„Und im Leben geht’s oft her, wie in einem Film von Rohmer…“ Dort geht es meist um „Beziehungsarbeit“. Man arbeitet sich an sich und seinen „Beziehungen“ ab. Die Liebe ist dem Leben abhandengekommen. Die Helden des Alltags werden durch die Liebe nicht ergriffen. Sie wollen sich nicht darin verlieren. Sie möchten selbständig bleiben und das heißt sie lassen sich im Strom des Alltags treiben, den zu dem ihren machen. Man will nebeneinander, nicht miteinander leben.
Rohmers Helden sind keine Revolutionäre. Sie sind unpolitisch. Es gibt immer Wohnungen und Häuser, die irgendwie da sind, Jobs und Familien, zu denen man einfach gehört. Das alles ist die Kulisse ihres Lebens. Sie spielen sich darin selbst. Das Leben ist Selbstinszenierung.
In Rohmers Filmen kommt es meist nicht „zur Sache“. Die wird immer „umtänzelt“, „sublimiert“. Kommt man sich näher, dann redet man sich raus. Libido erschöpft sich in Selbstbeschwörung mit endlosen, bedeutsam klingenden Redekaskaden.
Jahrzehnte vor Rohmer hat das Musil so ähnlich gesehen, „erzählt“ oder besser beschrieben. Er lässt eine abgewiesene Geliebte einen neuen Anlauf nehmen, den Geliebten von einst wieder zu gewinnen. Sie beruft sich auf eine Vision, die sie umständlich beschreibt. Er flüchtet sich in haltloses Gerede, das sich bedeutsam gibt und doch ziemliches Gefasel ist. Musil lässt ihn sich selbst eingestehen, dass er eigentlich „Unsinn“ rede. „Er fürchtete bloß das eine, daß Bonadea [so der Name seiner Geliebten, zu der er sich nicht mehr bekennen will] auf den Einfall kommen könnte, sich zu ihm zu setzen. Dagegen gab es nur ein Mittel: reden.“ Das bringt ihn in einen Zustand, in dem er die „Freiheit des Inneren“ zu erkennen glaubt, die „nur wenige äußere Gesetze“ zu beachten hat: „diese Freiheit des Inneren besteht darin, daß man sich alles denken kann, daß man in jeder menschlichen Lage weiß, warum man sich nicht an sie zu binden braucht, und niemals weiß, woran man sich binden lassen möchte!“ Diese „Freiheit“ beruht auf nichts als der „Fähigkeit, an jeder Sache zwei Seiten zu entdecken, jene moralische Ambivalenz, die fast alle seine Zeitgenossen auszeichnete und die Anlage seiner Generation bildete und deren Schicksal. Seine Beziehungen zur Welt waren blaß, schattenhaften und verneinend geworden“. Gespräche führen zu nichts, sie werden einfach nur so geführt. Musil findet für diese weltlose Welt wieder ein schönes Bild. Er spricht der „inneren Akustik der Leere, in der ein Schuß doppelt zu laut wiederhalt und nicht aufhört zu rollen“.
Es ist bedauerlich, „nicht mehr anders sprechen [zu können] als in dieser Art“, für die Musil „der halbsinnig hübsche Name Barock der Leere“ einfällt. Zugleich kann derjenige, so glaubt Musil, der sich dessen bewusstwird, in eine Stimmung der „Großartigkeit“, in ein ruhiges „Schweben“ geraten. Es ist, wie Musil sagt, „ein ‚Augenblick‘, wie man das nennt, was man nicht bezeichnen kann. Etwas schauspielerisch Gehobenes“, das die sich um ihr Leben Redenden schließlich gemeinsam verstummen lässt, sie stumm vereint.