Ovids Metamorphosen II: Das Feuerwerk nach dem Feuer

Lesedauer 13 Minuten

Die Katastrophe konnte abgewendet und der Weltenbrand erstickt werden. Dem großen Feuer lässt Ovid nun ein wahres Feuerwerk an Verwandlungen folgen. Sie folgen, sich teils überlagernd und ineinandergeschoben, in schneller Folge, eng durch eine gemeinsame Zündschnur verbunden.

„Jetzt geht wieder alles von vorne los“[1]

Juppiter macht Bestandsaufnahme:

er „umschreitet die riesigen Himmels-
Mauern, er forscht, ob etwas, zermürbt durch die Kräfte des Feuers,
Stürze, und als er gewahrt, daß alles noch sicher in alter
Stärke bestehe, beschaut er die Erde, die Werke der Menschen
“.[2]

WIR LESEN OVID
Ovid – WikiCommons

Ovids Metamorphosen sind ein lesenswerter Klassiker. Wir lesen Stück für Stück die fünfzehn Bücher in kleinen überschaubaren Abschnitten. Können wir Philosophisches zur Zeit daraus lernen? Finden Sie’s raus und lesen Sie mit! Das geschah bisher.

Wir ahnen es schon: „Jetzt geht alles wieder von vorne los“. Hätte er doch etwas anderes zu tun, als auf die Menschen und insbesondere ihre weiblichen Formen zu schauen. Es kommt, wie es kommen muss: er erspäht eine Schönheit und das Unglück nimmt seinen Lauf. Aber Ovid rückt alles ins ironische Licht: Jupiter, so heißt es, „fing Feuer und erglühte bis ins innerste Mark[3]. Mögen die Säulen des Himmelsgebäudes nach dem großen Feuer „in alter Stärke“ stehen, so fällt die Gesinnungsburg beim Anblick so verführerischer Weiblichkeit haltlos in sich zusammen. Ovid kommentiert das achselzuckend mit dem bon mot, das seither Eingang in viele Sammlungen von Sinnsprüchen und „geflügelten Worten“ gefunden hat: nulla potentia longa est – keine Macht ist von Dauer! Vor allem die sittlich moralischen Kräfte sind begrenzt – scheint uns der Dichter augenzwinkernd nahe legen zu wollen.

Callisto und Diana

Callisto und Diana von Anthonie Blocklandt von Montfort (1533.1583)

Wer ist diese Schönheit? Sie ist eine Jüngerin der göttlichen Jungfrau Diana und damit selbst der Jungfräulichkeit verpflichtet. Aber … das Mädchen betritt „einen Wald, der noch zu keiner Zeit gefällt worden war“ (?!), „nimmt den Köcher von der Schulter“, den sie als überzeugte Diana-Schülerin jederzeit mit sich führt, „lockert den geschmeidigen Bogen“ und legt sich gedankenverloren auf den sanften „Rassenteppich“, mit dem „Nacken auf dem bemalten Köcher“ ruhend. Ist das nicht eine sehr – wie soll man sagen? – perfide Einstimmung auf die nun folgende Überwältigung, die der Leser doch schon im Voraus ahnt und gleichsam erwartungsvoll „voraussieht“. Werden wir nicht verführt, auf das Mädchen mit Jupiters Augen zu sehen, der sich angesichts der verführerischen Umstände schon vorab beruhigt: „Diesen Seitensprung wird meine Gattin bestimmt nicht erfahren, oder, wenn sie davon Wind bekommt – um diesen herrlichen Preis lohnt sich die Schelte.[4] Natürlich können wir uns – mit Jupiter – sicher sein, dass Juno die Sache nicht entgeht, sie wird strafen, furchtbar jammern und am Ende sich wieder mit Kompromiss zufrieden geben müssen, der leidlich ihr Gesicht wahrt.

Die Kunst des Tragik-Komischen

Das alles nimmt tragisch-komische Züge an. Platon hatte am Ende des Symposions dem gefeierten Tragödiendichter Agathon (448-400 v. Chr.) und dem zur Festgesellschaft gehörenden Aristophanes (444-380 v. Chr.), dem Komödiendichter Athens, eine folgenreiche Behauptung abgerungen: Jeder Tragödiendichter müsse zugleich ein Meister in Komödien sein und umgekehrt. Ovid scheint sich bei den Verwandlungen daran zu orientieren, die er der gerade noch abgewendeten Katastrophe folgen lässt. Das Tragische und Komische sind zwei Perspektiven, die erst das Ganze des Wirklichen aufschließen. Das Schreckliche wird erst in der ironischen Distanz wirklich zugänglich und das Komische, das der unbeteiligte Betrachter aus sicherer Entfernung an manch einer Person und ihren Umständen wahrnimmt, ist deren unentrinnbare Tragik. Wir lachen über den Tollpatsch, der wieder mal über die eigenen Füße fällt, nur weil er nicht zu uns gehört und wir uns nicht selbst in seine Rolle sehen (müssen).

Die schöne Callisto jedenfalls wird vom „feurigen“ Jupiter nicht nur schwanger. Sie ist so „verwirrt“, dass sie – wie Ovid glaubt, hervorheben zu müssen – „beinahe vergaß den Köcher und die Pfeile mitzunehmen und den Bogen, die sie dort aufgehängt hatte“.[5] Vielleicht hätte sie das sofort verraten, so dauert es fast neun Monate bis die Sache auffliegt oder sagen wir herauskommt. Ovid kommentiert das so suffisant, dass wir unwillkürlich lächeln: „Wäre Diana keine Jungfrau, hätte sie an tausenderlei Anzeichen Callistos Verfehlung bemerken können…[6] Sie wird schließlich verstoßen, bekommt einen Sohn und spätestens das führt zur Bestrafung durch Juno: Callisto wird in eine Bärin verwandelt. Callisto, deren Schönheit und Anmut Jupiter in Bann zog, ist – auch hier schmunzeln wir – die Tochter der menschlichen Bestie Lycaon. [7] Lycaon war es, der Jupiter einst demütigen wollte (I 151ff.) und deshalb in einen Wolf verwandelt wurde. An seiner Tochter konnte er nun offenbar den Wesenszug Lycaons nicht wahrnehmen und fand das „Erbe“ der Bestie so verlockend, dass es von ihm Besitz ergriff.

Callisto streift gleichsam als eine Trans-Bärin in den Wäldern umher, abgeschreckt von den Tieren, denen sie jetzt durch ihre Erscheinung zugerechnet wird, und angezogen von den Menschen, denen sie doch eigentlich zugehört – immer auf der Hut, sie nicht zu verschrecken oder von ihnen gejagt zu werden. Es kommt wie es kommen muss: sie trifft nach 15 Jahren doppelter Entfremdung auf ihren Sohn Arcas, der im Wald jagt und sich von der Bärin angegriffen glaubt. Er will der Bären-Mutter gerade den Speer in die Seite rammen als Jupiter beide in Gestirne verwandelt und sie als Sternbild des Bootes (Großen Bären) an den Himmel heftet. Juno ist darüber entsetzt und wir hören sie schrecklich, der Götterfürstin nicht wirklich würdig, jammern. Sie kann zumindest bei Tethys und Oceanos erreichen, dass das Sternbild nicht auf- und untergehen und das heißt niemals „im reinen Wasser der blauen Meerestiefe“ baden dürfe.[8]

Die geschwätzigen Raben und Krähen

Apollon mit Rabe

Junos Wagen, mit dem sie von dannen zieht, bildet mit seinem Pfauengespann die Überleitung zu einem Gespinst von tragisch-komischen Verwandlungen. Mit der Tötung des hundertäugigen Argus durch Merkur hatte Juno seine Augen auf den Pfauenfedern verewigt. Nun geht es um die Verwandlung des Federkleids des Raben, das vormals nicht schwarz, sondern strahlend weiß war. Der Rabe war Apollons Begleiter und beobachtete Coronis bei einem „Treuebruch“, jener Coronis, die Apollon sich zur Geliebten nahm. Der Rabe wollte nun „als unerbittlicher Kläger“ Apollon umgehend „die heimliche Verfehlung“ enthüllen.[9] Er wird gewarnt von einer Krähe, die schlechte Erfahrungen mit der ungefragten Enthüllung unangenehmer Dinge gemacht hat. Minerva hatte den drei Töchtern des Cecrops, dem mythischen Gründer Athens, einen Korb „unter dem strengen Gebot“ übergegeben, ihn nicht zu öffnen. Eine der drei, wir werden den Schwestern gleich nochmal begegnen, nämlich Aglauros konnte nicht widerstehen, öffnete den Korb und wurde dabei von der Krähe beobachtet. Sie berichtet der Göttin das Geschehene und wird dafür bestraft. Hatte Minerva sie einst durch eine Verwandlung gerettet, wird sie nun „aus Minervas Gefolge verstoßen“. Der Rabe erfährt, dass die Krähe zunächst eine Prinzessin, Tochter des Coroneus war, des Königs von Phocis. Überaus schön wurde sie von vielen Freiern begehrt. Am Ende stellte ihr der Meergott Neptun nach als er sie am Strand sah. Sie flehte um Rettung und Minerva konnte sie gerade noch vor Neptuns Zugriff bewahren, indem sie sie in eine Krähe verwandelte. Nun aber wurde sie wegen ihre „Verfehlung“ durch die Eule ersetzt,[10] und das möge auch dem „apollinischen“ Raben eine Mahnung sein. Der freilich fühlt sich sicher und weist das als nichtige Bedenken zurück (vanum omen). Der Leser aber ahnt schon ein böses Erwachen. Der weiße Rabe will wichtigtuerisch aufklären, er will sich als treuer Diener seines Gottes erweisen. Der Gott so glaubt er brauche seine im Überflug registrierte Beobachtung der Untreue der Coronis.

Apollon und Coronis

Apollon gerät darüber außer sich vor Wut und Ovid schildert spöttisch Apollons Reaktion: „Als der Liebende von dem Vergehen hörte, entglitt ihm der Lorbeer; und der Gott verlor zugleich die Fassung, das Plektrum und die Gesichtsfarbe.“ Wir nehmen Teil an einer Komödie, in der ein Gott sich so kopflos benimmt wie ein seines Gewinns sicherer Spielverderber, dessen Spielstein beim Mensch-Ärgere-Dich-Nicht kurz vor dem Ziel geworfen wird und der darauf wütend das Spielbrett vom Tisch stößt. „Zornig aufbrausend, greift er zu den gewohnten Waffen, spannt den Bogen, dessen Hörner er zurückbiegt, und durchbohrt mit seinem unentrinnbaren Geschoß die Brust, die so oft an der seinen ruhte.[11] Coronis, die Geliebte, stirbt unter seinen Händen, die sich doch der Heilkunst rühmen, nun aber keine Rettung mehr bringen. Er, der Gott, hasst sich selbst, „weil er dem Ankläger Gehör schenkte und im Zorne so hitzig war“, und er hasst, den, der ihn in diese Situation brachte und vor dem er sich als unbesonnener Tor gezeigt hat. „Den Raben aber, der sich dafür eine Belohnung erhoffte, daß er die Wahrheit berichtet hatte, schloß er aus dem Kreise der weißen Vögel aus.[12] Er schwärzte Coronis an und wird darüber selbst schwarz.

Von der Kunst der Wahrsagerei

Nur den Sohn, den Coronis im Leib trug, vermag Apollon zu retten. Er gibt ihn in die Obhut des Centauren Chiron, wo er aufwächst und sich prächtig entwickelt. Dort weissagt ihm Chirons Tochter Ocyrhoe eine prächtige Zukunft, aber auch sein Ende durch Zeus: Aesculap, als Sohn des Apoll der göttlichen Heilkunst mächtig, wird viele Kranke retten; doch er wird einen sträflichen Schritt zu weit gehen und selbst Tote wieder zum Leben erwecken. Das widerstreitet der Natur und den göttlichen Gesetzen.[13] Zeus wird einschreiten und die Götter unterbrechen auch Ocyrhoe, deren Weissagungen einen trotzigen, kritisch überheblichen Unterton haben: Ocyrhoe (Ὠκυρρόη meint die schnell Fließende) wird in eine wiehernde Stute verwandelt bevor sie ihre Weissagungen beenden kann. Was sie sagt ist nicht falsch, es ist unangebracht.

Merkur mit Battus

Tatsächlich erfüllen sie sich und das erlaubt Ovid den wieder einmal etwas künstlichen Übergang zur nächsten Verwandlung: Apollon war über den Tod seines Sohnes erbost, versuchte sich an Zeus zu rächen und wurde dafür bestraft. Er musste niedere Hirtendienste leisten. Nicht bei der Sache entlaufen ihm die Rinder und werden schließlich von Merkur gestohlen. Nur Battus, ein alter Hirte hatte es gesehen. Merkur versichert sich der Verschwiegenheit des Alten, der ihm versichert, er könne ohne Sorge sein, „den Diebstahl wird eher der Stein hier verraten“ als er. Auch hier ahnen wir wieder das unrühmliche Ende: Merkur traut Battus nicht und kommt in Verkleidung zurück. Battus verrät schließlich dem verkleideten den Verbleib der Herde, verrät damit Merkur an Merkur, und wird in einen Stein verwandelt, der wie Battus selbst meinte, keinen Verrat begehen kann.

Der selbstzerstörerische Neid

Pandoros, Aglauros, Herse

Nun seiner Beute sicher, schwingt sich Merkur in die Lüfte, fliegt übers Land und entdeckt dabei die schöne Herse. Sie war uns schon bei der verstoßenen Krähe begegnet: Minerva hatte den Töchtern des Cecrops, Pandrosos, Aglauros und eben Herse, aufgetragen, den Korb ungeöffnet zu lassen. Aglauros hatte sich darüber hinweggesetzt. Nun aber gerät zunächst Herse, die schönste der Töchter, in die göttliche Aufmerksamkeit. Kaum hatte der Jupiter-Sohn Herse gesehen, war er im Flug erglüht, gleichsam Feuer und Flamme. Der listige Merkur offenbart Aglauros seine Absichten, sichert ihr für ihre Hilfe reichlichen Lohn zu und verabredet mit ihr, dass sie ihm nächtens Zugang zu Herses Schlafraum ermöglicht.

Invidia

Doch inzwischen hat sich auch die von Aglauros hintergangene Minerva an sie erinnert. Sie macht sich auf zur Göttin des Neids, um sie um Mithilfe bei der Bestrafung Aglauros zu bitten. Wie stellen wir uns die Begegnung vor, wie mag Invidia hausen? Ovid kommt wieder in ironische Fahrt:

Von schwarzer
Feuchtigkeit starrt es wüst: in den hintersten Tälern ist diese
Wohnung versteckt, der Sonne entbehrend und niemals von frischem
Winde durchlüftet, umdüstert und voll von lähmender Kälte;
Denn nie gibt es dort Feuer, doch Finsternis immer in Fülle.
Als die im Krieg erschreckliche Jungfrau hierhin gekommen,
Blieb vor dem Hause sie stehn – denn hinein in das Innere treten
Durfte die Götting nicht – und stieß mit der Spitze des Speeres
Wider die Tür. Die erklang und öffnete sich, und darinnen
Sah sie Invidia Fleisch von Vipern verzehren: ihr Laster
Nährt sich davon – es blickte die Götting zur Seite – ! Doch jene
Hob sich vom wüsten Boden; sie ließ das zur Hälfte verzehrte
Schlangenfleisch liegen, und trägen Schrittes kam sie gewandelt.

Bleich sind Wangen und Mund, die Dämonin ist mager am ganzen
Leib, stets schielt sie querüber, von Rost sind dunkel die Zähne,
Grün von Galle die Brust, von Gift unterlaufen die Zunge;
Lachen kann sie nur dann, wenn sie Schmerzen bei andern erblickt hat;
Schlaf ist ihr fremd, da wache Gedanken sie quälen: der Menschen
Unwillkommne Erfolge betrachtet sie, und im Betrachten
Zehrt sie sich ab; denn andere benagt sei und nagt an sich selber
Und ist so ihre eigene Pein.
[14]

Minerva bittet Invidia um Hilfe und der Neid macht sich in Aglauros breit, zerfrisst sie innerlich und macht ihr das Leben zur Qual. Traditionell gilt der Neid als Form der Selbstschädigung. Aglauros stellt sich Merkur entgegen als dieser wie vereinbart zu Herse will und wird von diesem ebenfalls versteinert.

Die Krähe, der Rabe und Ocyrhoe werden für ihre Reden bestraft, nicht weil sie falsch sind, sondern im Gegenteil, weil sie wahr, aber unangemessen sind. Battus, weil er aus Gewinnsucht die Zusage bricht, über etwas zu schweigen; Aglauros, weil sie nicht hören will und schließlich neiderfüllt auch ihren eigenen Reden nicht mehr folgen kann.

Wie immer kann man fragen, ob sie bestraft wurden oder sich selbst bestraft haben. Es ist eine Mischung aus Missgunst, Neid und Berechnung, die Strafe verdient.

Es geht um die Denunzianten, die Verpetzer und Verleumder, deren verschwörerisches Andienen an die jeweiligen Herren, ihr willfähriges Hervortun als Wahrer der herrschenden Ordnung, in Neid gründet. Überall schwärzen sie an, Ovid spricht vom tabum nigrum, dem „schwarzen Geifer“,[15] von dem sie überlaufen und den sie verspritzen. Was bewegt die Mutter, den Freund des Sohnes anzuzeigen, weil er Hitler- oder Honecker-Witze erzählt hat,[16] was den Nachbarn, die Personen zu zählen, die zum Osterfrühstück ins Nachbarhaus kommen, um dem Infektionsschutzgesetz zur Durchsetzung zu verhelfen. Wir wissen intuitiv, dass sie die Strafe der Götter verdienen, dass sich in ihnen nicht die Liebe zur Wahrheit, sondern kleingeistige Gefügigkeit, bereitwillige Servilität und verschlagenes Andienen preisgibt.

Es gibt das Schicksal gesehen zu haben, was man lieber nicht hätte sehen sollen – auch davon werden wir bei Ovid noch lesen. Das Gesehene lässt einen nicht mehr los. Denken wir an die Grausamkeiten des Krieges, Verbrechen gegen Kinder oder das durch Qualen verlängerte Sterben von Kranken oder Gefolterten. Auch dem folgt das Leiden am eigenen Dasein, das gleichsam als Strafe empfunden wird. Ihm kann man sich in gewissem Sinne nicht entziehen, an ihm kann man nur wachsen oder verkümmern.

Davon ist hier nicht die Rede. Die denunzierenden Raben erfreuen sich am Vergehen der andern, weil es ihnen die Gelegenheit zum Auftritt auf der Bühne des Herrn gibt, die sie sonst niemals hätten betreten können. Sie dürsten nach Aufmerksamkeit und glauben sich durch die Vergehen der andern bedeutsam machen zu können. Sie sind die Rächer ihrer eigenen kleingeistigen Existenz. Wir wollen mit ihnen nicht tauschen. Sie sind tragisch verstrickt in ihre traurige Existenz und wahrlich bedauernswert. Sie gieren nach der Achtung der Herrschenden, die ihnen so wenig Achtung entgegenbringen. Die geschwätzige Krähe, nachdem ihr wieder mal übel mitgespielt wurde, will sich wenigstens beim dienenden Raben hervortun. Aber auch das gelingt ihr nicht. Noch in ihrer Warnung kann die Krähe sich der Herabsetzung anderer nicht enthalten und verleumdet die Eule, deren bedauernswertes Schicksal ihr zur eigenen Erhebung dient.

Und doch lachen oder schmunzeln wir über den beflissenen Denunzianten, der sich untertänigst um die Dienerschaft beim Herrn bemüht und dabei selbst in Ungnade fällt. Wenn der katzbuckelnde Neider in die Grube fällt, die er dem Nachbarn gegraben hat, dann erleben wir das Tragisch-Komische seiner Existenz. Der umtriebige Neider, der sich in der erfahrenen Geringschätzung seiner Person zum Hüter der Gerechtigkeit machen will, fällt am Ende selbst der Gerechtigkeit anheim. Die Strafe des anderen, aus der er ein klein wenig Anerkennung zu gewinnen hofft, ereilt ihn am Ende selbst.

Es wäre zu hoffen, dass die niedrige Gesinnung immer an ihren Federn zu erkennen wäre und sich wie bei der versteinerten Aglauros noch im Stein ihre dunkle Gesinnung zeigt.

Demnächst

Europa wird von einem Stier entführt – Sie wissen schon … Und dann geht’s auch schon ins dritte Buch. 

 

 

[1] Auch für Tocotronic ging “Nach der verlorenen Zeit“ wieder alles von vorne los: https://www.youtube.com/watch?v=WMEMEXZDO04

[2] II 401ff.: at pater omnipotens ingentia moenia caeli / circuit et, ne quid labefactum viribus ignis / corruat, explorat. Quae postquam firma suique / roboris esse videt, terras hominumque labores / perspicit.

[3] II, 410: et acceptit caluere sub ossibus ignis.

[4] II 423f.: hoc certe furtum coniunx mea nesciet…/ aut sie rescierit, – sunt, o sunt iurgia tanti.

[5] II 439f.: unde pedem referent paene est oblita pharetam / tollere cum telis et, quem suspenderat, arcum

[6] II 452f.: et, nisi quod virgo est, poterat sentire Diana / mille notis culpam. Wir lassen bis auf Weiteres mal dahingestellt, ob und wie hier überhaupt von Schuld (culpa oder crimen: II 447) gesprochen werden kann und begnügen uns damit, dass es sich wohl um einen Bruch der Regel handelte, die für die Diana Gemeinschaft ausdrücklich galt, die nämlich nur Jungfrauen unter sich dulden wollte.

[7] Dass er sich damit einer „geschichtlichen“ Inkonsistenz schuldig machte, war Ovid offenbar egal. Lycaons Vergehen hatte Jupiter letztlich überzeugt, das Leben auf der Erde – zumindest aber die Menschen durch die Sintflut auszutilgen. Nur Pyrrha und Deucalion blieben einzig übrig und schufen aus Steinen den neuen Menschentyp. Wie Lycaons Tochter Callisto nun zu den Diana-Jungfrauen stoßen konnte bleibt vorsichtig gesprochen im Dunkeln. Aber so wie mancher geneigt ist, die eigene Großmutter für einen guten Witz dranzugeben, so scheint Ovid gerne bereit, für das Callisto-Feuer Jupiters auch fünfe mal grade sein zu lassen.

[8] II 528ff.

[9] II 546 f.

[10] Auch hier kann die Krähe nicht an sich halten und gibt zum Besten, dass die Eule das Ergebnis einer Verwandlung sei, nämlich von Nyctimene, mit der ein „gräßliches Verbrechen“ (diro crimine) verknüpft sei – sie habe nämlich „das Lager des Vaters entehrt“ (patrium temerasse cubile). Nicht genug, dass sie Geschichten von der Eule glaubt erzählen zu müssen – was könnte der Rabe davon gewinnen –, sie lässt sie bewusst in einem schlechten Licht erscheinen und erzählt die Geschichte falsch: der Missbrauch der Tochter wird ihr zur Verführung des Vaters. Sie ist nicht das Opfer von Willkür, das Undank für seine „Gewissenhaftigkeit“ erntet, sie bestätigt Minerva geradezu in ihrem Urteil.

[11] II 602f.: utque animus tumida fervebat ab ira, / arma adsueta capit flexumque a cornibus arcum / tendit et illa suo totiens cum pectore iuncta / indevitato traiecit pectora telo.

[12] II 631f.: sperantemque sibi non falsae praemia linquae / inter aves albas vetuit consistere corvum.

[13] Hades, der Gott der Unterwelt sieht darin einen Verstoß und fordert ein Ende der Aesculapschen Untaten.

[14] II 760ff.: protinus Invidiae nigro squalentia tabo/ Tecta petit; domus est imis in vallibus huius / abdita, sole carens, non ulli pervia vento, / tristis et ignavi plenisssima frigoris, ut quae / igne vacet semper, caligine semper abundet. / huc ubi pervenit belli metuenda virago, / constitit ante domum (neque enim succedere tectis / fas habet) et pstes extrema cuspide pulsat. / concussae patuere fores; videt intus edentem / vipereas carnes, vitiorum alimenta suorum, / Invidiam visaque oculos avertit. at illa / surgit humo pigra semesarumque relinquit / corpora serpentum passuque incedit inerti, … pallor in ore sedet, macies in corpore toto / pectora felle virent, linqua est suffusa veneno. / risus abest, nisi quem visi movere dolores, / nec fruitur somno vigilacibus excita curis, / sed videt ingratos intabescitque videndo / succesus hominum carpitque et carpitur una / suppliciumque suum est.

[15] So die treffende Übersetzung bei Michael von Albrecht.

[16] Ein abscheuliches Beispiel wird von Peter Wapnewski erzählt: https://www.rhetorik-forum-nuernberg.de/mit-dem-anderen-auge/