Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. Vor allem wenn man sich blöd dabei anstellt. Ich hatte ein Interview mit Peter Singer gesehen, mich an eine seiner Thesen erinnert und wollte das Buch, in dem er sie ausführt, Kerstin schenken.
Peter Singer gilt als einer der einflussreichsten Philosophen der Gegenwart. Er hat zur Tierethik, zum Wesen von Personen und ihren Rechten und eben auch zu Gerechtigkeit und Armutsbekämpfung provokante Positionen formuliert. Statt nun Peter Singers Effektiver Altruismus, Eine Anleitung zum ethischen Leben[1] zu bestellen, hab ich ein Buch bestellt, das ähnlich klingt, aber „nur“ von einem seiner „Schüler“ ist. „Gut gemeint“, aber im Ergebnis ziemlich peinlich. William MacAskill ist auch ein Philosoph, kein australischer, sondern ein schottischer, der in Oxford lehrt und er ist „etwas“ jünger als Peter Singer und konzentriert sich ganz auf dessen Idee, eines „effektiven Altruismus“.
Give what you can
Während Peter Singer die Sache aber „philosophisch“ angeht, versucht William MacAskill eher den praktischen Konsequenzen aus der ethischen Position nachzugehen. Er will bestmöglich umzusetzen, was Peter Singer für ethisch geboten hält. Das Ziel lässt sich etwas plakativ auf die Formel bringen give what you can! Wir sind gehalten, alles (!), was wir haben und nicht „unbedingt“ zum Leben brauchen, denen zu geben, die es unbedingt brauchen.
Peter Singer gehört nicht gerade zu den mir besonders nahestehenden philosophischen Autoren. Er ist Utilitarist – und den Utilitarismus halte ich für falsch – und sein „naturalistisches“ Verständnis von Personen erscheint mir unangemessen und „gefährlich“. Aber: er ist eine Herausforderung für jeden Andersmeinenden, weil er seine Positionen mit starken Argumenten hinterlegt und in einer Haltung vorbringt, die zeigt, dass man Dinge eben aus guten Gründen anders sehen kann als man selbst. Man ist gut beraten, mit Peter Singer in einen ernstgemeinten Dialog zu treten, nicht zuletzt um die eigene Sache besser zu verstehen. An Peter Singer kann man sehen, dass man die gleichen Dinge kritisieren kann – Armut und Ungleichheit als Folge der kapitalistischen Wirtschaftsordnung – ohne damit schon einen Weg für sich reklamieren darf, die Dinge überzeugend zu verbessern. Wer sich ernsthaft der kantischen Frage „Was soll ich tun?“ stellt – oder „Wie will ich leben?“ – , der sollte sich auch mit der radikalen Forderung Peter Singers „give what you can“ auseinandersetzen.
Dafür taugt William MacAskills Gutes besser tun, Wie wir mit effektivem Altruismus die Welt verändern können nicht. Nicht weil es ein schlechtes Buch wäre. Im Gegenteil. Es wäre eben eine Themaverfehlung. Das Buch möchte nicht begründen, warum wir zu einem strikten Altruismus verpflichtet sind, sondern wie wir ihn „effektiv“ umsetzen können. Wer richtig leben und die Welt „zum Besseren“ verändern will – der muss mehr als „gute Absichten“ haben, er muss auch das Richtige und das meint für William MacAskill das Bestmögliche tun. Was das heißt und wie man seine „guten Absichten“ besser umsetzt, das will das Buch an vielen Beispielen vorführen.
Play-Pumps
Viele Menschen leiden weltweit an Wassernot. Sie müssen weite Wege zur nächsten Wasserstelle zurücklegen. Das Wasser kommt nicht aus der Leitung, sondern muss mühsam von Hand aus Brunnen gepumpt werden. Deshalb bilden sich vor den Brunnen oft lange Schlangen von meist Frauen mit ihren Kindern. Das brachte einen Gut-Meinenden auf eine Idee: Er entwickelte Karussell-Pumpen, die den Kindern als Spielgerät dienten und zugleich während ihres Spiels das Wasser nach oben schaffte. Alle fanden die prima, Sponsoren konnten gewonnen werden und diverse „Charity“-Organisationen unterstützten das Projekt. Es schien ein „bahnbrechender“ Erfolg, dem auch einige Ehrungen zuteil wurden. Doch bald verflog die Euphorie. Die Play-Pumps erwiesen sich als unzuverlässig. Die anfängliche Attraktion verstaubte, weil sie den Bedingungen der Menschen nicht gerecht wurde. Spiel und Spaß passte nicht zu den große Anstrengungen, die die Menschen für die Wassergewinnung auf sich nehmen mussten – nicht einmal den Kinder wurde man damit gerecht. Bald wurde klar, dass die Betroffenen sich die alten Pumpen zurückwünschten.
Ein anderes Projekt ging bei der Umsetzung der Ziele anders vor. Es wollte die Schulbildung afrikanischer Kinder verbessern. Man verfolgte mehrere Ansätze, die über randomisierte Vergleichstests überprüft wurden. In armen Ländern mangelt es oft – eigentlich fast immer – an Lehrmaterial. Was bringt es, jedem Schüler geeignete Schulbücher an die Hand zu geben. Der Vergleich mit ausgewählten Schulen, in denen dies gemacht wurde mit solchen, die diese Unterstützung nicht erhielten, zeigte schnell, das damit keine nennenswerte Verbesserung erreicht werden konnte. Alle freuten sich (zunächst) über die Bücher, aber alles blieb beim Alten. Ähnliche Versuche unternahm man mit der besseren Ausstattung der Schulen/Klassenzimmer und der Verbesserung des Betreuungsschlüssels bei den Lehrern. Wieder weitgehend ohne Effekt. Also nichts zu machen? Selbst das wäre ein wichtiger Gewinn, denn die Mittel sind knapp und sollten dann an anderer Stelle eingesetzt werden. Aber es wurde schließlich ein Weg gefunden, die Schulbildung deutlich zu verbessern und zwar auf denkbar kostengünstige Weise, die weit über die Schule hinausstrahlte. Haben Sie eine Vermutung? Es war eine Wurmkur! In vielen Ländern leiden die Menschen unter Darmwürmern, die zwar nicht lebensgefährlich sind, die Aktivitäten aber deutlich beeinträchtigen und immer wieder zu Ausfällen führen. In wenigen Wochen konnten mit der „Entwurmung“ über kostengünstige Medikamente eine nachhaltige Verbesserung der Lebenssituation in den untersuchten Dörfern erzielt und die Schulbildung der Kinder effektiv verbessert werden.
Verdoppelung
Zwei Dinge sind für die Hilfe zu bedenken: 1. Wir gehören in den westlichen Gesellschaften zu den 20%, die den größten Anteil am Reichtum haben. Daraus ergibt sich für jeden die Aufgabe, einen Teil seines Einkommens für Hilfsleistungen zur Verfügung zu stellen. Dennoch sind 2. die Ressourcen knapp und müssen effektiv eingesetzt werden. Wir müssen abschätzen – gleich einer Triage – wem wir wie zuerst helfen.[1]
Dabei spielt der Grenznutzen eine entscheidende Rolle: Gibt man jemanden 500 Euro, der z.B. ein Durchschnittseinkommen von 35.000 Euro hat, dann tut man vermutlich etwas gutes und der Beschenkte freut sich. Er legt es vielleicht in die Reisekasse oder kauft sich doch die neue Kaffeemaschine, mit der er ansonsten noch etwas gewartet hätte. Vergleichen wir den Effekt nun damit, dass wir die selbe Summe einem indischen Wanderarbeiter geben, der auf ein Jahreseinkommen von 1.000 Euro kommt. Wir können ganz grundsätzlich sagen: wenn wir das Einkommen von Betroffenen verdoppeln (d.h. beim Mr. Mustermann von 35.000 auf 70.000 Euro und beim Wanderarbeiter von 1.000 auf 2.000 Euro) erzielen wir – trotz unterschiedlicher Lebensbedingungen – annähernd den gleichen Effekt. Das bedeutet wiederum, dass wir große Wirkungen mit vergleichsweise kleinen Einschränkungen bewirken können.
Viele „gute Dinge“, die wir unternehmen, sind tatsächlich nicht effektiv und manchmal sogar kontraproduktiv. William „kritisiert“ deshalb gut gemeinte Hilfsmaßnahmen, die den beabsichtigten Effekt nicht wirklich erreichen: für engagierte Mitarbeit, Fair-Trade Initiativen, Verbot von Sweat-Shirt-Shops und Klimaschutz-Initiativen kann William MacAskill zeigen, dass hier viel Luft nach oben besteht. In vielen Fällen zeigt sich, dass die beste Hilfe nicht selten durch die Unterstützung der Arbeit „professioneller“ Organisationen erfolgt. Effektiver Altruismus heißt: Verdienen, um zu geben – und zwar so viel wie möglich! Verdoppeln Sie ihr Einkommen und vervierfachen Sie ihre Unterstützung! That’s it.
Letztes Wort?
Mich kann der Ansatz des „effective altruism“ nicht wirklich überzeugen. Ich finde die Überlegungen von William MacAskill natürlich aller Ehren wert und sehr bedenkenswert. Die methodische und an der Wirklichkeit der Betroffenen ausgerichtete Ansatz scheint mir naheliegend. Aber er betrifft „nur“ die richtige „technische“ Mittel Bewertung. Dagegen zeigt die philosophische Bewertung einige tiefgreifende Schwächen.
Circulus vitiosus
Altruismus ist per se kein tragfähiges Prinzip der ethischen Beurteilung. Es gründet in einem „Teufelskreis“ oder einem circulus vitiosus: etwas selbstlos für jemanden zu tun, setzt voraus, dass das, was man zu tun beabsichtigt, wirklich gut ist. Dass etwas gut für jemanden ist, qualifiziert es nicht als etwas Gutes. Auf ein eigenes Gut verzichten zum Wohle eines anderen ist nur dann gut, wenn das eigene Gut aufgegeben werden darf/soll. Geben mag seliger sein als nehmen, aber das Geben braucht ein Nehmen, das selbst gerechtfertigt werden kann (und auf die eigene Seligkeit verzichtet?). Und jedes Geben ist ein Nehmen, insofern was man dem einen gibt, dem anderen nicht geben kann. Das letzte Ziel des eigenen Tuns im Gut anderer zu sehen ist widersprüchlich. Effektiver Altruismus ist „professioneller“ als „gut gemeinter“, bleibt aber als „Altruismus“ ethisch privativ. Da William MacAskill wie selbstverständlich davon ausgeht, dass ein utilitaristisch ausgerichteter Altruismus wünschenswert ist, bleibt er uns auch die richtige Einordnung altruistischer Absichten in die ethische Bewertung von Handlungen schuldig.
Ethische Technokratie
Der effektive Altruismus setzt sich andererseits dem Einwand aus, ethische Fragen in technologische aufgehen zu lassen. Die Verantwortung für Handlungen – im Falle des effektiven Altruismus den effektiven Mitteleinsatz – beruht beim effective altruism auf der Idee, man könne die Wirkungen von Handlungen vollständig berechnen und wertfrei bewerten. Die tendentiell globale Ausweitung der Verantwortung von Handlungen führt letztlich zur Verantwortungslosigkeit. Handlungen haben Ziele und die Bewertung der Ziele muss zwangsläufig unter Abdunkelung von Nebenfolgen erfolgen. Alle Folgen der Handlungen zu ermitteln, heißt die Handlung, die bewertet werden soll, aus dem Blick verlieren. Nebenfolgen sind auf relevante Nebenfolgen zu begrenzen. Und die Relevanz bezieht sich auf die grundlegenden Zielsetzungen der Handelnden. Nebenfolgen können unerwünscht, aber vorteilhaft und sie können nachteilig, aber hinnehmbar sein. Alle (Neben-)Folgen einer Handlung erheben zu wollen, ist unmöglich – die Erhebung von Nebenfolgen produziert selbst wieder welche – und unsinnig. Solche „Effektivität“ überfordert den Menschen und macht ihn handlungsunfähig.
Motivation
Zumindest erhöht sie nicht unbedingt die Motivation. William MacAskill berichtet selbst von einem Einsatz, den er in frühen Jahren in Äthiopien hatte. Seine Wirksamkeit bewertet er selbstkritisch als sehr gering: er war alles andere als effektiv. War er deshalb unmoralisch, weil er einen „falschen Mitteleinsatz“ zeigte? Vielleicht ließ er sich durch seine „moralischen Empfindungen“ zu etwas hinreißen, was man hätte besser tun können. Aus eigenen Fehlern kann man lernen. Dagegen ist natürlich nichts zu sagen. Aber vor allem hat der Einsatz in Äthiopien sein Leben grundsätzlich verändert. Der direkte, erlebte Kontakt mit dem Elend der Menschen, hat ihn dazu motiviert, diesem Elend so gut es geht zu begegnen und sein eigenes Leben unter eine moralische Maxime zu stellen. Solche Erlebnisse sind von entscheidender Bedeutung, obwohl sie vielleicht nicht „effektiv“ sind.
Wenn der effektive Altruismus uns dazu auffordert give what you can, dann braucht der Einzelne Wissen und das heißt eine lebensgestaltenden Kraft, die ihm zum Geben motiviert. Verdienen, um zu geben, gelingt nur – dafür gibt William MacAskill selbst Beispiele genug – wenn das Verdienen als Geben selbst die Kraft der eigenen Lebensführung wird. Alles andere ist bunte Charity-Werbung. Auch für den effektiven Altruismus gilt, das gut gemeint ethisch eben nicht ausreichend ist.
[1] William MacAskill beschreibt sehr eindrücklich, die normale Arbeit in einem äthiopischen Krankenhaus, bei der jeden Tag überlegt werden muss, wer als erster mit welchem Aufwand behandelt werden kann. So geht es auch dem, der als Altruist wirklich und d.h. nach MacAskill effektiv helfen will.
[2] dt. 2016.