Inside Kakanien I 26: Die Vereinigung von Seele und Wirtschaft, Macht und Moral

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Geistlos will keiner scheinen. Vor allem diejenigen, denen sonst nichts fehlt, den Reichen und Superreichen, wollen nicht als „geistig“ arm oder beschränkt gelten. Geld und Geist finden freilich selten harmonisch zusammen. Dass „eher ein Kamel durch ein Nadelöhr“ geht „als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“ ist eine intellektuelle, (heilig)geistvolle Erwartung, die bekanntlich in der Heiligen Schrift offenbart wurde. Das gilt auch für die säkulare Geistigkeit. Der Verurteilung des Sokrates wird dann mit dem Programm des Philosophenkönig gekontert, das vermutlich einzig dazu dient, politische Herrschaft philosophisch zu legitimieren. Es hat utopische Züge, also solche, die sich nur im u-topischen Nirgendwo finden. Geld und Geist, Macht und Moral oder Politik und Philosophie freundschaftlich verbunden oder gar vereint zu sehen, das sollte einen skeptisch machen.

Aber es wird von beiden als Ideal hochgehalten. Die „Vereinigung von Seele und Wirtschaft oder die Vereinigung von Idee und Macht“ reklamieren sie als ihr leitendes Selbstverständnis. In Zeiten, in denen sie nicht mehr recht weiterweiß, ruft Politik zur geistigen Erneuerung unter ihrer Führung auf und kramt dabei meist abgestandene Ideen hervor – korrigiere „Ideen“ zu Vorstellungen, wie sollten die Politik Ideen erreichen? Sie wenden sich dann intellektuellen „Autoritäten“ zu, die ihnen „aus Funk und Fernsehen“ bekannt sind oder früher direkt an ihren Höfen als diensteifrige, gut vernetzte Geistesgrößen aufgefallen waren. Ihr Vorteil war, dass sie sich ausdrücken und an der (meist unappetitlichen) politischen Sache selbst nicht beteiligt waren und deshalb trotz ihrer wohlwollenden Alimentierung als „neutral“ gelten konnten.

Die ohnmächtigen „Intellektuellen“ oder weniger modern gesprochen die Angehörigen des machtlosen „Lehrstands“, behaupten eine geistige und nicht selten moralische Vordenkerschaft, die meist von denen behauptet wird, die ihre Kleingeistigkeit medial vergrößert zur Geltung bringen wollen. Die Autorität, die ihnen in der Gelehrtenrepublik versagt bleibt, versprechen sie sich durch die Unterstützung von Mäzenen, Einladungen zu Soirees und Talk-Show-Auftritten. In „philosophischen Quartetten“ bespielen sie die nach Legitimation suchende Öffentlichkeit.

Beide brauchen für ihr „Geschäft“ eine vielversprechende Parallelaktion und alle „Öffentlichkeit“, viel viel mediale Öffentlichkeit. Politiker brauchen Presse und die Presse hat ohne aufsehenerregende Politik nichts zu berichten. Politik bedient die Presse mit allerlei Berichtenswertem, um es dann, wenn sie es in der Zeitung lesen oder tagesschaulich vermittelt bekommen, selbst zu glauben. Intellektuelle schreiben aufsehenerregend geistreich – auch Bücher. Aber vor allem treten sie in Massenmedien auf, um ihrem Geist Masse zu geben. Sie haben es geschafft, wenn nicht nur über ihre Bücher, sondern über sie selbst geschrieben wird. Dann muss man sie nicht mal lesen, sondern kann mit ihnen sprechen und sie in Kommissionen berufen. Gelehrtendarsteller und die „demokratischen“ Könige setzen sich bei Lanz und Maischberger zusammen und deklamieren die herrschende Meinung als Follow the Science.

„… nicht nur ein reicher Mann, auch ein bedeutender Geist“

Walther Rathenau

Ein Mann wie Musils Romanfigur Dr. Paul Arnheim wäre auch hier ein Star. „Dr. Paul Arnheim war nicht nur ein reicher Mann, sondern er war auch ein bedeutender Geist.“ Er könnte medien- und adressatengerecht parlieren. Musil hat ihn sich für die große Parallelaktion ausgedacht, nach der jedes Kakanien bis heute schreit. Aber es gab Dr. Paul Arnheim gleichsam wirklich – wenn man das so sagen kann?! Musil Parallelaktion-Denker ist Dr. Walther Rathenau nachempfunden, richtig, dem deutschen Politiker, nach dem Plätze, Straßen oder Brücken genannt werden. In Nürnberg, Köln und Berlin z.B. gibt es Rathenauplätze, aber man weiß nicht recht, ob sie nach ihm (also eigentlich Walther-Rathenau-Platz) oder in Sippenehrung für die Rathenaus gedacht sind: Walther Rathenau war 1922 deutscher Außenminister, aber vielleicht war er doch vor allem Sohn und Erbe von Emil Rathenau, dem Gründer der Deutschen Edison-Gesellschaft für angewandte Electricität, der späteren Allgemeinen Electricitäts-Gesellschaft, der AEG also, die in wenigen Jahren zu einem der größten Elektrokonzernen der Welt und einflussreichsten Unternehmen Europas aufstieg. Als Sohn und Erbe eines der größten und technologisch wichtigsten Wirtschaftsimperien alle Türen offen. Er war im deutschen Reich unübersehbar und irgendwie einflussreich, aber eben nur irgendwie. Alle Türen gingen auf, aber er blieb immer in der Tür stehen. Er wurde zu allen möglichen Kommissionen geladen und mit „wichtigen“ Aufgaben betraut, in denen er nicht viel falsch machen konnte. Das galt auch für seine Stellung im Konzern des Vaters. Er saß bald in fast allen Aufsichtsräten der wichtigsten deutschen Unternehmen und galt als der Aufsichtsrat-Rathenau, den Vorsitz der AEG übernahm nach dem Tod des Vater 1915 aber Felix Deutsch. Nicht dass er geschäftlich nicht erfolgreich gewesen wäre – er hat nationale und internationale monopolistische Bündnisse geschmiedet und auch seine Rolle als Leiter der Kriegsrohstoffabteilung war durchaus beachtlich – aber eben als zweite Geige unter einem Kriegsminister von Falkenhayn.

Ein großer Vordenker sein …

Das war alles nichts ganz Großes. Der Walther war halt kein Emil. Auf dem für sein Leben ausgelegten roten Teppich will er nicht entlang schreiten, er will raus und weg, um damit aber eigentlich rein zu kommen. Er will selbst etwas Großes machen, etwas, das Eindruck macht und mit Vaddern nichts zu tun hat: also wendet er sich, nach einigen anderen vergeblichen Versuchen, der Schriftstellerei zu, ach was sag ich, der geistigen Vordenkerschaft. Er jagt den diversen Avantgarden nach und versucht über den Schatten zu springen, den sie auf ihn werfen. Während Emil ein Gründer war, war Walther allenfalls ein Begründer, der das, was er vorfand mit einem Tiefsinn zu versehen trachtet, der ihm zugleich abging.

Wer sich heute kritisch zu Rathenau oder den Rathenaus äußert, wird sich vermutlich dem Vorwurf einer tendentiell antisemitischer Gesinnung ausgesetzt sehen. Die Rathenaus waren schließlich Juden, sehr erfolgreiche Juden und traten national und international, na sagen wir, mal sehr entschieden auf. Ein Jude, der 1922 von nationalistischen Antisemiten ermordet wird, da muss sich Kritik beherrschen. Deshalb schon mal ein kleiner Disclaimer: wer ein feines anti-antisemitisches Ohr hat, möge den nächsten Abschnitt übergehen:

Höre Israel!

Seinen ersten Auftritt in der Welt der intellektuellen Geister hat er 1897 mit einem Aufsatz in der Zeitschrift Die Zukunft. Der Beitrag trägt den Titel Höre, Israel! und erscheint unter dem anagrammatischen Pseudonym W. Hartenau, will aber natürlich, dass man die Provokation des Beitrags ihm selbst zuschreibt. Selbst jüdischer „Herkunft“ beginnt er mit der Frage, ob es einer Erklärung bedürfe, „wenn ich zum Antisemitismus neige“? Das Verhalten vieler Juden – so meint er – sei so, dass man einfach dazu neigen müsse. Die Juden erfüllten in ihrem Verhalten genau die Vorurteile, die man ihnen entgegenbringt. Deshalb helfen kein „philosemitische Beschützer“, sondern nur eine völlige Umkehr, die darin bestehen müsse, ihre Identität völlig aufzugeben und sich rückhaltlos zu integrieren und sich der „bewußte(n) Selbsterziehung einer Rasse zur Anpassung an fremde Anforderungen“ zu unterziehen – ansonsten würde man in eine Katastrophe hineinsteuern (!). Das mag für die meisten befremdlich klingen. Aber auch das darf man nicht allzu ernst nehmen. Rathenau war natürlich kein Antisemit. Er wollte etwas Aufsehenerregendes rausschreien und mit antisemitischem Gestus den Antisemitismus „bekämpfen“: Juden war Deutsche und von ihnen rassisch nicht verschieden oder gar unterlegen. Es war mehr der dringenden Empfehlung vergleichbar, die wir an nerdige Start-Up-Techies geben, sie möchten bei ihrem nächsten Auftritt bei den Bankern, doch mal ein Jackett anziehen und die Sneakers zumindest putzen.

Zur Kritik der Zeit und Von kommenden Dingen

Bald verlegt er sich auf weniger Provokantes und will stattdessen weitsichtig Tiefsinniges liefern, wie es die Zeit durchaus erwartet. 1911 legt er seine Kritik der Zeit vor, die dann auch Zur Mechanik des Geistes heißt. 1917 folgt dann sein Von kommenden Dingen. Beide wollen „umfassende Welterklärungsmodelle“ Stile des einflussreichen „Bestsellers“ von Ernst Haeckel Die Welträthsel liefern: „Es handelt sich somit um Probleme der Weltanschauung und nicht der aktuellen politischen Gebarung.[1] Rathenau beklagt die Seelenlosigkeit der modernen Welt, die Mechanisierung des Geistes, um dann „einen neuen Aufbau des belebten Mechanismus“ vorzuschlagen. Er begreift die Wirtschaft als neue Gestaltungsmacht möchte sie aber durch eine beherrschende, transzendente Weltanschaung angeleitet sehen. Man denkt in „Fernzielen“ und in „großen Zügen“. Die neuen gigantischen alles umwerfenden Produktivkräfte brauchen eine neue Ordnung, die sich ein Beispiel an der alten nehmen soll. Mit der Dicken Bertha in den neukaiserlichen, republikanisierten, nationalen Staatssozialismus, der durch internationale Monopolbildungen abgesichert ist. Auf in die Große Katastrophe!

Für einen Rathenau war es nicht schwer Gehör zu finden, auch wenn er nur etwas gestammelt hätte. Das jedenfalls war Musils Ansicht. Rathenau ist für ihn die Verkörperung der Leere, die schließlich in den Abgrund führt. Musil wirft ihm „eine Art intellektueller Hochstapelei“ vor. „Das Ganze, so Musil damals, spiegele eine Pseudomystik, eine Pseudometaphysik wider, die mit der Verankerung des Denkens in wahrer Philosophie oder auch wahrer Mystik nichts zu tun habe.[2] Er gilt ihm als ein Exemplar des „letztlich substanzlose(n), stets der Moderne nachjagende(n) Typus“, der in vielem die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg geprägt hat.

Als Verkörperung seiner Zeit gilt er auch Lothar Gall – allerdings in unterschiedlicher Bewertung. Er sieht in ihm ein „Sprachrohr und (einen) Repräsentant(en) des bürgerlichen Aufbruchs“. Sein Buch über Walther Rathenau will weniger eine Biographie als vielmehr ein Portrait einer Epoche sein, so der Untertitel der 2009 erschienen Abhandlung. Gall sieht ihn als Vertreter einer „Zeit der Gärung“, „des Umbruchs und der teigreifenden Veränderungen auf allen Lebensgebieten“, die schließlich in der „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ endet. In vielem, so meint Lothar Gall, versammelt sich in Walter Rathenau Glanz und Elend des gründerzeitlichen Bürgertums, das groß hinaus will und dann in den Schützengräben des Großen Krieges endet. Rathenaus sieht sich als links liberaler Konservativen, der die Welt radikal neu gestalten will. Er will einen Monopolkapitalismus, der das Gemeinwohl von oben stärkt, zu einem Aufbruch kultureller Kräfte beiträgt und dabei die alte Ordnung wahrt, der Entfesselung der Produktivkräfte den Weg bahnt und sie durch Seelenmystik beherrschen will. Ich kann Lothar Gall in vielem folgen – allerdings bewerte ich sie unterschiedlich. Für Gall ist das eher ein Zwischenspiel zur Entwicklung des bürgerlichen Staates, geprägt von bürgerlicher Freiheit, der Kunst und des Kulturlebens, und der Liberalisierung von Gesellschaft und Politik. Für Musil (und mich) endet das alles in der Großen Katastrophe des Großen Kriegs. Und vermutlich ist es das Kennzeichen jeder kakanischen Gesellschaft, dass sie eine politisch-kulturelle Parallelaktion braucht, die nach einer „die Vereinigung von Seele und Wirtschaft“ schreit und sie als große Idee vor sich her trägt, um damit zu rechtfertigen, die tatsächliche Politik zur Technokratie zu machen.

Postscriptum

Bei Musil hat Arnheim einen „farbigen“ Diener. Das fasziniert die Organisatorin der Parallelaktion: „Einst hatte sich der Adel, hatte die Vornehmheit sich Mohren gehalten […], aber diese phantasievolle Seite der Vornehmheit war längst eingegangen. […] Es war etwas in ihrem Herzen, das für den kühnen Außenseiter Partei nahm, der es noch wagte, sich einen Mohren zu halten, für den inkorrekt vornehmen Bürgerlichen, den Eindringling, der die erbgesessene Macht beschämte, wie der gelehrte griechische Sklave einst seine römischen Herren beschämt hat.“ Nun ja, beschämt fühlte sich der römische Senator nicht, wenn er einen Griechen für sich schreiben ließ. Das können allenfalls die griechischen Mütter der Sklaven glauben, die ihre Söhne statt in einer Silbermine immerhin in reichen Häusern untergebracht sahen. Auch unsere philanthropischen Superreichen fühlen sich nicht „beschämt“, die schreibenden Geister für sich „sprechen“ zu lassen. Beschämt müssten eher die sein, die – anders als die griechischen Sklaven – aus freien Stücken und im Bestreben ein bisschen strahlen zu können, die Parallelaktion betreiben, Geld und Geist, Macht und Moral, vereint erscheinen zu lassen.

 

[1] Zit. n. L. Gall, Walther Rathenau, Protrait einer Epoche, 2009, S. 197.

[2] Gall, a.a.O., S. 9

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