„Not und Gebot“ ist ein persönliches Buch. In ihm spricht einer, der „heimatlos“ zu werden droht, der empört und wütend ist über das, was mit dieser Gesellschaft in nur wenigen Wochen geschah. „Noch nie in der Geschichte ist das Leben der Menschen außerhalb von Gefängnissen so strikt reguliert worden wie in der Corona-Zeit.“ Das Sitzen auf Parkbänken war (und ist nun in einigen Orten wieder) verboten, das Singen in Kirchen,
Die menschliche Begegnung wurde kriminalisiert. „Auf Millimeterpapier“, wie Prantl sagt, wurde das Verhalten der Bevölkerung durch Regierung und Verwaltung festgelegt. Parlamente wurden weitgehend bedeutungslos.
Der Schutz des Gesundheitssystem scheint nur noch eine Richtung zu kennen – den Schutz vor Patienten. Es wurde Jahre lang krankgespart und niemand denkt nun an seine Therapie. Krankenhäuser werden weiter geschlossen und kommen nicht zuletzt durch die Pandemie-Maßnahmen noch stärker unter Druck. Es ist so weit, dass „Grundrechte als Ballast und als Gefahr gelten im Kampf gegen COVID-19“.[1] Prantl berichtet vom Brief eines Lesers, der ihn auffordert „doch endlich einmal mit Ihren Grundrechten“ aufzuhören. Auf den Hinweis, dass es nicht um „seine“ Grundrechte, sondern die aller gehe, bekam er die ernüchternde Antwort: „Ein guter Impfstoff gegen COVID-19 sei ihm jetzt lieber als der Grundrechtekatalog“[2]
Sagen Sie mal, sind Sie eigentlich Faschist?
Ja, wer sich auf Grundrechte beruft, der macht sich verdächtig. Heribert Prantl zitiert den Liedermacher Franz Josef Degenhardt und seine Befragung eines Kriegsdienstverweigerers: „Grundgesetz, ja Grundgesetz, ja Grundgesetz! Sie berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz. Sagen Sie mal, sind Sie eigentlich Kommunist?!“ Wer sich in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts aufs Grundgesetz berief, der wurde schnell verdächtigt, ein Kommunist zu sein. Wer heute das Grundgesetz hoch hält, der wird als „querdenkender“ Covidiot verleumdet, als Verschwörungstheoretiker und Corona-Leugner, eine Abwandlung des Holocaust-Leugners, also rechtsradikal, antisemitisch und rassistisch. Ist das nicht naheliegend? Lieben nicht Faschisten und Rassisten das Grundgesetz ganz besonders?! Das Grundgesetz als Programmschrift der Faschisten und Reichsbürger, das ist ein so unfassbarer Blödsinn, dass man sich nur kopfschüttelnd abwenden kann.[3]
Demokratischer Rechtsstaat
Die Bundesrepublik Deutschland nennt sich zurecht demokratisch. Sie ist nach einer langen Geschichte des Kampfes stolz, es nun endlich schon seit geraumer Zeit zu sein. Demokratie ist freilich nur ein Teil. Die Bundesrepublik ist vor allem ein demokratischer Rechtsstaat. Die demokratische Mehrheit ist ans Recht gebunden, nämlich vor allem die Grundrechte. Die Rechte aller – und vor allem von (Meinungs-)Minderheiten sind durch das Grundgesetz geschützt. Auch die Mehrheit darf Menschenrechte nicht außer Kraft. Das aber ist gerade der Fall. „Mit begründungslosen Verordnungen hat die Verwaltung die Versammlungs- und Religionsfreiheit aufgehoben, die Freizügigkeit abgeschaltet, gewerbliche Tätigkeiten massiv beeinträchtigt, das Recht auf Bildung und Erziehung verdünnt; alte und behinderte Menschen wurden nur noch unzureichend versorgt.“
Gerade in Krisenzeiten sind Grundrechte entscheidend. Gerade dann, wenn die Exekutive hart durchgreifen kann (und soll), müssen die Grundrechte gewahrt und geschützt werden. Vor allem der „politische Selbst-Lockdown des Parlaments“ wird von Heribert Prantl beklagt. Er spricht von einer „untergesetzlichen Parallelrechtsordnung“. Es wurde „geduldet, dass per Verordnung Grundrechte auf- und zugedreht wurden – gerade so, als hätte ein Grundrecht Armaturen wie ein Wasserhahn“.[4] Grundrechte sind aber nicht von Regierungen gnädig zu gewähren; sie sind an sie gebunden und wir haben sie gerade als Schutz vor ihnen.[5]
Verhältnismäßigkeit
Ganz im Sinne der Überlegungen hier auf PzZ beharrt Heribert Prantl auf der unbedingten Gültigkeit der Grundrechte. Dabei lässt er dahingestellt, welche Maßnahmen wie gut gegen die Pandemie greifen. Allerdings gilt der Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit, gegen den die Maßnahmen der Pandemiebekämpfung elementar verstoßen. Gerade das medizinische Gebot primum non nocere wurde sträflich mißachtet. Die Behandlung einer Krankheit darf keine Erkrankung hervorrufen, die schlimmer ist als die zu behandelnde. Keine Maßnahme zur Bekämpfung einer Gefahr, darf größeren Schaden verursachen als den, den sie abwehren soll. Dazu müsste der resultierende Schaden freilich allererst bewertet oder überhaupt in Erwägung genommen werden. Das ist nicht erfolgt und wurde mit dem Argument des Lebensschutzes weggewischt. Das ist Unsinn. Denn wer Leben schützen will, der muss zeigen, dass das, was er tut, diesen Schutz auch tatsächlich erreicht. Keine der Maßnahmen wurde aber auf ihre Wirkung und Gegenwirkung wirklich untersucht. Auf den bloßen Verdacht, dass Lockdowns und Masken schon irgendwie helfen werden, wurden Grundrechte ausgehebelt und verheerende Kollateralschäden hervorgerufen.
Unterstellen wir, dass Masken „irgendwie“ helfen, dann wäre doch zu zeigen wie stark sie wirklich schützen. Wie stark verringert sich die Wahrscheinlichkeit einer Infektion für den Einzelnen durch das Tragen von Masken? 50%, 20% oder doch nur 1%?[6] Wie hoch ist die Wirkung eines Lockdowns? Nicht nur verlässliche Studien wie z.B. die von John Ioannidis, eines der weltweit (!) führenden Epidemiologen, zeigen hier eher nachteilige Wirkungen auf das Erkrankungsgeschehen. Seit einem Jahr beschränkt sich die Datenerhebung aber weitgehend auf die Feststellung von höchst fragwürdigen Testergebnissen.[7] Vergleichen wir die Zahlen aus Schweden und Deutschland zum 10.04.2021:[8] in Schweden starben 1.342 Menschen an oder mit SARS-CoV-2 pro 1 Million Einwohner; in Deutschland waren 937. Das entspricht einer Mortalität von 0,134% in Schweden und 0,0937% in Deutschland. Unter den schwedischen Bedingungen zu leben erhöht die Wahrscheinlichkeit an oder mit SARS-CoV-2 zu sterben also um 0,04%! Ist das also die Wirksamkeit der deutschen Maßnahmen? Bei welcher Wirkung?!
Kinder
Schulen und Kindergärten wurden und sind nach wie vor weitgehend geschlossen. Wochenlang waren auch alle Spielplätze für Besucher gesperrt. Immer noch ist sportliche Betätigung weitgehend eingeschränkt – anders als die Fußball-Bundesliga dürfen die Sportvereine nicht spielen oder trainieren.
Die Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder sind unabsehbar. Der Schaden für die Kinder, das Leid der Familien, die Langzeitfolgen für Bildung und Entwicklung der Kinder, ihre leibliche, soziale und psychische Gesundheit wurden nicht bewertet. Sie waren und sind immer noch nahezu gleichgültig. Vertreter der „harten“ Pandemiebekämpfung zeigen sich völlig unbeeindruckt von dem Recht der Kinder; Kinder werden als Gefahr für die „öffentliche Gesundheit“ betrachtet! Viele derer, die Kinderrechte ins Grundgesetz aufnehmen wollen, haben sich durch ihr politisches Verhalten zu Zeiten von Corona desavouiert. Wenn gegen etwas verstoßen wurde, dann dass „bei allen staatlichen Maßnahmen das Kindeswohl vorrangig (!) berücksichtigt werden muss“.[9] Es sind solche Hinweise, die in mir bei der Lektüre von Prantls Buch immer wieder hilflosen Zorn aufkommen ließ. Ja, „man“ hat die Kinder vergessen – und wo man von ihnen sprach, dort hat man ihre Sache zurückgestellt, abgetan und als Gesundheitsgefahr herausgestellt.
Die Alten
Das alles sollte dem Schutz der Alten und sogenannten vulnerablen Gruppen dienen. Es ist nicht sonderlich gut gelungen. Das Sterbealter liegt bei deutlich über 80 Jahren und damit über der durchschnittlichen Lebenserwartung. Aber selbst bei alten Menschen waren insbesondere solche betroffen, die bereits schwere Vorerkrankungen aufwiesen. Gut die Hälfte aller Toten sind Bewohner von Alten- und Pflegeheimen.
Gerade der Umgang mit alten, pflegebedürftiger Menschen wird von Heribert Prantl scharf kritisiert. Eindringlich schildert er wie er selbst – lange vor Corona – von seinen Eltern Abschied nehmen konnte. Es sei für ihn völlig undenkbar, dass ihm dieses nicht möglich gewesen sein sollte. Die fürsorgliche Begleitung der Sterbenden wurde dann den Angehörigen freilich durch die Bevormundung der Regierenden verboten. Die Sterbenden wurde ein- und die Angehörigen ausgesperrt. Prantl spricht vom Sterben in Corona-Zeit, nicht „mit oder an“ COVID-19 allein, auch „einfach so“. Alte Menschen sterben und sie sollten es nicht vereinsamt, weggesperrt und in Zwangsisolation tun müssen. Er berichtet von Sterbeerfahrungen, von denen ihm Leser als betroffene Angehörige erzählten, die ihn aufwühlen und an Recht und Ordnung zweifeln lassen. Das Gerede vom Schutz der Alten und der Solidarität entlarvt sich dabei als moralische Überheblichkeit, in der sich vor allem die Gleichgültigkeit gegenüber der Würde des Menschen und seines Sterbens ausdrückt.
Kirche wird assimiliert
Auch die Kirchen stellen sich dem nicht entgegen. Ich teile mit Heribert Prantl offenbar auch den katholischen Glauben und die Kritik an den pandemischen Kirchen. An mehreren Stellen greift Heribert Prantl kritisch die Rolle der Kirche in der Corona-Krise auf. Gleich zu Beginn spricht er davon, dass Ostern „entfestlicht und Weihnachten entweihnachtet“ wurde.[10] Selbst in den bittersten Zeiten der Deutschen Geschichte sei kein so fundamentaler Eingriff in die Ausübung der Religionsfreiheit vorgenommen worden – auch in den schlimmsten Kriegstagen waren Gottesdienste erlaubt. Nun wird der lobpreisende Gesang – auch unter schärfsten Hygiene-Auflagen – verboten ohne dass die Kirchen sich dazu kritisch äußern. Den Kirchen war mehr darum zu tun, den auferlegten Hygieneverordnungen der Regierenden gehorsam und beflissen zu folgen als „ihrer Heiligen Schrift. Sie haben sich in der Krise kleingemacht. Sie haben nicht protestiert, als die Sterbenskranken in den Kliniken einsam und allein sterben mussten.“[11] Kirchen haben sich als Teil des Hygieneapparats verstanden, haben sich von den Familien und Kinder, Alten und Kranken abgewendet und sich maskiert. „Nächstenliebe bestand in der Erfüllung, in der eifrigen Übererfüllung der staatlichen Verordnungen.“[12]
Und die Linke?
Eigentlich kann man nur fragen: welche Linke? Links von Merkel & Söder war vor allem ideenlose Willfährigkeit, die durch Solidaritätsbeschwörungen die Gnadenlosigkeit der Maßnahmen rechtfertigen wollte. Links war fast nur der Ruf nach noch härteren Maßnahmen zu hören und die Beschimpfung kritischer Bürger, die ihre verfassungsrechtlich verbürgten Rechte ausübten, als Corona-Leugner und Covidioten. Solidaritätsgequatsche hat tatsächliche Solidarität erstickt, den Sinn für die Würde menschlichen Lebens und Sterbens. „Im Kampf gegen das Virus wurden Maßnahmen ergriffen, die vor Corona niemand für möglich gehalten hätte. Grundrechte wurden eingeschränkt – in einer Massivität wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Bürgerinnen und Bürger lebten in der Krise fast wie im Exil im eigenen Land …Ein Vers von Hölderlin kommt einem in den Sinn. ‚In diesem Lande leben wir, wie Fremdlinge im eigenen Haus‘.“[13]
Grundrechte sind kein „bürgerlicher“ Luxus. Sie sind in Jahrhunderten erkämpft worden, sie sagen aus, wofür wir „grundsätzlich“ stehen, was uns schützenswert ist und wofür wir eintreten und „kämpfen“. Das was den Menschen und seine (politische) Gemeinschaft ausmacht, wird durch sie zum Ausdruck gebracht.
Deshalb fordert vor knapp 2.500 Jahren Heraklit: „Kämpfen muss das Volk für Recht und Gesetz wie für die Stadtmauer“, nämlich als Schutz des Gemeinwesens und jedes einzelnen Bürgers in ihm.[14] Das wusste die alte Linke noch und hat dafür gekämpft. Die neue Linke misst sich nur noch am Faschismus.
[1] S. 8.
[2] S. 12.
[3] Auch die Gleichsetzung von Reichsbürgern und Faschisten, Neo-Nazis oder Rassisten ist vermutlich ziemlicher Bullshit – aber wenn’s hilft, dann wird’s wohl stimmen.
[4] S. 9.
[5] S. 10.
[6] Meist wird auf Maskenexperimente im Labor hingewiesen, bei dem sich ein „gewisser“ Schutz ergeben soll – indem man z.B. die Aerosole misst. Welche Wirkung sich auf das Infektionsgeschehen zeigt, bleibt dabei unbeantwortet. Der Alltagsgebrauch von Masken, der sich von den Laborbedingungen signifikant unterscheidet (unsachgemäße Nutzung z.B. oder Wiederverwendung), wird dabei in der Regel nicht betrachtet. Wo das geschieht – etwa bei Vergleichen von Regionen mit und ohne Maskenpflicht – zeigt sich ein völlig anderes Bild.
[7] Fragwürdig u.a. weil das RKI weder Auskunft darüber geben kann, welche der unzähligen, von den Hersteller selbst „zertifizierten“ Test, verwendet wurden noch wie die Tests durchgeführt wurden (bekanntlich sind alle PCR-Tests, die auf Zyklen der Reproduktion beruhen, mit mehr als 25 Durchläufen nicht mehr aussagekräftig). Wäre es nicht schön, wenn wir uns selbst ein Führerschein-Zertifikat ausstellen dürfen oder uns als selbst als COVID-19 positiv oder negativ „zertifizieren“. Die Hersteller der Tests dürfen das – darauf verläßt sich das RKI und die Politik. Ist das nicht wunderbar?!
[8] Cf. https://www.worldometers.info/coronavirus/
[9] Cf. S. 64.
[10] S. 7.
[11] A.a.O., S. 29.
[12] A.a.O., S. 111.
[13] A.a.O., S. 95f.
[14] Heraklit Fragment B44: µάχεσθαι χρὴ τὸν δῆµον ὑπὲρ τοῦ νόµου ὅκωσπερ τείχεος.