Erschreckende Zahlen

Lesedauer 4 Minuten

Das Robert Koch Institut (RKI) liefert erschreckende Zahlen. Die Infektionsrate steigt wieder, rund tausend positiv Gesteste pro Tag. 

Es wird konsequent getestet. In den Wochen 13 und 14 mit den höchsten Zahlen positiver Getesteter (31.000 bzw. 36.000) wurden rund 400.000 Test durchgeführt und die Rate der Positivgetesteten lag bei etwa 9% – also aufgerundet jeder zehnter Test war positiv. Inzwischen wurde die Teststrategie verändert und die Anzahl der Tests deutlich erhöht (auf rund 670.000). Die Tests zeigen steigende „Infektionen“, also positiv Getestete. Die Rate der positiven Tests ist dabei (erwartungsgemäß) auf 1% gesunken, d.h. nur jeder hundertste Test schlägt positiv an (dabei ist die Testungenauigkeit gar nicht berücksichtigt, die etwa bei 1% „falsch positiv“ liegt). 

Man kann nun sagen, das ist wenig verwunderlich, wer viel sucht wird viel finden. Fragen wir hundert Menschen nach der Hauptstadt von Neuseeland werden uns vielleicht fünf mit „Wellington“ antworten – ich bin mal optimistisch. Fragen wir zweihundert, dann erhöht sich die Zahl vielleicht auf zehn, zeigt aber natürlich keinen Anstieg der Allgemeinbildung an. Wir haben eine Verdoppelung der richtigen Antworten – sind aber so klug oder blöd wie zuvor. 

Bei den Test auf SARS-CoV-2 scheint die Sache freilich kritischer: wer positiv getestet ist, könnte erkranken! Es steht zu befürchten, dass der Anstieg der „Infektionen“ zu einem Anstieg der schweren Erkrankungen führen wird. Das müsste in zwei drei Wochen sichtbar werden. Davon sehen wir – mit Blick auf die Zahlen des RKI – nichts. 

Die ansteigenden Zahlen in den vorhergehenden Wochen führen weder zu einem Anstieg der Hospitalisierungen noch der Anzahl von an oder mit COVID-19 Gestorbenen. In der KW 33 wurden ca. 320 COVID-19 Patienten in Krankenhäusern behandelt (davon ca. 220 intensivmedizinisch) und 4 sind an oder mit COVID-19 verstorben. Der Anstieg der positiv Getesteten, der seit der KW 28 verzeichnet wird, hat die Zahlen bei den Hospitalisierten bzw. Verstorbenen nicht nennenswert verändert (die Zahl der Verstorbenen ist sogar weiter gesunken).  

Die Anzahl der positiv Getesteten steigt, doch die Erkrankungen bleiben niedrig. Das Ziel „flatten the curve“ ist wie man sieht offenbar längst erreicht. Bringen wir die Anzahl der Tests mit den tatsächlichen Erkrankungen und Todesfällen ins Verhältnis und legen die Zahlen übereinander, zeigt sich ein Mißverhältnis, das kaum mehr darstellbar ist: 

Was hat das alles mit „Philosophisches zur Zeit“ zu tun? Wir müssen überlegen, was uns Angst macht und wie wir uns zur Angst verhalten sollen. Das ist wirklich einiger Überlegung wert. 

Anders sieht die Sache in Spanien aus. Leider. Dort steigen die positiv Getesteten seit zwei Wochen an (von 200 am 20. Juli auf etwa 6.600 am 19. August) und diesem Anstieg folgt auch die Anzahl der Verstorbenen (von 5 auf 127). Das muss man auch verstehen. Auch. 

 

P.S.: Wissen Sie eigentlich, was ein PCR-Test kostet? Ich wusste es bis heute nicht. Laut Ärzteblatt kostet er seit 1. Juli 39,40 Euro (vorher knapp 52). Das macht bei 672.000 Test in der KW 33 … rund 26 Millionen. Also für eine Woche. Da muss man lange für arbeiten!

P.P.S. (am 23.08.2020): Auch der heutige Observer macht sich inzwischen Gedanken über das Mißverhältnis des Anstiegs von „numbers of cases of COVID-19“ (?) und den „relatively low numbers of deaths and also severe complications„. Er fragt: „What lies behind this trend?“ und antwortet: „Doctors are unsure what is going on.“ Allerdings gibt es bei ihnen laut Observer zwei Vermutungen: die eine geht von inzwischen besseren Behandlungsmethoden aus (der Rückgang der Hospitalisierungen ist also Resultat der ärztlichen Kunst?!), während die andere „suggestion is that COVID-19 is now becoming a disease of younger people who are less likely to die or suffer serious complications„. Ich ahne, was der Observer damit meint, obwohl es merkwürdig ausgedrückt ist. Mit „cases“ sind die positiv Getesteten gemeint, denn die steigen ja. Wir testen auf SARSCoV-2, das Virus, das die Lungenkrankheit COVID-19 auslösen kann. COVID-19 ist eine Erkrankung, die vor allem bei alten und multimorbiden Patienten einen schweren Verlauf haben kann und hat sich darin „now“ nicht geändert. Nur das Durchschnittsalter der positiv Getesteten ist gesunken. Darüber müssen wir uns nicht wundern, wenn wir die Tests ausweiten. (Reiseheimkehrer haben eben auch Kinder und vor allem an Schulen gibt es davon viele?!) Von der Ausweitung der Tests spricht der Observer aber gar nicht. Stattdessen spekuliert er, dass es bald wieder eine Krankheit der Alten werden könnte, weil diese sich bei den Jungen anstecken könnten!? 

P.P.P.S. (vom 24. August 2020): Ich verlinke mal den „Faktenfuchs“ des BR24, der die oben angestellten Überlegungen in die Nähe von Verschwörungsideen bringt, die ich gar nicht kenne. Es möge sich jeder sein eigenes Urteil bilden. Nur so viel: in KW 13/14 waren bei rund 400.000 Tests 9% positiv, in der KW 33 bei 672.000 Test nur noch 1%. Im Übrigen: dass „Behauptungen mit politischen Verschwörungsideen verbunden“ werden, macht sie nicht falsch – allenfalls die daraus gezogenen Schlussfolgerungen.
Dem Faktenchecker des BR24 sei mal der Blick nach Österreich empfohlen. Dort werden in den Nachrichten des ORF Sachen berichtet, die vom Faktenchecker Verschwörungsideen zugerechnet werden. Alles „Verschwörungsideologen“?

Um Himmels Willen, jetzt befördert auch noch das Ärtzeblatt (siehe hier) „Verschwörungsideologen“ – oder wie sieht das jetzt der Faktenchecker des BR24. Ich fürchte da schweigt er sich aus. Vielleicht ist auch das Praktikum der „Datenjournalist*innen“ abgelaufen?

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Manu

    Wie erklärst du dir denn den Anstieg und die Andersartigkeit in Spanien? Machen wir etwas richtiger?

    1. Heinrich Leitner

      Keine Ahnung. Man müsste die spanischen Zahlen genauer kennen. Vier Tote in Deutschland und 127 in Spanien ist schon ein erstaunlicher Unterschied.

    2. Heinrich Leitner

      Inzwischen weiß ich auch ein bisschen mehr über die Zahlen in Spanien. Die 127 Toten vom 19. August waren ein Peak, der sich vermutlich aus Spätmeldungen erklärt. Die Zahlen sind danach wieder deutlich gesunken (im Schnitt auf etwa 30). Das ist immer noch (relativ) viel, zeigt aber (noch?) keinen Aufwärtstrend, insbesondere keinen, der dem Anstieg der positiv Getesteten entspricht. Allerdings ist auch die Zahl der „serious cases“ vergleichsweise hoch (715 im Unterschied zu aktuell 245 in Deutschland).

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