Inside Kakanien I 29: Wie normal ist Disneyland?

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Was ist das eigentlich „Normalität“? Das fragen meist die „Verrückten“ oder solche, die dafür gelten sollen. Wer die Erwartungen nicht erfüllt oder ihnen entrückt ist, der kann sich fragen, ob sie für Normen stehen, die man erfüllen sollte. Und ob das, was die Normalität durchbricht, die Normalität nicht geradezu bestätigt wie Ausnahmen eben die Regel. Der Kick etwas Verrücktes zu tun, mag beleben und das Lebensgefühl steigern, er hat aber keine Dauer und beabsichtigt das auch gar nicht. Er unterbricht die Normalität, um sie zu bestätigen und zu befestigen. Wer (mal) wissen- und willentlich etwas Verrücktes tut, der ist eben nicht verrückt und will nicht selten dadurch verhindern, es zu werden. Der amouröse Seitensprung ist für viele eine solche „normalisierte“ Verrücktheit. Sich gerade noch im eingespielten Alltag bewegend, springt man kurz zur Seite und wundert sich, wenn man die Seite wieder gewechselt hat, wie verrückt das alles ist. „Das unglaublich Schnelle solcher Veränderungen, die einen gesunden Menschen in einen schäumenden Narren verwandeln, wurde überaus deutlich daran. Es kam ihm aber vor, daß diese Liebesverwandlung des Bewußtseins nur ein  besonderer Fall von etwas weit Allgemeinerem sei; denn auch ein Theaterabend, ein Konzert, ein Gottesdienst, alle Äußerungen des Inneren sind heute solche rasch wieder aufgelöste Inseln eines zweiten Bewußtseinszustands, der in den gewöhnlichen zeitweilig eingeschoben wird.

Jean Baudrillard 2004

Es gibt eine schöne Beobachtung von Jean Baudrillard zu solchen „Unterbrechungen des normalen Bewußtseinszustandes“, die sich „Parallelaktionen“ verdanken und die Normalität normal erscheinen lassen:[1] Der Reiz von Disneyland ist, dass wir dort in eine Welt mit eigenen Spielregeln eintreten und uns an ihrer Künstlichkeit amüsieren, um dann beim Verlassen der künstlichen Welt in die reale Welt zurückzukehren und nun die „Natürlichkeit“ ihrer Regeln bestätigt sehen. Was dort nur Simulation ist hier Realität. Es sind freilich beides „Zeichenwelten“, die sich in ihrer „Glaubwürdigkeit“ gar nicht unterscheiden: Das STOP-Zeichen der Straßenverkehrsregeln „im Freien“ unterscheidet sich in seiner Bindungsenergie eben nicht von dem Verhaltenskodex im nachgebauten Westernsaloon: dort darf auf den Barkeeper geschossen werden, hier gilt es das Bußgeld zu bezahlen.

Je fragiler die Lebenswelt desto wichtiger wird eine „nichtsnutzige“, aber überzeugende Parallelaktion. Aber – das wissen wir seit 1914 – verhindert sie nicht unbedingt die Große Katastrophe, sie bereitet ihr sogar den Weg. Wir brauchen nur auf die Medien gucken und wissen, wem Parallelaktionen nutzen.

[1] Dazu das herrliche kleine Bändchen America von Jean Baurdrillard (1987). Spätestens damit waren wir für eine gewisse Zeit alle Baudrillard-Simulanten.

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