Inside Kakanien I 21: Klimaschutz und andere Parallelaktionen

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Seit Jahren gibt es in den Öffentlich-Rechtlichen Themen- und Aktionswochen zu drängenden „Fragen der Zeit“. Man lernt als Zuschauer wie wichtig die Fragen sind, die man sich bisher einfach zu wenig gestellt hatte, und wie zweifelsfrei – gleichsam alternativlos – sie beantwortet werden können. Haben sie uns erstmal „aufgeweckt“, dann ergeben sich die Antworten von alleine. Das ist auch ihr Auftrag. Die Öffentlich-Rechtlichen sind ja gewissermaßen vergesellschaftete Medienzentralen, gehören uns allen und wir zahlen für ihre Nutzung – ne eigentlich für die Tatsache ihrer Existenz – eine Gebühr, die, weil sie nicht freiwillig ist, manchmal auch missverständlicher Weise als Zwangsabgabe bezeichnet wird. Aber ich verzettle mich. Sie wecken uns jedenfalls auf z.B. über den allgegenwärtigen Rassismus, die lange Zeit völlig unterschätzte COVID-19 Pandemie und natürlich die größte Krise aller Zeiten, den Klimawandel und den Klimawandelschutz.

Auch der DFB glänzt als woker Aufwecker und durch Aktionen zum Aufwachen seiner zahlenden Kundschaft. Die Spiele der ersten DFB-Pokal Hauptrunde begannen eine Minute später, weil eine „Klima-Schweigeminute“ eingelegt werden sollte. Na ja, Schweigeminute ist nicht ganz korrekt, es geht eher um eine „Propagandaminute“ – ich zitiere von der DFB-Seite: „Beispielsweise werden die Partien eine Minute später angepfiffen, um die Zeit für Lautsprecherdurchsagen zum Thema Klimaschutz zu nutzen.“ Toll. Aber das ist natürlich noch nicht alles – ich zitiere nochmal („des Weiteren“), deshalb ist die Formulierungskunst auch nicht mir zuzuschreiben: „Des Weiteren sind die Vereine angehalten, eine vegane oder vegetarische Alternative zur Bratwurst anzubieten und die Kapitäne der Mannschaften werden auf dem Platz eine Spielführerbinde mit dem so genannten ‚Warming Stripes‘-Logo tragen. Einer Visualisierung wissenschaftlicher Daten des Klimatologen Ed Hawkins, durch die langfristige Temperaturverläufe sichtbar gemacht werden können.“ Alles nur zu unserem Besten, damit wir nicht nur Fußball gucken, sondern endlich aufwachen.

Ich finde, daran sollten sich auch die Kirchen ein Beispiel nehmen: unser Gottesdienst fängt heute fünf Minuten später an,[1] weil der Predigt eine politische Vorpredigt vorangeht. Und natürlich der öffentliche Nahverkehr. Sie erinnern sich noch an die Corona Schweigeminute? Einmal in der Woche fahren alle S- und Straßenbahnen pünktlich (!) eine Minute später, in der der OB zu den Fahrgästen über die Weltrettung spricht.

Inside Kakanien heißt so etwas „Parallelaktion“. Sie lebt davon, dass es so einfach nicht weitergehen kann. Es muss etwas geschehen. Etwas Großes. Natürlich nichts Politisches, etwas viel Grundlegenderes, etwas das alles wieder zusammenführt. Heute würde man wohl von einem zivilgesellschaftlichen, öffentlich-rechtlich motivierten Aufbruch reden. Etwas, das alle ergreift und immer wieder zur besten Sendezeit zum Besseren führt. Die Größe der Idee solcher Parallelaktionen ist ihre einnehmende Unverbindlichkeit. 1913 ist es der Friedenskaiser, der seit 70 Jahren das Land regiert und es ein Jahr später schlafwandelnd in den Großen Krieg führt.

Natürlich muss der Aufbruch ein geistiger sein, der nichts wirklich verändert, der stattdessen alles an der richtigen Ordnung neu ausrichtet. Der „große Gedanke“, der solche Parallelaktionen leitet, ist noch oder eigentlich immer unbestimmt. Alles Große lebt weniger von der Bestimmtheit des Gedankens, sondern von der „außerordentlichen Festigkeit und jene Freiheit eines großen Charakters, die nur durch die vollkommene Abwesenheit von Zweifeln ermöglicht wird“. Und so versteht es der (geistige) Adel der Parallelaktion von oben allen anderen zu zeigen, dass sie in Wahrheit dasselbe wollen und alle Widersprüche Kakaniens sich in einem großen Gedanken, wir würden heute von einem Slogan sprechen, auflösen lassen: „We can“, „Wir schaffen das“, „Zusammen gegen Corona“, „Frieren für die Freiheit“ oder eben „Friedenskaiser“. So ist sich der Kopf der Parallelaktion sicher, „daß die wahre, tiefer verstandene bürgerliche Welt nichts anderes sei, als was er selbst meine“. Und auch „der wahre Sozialismus“ – die scholzsche Kanzler Sozialdemokratie z.B. – stimme mit der Idee der Parallelaktion überein. „Wir alle sind im Innersten Sozialisten“, das könnten wohl auch die Philanthropen des World Economic Forum von sich sagen; nur dass eben die Wege unterschiedlich sind und Parallelaktionen eben nur Parallelaktionen.

 

[1] Gegenüber der exakt getakteten Fernsehzeit der DFB-Pokal Spiele müssen wir bei den doch meist schon etwas in die Jahre gekommenen Kirchgänger mit fünf Minuten etwas Spiel lassen. Außerdem sind die Kirchen – na ja, die evangelischen halt – natürlich viel woker und legen da gegenüber dem DFB schon noch eins drauf.

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