Inside Kakanien I 42: „Aus der Mitte des Volkes“

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Parallelaktionen, die „aus der Mitte des Volks“ aufsteigen, sind eigentlich keine richtigen Parallelaktionen. Sie sind Aktionen, die „parallel“ zu den Auseinandersetzungen der sozialen Welt stattfinden oder besser als beiläufiger Teil von ihnen. Die Gründung von Arbeiterbildungs- oder Sportvereinen z.B. oder die Konzentration von Energie aus Wut und Enttäuschung, die sich nicht politisch äußern kann oder will, in Fußballvereinen und ihrer Rivalität: der Stolz der Unterschicht zeigt sich nicht gegen die Schnöselvereine reicher Viertel und ihrer Sponsoren – die werden als Kunstprodukte ignoriert. Stolz zeigt sich im Wettbewerb der Stolzen – Zeche versus Zeche, Dock Nord oder Dock Süd, New Castle United vs. Sunderland FC, West Ham United oder Millwall FC. So wehrt man sich richtig, ihr Versager – heißt es dann gegenüber denen, die wie man selbst für andere arbeitet, mit denen man selbst beinahe alles gemein hat und deshalb mit ihnen um den richtigen Ausdruck wetteifern kann.

Vielleicht gehört auch die frühe Popmusik zu solchen Parallelaktionen „aus der Mitte des Volkes“ – Time Is On Our Side? Und sah es auf den Straßen in den Jahren vor und nach 68 nicht danach aus, dass solche Parallelaktionen wirklich politische Kraft gewinnen und also ihren Charakter als Parallelaktion verlieren könnten. Na ja, so schnell geht’s natürlich auch nicht. Macht ist halt doch keine Parallelaktion und Parallelaktionen nur solche, die die Macht mit sich wissen.

Was uns zusammengeführt hat“, sagt der kakanische Parallelaktion-Meister, „ist die Übereinstimmung darin, daß eine machtvolle, aus der Mitte des Volks aufsteigende Kundgebung nicht dem Zufall überlassen bleiben darf, sondern wein weit vorausblickende und von einer Stelle, die einen weiten Überblick hat, also von oben kommende Einflußnahme erfordert.“ Sie folgen dem Programm „der zeitgenössischen Pädagogik“, die „den Schüler mit dem Lehrer gemeinsam arbeiten lasse, statt ihm fertige Ergebnisse vorzusetzen“. Das stellt sich sicher, dass die „fertigen Ergebnisse“ schneller und „nachhaltiger“ aufgenommen werden.

 

Exkurs: Anachronistische Vergleiche

Eines der Kakanien – und das Vorbild vieler anderer – ist die K- und K-Monarchie Österreich-Ungarn. Ich zitiere mal ausführlich und hoffe Ihre anachronistische Phantasie kann in Schwung kommen: „Dieses österreichisch-ungarische Staatsgefühl war ein so sonderbar gebautes Wesen, daß es fast vergeblich erscheinen muß, es einem zu erklären, der es nicht erlebt hat. Es bestand nicht etwa aus einem österreichischen und einem ungarischen Teil, die sich, wie man glauben könnte, ergänzten, sondern es bestand aus einem Ganzen [Österreich-Ungarn] und einem Teil [Ungarn], nämlich aus einem ungarischen und einem österreichisch-ungarischen Staatsgefühl, und dieses zweit war in Österreich zu Hause, wodurch das österreichische Staatsgefühl eigentlich vaterlandslos war. Der Österreicher kam nur in Ungarn vor, und dort als Abneigung; daheim nannte er sich einen Staatsangehörigen […] der österreichisch-ungarischen Monarchie […] und er tat das nicht etwa mit Begeisterung, sondern einer Idee zuliebe, die ihm zuwider war, denn er konnte die Ungarn ebensowenig leiden wie die Ungarn ihn…“ Manchmal kann man aus einem anachronistischen Vergleich ja etwas lernen? Z.B. wenn wir „Österreicher“ mit Westdeutscher, „Ungar“ mit Ostdeutscher und „Österreich-Ungarn“ mit Bundesrepublik übersetzen: Der Wessi versteht sich als Bundesdeutscher, dem, ob es ihm gefällt oder nicht, Ostdeutschland als Bundesgenosse eingefügt wurde. Der Ostdeutsche versteht sich dagegen als Ostdeutscher, der den Wessis zugeschlagen wurde – so mißverständlich sind die Dinge manchmal. Einfach schrecklich.

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