Inside Kakanien I.2: Anstrengende Zeiten

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Moderne Städte fordern uns etwas ab. Oder sollten wir sagen moderne Zeiten? Sie sind anstrengend. „Könnte man die Sprünge der Aufmerksamkeit messen, die Leistungen der Augenmuskeln, die Pendelbewegungen der Seele und alle die Anstrengungen, die ein Mensch vollbringen muß, um sich im Fluß einer Straße aufrecht zu halten, es käme vermutlich – so hatte er gedacht und spielend das Unmögliche zu berechnen versucht – eine Größe heraus, mit der verglichen die Kraft, die Atlas braucht, um die Welt zu stemmen, gering ist, und man könnte ermessen, welch ungeheure Leistung heute schon ein Mensch vollbringt, der gar nichts tut.

Er“, der das Unmögliche zu berechnen sucht, ist der Musilsche Held, der Mann ohne Eigenschaften, der aus seiner Gelehrtenwohnung in einem „kurzflügeligem Schlößchen“ inmitten eines Parks aus dem siebzehnten Jahrhundert auf die Straßen Wiens guckt. Und er kommt dabei zu „zwei Schlüssen“: 

Die Muskelleistung eines Bürgers, der ruhig einen Tag lang seines Weges geht, ist bedeutend größer als die eines Athleten, der einmal im Tag ein ungeheures Gewicht stemmt; das ist physiologisch nachgewiesen worden, und als setzen wohl auch die kleinen Alltagsleistungen in ihrer gesellschaftlichen Summe und durch ihre Eignung für diese Summierung viel mehr Energie in die Welt als die heroischen Taten: ja die heroische Leistung erscheint geradezu winzig, wie ein Sandkorn, das mit ungeheurer Illusion auf einen Berg gelegt wird.

Die „Eignung für die Summierung“, dem (solidarischen?) Aufgehen im großen Ganzen, natürlich vorausgesetzt. Und das Smartphone war noch gar nicht erfunden! „Vielleicht ist es gerade der Spießbürger“, spekuliert Musils Held weiter, „der den Beginn eines ungeheuren neuen, kollektiven, ameisenhaften Heldentums vorausahnt? Man wird es rationalisiertes Heldentum nennen und sehr schön finden.“ 

Alles geriet in Bewegung. „Man wusste nur nicht, wohin. Man konnte auch nicht recht unterscheiden, was oben und unten war, was vor und zurück ging.“ Rechts oder links? „’Man kann tun, was man will;’ sagte sich der Mann ohne Eigenschaften achselzuckend ’es kommt in diesem Gefilz von Kräften nicht im geringsten darauf an!’“ Oh, oh, das klingt nach Überdruss und einem wuselig geschäftigen Lock-down.