Einfach mal zustimmen

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Die Neue Rheinische Zeitung Online hat den Bremer Aufruf zum Dialog veröffentlicht. Es geht um Corona. Und es geht um die Linke. Ich würde sagen: um ihr Versagen. Um ihre Söderisierung, ihren Anteil an Panikmache und harter-Hand-Rhetorik, ihre Ignoranz gegen Fragen der Verhältnismäßigkeit, gegenüber den Schäden an Leib und Seele und am kollektiven Leben und Handeln. Und alles in der Heilserwartung auf die Pharma-Industrie …

Viele derer, die sich als COVID-Intelligentia über die COVID-Idioten wie mich erheben, sehen den Sündenfall der SPD in den Kriegskrediten von 1914. Dort sei etwas zerbrochen. Mag sein. Die Lage war damals vielleicht ähnlich, nur viel bedrohlicher, am Ende war die alte Welt explodiert. „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch …“ – damals hieß es „Deutsche!“ Es war Kaiser Wilhelm II. Heute heißt es potentielle Infektionsopfer. „Zum Zeichen dessen, dass Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschied … durchzuhalten mit mir durch dick und dünn, durch Not und Tod zu gehen, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir das in die Hand zu geloben.“ Kann man gar nicht vergleichen, hör ich sagen, jetzt ist es ja eine Naturkatastrophe. Mag sein, mit einer Lethalität von 0,2%, aber vor allem eine, die man so oder anders handhaben kann. Aber das scheint alles alternativlos zu sein, den Blick voraus, „die Reihen fest geschlossen“ – bis uns die Pharmaindustrie selbstlos erlöst.[1] Sollte die nicht mal vergesellschaftet werden – 1914 hatte man das noch vor. 

Aber zurück zum „Bremer Aufruf zum Dialog. Gegen die Spaltung der Gesellschaft“. Ich weiß nicht, was ich genau formuliert hätte, wenn ich’s hätte schreiben sollen. Darum geht’s nicht. Ich bin erstmal froh, dass andere es getan haben. Ich kenne die Unterzeichner nicht. Bestimmt finden einige, denen das alles nicht gefällt, irgendwen, der schon mal Kontakt hatte zu jemanden, der wirklich „verdäääächtig“ ist. Vielleicht hat einer ja sogar einen schlimmen Wikipedia-Eintrag … Uuhhh. Aber ich lese einfach nur und ich sage: genau. Das kann man so sagen. Danke. Hier ist der Bremer Aufruf im Original:

In vielen Städten protestieren Menschen gegen die Corona-Maßnahmen und für die Freiheitsrechte des Grundgesetzes. So auch in Bremen. An den Kundgebungen beteiligen sich Menschen, von denen viele bisher nicht an Demonstrationen und politischen Manifestationen teilgenommen haben. Sie wurden durch die Maßnahmen des sog. Infektionsschutzes wachsam und politisiert. Sie hegen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit vieler der verordneten Maßnahmen, an ihrem Sinn und an ihrer Verhältnismäßigkeit.

Es fällt auf, dass

  • Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und viele Organisationen, die sich für soziale Gerechtigkeit und Frieden einsetzen,
  • Bewegungen gegen Rassismus, Faschismus und Antisemitismus
  • und jene, die eine radikale ökologische Transformation fordern,

die Anliegen der Protestierenden ignorieren, gegenüber den Protesten auf Distanz gehen oder die Teilnehmer an den Kundgebungen politisch ins Abseits stellen, sie aus dem gesellschaftlichen Diskurs ausgrenzen. Zur Rechtfertigung dieser undemokratischen Einstellungen und Verhaltensmuster tauchen oftmals die Argumente von Medien-Machern auf – Argumente, in denen

  • Schwarz-Weiß-Muster bedient werden;
  • verzerrende Informationen, Zahlen und Grafiken Verbreitung finden;
  • Furcht und Panik erzeugt werden, um die Bevölkerung gefügig zu machen für eine „neue Normalität“ mit umfassender Staatskontrolle mittels Tracing App, Grenzkontrollen, Reisebeschränkungen, Testpflichten, Impfauflagen und Immunitätsausweis, digitalisiertem Geld, Gesichtserkennung, neuen elektronischen Ausweisen mit europaweiter Identitäts-Nummer, 5G, 6G, usw.;
  • die sozialen und ökonomischen Folgen der uns alle massiv betreffenden politischen Entscheidungen in ihrem ganzen Ausmaß verschwiegen werden.

Wir fordern die Medien und die oben angesprochenen Institutionen, Organisationen und Bewegungen auf, ihr Verhalten gegenüber den Kundgebungen und den Kundgebungsteilnehmenden zu überdenken. Wir erwarten, dass sie ernsthafte Schritte unternehmen, hin zu einem respektvollen und demokratischen Diskurs. In Bremen – und nicht nur hier – leiden Menschen an den Folgen der verordneten Maßnahmen, beispielsweise:

  • durch die Besuchsbeschränkungen in Altenheimen und Kliniken;
  • wegen des Verbots von Gottesdiensten, öffentlicher Veranstaltungen und der Einschränkung von Vereinsaktivitäten;
  • wegen der Unterlassung von Operationen und anderen medizinischen Eingriffen;
  • aufgrund der Quarantäne-Maßnahmen, die arme Familien mit Kindern unter viel zu engen Wohnbedingungen besonders hart getroffen haben;
  • infolge der Ausweitung des sog. „Home Office“, wodurch Frauen in überkommene Rollenmuster zurückverwiesen werden;
  • aufgrund der drohenden Insolvenzen und Mietwohnungskündigungen; infolge des erfolgten oder drohenden Arbeitsplatzverlustes, fehlender Ausbildungsplätze, der Einstimmung auf Lohnverzicht und wegbrechender Perspektiven für die Jugendlichen;
  • an den Einschränkungen des Kulturlebens und der Verarmung von Kulturschaffenden;
  • an der Reglementierung der Kinder infolge der gesundheitlich besorgniserregenden Aufforderungen zum Maskentragen in den Schulen und im ÖPNV;
  • aufgrund der Schließung der Hochschulen für die Studierenden und der Umstellung auf Online-Lehre;
  • infolge der Löschung von „abweichenden Meinungen“ im Internet;
  • infolge der Vertröstungen auf das Jahr 2021 bzw. „bis es einen Impfstoff gibt“;
  • aufgrund der Profilierungsübungen von Kanzlerkandidaten in spe.

Diejenigen, die unter den herrschenden Verhältnissen leiden müssen, erwarten von den fortschrittlichen Kräften nicht Gleichgültigkeit oder arroganten Hohn, sondern dass sie ohne Wenn und Aber auf ihrer Seite stehen – auch wenn das nicht immer leicht fällt.

Die Wahrung der demokratischen Grundrechte ist die alles entscheidende Voraussetzung für unser aller freiwilliges Engagement im Interesse von Freiheit, Frieden und sozialstaatlicher Geschwisterlichkeit. Demokratie ist das Gebot der Stunde. Sie braucht Power von unten. Sie ist kein Geschenk von oben.

 

Unterzeichner/innen:

  1. Angela Banerjee, Dipl.-Sozialwissenschaftlerin, Inklusionsassistentin
  2. Rudolph Bauer, Prof. Dr., Politikwissenschaftler, Publizist und Künstler, Gewerkschaftsmitglied
  3. Dr. med. Rüdiger Becher, Facharzt Allgemeinmedizin
  4. Karl-Heinz Bohlmann, Beamter
  5. Rodolfo Bohnenberger, Dipl.-Sozialpädagoge, Familientherapeut, Gewerkschaftsmitglied
  6. Dr. med. Jürgen Borchert, Internist Homöopathie Psychotherapie
  7. Toni Brinkmann, Juristin, Aktiv für den Frieden
  8. Andreas Burzik, Diplom-Psychologe und Psychotherapeut
  9. Karin Dröse, Ergotherapeutin
  10. Johannes Feest, Prof. Dr., Kriminologe und Rechtssoziologe
  11. Dr. med. Juergen Fuchs, Allgemeinmedizinpraxis
  12. Dr. Reinhold Gabriel, Zahnarzt
  13. Kerstin Gundermann, selbständig
  14. Gabi Herb, Lehrerin, Gewaltfreie Kommunikation
  15. Dr. med. Andrea Köster, Fachärztin für psychotherapeutische Medizin
  16. Dieter Lamprecht, Diplom-Ingenieur
  17. Dr. med. Mechthild Merschhemke-Borchert, Ärztin für Allgemeinmedizin
  18. Hartfried Pietz, Zahnarzt
  19. Lotte Pietz, Buchhändlerin
  20. Walter Ruffler, ehem. Bürgerschaftsabgeordneter, Künstler
  21. Klaus Schiesewitz, Dipl.-Pädagoge, Erwachsenenbildung, Gewerkschaftsmitglied
  22. Anna Marie Schmidt, Lehrerin
  23. Marianne Sörensen-Bauer, Psychologische Psychotherapeutin
  24. Willi Schulze-Barantin, Dipl.-Bauingenieur, Friedensaktivist, Gewerkschaftsmitglied
  25. Waltraud Siemers, Rentnerin
  26. Erich Sturm, Dipl.-Religionswissenschaftler, Netzpolitiker
  27. Dr. Doris Tertel-Bohlmann, Zahnärztin
  28. Wolfgang Vormann, Dipl.-Wirtsch.-Ingenieur, Erwachsenenpädagoge
  29. Georg Maria Vormschlag, Intensivpfleger i.R., Friedensaktivist, Gewerkschaftsmitglied

[1] Dass, das nicht aus der Luft gegriffen ist, konnte ich bei einer Talk-Show erleben, an der Ulrike Herrmann als linke Ökonomin teilgenommen hat. Vor die Frage gestellt, ob die Maßnahmen verhältnismäßig sind und z.B. wirklich dauerhaft greifen könnten, zog sie sich immer wieder auf die ihre Überzeugung zurück, dass ein Impfstoff im ersten Halbjahr 2021 zur Verfügung stehe. Sie wollte keine Spekulationen anstellen, was geschehe, wenn das nicht der Fall sei und versicherte stattdessen, ihrer Überzeugung nach sei das sehr sicher.

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