Inside Kakanien I 55: Der Feind im Haus

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Inside Kakanien gab’ es noch ein Heer von Dienstboten, die nicht nur in Adelshäusern, sondern auch in den Häusern und Stadtwohnungen von Bürgern und Beamten die Hausarbeit erledigten und Rund-um-Versorgung gewährleisteten. Anders als die dienstleistenden Pflegekräfte und Haushaltshilfen, Facilitymanager und Alltagbewältigungscoaches heute, waren sie Teil des Hauses, das sie im Stillen führten. Über das Verhältnis von Herr und Knecht ist schon viel geschrieben worden. Wir können – mit Musils Hilfe – zwei Typen von „helfenden Händen“ wohl auch heute noch unterscheiden: 

(i) Wie ein gutmütiger Hund sich als Hüter der häuslichen Herde begreift und sie ständig fürsorglich umkreist, so gibt es diese mitfühlend und mitleidenden Rachels, Helenes und Fritzens, die gänzlich im Hauswesen, für das sie tätig sind, aufgehen, und es sich als ihr eigenes Leben „aneignen“. Wie der Hund an den Gerüchen der Freunde des Hauses Gefallen findet und sie schwanzwedelnd begrüßt, so werden auch die regelmäßigen Besucher, Geschäftsfreunde und Bridgepartner, Kaffeekranz-Damen und Parallelaktionsmitkämpfer oder Schul- und Spielkameraden der Kinder, die meist gar keine Notiz vom Hauspersonal nehmen, von ihm in den ordo amoris der umsorgenden Aufsicht genommen. Diese Dienerschaft ist Teil des Hauses, ohne die es gar nicht mehr zu denken ist. Sie gehört wie ein Organ zum Körper des Herrn, ohne das er nicht lebensfähig ist. 

(ii) Und dann gibt es die anderen, die im Haus, in dem sie leben, nicht heimisch werden, weil sie es nicht zu dem „ihren“ machen können und es ihnen als Herrenhaus fremd bleibt. Sie sehen sich – wohl meist nicht zu Unrecht – „unachtsam“ behandelt. Sie sind irgendwas zwischen „einem unbestimmten Luxusgeschöpf“ und einem Diener, der mit freier Kost und Logis und einem kleinen Taschengeld abgefertigt wird.[1] Sie sind eben ein Teil der Betriebskosten des Haushalts. Ihre „Aneignung“ findet andere Formen. Sie beginnen die Zigaretten ihrer Hausherrn zu rauchen und ihren Whiskey zu trinken, die Parfums ihrer „Herrinnen“ zu benutzen und die Bonbons ihrer Kinder zu schleckern. Sie bedanken sich artig fürs Überlassen abgetragener Kleidung ihrer Herrn, fühlen sich dabei aber erniedrigt und imprägnieren sie mit Missgunst. Nicht selten wächst hinter der freundlichen Fassade der Dienstfertigkeit ein Groll heran, der sich nicht mehr darin erschöpft, gelegentlich etwas mitgehen zu lassen, an dem man Gefallen findet. Die kleine verborgene Schädigung des fremden Haushalts wird selbst zum Genuss: man entfernt oder zerbricht etwas nur deshalb, weil es dem Hausherrn gefällt und von ihm vermisst wird. „Trotz aller Blasiertheit“, sieht die Phantasie solcher Haushaltsgeister „aus wie ein Nadelkissen voll Schwertern und Dolchen“.

Vermutlich ist die „Dialektik“ von Herr und Knecht doch weniger „kritisch“ wie einst gedacht und erhofft. Der fürsorgliche Hund macht sich für den Herrn unentbehrlich. Sein Herr vermag ohne ihn sein Leben kaum mehr zu führen. Aber das macht den Hund damit doch nicht zu seinem eigenen Herrn. Er kann nicht anders als weiterhin auf „Sitz“ Sitz zu machen. Die Eingeständnis der Abhängigkeit ist nur die Feststellung, die den Herrn Herrn und den Knecht Knecht sein lässt. 

Andererseits wird im kleinen Unglück des Herrn, das der grollende Knecht dem Herrn zugedacht hat, das Unglück des Knechts nicht aufgehoben, es bringt sich darin nur flackernd zur Erscheinung. Es sind nur die „Kosten“, die der Herr aufbringen muss, um den Knecht Knecht bleiben zu lassen. Der kleine Sieg seiner Verschlagenheit besiegelt sein Unglück. 

Die Herrschaft kann wohl nur besiegt werden, wenn die kakanischen Hausregeln geändert werden.

[1] Heute kennen wir das z.B. noch in der Kunst, Au-Pair zu sein bzw. bei sich aufzunehmen. Vielleicht ist es die Kunst, für etwas dankbar zu sein: dass man aufgenommen wird und hilfreich sein kann, und dass man Hilfe bekommt und jemanden aufnehmen kann.

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