Aus gegebenen Anlass:
„Es ist für den, der mich begleitet“ –
für immer Dein F., mein CDH
Sein Name ist Robert B. Brandom. Er ist Professor für Philosophie, lehrt in Pittsburgh und ist wohl die Krönung der sogenannten Pittsburgh School of Philosophy. (Sellars, McDowell, Brandom). Sie ist inzwischen zu einer Pilgerstätte für ambitionierte Philosophen geworden – ich war da noch nicht. Brandom gilt nicht nur einer der „most influential living philosophers“, seine Bedeutung wird vor den Großen seines Fachs selbst hervorgehoben. Habermas z.B. spricht von einem „imponierenden Werk“, das antritt die maßgeblichen Strömungen der Zeit zusammen zu bringen, die vorher im Streit auf ignorierender Distanz lagen. Natürlich geht es um die großen Fragen der Philosophie, um Wahrheit und Richtigkeit unseres Handelns. Seit dem linguistic turn der Philosophie (spätestens seit Anfang des 20. Jahrhunderts) ist das vor allem die Frage, wie wir darüber sprechen, und wie das, was wir sagen mit dem verbunden ist, was wirklich ist. Hier hat es sich eingebürgert, sehr grob zwischen (i) der analytischen, angelsächsischen Philosophie und (II) der hermeneutisch-dialektischen Philosophie zu unterscheiden. Letztere wird von Seiten im angelsächsischen Raum oftmals „continental“ genannt, obgleich das ein wenig irreführend ist. Zwar sind die Traditionslinien der hermeneutisch-dialektischen Philosophie mit dem Rationalismus (Descartes, Spinoza, Leibniz), dem Deutschen Idealismus (Kant, Hegel, Schelling) und der Hermeneutik (Schleiermacher, Dilthey, Heidegger und Gadamer) eher kontinental europäisch lokalisierbar, während die analytische Philosophie ihre Vorläufer eher bei den „englischen“ (Hume[1] und Locke, Russell, Ryle und Austin) und den amerikanischen Autoren (Peirce und Dewey, Quine, Putnam und Davidson) sieht. Entscheidende Gründungsväter der sprachanalytischen Philosophie kamen aber z.B. aus dem deutschsprachigen Raum (Frege, Carnap, Wittgenstein), die freilich in den angelsächsischen Ländern bereitwilliger aufgenommen und fruchtbar weiterentwickelt wurden. Dem vermeintlich dunklen Tiefsinn der „kontinentalen“ Philosophie, die sehr stark an den Geisteswissenschaften ausgerichtet war (Literatur, Kunst, Religion und Geschichte) stellten die neuen Analytiker ein Wissenschafts- und Klarheitsideal entgegen, das sich vor allem an den Naturwissenschaften, der Logik und der Mathematik orientiert und z.B. meist streng anti-metaphysisch gesinnt ist.
Beide Lager sind natürlich nicht homogen. Z.B. gibt es mit Frege (Ia) und dem späten Wittenstein (Ib) zwei im Dauerstreit liegende Positionen, die innerhalb der analytischen Philosophie immer wieder ausgesöhnt werden sollten. Während die einen (Ia) versuchen, die philosophischen Fragestellungen durch den Aufbau einer logisch-semantisch stringenten, formalisierten Sprache anzugehen, halten sich die anderen (Ib) an die Vielfältigkeit des in Lebensformen ausgeprägten Sprachgebrauchs und geben der (systematischen) Formalisierung bei der „wirklichen“ Lösung philosophischer Fragen keine Chance.
Brandom „opus magnum“, Making It Explicit” (1994) unternimmt nun den vielbeachteten Versuch, nicht nur die beiden Großlager der analytischen Philosophie (Ia und Ib) zusammenzubringen, sondern sie auch mit der traditionellen, hermeneutisch-dialektischen Philosophie zu verbinden. Brandom versucht – gut dialektisch – die Ansprüche der einen mit den Wahrheit der anderen zu verknüpfen und – wie Hegel sagen würde – „aufzuheben“, sie also zu bewahren, in dem er ihre falsche Begrenzung aufgibt und sie so zu einer gemeinsamen Wahrheit erhebt. Brandom gelingt das Kunststück als echter Kenner aller drei Strömungen von vielen maßgeblichen Vertretern der Schulströmungen ernst genommen zu werden. Die meisten gestehen zumindest ein, dass ihre Ansprüche richtig verstanden und die Schwierigkeiten sie umzusetzen richtig adressiert wurden.
Sein Lehrer Richard Rorty (1931-2007), selbst einer der „Großen“ der Philosophie des 20. Jahrhunderts, hatte eine vergleichbare „Summa“ erstellt, sie aber als Abrechnung mit den aus seiner Sicht überzogenen und unhaltbaren Voraussetzungen eines sprachphilosophischen Fundamentalismus angelegt: die Sprache ist kein „Spiegel der Natur“ (so der deutsche Titel seiner grundlegenden „Kritik der Philosophie“ wie der deutsche Untertitel lautet), die vermeintliche Objektivität wissenschaftlicher Erkenntnis und die Wahrheit von Werten sind selbst nichts als „Sprachspiele“ – was von Rorty keineswegs pejorativ gemeint ist, sondern vielmehr die Subjekte zu einer solidarischen Lebensführung befreit, die um die unhintergehbare Kontingenz weiß und ironisch-ästhetisch damit umgeht. Der Impuls für die Kritik an der sprachphilosophischen Hybris (insbesondere der Form Ia) bekam Rorty durch die Rezeption der „kontinentalen“ Philosophie, die er in produktive Auseinandersetzung mit der „Pragmatik“ eines Wittgensteins und Deweys brachte (Ib).[2]
Brandom liefert nun mit seiner „Summa“ keine Abrechnung, sondern den Versuch einer aufhebenden Synthese, die freilich einiges auf den Kopf stellt und die Fronten fast leichtfüßig wechselt. Dabei ist er immer um äußerste Präzision und Fairness bemüht, was die Lektüre nicht immer – na ja, eigentlich meist – alles andere als einfach macht:
- gegenüber dem logischen Atomismus (von Ia) setzt er auf den semantischen Holismus – aber nur, um die Logik zu „begründen“ und sie philosophisch leistungsfähig zu machen[3]
- der klassisch am nominalistischen Empirismus/Naturalismus ausgerichteten angelsächsischen Sprachphilosophie setzt er einen pragmatischen Realismus, der eben nicht im Funktionalismus des Konsenses aufgeht
- und vor allem behauptet er einen zunächst paradox anmutenden „Vorrang“ der „Inferenz vor der Referenz“: in beiden Traditionslinien (I und II) gibt es – die von Rorty kritisierte – Idee, dass unsere Vorstellungen (ideas) „Gegenstände“ repräsentieren. Um nun zu sehen, ob das, was wir uns „denken“ (unsere Vorstellungen) der Wahrheit entspricht, müssen wir sie mit dem vergleichen, was in ihnen vorgestellt ist – oder vorauf sie „referenzieren“. Logisch bedeutet das, das wir auf Ausdrücke „singuläre Termini“ und Prädikate zurück gehen und sie prädikatenlogisch richtig zu einem Urteil und Urteile aussagenlogisch richtig verbinden und schlussfolgern: „Traditionelle Logiken bauen von unten auf und bieten zunächst Analysen der Bedeutungen derjenigen Begriffe an, die mit singulären und generellen Termini verbunden sind (nominalistisch ausgedrückt: in Begriffen dessen, was sie benennen oder wofür sie stehen), dann von Urteilen, die dadurch gebildet werden, dass diese Termini verknüpft werden, und schließlich von Richtigkeiten der Inferenzen, die wiederum diese Urteile in Beziehung setzen.“[4] Die Idee der traditionellen Logik lässt sich vielleicht so beschreiben: Wer Wahrheit vererben will (als Schlussfolgern), der muss sie erst mal haben.[5] Referenz setzt aber Inferenz(-Kompetenz) voraus – und das heißt, das Wissen, was es Gründe zu geben (und zu verlangen). Brandom versucht dies über ein Beispiel zu erläutern – ein Papagei kann abgerichtet werden, beim Vorzeigen von roten Dingen, „Das ist rot“, zu rufen. Er hat aber so lange nicht gesprochen, also einen Begriff verwendet, so lange er nicht in der Lage ist, den Ausdruck „inferentiell“, also in Begründungszusammenhängen zu benutzen, z.B. dass damit der gezeigte Gegenstand auch farbig genannt werden darf, unterschiedlich Grade haben oder Alarm auslösen kann.
- Mit der inferentiellen „Begründung“ von Referenz in Begründungszusammenhängen ist für die Wahrheit von Aussagen nicht die Repräsentation, sondern die Expression, der Vollzug von Handlungen entscheidend. Der menschliche Geist als Spiegel, auf dem Gegenstände sich abbilden oder wie auf einer Wachstafel ihre Spuren hinterlassen, ist ein irreführendes Bild. Vielmehr ist er mehr einer Lampe zu vergleichen, die Gegenstände ins Licht rückt. Der repräsentationale Vorstellung wird durch eine expressive abgelöst: wie die Geste ein Gefühl zum Ausdruck bringt, so wird die Bedeutung eines Begriffs expliziert, das „Innere“ eines bestehenden Bedeutungszusammenhangs äußerlich (inferentiell) abgebildet.
Brandom „demonstriert“ das Sprachwesen Mensch als ein Wesen, das durch expressive Vernunft ausgezeichnet ist. „Explizitmachen des Implizierten“ ist freilich das Programm der hermeneutisch-dialektischen Philosophie. „Zu denken, was man sagt“ und das Gesagte auf den Begriff bringen ist nach Hegel Aufgabe der Philosophie. Philosophie ist „Anstrengung des Begriffs“ und der Versuch, zu verstehen, was wir als sprachlich In-der-Welt-Seiende bereits können und verstehend (im Sinne von sich auf etwas verstehen) in sozialer Auseinandersetzung („im Gespräch, das wir sind“) weiterentwickeln. Für diese hermeneutische Aufgabe, sucht Brandom die Stärken der sprachanalytischen Philosophie freizulegen.
Sein übergreifendes Interesse ist der „Gebrauch und Gehalt von Begriffen“ [6]: „Das alles überragende Thema ist das Wesen des Begrifflichen als solches.“[7] Vom späten Gadamer wird überliefert, dass er vom „Begriff“ einmal sagte, er sei immer noch unverstanden und im Dunklen. Heidegger hatte das mit der doppelsinnigen Frage „Was heißt Denken?“ (2. Aufl. 1984) formuliert: was ist Denken und was gibt es uns auf. Es ist gewissermaßen ein Nachlass-Auftrag den Brandom bearbeitet hat.
Wieviel Weihrauch & Pfefferspray dem Entwurf Brandoms zukommt, das wird sich zeigen. „Making It Explicit“ verstehe ich mal als Aufforderung, die Aufgabe der Philosophie anzunehmen, „ihre Zeit in Gedanken zu fassen“ und „das, was ist, zu begreifen“, „denn das was ist, ist die Vernunft“. Wer dieser Aufgabe nachgehen und sich von den „Großen“ dabei helfen lassen will, dem sei die Lektüre empfohlen.
Also füllen wir, lieber CDH, schon mal die Weihrauchfässchen und bestellen vorsichtshalber das Pfefferspray nach – damit ein bisschen zu sprühen sähe ich schon einigen Grund. Los, geht’s Freund(e), let’s make it explicit – “denn der Preis ist schön und die Hoffnung groß“ (Phaidon 114c) und „was sollten wir schon Besseres tun, bis zum Untergang der Sonne“(61e).
[1] Hume war allerdings Schotte ;-)…
[2] Ich gestehe, dass mich „Der Spiegel der Natur. Eine Kritik der Philosophie“ (dt. 1981) als ich es 1984 las förmlich umgehauen hat. Selbst der hermeneutischen-dialektischen Tradition entsprungen – mit „philosophischer“ Hochnäsigkeit gegenüber diesen logisierenden Analytikern – stieß es für mich die Tür zu einer echten Auseinandersetzung mit vorher ignorierten „Klassikern“ wie Quine, Davidson und Putnam auf. Also eine unbedingte Leseempfehlung noch heute. – Und ich erinnere mich, dass ich nach Jahren des Wieder-Einrüttelns in die „traditionelle“ Philosophie schließlich mit CDH Rortys „Kontingenz, Ironie und Solidarität“ las und mich wieder eine heilsame Verunsicherung überkam. Wir waren gerade zu (schweren) ethischen Realisten geworden und rangen nun wieder mit Rortys kontingenzfreudiger Leichtigkeit.
[3] Sein Ziel ist es „der Logik wieder eine unmittelbare Bedeutsamkeit“ zu geben und „zwar für jene Projekte, die seit ihren sokratischen Anfängen im Zentrum der Philosophie stehen“.
[4] Robert B. Brandom, Begründen und Begreifen, Eine Einführung in den Inferentialismus, 2016, S. 24.
[5] „Der übliche Weg besteht darin, von einem vorgängigen Zugriff auf den Wahrheitsbegriff auszugehen und mit dessen Hilfe zu erklären, worin eine gute Inferenz besteht.“ (a.a.O., S. 23) Gute Philosophie aber versucht den „üblichen Weg“ mit seinen „vorgängigen Zugriff“ zu verstehen (und aufzuklären).
[6] A.a.O., S. 9.
[7] A.a.O., S. 9.