Wer von Totalitarismus spricht, der kommt an Hannah Arendt und ihrem 1951 erschienenen Buch The Origins of Totalitarianism nicht vorbei. Die deutsche, um einiges erweiterte Ausgabe erschien 1955 mit dem vielleicht genauerem Titel Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Hannah Arendt untersucht den Totalitarismus unter drei Perspektiven, die sich auch im Aufbau ihres Buchs spiegeln: Antisemitismus (I), Imperialismus (II) und Totale Herrschaft (III). Antisemitismus und Imperialismus sind weder hinreichende noch notwendige Bedingungen für Totalitarismus: es kann politische Systeme geben, die nicht antisemitisch sind, aber totalitär, und imperialistische Mächte müssen nicht per se totalitaristisch sein.
Auch der dritte Teil von Hannah Arendts Buch zur totalen Herrschaft ist sicher nicht das letzte Wort, das über Totalitarismus gesprochen werden kann. Er ist stark geprägt von den Erfahrungen der dreißiger und vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts und bedarf – wie sie im Vorwort zum dritten Teil selbst schreibt – einer Ergänzung durch die neuen politischen Entwicklungen im asiatischen Raum (China z.B.). Totalitäre Herrschaft kann andere Gesichter zeigen als die Hitlers und Himmlers oder Stalins und der sowjetischen Säuberungen. Auch sie stellt sich die Frage, ob es einen demokratischen Totalitarismus geben kann?[1] Das klingt zunächst paradox. Aber Hannah Arendt weißt mit guten Gründen daraufhin, dass die totalitären Regierungen meist „von der Unterstützung der Massen getragen waren“.[2] Und diese „Unterstützung der Massen“ könne nicht durch totale Propaganda erklärt werden. Vielmehr propagieren die Medien das, was alle glauben und insbesondere bei den „Massen“ Glauben findet. Vielmehr ist das Dasein der „Masse“ selbst, die dann gleichsam nach Propaganda schreit, einer der Spezifika totaler Herrschaft, die sie von Diktaturen unterscheidet, wie man sie aus der Geschichte nur zur Genüge kennt: „Totalitäre Bewegungen sind Massenbewegungen, und sie sind bis heute [also bis 1955] die einzige Organisationsform, welche die modernen Massen gefunden haben und die ihnen adäquat scheint.“[3] Kein Totalitarismus ohne Massen und Massen fordern totalitäre Herrschaft. Davon sind Gesellschaften wie die unsrige also jederzeit bedroht.
Das ist der Gesichtspunkt, an dem auch Mattias Desmet in seinem 2022 erschienen The Psychology of Totalitarianism ansetzt. Mattias Desmet ist Professor für Klinische Psychologie und an dem interessiert, was Massen zu Massen macht, an der mass formation. Seine Psychology of Totalitarianism hat wie das Totalitarismus-Buch von Hannah Arendt drei Teile: „Part I: Science and Ist Psychological Effects“ geht den kulturellen Rahmenbedingungen nach, „Part II: Mass Formation and Totalitarianismus“ ist thematische Hauptteil und „Part III: Beyond the Mechanistic Worldview“ versucht die Möglichkeiten eines Auswegs aus dem totalitären Verhängnis, in dem modernen Gesellschaften befangen zu sein scheinen. Das eigentliche Hauptstück gibt einen guten, wenn auch nicht völlig überraschenden Einblick in die Struktur des Totalitarismus und seine (massen-)psychologischen Grundlagen. Wie bei Hannah Arendt wird totalitäre Herrschaft mit The Rise of the Masses verbunden. War das bei Hannah Arendt mit der Auflösung der Klassenzugehörigkeit und der Zugehörigkeit zu festen Interessengruppen verbunden, die sich als Klassen/Gruppe durch Parteien, Gewerkschaften und Verbänden vertreten wussten, geht Mattias Desmet den sozialpsychologischen Konsequenzen dieser Auflösung nach: Vereinsamung und Auflösung von Sinnbezügen und lebensweltlichen Ordnungen, die schließlich in eine weitverbreitete „free-floating anxiety and psychological unease“ führen und „a lot of free-floating frustation and aggression“ auslösen.[4] Massenmedien spielen bei der mass formation eine zentrale Rolle („without mass media, it is not possible to generate such long-lasting mass formation as that which give rise to Stalinism and Nazism”)[5]. Aber Massenmedien sind sie, weil es die Masse gibt, an die sie sich wenden. Sie bringen die Masse in Form. Die Rolle der totalitären Führer wird dabei tendentiell überschätzt: „In many ways, the leaders of the masses, …, give the people what they want.”[6] Sie sind in der Regel keine Verführer, die selbst nicht an die Sache glauben, die sie vertreten. Vergleicht man etwas grob Propaganda mit einer Massenhypnose, dann sind sie selbst Teil der Hypnotisierten und nicht die außenvor bleibenden Hypnotiseure. Gleiches gilt für die Propandamedien: die Protagonisten der Massenmedien glauben selbst an die Sache, die sie propagieren. „They hypnotize one another.”[7] Deshalb greifen Verschwörungstheorien meist zu kurz – obwohl es Verschwörungen natürlich gibt und sie auch bei der mass formation und der „Machtergreifung“ eine Rolle spielen. Verschwörungstheorien verharmlosen das Problem, weil sie strukturelle Prozesse auf persönliche reduzieren. Mass formation „is largely the result of individuals being gripped by a common narrative that unites them in a heroic battle against an object of anxiety”.[8] Alle glauben an das, was sie tun und glauben, das es genau so getan werden muss. „As Noam Chomsky put it, if you have to tell someone what to do, you’ve chosen the wrong person.” Das ist vielleicht die ganze Wahrheit über die Öffentlich-Rechtlichen. „Totalitarianism is not about monstruous people – it is about normal people who stick to a morbid, dehumanizing way of thinking or ‚logic‘.”[9]
Das ist gut auf den Punkt gebracht – aber auch nicht wirklich etwas ganz Neues. Hier besteht der Gewinn der Lektüre nicht zuletzt darin, dass Mattias Desmet mit einer Reihe von aktuellen Beispielen die Gefahr der Verengung der Öffentlichkeit auf ausschließlich ein (alternativloses) „common narrative“, das alles andere aggressiv ausschließt, unter Sanktion stellt und verteufelt. Leute mit anderen Meinungen sind Leugner und lügende Lumpen. PzZ Leser wissen, wovon er spricht.
The Mechanistic Worldview
Desmets eigentlicher Punkt liegt aber anderswo. Desmet führt den Totalitarismus nicht nur auf die sozialhistorische mass formation der modernen Industriegesellschaft zurück, sondern verbindet sie mit der Idee der modernen Wissenschaft und ihrem „mechanistic worldview“. Wissenschaft „can, in essence, be defined as open-mindedness“.[10] An diesem Ideal will Mattias Desmet natürlich unbedingt festhalten. Er sieht es freilich durch die physikalisch-mechanische Methodik bedroht, die ihr Vorgehen auf alles anwenden will – auch auf das, was sich mechanischer Erklärung entzieht.
Neuzeitliche Naturwissenschaft hat sich auf das Messbare konzentriert. Experimente dienen dazu, ein natürliches, lebensweltlich begegnendes Phänomen messbar und reproduzierbar zu machen. Das erfordert, dass man das, man messen will, von der Umwelt isoliert und messfähig macht. Eine Kugel aus Blei fällt – so die alte lebensweltlich Sicht des Aristoteles – „natürlich“ schneller als eine Kugel aus Holz: sie ist – so der common sense – ja schließlich schwerer. Das tut sie freilich nur unter bestimmten Umständen. Wenn man diese Umstände ändern würde, so „dass, wenn man den Widerstand des umgebenden Mediums ganz aufhöbe, alle Stoffe mit derselben Geschwindigkeit fallen würden“.[11] Steine und Federn fallen dann – nämlich im Vakuum – mit gleicher Geschwindigkeit.
Man richtet sich die Welt also her, um in ihr mess- und nachvollziehbare Ergebnisse zu bekommen.[12] Qualitative Wahrnehmung der natürlichen Lebenswelt wird durch quantitative Messergebnisse im Experiment ersetzt. Wir müssen also vorher wissen, was wir messen wollen und die Situation unter Absehung aller störender Bedingungen so aufbauen, dass wir „vernünftig“ messen können. Wir müssen das, was wir messen wollen, isolieren und von störenden Einflüssen schützen.
Die Isolierung eines Messgegenstands ist natürlich ein durchaus sinnvolles Vorgehen, ohne den die moderne (Natur-)Wissenschaft nicht denkbar ist. Man muss freilich wissen, dass man sich dabei die komplexe Welt zurechtlegt und sie bewusst simplifiziert. Modelle sind eben Modelle der Wirklichkeit, die die Welt zweckdienlich vereinfachen. Sie sind nicht mit dem Modellierten gleichzusetzen.[13]
Desmet erzählt eine Begebenheit im britischen Unterhaus, nämlich einer Expertenanhörung im Rahmen der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Dabei wurden Virologen und Modelltheoretiker nach den geeignetsten Maßnahmen befragt, die die Ausbreitung des Corona-Virus begrenzen und eine Überlastung des Gesundheitssystems vermeiden helfen. Wir wissen, welche Antworten dort gegeben wurden. Auf die Frage, welche Auswirkungen die Maßnahmen auf Wirtschaft und Gesellschaft hätten, also z.B. auf Kinder und die „Volksgesundheit“ im Ganzen, bekennen die Experten wahrheitsgemäß („disarmingly honestely“), dass sie dazu nichts sagen können, weil das ihre Expertise überschreitet. Aber zur Begrenzung von Infektionen und den entsprechenden Auswirkungen auf Krankenhausbelegung und Auslastung der Intensivstationen seien eben die empfohlenen Maßnahmen geboten. Das Fallgesetz gilt und die Bleikugel fällt mit gleicher Geschwindigkeit wie die Feder – allerdings gibt es in der luftigen Welt unserer Lebenswirklichkeit doch gewisse Unterschiede. Was sich unter der viro- bzw. epidemiologischen Perspektive bei der Bekämpfung der Pandemie als unbeabsichtigte Nebenwirkung bzw. Kollateralschaden darstellt, zeigt die verzerrende Fokussierung auf einen Ausschnitt der Wirklichkeit, der alles andere dominiert. So haben sich nicht nur fast alle Voraussagen als falsch und die daraus abgeleiteten Empfehlungen als weitgehend wirkungslos herausgestellt. Inzwischen wird weitgehend zugestanden – so auch im Bericht des Expertenrats – dass eine Schaden-Nutzen-Abwägung unterblieb und auch entsprechende Daten nicht erhoben wurden.
Desmet will nun im Verfahren des Experiments die Grundstruktur des Totalitarismus erkennen: systematische Vereinfachung der Welt im Hinblick auf eine dominante Perspektive. Alles, was dem Ziel zuwider läuft, das Experiment erfolgreich zu machen, muss als Störkraft „bekämpft“ werden.
Auch hier bietet die Corona-Pandemie ein gutes Beispiel, bei dem es nicht darum geht, ob die Maßnahmen nun richtig oder falsch waren (was Desmet wohl annimmt). Es geht ihm vielmehr um die Konzentration auf einen dominanten Aspekt, die dazu führt, alle anderen Aspekten von vornherein auszuschließen. So waren die sogenannten Infektionszahlen handlungsleitend, die doch lediglich die positiven PCR Test abbilden konnten. Das war mindestens fragwürdig und letztlich irreführend. Aber auch als das mehr oder weniger eingeräumt wurde, änderte sich am „Experimentaufbau“, dem medialen Narrativ, nichts: „The dominant ideology repeatedly presents numbers in the mass media that confirm its own narrative … The perception of reality is determined time and again by numbers that, a few months later, turn out to very relative, sometimes plainly wrong, or even deceptive.”[14]
Wie gesagt, es geht dabei weniger um die Richtigkeit der gewählten Maßnahmen, sondern um den Ausschluss von anderen Perspektiven und eines nicht geringen Teils der Wissenschaft selbst. Studien von namhaften Wissenschaftlern, die dem Narrativ nicht folgten, wurden einfach als (zweifelhafte) Studien beiseitegelegt, Studien, mit teilweise zweifelhaftem methodischem Vorgehen, die das Narrativ bestätigten als „die“ Wissenschaft verkauft. Vergleiche von Deutschland mit Schweden waren nur solange erlaubt als Deutschland weniger „Infektionen“, Intensivbettenbelegungen und Todesopfer zeigte. Als sich das sehr schnell umkehrte (ab Mitte 2020) war der Vergleich als Desinformation von Querdenkern verboten. Stattdessen sollte nun Schweden mit Norwegen und Finnland verglichen werden, die so glaubte man, strikter, gleich „deutscher“, gegen die Pandemie vorgingen, was freilich gar nicht der Fall war. Inzwischen gilt, dass „Norway and Finland had been misjugded: They were actually more lenient than the measures in effect in Sweden.”[15] In den USA wurden die Maßnahmen der einzelnen Bundesstaaten solange mit einander verglichen wie man glaubte die Wirkung von Maßnahmen belegen zu können. Als sich freilich zeigte, dass die Bundesstaaten ohne „harte“ Maßnahmen nicht schlechter durch die Pandemie kamen als Maßnahmen-Staaten – einige sogar deutlich besser – galt der Vergleich als „unwissenschaftlich“.[16] Korrelationen werden solange als Indizien für ursächliche Zusammenhänge akzeptiert solange sie dem Narrativ entsprechen, werden aber sofort als haltlos, unwissenschaftlich und verschwörungstheoretisch verunglimpft, wenn sie anderes nahelegen (bei der Unter- bzw. Übersterblichkeit oder Impfwirkungen und -nebenwirkungen).
Es ist zweifelsohne so – das kann als historisch gesichert gelten –, dass totalitäre Systeme sich immer wissenschaftlich zu legitimieren versuchen. Sie haben – aus ihrer Sicht die Wissenschaft auf ihrer Seite. Das gilt für die stalinistische Rechtfertigung über den Wissenschaftlichen Sozialismus genauso wie für die Wissenschaft im und für den Nationalsozialismus. Nicht wenige Vordenker der Deutschen Philosophie und Wissenschaft wurden dann ab 1945 wissenschaftlich integriert. Es darf vielleicht als guter Totalitarismus-Test gelten, ob sich eine Herrschaft gegen den common sense wissenschaftlich legitimieren will und muss. Follow the Science ist auch ein stalinistisches Programm.
Desmet glaubt nun, dass wir der den modernen Gesellschaften inhärenten Gefahr des Totalitarismus, nur entgehen können, wenn wir dieser Dominanz der mechanistischen Weltanschauung entgehen. Das ist weniger esoterisch zu verstehen als es zunächst scheinen mag. Kant, der die Wissenschaftlichkeit der Naturwissenschaft ausdrücklich am Verfahren des Experiments festgemacht hat, hatte zugleich davor gewarnt, das Modell der Mechanik auf das Lebendige zu übertragen. Dem Lebendigen wird man mechanistisch nicht gerecht. So war sich Kant sicher, dass es einen Newton des Lebendigen nicht geben wird ohne das Lebendige selbst aus den Augen zu verlieren und das Lebendige als etwas Totes zu behandeln.[17]
Hier schließt sich auch der Kreis zu Hannah Arendt. Auch sie sah im späten Kant, der das Lebendige zu denken versuchte, den Anknüpfungspunkt einer nicht-totalitaristischen Politik.[18] Ich kann nicht sagen, ob Desmet das kennt, er führt es jedenfalls nicht an und geht doch in eine ähnliche Richtung. Wir – auf PzZ – können deshalb wieder mal – und durch Mattias Desmet erneut motiviert – sagen: „Zurück zu Kant“[19] und neben der Lektüre von Mattias Desmet lohnt sich allemal die der Kritik der Urteilskraft. Warum den Lehrling ausquetschen, wenn man sich auch an den Meister befragen kann.
[1] Cf. H. Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, 1986, S. 496.
[2] A.a.O., S. 475.
[3] H. Arendt, a.a.O., S. 499.
[4] M. Desmet, The Psychology of Totalitarianism, 2020, S. 94ff.
[5] M. Desmet, a.a.O., S. 100.
[6] M. Desmet, a.a.O., S. 100. In der Corona-Pandemie trieben die Medien die Politik vor sich her, weil sie glaubten, dass die Masse ihrer tatsächlichen oder potentiellen Nutzer es genauso wollen müssten.
[7] M. Desmet, a.a.O., S. 106.
[8] M. Desmet, a.a.O., S. 125.
[9] M. Desmet, a.a.O., S. 106.
[10] M. Desmet, a.a.O., S. 13.
[11] Cf. Galileo Galilei in seinen Discorsi von 1638.
[12] Der locus classicus dazu ist Kants Erläuterung in der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft von 1781/7: „Als Galilei seine Kugeln die schiefe Fläche mit einer von ihm selbst gewählten Schwere herabrollen … ließ, so ging allen Naturforschern ein Licht auf. Sie begriffen, daß die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt, daß sie mit Prinzipien ihrer Urteile nach beständigen Gesetzen vorangehen und die Natur nötigen müsse, auf ihre Fragen zu antworten, nicht aber sich in von ihre allein gleichsam am Leitbande gängeln lassen müsse; denn sonst hängen zufällige, nach keinem vorher entworfenen Plane gemachte Beobachtungen gar nicht in einem notwendigen Gesetze zusammen, welches doch die Vernunft sucht und bedarf.“ (KrV B XIII)
[13] Zum gleichen Messergebnis gehört der gleiche Experimentaufbau, der der Messung zugrunde liegt. Aber das ist einfacher gesagt als getan. Was genau ist nämlich gleich? Was hier und jetzt muss auch dort und dann gelten. Es braucht gleiche Bedingungen in unterschiedlichen Lagen. Z.B. müsste man die gleichen Messergebnisse mit unterschiedlichen, äquivalenten Messmethoden erzielen können. Genau das ist aber in vielen wissenschaftlichen Experimenten nicht der Fall. In der Psychologie ist es nur in 45% der Fälle möglich, bei unterschiedlichen Messverfahren annähernd gleiche Ergebnisse zu bekommen. Gleiches gilt für die Medizin.
Desmet zieht einen lebensweltlichen Vergleich heran: Will man sein Haus renovieren und neue Fenster einsetzen lassen, so muss es „im Grunde“ egal sein, ob der Handwerker mit Meterstab, mit Maßband oder mit Lasergerät misst. Natürlich werden wir vermuten, dass das Lasermessgerät etwas genauer misst, aber keine Abweichung gegen den Grad der Genauigkeit zeigt, die Meterstab oder Maßband ermöglichen: Während das Lasergerät 181, 36 cm ergibt sich bei beim Maßband vielleicht ein Wert von 180,xx, das auf 180cm abgerundet wird, weil eine größere Genauigkeit nicht benötigt wird. Der Wert von 0,45 Messäquivalenz würde allerdings bedeuten, dass der eine Handwerker ein Fenster 180cm breit misst, der andere es dagegen nur 130cm und ein dritte es unter einem Metter angibt. Was hier augenfällig falsch ist, lässt sich bei komplizierten Versuchsanordnungen nicht immer „ermessen“: es gibt jenseits der Messmethode keine intuitive Überprüfung.
[14] Desmet, a.a.O., S. 64.
[15] Desmet, a.a.o., S. 60.
[16] Das kann man bei Desmet in sehr kompakter, aber gut belegter Form nachlesen.
[17] Kant sprach von einem Newton des Grashalms: „Es ist nämlich gänzlich gewiß, daß wir die organisierten Wesen und deren innere Möglichkeit nach bloß mechanischen Prinzipien der Natur nicht einmal zureichend kennen lernen, viel weniger erklären können; und zwar so gewiß, daß man dreist sagen kann, es ist für Menschen ungereimt, auch nur einen solchen Anschlag zu fassen, oder zu hoffen, daß noch etwa dereinst ein Newton aufstehen könne, der auch nur die Erzeugung eines Grashalms nach Naturgesetzen, die keine Absicht geordnet hat, begreiflich werden; sondern man muß diese Einsicht den Menschen schlechterdings absprechen.“ (KdU §75)
[18] Ihre Vorlesung zu Kants politischer Theorie ist neben ihrem Hauptwerk Vita Activa oder Vom tätigen Leben (1960), das für mich Bedeutsameste aus Hannah Arendts Feder und immer noch unterschätzt: Vom Urteilen, Texte zu Kants politischer Philosophie, 1985.
[19] Das war das Schlagwort des sogenannten Neukantianismus. Es findet sich aber in der Philosophie seither in regelmäßigen Abständen und in unterschiedlichen Hinsichten. Kant zu lesen lohnt eben immer.