurden, nach und nach als weitaus triftiger zeigen, bleibt nur noch der Hinweis auf die guten Absichten und die gute Gesinnung. Natürlich kann man sich täuschen und natürlich auch Recht behalten. Dem wird man nur gerecht, wenn man sich auch der anderen Seite stellt und sie zulässt.

[1] Man möge sich nur an die Entlassung des Star-Dirigenten Valery Gergievs denken: Er war der Aufforderung, sich von Russland zu distanzieren, nicht nachgekommen ohne sich wiederum „pro-russisch“ zu äußern oder gar den Krieg zu verteidigen.

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