Über Städten kann sich etwas zusammenbrauen. Vor allem über großen. Mehr als über anderen menschlichen Siedlungen. Bei Musil braut sich etwas Schreckliches zusammen: es ist Wien, August 1913, die Katastrophe des Großen Kriegs ist atmosphärisch zu spüren. Wir dürfen uns fragen, ob wir darin etwas wiedererkennen. Ob die nächste Katastrophe über uns heranschwebt.
Ich will nicht auf die Kunst des Anfangs des Romans, das vielbesprochene „barometrische Minimum“ über dem Atlantik reden, das ostwärts auf das „über Russland lagernden Maximum“ zutrieb. Auch nicht auf die Frage, ob man Städte wie Wien an ihren Geräuschen oder ihren Bewegungsmustern erkennen kann. Denn zu erkennen, „welche besondere Stadt das [jeweils] sei“, ist bedeutungslos und „lenkt von Wichtigerem ab“. Große Städte sind im Wesentlichen gleich, sie bestehen „aus Unregelmäßigkeit, Wechsel, Vorgleiten, Nichtschritthalten, Zusammenstoßen von Dingen und Angelegenheiten, bodenlosen Punkten der Stille dazwischen, aus Bahnen und Ungebahntem, aus einem großen rhythmischen Schlag und der ewigen Verstimmung und Verschiebung aller Rhythmen gegeneinander“; sie gleichen „einer kochenden Blase, die in einem Gefäß ruht, das aus dem dauerhaften Stoff von Häusern, Gesetzen, Verordnungen und geschichtlichen Überlieferungen besteht“.
Einer der Zusammenstöße ist der zwischen einem Menschen und einem Lastwagen. Der Mensch scheint zu Tode gekommen zu sein. Ein feines Pärchen wurde aufmerksam. „Die Dame fühlte etwas Unangenehmes in der Herz-Magengrube, das sie berechtigt war für Mitleid zu halten: es war ein unentschlossenes, lähmendes Gefühl“, großstädtisches, bourgoises Mitleid eben. Der feine Herr erklärt: „Diese schweren Kraftwagen, wie sie hier verwendet werden, haben einen zu langen Bremsweg.“ „Die Dame fühlte sich dadurch erleichtert und dankte mit einem aufmerksamen Blick. Sie hatte dieses Wort wohl schon manchmal gehört, aber sie wußte nicht, was ein Bremsweg sei, und wollte es auch nicht wissen; es genügte ihr, daß damit dieser gräßliche Vorfall in irgend eine Ordnung zu bringen war und zu einem technischen Problem wurde, das sie nicht mehr unmittelbar anging.“
Ja, so ist das wohl noch heute – wenn Sie wissen, was ich meine.
Das Pärchen gehört zu den besseren Leuten. „Sie gehörten ersichtlich einer bevorzugten Gesellschaftsschicht an, waren vornehm in Kleidung, Haltung und in der Art, wie sie miteinander sprachen, trugen die Anfangsbuchstaben ihrer Namen bedeutsam auf ihre Wäsche gestickt“ – natürlich haben wir das heute durch woke stylishness ersetzt – aber es gibt damals wie heute „nicht nach außen gekehrt, wohl aber in der feinen Unterwäsche ihres Bewußtsein“ das eingestickte Standesbewußtsein zu den Guten zu gehören.