ZEIT-Diagnose

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ZEIT-Online, 03.02.2023
Cochrane Studie zur Wirkung von Masken

Eine Studie des Cochrane Collaboration hat nun doch ein bisschen Wirbel verursacht. Das Tragen von Masken macht – so heißt es dort – „wahrscheinlich wenig oder keinen Unterschied für den Ausgang einer grippe- oder COVID-19-ähnlichen Erkrankung im Vergleich zum Nichttragen von Masken“.[1] Sollte diese Schlussfolgerung wirklich gezogen werden können, dann hätte das vermutlich auf die Bewertung der Maskenpflicht und ihre neuerliche Einführung eine (große) Bedeutung. Das sehen auch die Befürworter der Maskenpflicht so und glauben deshalb, die Studie richtig einordnen zu müssen. „War die Maskenpflicht sinnlos?“ titelt ZEIT-Online einen Artikel zur Cochrane Studie: „Eine groß angelegte Studie findet keinen Beleg dafür, dass Masken die Verbreitung von Corona gebremst haben. Doch die Schlüsse, die die Forscher ziehen, sind fragwürdig.“ Das mag sein. Und ich kann es nicht bewerten. Deshalb vorab der Disclaimer: ich werde es – natürlich – nicht entscheiden können, welche Qualität die Cochrane Studie tatsächlich hat.

Es lebe der Haltungsjournalismus!

Fragwürdig finde ich allerdings, wie nun ZEIT-Online sich der Studie nähert. Es ist ein „schönes“ Beispiel für gehobenen Haltungsjournalismus, dem offenbar daran gelegen ist, die Corona-Maßnahmen nicht in Verruf zu bringen. Der Text hat einen Unterton, der mir für diese Art von Qualitätsjournalismus durchaus typisch scheint. Es lohnt deshalb, sich mit dem Vorgehen der beiden Autoren genauer auseinanderzusetzen.

Sind „die Schlüsse, die die Forscher ziehen“ fragwürdig oder die Schlüsse, die politisch aus der Studie gezogen werden? Oder ist die Studie deshalb fragwürdig, weil politisch fragwürdige Schlüsse daraus gezogen werden (können)? Die beiden Autoren verweisen jedenfalls gleich zu Anfang darauf, dass sie die Cochrane Studie vor allem deshalb interessiert, weil in „mehreren Medien“ – und natürlich in den sozialen – politische Konsequenz gezogen werden und die Kritiker der Corona-Maßnahmen nun (ihrerseits) glauben, sich auf die Wissenschaft berufen zu können. Dagegen ist ja per se nichts einzuwenden. Wenn man glaubt, dass eine Schlussfolgerung fragwürdig ist, dann sollte man darüber auch schreiben dürfen. Es drängt sich – zwischen den Zeilen – aber der Eindruck auf, dass die Schlussfolgerung fragwürdig ist, weil sie nicht zur eigenen Haltung passen?

Man tut sich zunächst schwer, denn die „Cochrane-Reviews stehen […] für viele in der Wissenschaft für eine besonders hohe Qualität“. Also sie haben nicht „eine besonders hohe Qualität“, sondern viele sehen das halt so! Diese hohe Qualität sehen die beiden ZEIT-Autoren offenbar in der aktuellen Studie nicht. Man greife auf Studien vor Corona zurück, und damit auf Influenza-Viren, ist einer der zentralen Bedenklichkeiten.[2] Ob sich aus der Studie „tatsächlich schließen lässt, dass Masken die Ausbreitung von Sars-CoV-2 nicht eindämmen können, zweifeln Fachleute allerdings an“. Zwei Fachleute werden dann im Artikel zu Wort kommen. Wir gucken uns das noch genauer an.

Liebe ZEIT-Leser, was haltet Ihr von BILD?

Zunächst zu den fragwürdigen Schlussfolgerungen, die aus der Cochrane Studien „in mehreren Medien“ gezogen wurden. Die Autoren verweisen dabei auf BILD (bild.de) – das macht die Sache natürlich verdächtig. Die Autoren zitieren den FDP Bundestagsabgeordneten Max Mordhorst – schöner Name, kann man schon mal zitieren –, der dort gesagt habe, „die gesamten Corona-Maßnahmen der alten und neuen Regierung seien ‚völlig überdreht und wissenschaftlich nicht haltbar‘ gewesen“. Hat er auch. Es heißt auf bild.de nämlich: Der FDP-Bundestagsabgeordnete Max Mordhorst (26) ist nicht überrascht. BILD sagt er: ‘Je mehr wir aufklären, desto mehr sehen wir, dass die übertriebenen Corona-Maßnahmen der GroKo und von Lauterbach völlig überdreht und wissenschaftlich nicht haltbar waren. Besser spät als nie fallen deswegen die letzten Corona-Beschränkungen.‘“ Okay. Offenbar hat sich MM auf mehr als die Cochrane Studie bezogen und sah darin nur ein weiteres Mosaiksteinchen.

„Wissenschaftlich völlig klar“

Die Autoren scheinen dagegen die Studie wichtiger zu machen als sie ist, obwohl sie – oder vielleicht weil (?) – ihnen die Studie und ihr Ergebnis „fragwürdig“ erscheint, nämlich dass das Tragen einer Maske „keinen oder nur einen geringen Unterschied“ mache. „Diese Lesart“, schreiben die Autoren, was immer sie mit „Lesart“ meinen (des Ergebnisses?), „teilen nicht alle Fachleute. „Die Schlussfolgerungen, die die Autoren ziehen, sind meiner Meinung nach nicht gerechtfertigt“, sagt etwa Eberhard Bodenschatz im Gespräch mit ZEIT ONLINE. Der Physiker ist Direktor am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen und hat mit seinen Kollegen in den vergangenen Jahren die Wirkung von Masken erforscht.“ Der befragte Experte Bodenschatz hat „in Laborversuchen gezeigt, dass das Tragen medizinischer Masken die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken, im Vergleich zum Tragen keiner Maske etwa um das Zehnfache senkt, wenn sowohl der Infizierte als auch die Kontaktperson Maske tragen“. Und daraus wird gefolgert: „Wissenschaftlich ist völlig klar: Masken funktionieren‘, sagt Bodenschatz. ‚Indem sie größere und kleinere Tropfen, aber auch die sehr kleinen Aerosole zurückhalten, senken sie das Übertragungsrisiko, da gibt es keinen Zweifel.‘“ Das wiederholen die Autoren dann in den nächsten Abschnitten gleich mehrfach: „Masken wirken – physikalisch ist das belegt“. Dass Masken wirken sei „physikalisch … längst erwiesen“. Warum also überhaupt so eine Studie?! Die Physik hat doch schon gesprochen!

Was „wissenschaftlich völlig klar ist“ – und dem zu widersprechen dumm und ignorant oder gar ideologisch verblendet und böswillig wäre – scheint dennoch nicht sooo klar zu sein. In der BILD-Online Referenz, die zeigen sollte, wes Geistes Kind die Claqueure der Cochrane Studie sind, wird nun ein anderer Experte zitiert: „Dr. Gerhard Scheuch (67), Physiker und international anerkannter Aerosol-Forscher, erklärt BILD, was die Erkenntnisse bedeuten: ‚Das Tragen von Masken in der Öffentlichkeit macht wahrscheinlich wenig oder keinen Unterschied zum Ausgang einer grippeähnlichen Erkrankung im Vergleich zum Nichttragen von Masken.‘“ So weit, so gut. „Scheuch weiter: ‚Damit wird bestätigt, dass eine gut getragene Maske zwar den Träger vor einer Infektion schützen kann, eine Maskenpflicht aber keinen signifikanten Effekt auf die Verhinderung einer Infektion hat.‘“ Ach so. Die Studie widerspricht gar nicht dem, was „physikalisch … längst erwiesen“ ist? An der Studie wird also kritisiert, was gar nicht behauptet wurde. Merkwürdig. Scheuch führt das bei BILD-Online weiter aus: „Wenn etwa ein Rentner im vollen Bus Maske trägt, hilft er sich selbst und schützt sich vor einer Infektion. Aber als politisches Instrument gegen Krankheiten wie Corona hilft eine allgemeine Maskenpflicht im öffentlichen Raum fast gar nicht. Das ist das Ergebnis der Studie.“ Sogar „mögliche Gründe“ führt Scheuch für diese Diskrepanz mit Blick auf die Cochrane Studie an: „Viele steckten sich zu Hause an, wo keine Maske getragen wird. Oder sie benutzten Masken von schlechter Qualität, trugen sie nicht richtig. Denn: Anders im Labor wirken Masken in der Realität nur so gut, wie Menschen sie verwenden.“

Das Leben im Labor

Das Leben ist kein Labor. Im Leben fällt eine Feder doch etwas langsamer als ein massegleiches Steinchen. Das gilt aber nicht als Relativierung der eigenen, im Labor gewonnenen Erkenntnisse. Im Gegenteil es wird zu einer methodologischen Kritik der Studie: „Bodenschatz wundert es deshalb nicht, dass die Autoren in ihrer Metaanalyse keinen eindeutigen Effekt gefunden haben. „Es gibt viel zu viele unkontrollierte und auch zum Teil unbekannte Faktoren, die sich auf die Ergebnisse auswirken.“ Einer der wichtigsten: Die Autoren hatten keinerlei Informationen darüber, wie gut die Masken waren, die in den verschiedenen Studien getragen wurden, wie gut sie passten und – noch wichtiger – ob sie überhaupt konsequent getragen wurden.“ Das, was untersucht werden sollte, nämlich ob sich Masken im Alltagsleben so verhalten wie unter Laborbedingungen, wird jetzt zum Mangel der Studie erklärt. Lieber Herr Bodenschatz – übrigens auch ein schöner Name – entspannen Sie sich, niemand bezweifelt ihre Physik. Aber wenn, wie Sie sagen und die Autoren freudig beklatschen, „immer schon“ klar war, dass das Leben kein Labor ist, sie sich über das Ergebnis also gar nicht wundern, warum hatten Sie die Maskenpflicht nicht „immer schon“ als eine Maßnahme mit „wenig oder keinen“ Effekt benannt?

Public Health ex cathedra

Hier lassen die Autoren die zweite Expertin eingreifen, nämlich die „Epidemiologin Eva Rehfuess, die an der LMU München den Lehrstuhl für Public Health leitet“. Sie sitzt ein bisschen zwischen den Stühlen, denn sie war bei „diversen Cochran-Reviews“ beteiligt und „hält deshalb (?) die Herangehensweise und Methodik dieser Übersichtsarbeiten grundsätzlich für solide“. Aber! Man müsse vorsichtig sein: „Die in die Analyse eingeflossenen Studien lassen keine Schlussfolgerungen auf die Wirkung etwa einer Maskenpflicht in Deutschland zu“. Warum? Weil die Maskenpflicht nicht untersucht wurde! Bei allen Studien ging es nur (?) um die Empfehlung eine Maske zu tragen und die Wirkung, die das Tragen der Masken in der Öffentlichkeit hatte.

Und dann – wir hatten das schon gehört – seien ja vergleichbare Viren, also Influenza-Viren und SARS-CoV-2, einfach gleich behandelt worden. „Das könne man zwar grundsätzlich machen“ – ach doch, „man hätte aber beide Erreger zusätzlich getrennt auswerten müssen“. Stimmt hätte man können. Müssen? Nehmen wir doch einfach, was wir haben. Ein Indiz, dass Masken „funktionieren“ – Sie wissen schon, was ich meine – ist laut Maskenbefürwortern das Ausbleiben von Influenza-Erkrankungen in 2020/21. Man kann das als ein Kernargument in den Kommentaren des Artikels nachlesen. Was hier verglichen werden soll, darf es dort nicht!?

Aber nehmen wir das mal als Schwachstelle, m.E. sehr sehr schwache Stelle, für die Bewertung der Corona-Maßnahmen hin. Die Studie hatte das ja genau so behauptet: „Wearing masks in the community probably makes little or no difference to the outcome of influenza-like illness (ILI)/COVID-19-like illness. Also Studie fragwürdig oder deren fraglose Übertragung?

Die Autoren weisen dann mit Frau Rehfuess – nein nicht nochmal eine Bemerkung zum Namen! – darauf hin, dass es ja noch ganz andere Studien gäbe. Frau Rehfuess nennt eine aus Bangladesh und eine aus Dänemark, die andere Ergebnisse zeigten. Aber dann: Bangladesh sei nicht übertragbar, Studiendesign solala und überhaupt, und die aus Dänemark zeige zwar einen Effekt des Maskentragens „allerdings war der Effekt nicht signifikant“. Oh je.

Und sonst?

Und die ganz anderen Studien des Ländervergleichs? Gibt es (signifikante) Unterschiede zwischen Ländern mit und ohne Maskenpflicht? Nein?! Oder doch – und zwar gegenteilige! Und die zwischen den Bundesländern? Darüber schweigen wir besser.

Stattdessen geben die Autoren folgendes Fazit: „Festzuhalten ist, dass Masken, richtig getragen, vor Atemwegsviren wirksam schützen können. Das ist wissenschaftlich belegt. [Musste noch mal sein – und anders als bei Cochrane]Für den Einzelnen ändert sich durch diese Studie nichts„, sagt Bodenschatz. „Wer auch nach dem Ende der Maskenpflicht sein Infektionsrisiko senken will, kann das mit einer gut sitzenden Maske tun.““ Die Studie legt zumindest nahe, dass die „gut sitzende Maske“ eine Expertise voraussetzt, die im Alltag nicht erwartet werden darf. Ein Blick in die öffentlichen Verkehrsmittel genügt. Es gilt das Präventionsparadox: was für den Einzelnen gut sein kann, ist deshalb kein probates oder gar obligates Mittel für public health. Es gibt keine Gründe für einen Maskenpflicht!

Wieder einmal werden durchaus renommierte Positionen nicht aufgegriffen, sondern abgetan. Man müht sich ein bisschen ab, stellt Kontaktschuld her und wiederholt und wiederholt und wiederholt, dass alles zweifelsfrei „wissenschaftlich belegt“ und ihm fraglos zu folgen sei.

[1]Wearing masks in the community probably makes little or no difference to the outcome of influenza-like illness (ILI)/COVID-19-like illness compared to not wearing masks …

[2] Die Studien behandelten oftmals auch (!) die Wirkung von anderen Schutzmaßnahmen, z.B. dem Händewaschen – was die Autoren wohl ebenfalls als Makel betrachten.

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