Ich habe mitgemacht

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Ich kann nicht sagen wann die Aktion #ichhabemitgemacht bei twitter gestartet wurde. Irgendwann Anfang 2022? Sie sammelt Statements, die mehr oder weniger Prominente im Wesentlichen über Bürger geäußert haben, die sich gegen eine Corona-Impfpflicht und/oder die eigene Corona-Impfung entschieden hatten. Von der „Tyrannei der Ungeimpften“ war da zum Beispiel zu hören, von Asozialen oder Sozialschädlingen. Die Aktion hat seither viel Gegenwind bekommen: von einem Online-Pranger oder gar von Menschenjagd war die Rede.

Online-Pranger?

Ist das so? Das würde ja bedeuten, dass man die öffentlich und durchaus offensiv geäußerten Meinungen, nun nicht mehr wahrgenommen wissen wollte. Bislang hat meines Wissens niemand angemahnt, nicht richtig zitiert worden zu sein. Das meiste ging genau so durch die Medien, wurde nur zusammengesammelt, was ja gerade – jedenfalls in den meisten Fällen – für die mediale Präsenz vorgesehen war. Sollte nun eine/r bedauern, das so gesagt zu haben und sich damit an den Pranger gestellt sehen, dann kann die Berichtigung sicherlich aufgeführt werden. Die Initiatoren würden das vermutlich gerne aufgreifen, aber diesen Wunsch hat es meines Wissens noch nicht ergeben.

Der Vorwurf des Prangers ist deshalb etwas seltsam. Das, was man sagen wollte, wird eben nun nochmal unters Volk gebracht. Natürlich mit dem Ziel, die Äußerung und die- oder denjenigen, der sich so geäußert hat, bei den Rezipienten von #ichhabemitgemacht ausdrücklich bekannt zu machen. Ich selbst bin immer wieder erstaunt mit welcher Entschiedenheit – um nicht Aggression zu sagen – sich Leute geäußert haben, denen ich das so nicht zugetraut hätte. Der Sänger der Band Kraftklub z.B., Flexis Kummer, verblüfft mich, wenn er mir anbietet, „den Impfsaft höchstpersönlich in die Arme zu bolzen“. Aber er wollte das eben einfach mal loswerden. Oder Boris Palmer, der Oberbürgermeister von Tübingen, will mich „wenn nötig bis zur Beugehaft“ zum Impfen zwingen. Will er daran jetzt nicht mehr erinnert werden – das wäre doch gut! Ich fürchte aber, er meint, „genau so, hab ich’s gemeint!“

Auch Sarah Bosetti, die sich ebenfalls mit einer „schönen“ Äußerung bei #ichhabemitgemacht findet,[1] relativiert den Pranger-Vorwurf: „‚Ihr habt mitgemacht‘ taugt nur dann als Vorwurf, wenn die Sache, um die es geht, schlecht ist, was auf einen kollektiven Kampf gegen eine Pandemie nicht zutrifft.“ Und sie dreht den Vorwurf denn auch um: Ihr habt nicht mitgemacht, shame on you. Die Sache ist offenbar kompliziert und einer Untersuchung wert.

Medium Buch

Nun ist bei Rubikon ein Buch erschienen, das auf dem Buchdeckel ausdrücklich auf #ichhabemitgemacht und www.ich-habe-mitgemacht.de verweist: Marcus Klöckner, Jens Wernicke, „Möge die gesamte Republik mit dem Finger auf sie zeigen.“, Das Corona-Unrecht und seine *Täter (2022). Es wird in der Blase z.Z. ziemlich gehyped und weist sich auch als „Spiegel-Bestseller“ aus. Der Titel greift eine Äußerung von Nikolaus Blohme[2] auf und will selbst – anders als Blohme – gar nicht dazu aufrufen, jemanden „hervorzuheben“. Ist das Buch also die Aufklärung über #ichhabemitgemacht, die wir uns wünschen?

Erwartungsmanagement

Gut, wie finde ich nun das Buch? Kann ich’s empfehlen? Ich vergleiche es einfach mal mit meinen Erwartungen, die ich an die Autoren eines solchen Buchs stelle: Alles, was unter #ichhabemitgemacht so gesammelt wurde, muss, ganz im Sinne von Sarah Bosetti, mit dem, was wirklich war, verglichen werden. Was wissen wir übers Impfen oder glauben es jedenfalls zu wissen? Natürlich ist vieles umstritten. Ich würde also erwarten, dass man die Sache in ihrer Strittigkeit darstellt und damit die Gründe, die die unterschiedlichen Seiten für ihre Position vorbringen: wie steht es mit der Wirksamkeit der Impfung, von >90% wurde da gesprochen, sie soll(te) gegen Infektion und Infektiosität und dann gegen schwere Krankheitsverläufe schützen. Hat sich das bewahrheitet, was sind die Gründe, die für und gegen die jeweils vertretene Position vorgebracht werden. Dabei hätte man wohl auch auf die Auslastung der Krankenhäuser/Intensivstationen mit Corona-Patienten gucken und die Bewertungen der in 2021/22 festzustellenden Übersterblichkeit darstellen müssen.

Wer seine Position wirklich stark machen will, der muss zunächst die Argumente der anderen stark machen. Nur so nähern wir uns „der Wahrheit“. Zumindest ergibt sich daraus ein besseres Verständnis von Positionen, die daraus abgeleitet werden können, also z.B. dass man eine Impfung und sogar eine Impfpflicht für geboten hält. Gründe, die man nicht gut heißen muss, sind immer noch Gründe, auf die sich andere beziehen und die wir ernstnehmen sollten. Wenn wir – ich würde mich da natürlich dazu rechnen – die Sache anders sehen, dann sind das eben wir, die es anders sehen, nicht aber alle. „Die“ Wissenschaft gibt es auch gegen „die“ Wissenschaft nicht.

Ein gutes Beispiel scheint mir z.B. ein Argument von Hartmut Rosa. Er hat eine andere Meinung vertreten als ich. Und er hat mich aber mit einem Argument verwirrt, das, nun ja, eben ein gutes Argument ist. Er hat in einem Vortrag dafür argumentiert, dass auch die nachteilige Wirkung der Impfung für Einzelne kein zwingendes Argument gegen die Impfung sein muss: die Pflicht im Verteidigungsfall zum Militärdienst verpflichtet zu werden, ist zweifelsohne mit einem hohen Risiko verbunden, selbst tödlich betroffen zu sein: Soldaten müssen damit rechnen, verwundet zu werden oder gar zu „fallen“. Dennoch verpflichtet unsere Verfassung – wie viele andere Länder auch – (männliche) Bürger zum Militärdienst. Dass die Verfassung zugleich die Verweigerung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen zugesteht, nimmt dem Argument nicht per se seine Kraft – stärkt sie im Gegenteil sogar. Und natürlich kann man sich im Fall des Falles darüber streiten, ob es sich tatsächlich um einen Verteidigungsfall handelt. Das ist wiederum einem politischen Verfahren anheimgestellt.

Zurück zu meinen Erwartungen: Ein Vergegenwärtigung der aktuellen Diskussionslage dürfte dabei nicht das Ziel haben, ein abschließendes Ergebnis zu liefern. Es sollte nur zeigen, worüber mit welchen Argumenten gestritten wird. Und das Erste, was dabei vermutlich aufgefallen wäre, ist, dass die öffentliche, mediale Diskussion der Problemlage nicht gerecht wurde und wird. Man wird also fragen dürfen, ja fragen müssen, woher die Verengung des Blickfelds auf „alternativlose“ Maßnahmen rührte. Wie gesagt, es ginge dabei gar nicht darum, wer am Ende Recht behalten wird, sondern lediglich um die Ausblendung von Optionen.

Beispiel Lockdown

Man kann für oder gegen Lockdowns sein; aber ein Blick in die Lehrbücher der Epidemiologie zeigt sehr schnell, dass sie bis 2020 als weitgehend untaugliches Mittel für eine Pandemie-Eindämmung galten. Man kann jetzt natürlich eines Besseren belehrt worden sein – aber man hätte doch eine lebhafte Diskussion im Rahmen einer Nutzen-Schaden-Abwägung erwarten dürfen, wenn man bis 2020 davon ausging, dass eine eindämmende Wirkung nur in sehr begrenztem Rahmen erwartet werden könne. Die Kopie des chinesischen Vorgehens konnte sich jedenfalls nicht auf die Lehrbücher berufen. Ähnliches gilt für die Maskenpflicht.

Viele der wie in gesellschaftlicher Trance getroffenen Maßnahmen haben sich nun als weit weniger wirksam herausgestellt als „man“ sich ursprünglich davon versprochen hatte. Aber das ist eine andere Frage. Es geht weniger um das, was entschieden wurde, sondern wie die Diskussion geführt wurde. Wie es zu einer Verengung der Sicht auf eine scheinbar alternativlose Perspektive (eine contradictio in adiecto) kommen konnte, das ist die Frage, die wir beantworten müssen, um Vergleichbares in Zukunft zu verhindern. Leider haben die Autoren die Aufarbeitung der Auseinandersetzung außen vor gelassen, so dass es manchmal danach klingt, als wolle man die andere Position und nicht ihre Form kritisieren.

Andere Meinungen sind „covidiotisch“

Für die Impfung und die Impfpflicht gibt es Gründe, denen ja tatsächlich die Mehrheit der Bevölkerung weitgehend gefolgt sind. Aber eben nicht alle – und auch die Minderheit hatte ihre Gründe, die man nicht überzeugend finden muss, die aber nicht per se als böswillige Unterstellungen, Verschwörungstheorien oder unhaltbare Phantasien verwirrter Geister abgetan werden können. Das die Anderen sich auf andere „gute“ Gründe berufen konnten, zeigt schon ein Blick über die Landesgrenzen hinaus. Alle anderen – mit Ausnahme Österreichs – haben nicht ernsthaft die Impfpflicht diskutiert. Viele, keineswegs unzivilisierte „Reichsbürger“-Länder haben sich ausdrücklich dagegen positioniert.

Vor allem die Qualität der politisch medialen Auseinandersetzung ist verstörend und alarmierend. Systematisch wurden Andersmeinende durch immer und immer wieder wiederholte Diffamierungen als Covidioten, Asoziale, Verschwörungstheoretiker, Rechtsradiale, terroristische Geiselnehmer und Tyrannen herabgesetzt, beschimpft und sozial ausgegrenzt. Das Auffällige und durchaus Abstoßende an vielen der bei #ichhabemitgemacht und im Buch von Klöckner und Wernicke gesammelten Äußerungen ist ihre aggressive Entschiedenheit, selbstgefällige Moralisierung und unverhohlene Respektlosigkeit, die sie denen entgegenbringen, die anderer Meinung sind. Das ist der eigentliche Punkt, der nachgetragen wird und der sich in Zukunft nicht wiederholen darf.

Die Entgleisungen sind in Form und Menge beängstigend. Man muss darin nicht – wie die Autoren es tun – präfaschistische Tendenzen sehen. Aber es sollte uns wachrütteln. Wer aus der Geschichte lernen will, der muss sich auch hier dem Vergleich stellen. Mit Vergleichen von Maßnahmenkritikern mit Rechtsradialen, Nazi und Reichsbürgern war man schnell bei der Hand – das belegen auch die gesammelten Äußerungen. Selbst will und darf man nicht verglichen werden und von einer propagandistischen Verengung des Meinungskorridors, einer Cancel Culture mit offener (privatrechtlich ausgeübter und öffentlich gebilligter) Zensur und der Gefahr einer Schieflage der Gewaltenteilung mit mangelnder Korrektur durch die sogenannte Vierte Gewalt, trotz erheblicher grundrechtlicher Einschränkungen, will man nichts wissen.

Ernüchterndes Summary

Ich gestehe, dass ich von dem Buch enttäuscht bin, weil ich mir mehr erwartet und erhofft hatte. Wer einen Krimi lesen will und dann irrtümlich eine Autobiographie zur Hand nimmt, kann dann lange auf den Mord warten und sieht sich vielleicht enttäuscht. Selber schuld – kann man sagen. Also: Die Leser dürfen bei Klöckner/Wernicke jedenfalls nicht Aufarbeitung der unterschiedlichen Positionen erwarten. Die Autoren gehen hier wohl davon aus, dass das anderweitig zureichend erfolgt ist. Das mag sein. Aber damit verschwimmt leider das eigentliche Anliegen. Es geht eben nicht darum, dass viele bei der Frage der Impfung und Impfpflicht dem politischen Mainstream und der Regierungspolitik gefolgt sind – wie sollte uns das wundern. Es geht um die Qualität ihrer Äußerungen, ihren diffamierenden, respektlosen, manchmal offen aggressiven und undemokratischen Ton. In einigen Fällen heben die Autoren das auch hervor – z.B. bei Blohme selbst oder auch bei einem Beitrag eines BR-Journalisten, der den Impfgegner im Rahmen einer Glosse eine „chinesische“ Behandlung wünscht. Die Bewertung der Diskussionslage in den einzelnen Handlungsfeldern (Politik, Justiz, Medien …), die den eigentlichen Zitaten und ihrer Kommentierung vorangestellt werden, ist für meinen Geschmack etwas zu reißerisch oder alarmistisch, ohne dass ich darin einen konstruktiven Ansatz erkennen kann.

Das Verdienst liegt also vorrangig darin, dass die Sammlung der verstörenden Statements auf einem dauerhaften Medium erfolgt, mit Erläuterungen des Kontextes versehen werden und so als Dokument der Zeitgeschichte erhalten bleibt. Einige der Statements wurden inzwischen ja sang- und klanglos und vor allem ohne Begründung aus dem Netz genommen. Das wäre doch schade, wenn wir uns in einigen Jahren nicht mehr daran erinnern könnten, was da alles so gesagt wurde.

[1] Sie findet die von den Impfpflichtskeptikern als Gefahr heraufbeschworene Spaltung der Gesellschaft gar nicht so schlimm: „Wäre die Spaltung der Gesellschaft wirklich etwas so Schlimmes? Sie würde ja nicht in der Mitte auseinanderbrechen, sondern ziemlich weit rechts unten. Und so ein Blinddarm ist ja nicht im strengeren Sinne essentiell für das Überleben des Gesamtkomplexes.

[2] Er wird als Ressortleiter Politik und Gesellschaft bei RTL und n-tv und Online-Kolumnist bei Der Spiegel ausgewiesen.